Der kleine Graf Kwilecki

Vom Sensationsprozeß gegen die Gräfin Kwilecka - der viel umstrittene kleine Graf

Vor dem Berliner Schwurgericht wird gegenwärtig ein Sensationsprozeß verhandelt; die Gräfin Kwilecka, die Gattin des Majoratsherrn von Wroblewo in der Povinz Posen, ist der Kindesunterschiebung angeklagt.

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Es liegt auch in der Tat eine Reihe schwerer Verdachtsgründe gegen sie vor, aber ob diese von den Geschworenen als beweiskräftig genug für eine Verurteilung angesehen werden, muß doch zweifelhaft erscheinen, bis sie ihren Spruch gefällt haben. Mehr als das Schicksal der Angeklagten selbst aber interessiert das Schicksal ihres jetzt sechsjährigen Sohns, der, wie ihr eben vorgeworfen wird, nicht ihr Sohn sein soll. Denn wie immer der Prozeß ausgehen mag, der kleine Graf wird unschuldig leiden müssen. Wird die Mutter verurteilt, so wird er aus einer Sphäre gerissen, in die er ohne sein Zutun hineinversetzt wurde; wird aber die Mutter freigesprochen, so wird an seiner Existenz doch der Verdacht hängen bleiben, daß ihm die Stellung, die er einnimmt, eigentlich nicht zukommt.

Vom Sensationsprozeß gegen die Gräfin Kwilecka in Berlin. Der kleine Meyer
Vom Sensationsprozeß gegen die Gräfin Kwilecka in Berlin. Der kleine Meyer
Vom Sensationsprozeß gegen die Gräfin Kwilecka - der viel umstrittene kleine Graf
Vom Sensationsprozeß gegen die Gräfin Kwilecka – der viel umstrittene kleine Graf

Man hat ihn den Geschworenen mit dem Sohn einer Frau Meyer aus Lipine in Oesterreichisch-Schlesien, als deren uneheliches Kind auch der kleine Graf hingestellt wird, in gleicher Kleidung vorgeführt, allein eine besondere Aehnlichkeit wurde nicht konstatiert. Die Frage, ob die beiden Brüder sind, blieb offen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 45/1903.

Der Prozeß gegen die Gräfin Isabella Kwilecka

Justizrat Dr. Wronker, der Verteidiger der Gräfin Kwilecka vor den Berliner Geschworenen
Justizrat Dr. Wronker, der Verteidiger der Gräfin Kwilecka vor den Berliner Geschworenen
Der Kampf ums Majorat - das Kwileckische Schloss Wroblewo in Posen
Der Kampf ums Majorat – das Kwileckische Schloss Wroblewo in Posen

Der Prozeß gegen die Gräfin Isabella Kwilecka wegen Kindesunterschiebung hat den von der öffentlichen Meinung mit Sicherheit erwarteten Ausgang gehabt; die Geschworenen haben sämtliche ihnen vorgelegten Schuldfragen verneint, und die Angeklagten wurden freigesprochen. Je weiter die Verhandlungen vorschritten, desto mehr wandten sich die Sympaihien der Frau zu, die zehn Monate in der Untersuchungshaft gesessen halte.

Der Kampf ums Majorat - Gräfin Kwilecki mit ihrem Sohn
Der Kampf ums Majorat – Gräfin Kwilecki mit ihrem Sohn

Die größte Genugtunng aber mag es der schwer geprüften Frau vielleicht bereitet haben, daß der Graf Hektor Kwilecki, der intellektuelle Urheber des ganzen Prozesses, noch bevor die Geschworenen ihren Wahrspruch gefällt hatten seiner Ueberzeugung von ihrer Unschuld in einem Brief an die Verteidigung Ausdruck gab, an deren Spitze der bekanne Berliner Rechtsanwalt Justizrat Wronker stand.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 49/1903.