Der Wettbewerb um Entwürfe für eine neue evangelische Kirche in Karlsruhe i. B.

Der Wettbewerb um Entwürfe für eine neue evangelische Kirche in Karlsruhe geht, was Bausumme und Programm anbelangt, nicht über die Wettbewerbe hinaus, die in den letzten Jahren für Kirchen ausgeschrieben waren.

Was aber dennoch die Veranlassung ist, dass sich ihm das Interesse der Fachwelt in reichem Maasse zuwendet, das ist der Umstand, dass der Einlieferungstermin dieses Wettbewerbes auf einen Tag nicht ganz 5 Wochen nach dem I. Kongress für den Kirchenbau des Protestantismus fiel, somit zwischen dem Kongress und dem Einlieferungstermin Zeit genug war, die Ergebnisse des ersteren für die Arbeiten des Wettbewerbes zu verwerthen. Das ist denn auch geschehen, und zwar in einem erstaunlichen Umfange.

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Sehr spärlich sind die Entwürfe, welche glaubten, die Bedürfnisse des protestantischen Gottesdienstes nach dem früher üblichen Schema befriedigen zu können, denen das Langhaus, in den meisten Fällen in Verbindung mit einem Querschiff, die Form war, die für sie, um mit den Worten des Erläuterungsberichtes eines Konkurrenzentwurfs zu sprechen, „heilig gesprochen“ ist. Sie sind gering an Zahl, aber sie sind da. Bezeichnend in dieser Beziehung ist ein Entwurf, der merkwürdiger Weise das Kennwort „Akustik“ trägt, in seiner Anlage aber dem gewählten Kennwort recht wenig entspricht. Er zeigt eine dreischiffige langgestreckte Anlage mit Querschiff und trägt allerdings insofern den neuen Bestrebungen Rechnung, als er die Orgel in das Angesicht des Zuschauers verlegt, während Altar und Kanzel die bisher übliche Stellung erhalten haben. Geradezu in das Extrem aber verfällt in dieser Beziehung der Entwurf „K“, der auf der Grundlage der Schlosskirche in Wittenberg mit Verwendung des Thurmes der neuen Protestations-Kirche in Speyer ein Gotteshaus schaffen will, welches in der Hauptsache aus einem engen, langgestreckten Langschiff besteht und so ein Muster für ein Predigthaus geworden ist, wie es nicht sein soll. Diese völlige Nichtbeachtung der Ergebnisse der neueren Bestrebungen findet sich auch noch bei einer kleinen Zahl anderer Entwürfe, die indessen auch künstlerisch nicht inbetracht kommen. Ein Entwurf hat sein Kennwort geradezu auf den Kongress bezogen („Grundlage: 1. Kongress“), ohne sich indessen von den Berathungen desselben mehr zunutze gemacht zu haben, als die Vereinigung von Altar, Kanzel und Orgel zu einer im Angesicht des Kirchenbesuchers gelegenen Gruppe angestrebt zu haben; denn das dreischiffige Langhaus entspricht den Bedingungen eines guten Sehens und Hörens nur in sehr geringer Weise. Im übrigen zeigen von 67 Entwürfen nicht weniger denn 35 zum grössten Theil auch künstlerisch sehr bedeutende Arbeiten eine zentral geordnete Anlage des Predigtraumes, sei es nun, dass diese aus einer zentralen Grundform, z. B. dem Kreis, dem Quadrat usw. entstanden ist, oder sich auf eine Zusammenstellung von mehren polygonalen oder halbkreisförmigen Absiden gründet, oder ihre Entstehung der Verkürzung des Langschiffes und der Ausbreitung des Querschiffes verdankt, oder aber endlich auf das Prinzip des Freudenstadter Grundrisses zurückgeht, wie der in die engere Wahl gelangte künstlerisch sehr werthvolle Entwurf mit dem Kenntwort „Nun danket alle Gott“. In diesen Anlagen, in welchen meistens auch Altar, Kanzel und Orgel zu einer künstlerischen Gruppe vor dem Besucher der Kirche vereinigt sind, zeigen sich die Einwirkungen des Kongresses für den Kirchenbau des Protestantismus in überraschender Weise. Indessen nicht nur hierin, sondern auch in einer ganzen Reihe von Langhausbauten mit Querschiff zeigt sich dieser Einfluss in der möglichsten Verkürzung des Langhauses und der möglichsten Konzentrirung der Sitze. Bemerkenswerth ist, dass der Wettbewerb nur 2 zweischiffige Anlagen, die eine mit dem Seitenschiffe an der Nordseite, die andere an der Südseite, hervorgebracht hat. Es scheint doch, als ob die zweischiffige Form bei allen ihren praktischen Vorzügen nicht die künstlerische Befriedigung gewährt, wie z. B. eine zentrale Anlage.

Lageplan

Was die Lage von Altar, Kanzel und Orgel anbelangt, so bleiben 31 Entwürfe bei dem alten Gebrauch, den Altar in der Mitte des Chores anzuordnen, die Kanzel rechts oder links daneben an einem Pfeiler des Chorbogens und die Orgel im Rücken des Kirchenbesuchers aufzustellen. Diese Stellung haben selbst einige Entwürfe beibehalten, welche die Zentrale oder der zentralen Form sich nähernde Anlage gewählt haben. In zwei Entwürfen sind nur Altar und Kanzel zu einer Gruppe vereinigt, während die Orgel an dem bisher üblichen Orte bleibt. In einer grösseren Gruppe von 12 Entwürfen ist die Orgel über dem Altar im Chor aufgestellt, die Kanzel dagegen in eine seitliche Stellung gebracht. Hier hat offenbar die vielfach erörterte Empfindung mitgesprochen, die den Altar nicht „unter“ der Kanzel angeordnet wissen wollte. Der Rest der Entwürfe, mit Ausnahme des Entwurfs mit dem Kennwort: „Im Anfang war das Wort“ hat die axiale Zusammenlegung, bzw. Hintereinanderlegung von Altar, Kanzel und Orgel grundsätzlich durchgeführt. Der letztgenannte Entwurf folgt den Rang’schen Grundsätzen. Sein Verfasser führt aus, er habe sich daran gewöhnt, alle evangelischen Kirchen, die ihm vorkamen, darauf zu prüfen, ob man nicht in ihnen auch einen katholischen Gottesdienst abhalten könne. „Und siehe da, es wäre in fast allen Fällen möglich gewesen; denn beinahe jedes Projekt enthält einen Chor, oder mindestens eine Chornische, in welcher der Altar, in katholischer Weise von der Gemeinde getrennt, aufgestellt war. Desgleichen war für die Kanzelstellung: mit der Altarstellung verglichen, fast immer ein nur ein untergeordneter, richtiger nebensächlicher Platz übrig geblieben. Also alle mir bekannten evangelischen Kirchen hatten katholisirende Tendenz.“ Der Verfasser führt dies näher aus ‚und kommt zu dem Ergebniss, „evangelische Kirchen, die quasi von der Kunstgeschichte „heilig gesprochen“ sind, die giebt es ganz einfach noch nicht. Wir haben also keine Tradition im evangelischen Kirchenbau, während uns die Tradition im katholischen Kirchenbau mit überwältigender Macht entgegen tritt.“ Ja, kennt der Verfasser nicht das Werk: „Der Kirchenbau des Protestantismus?“ In Verfolg seiner Erwägungen kommt derselbe indessen zu einem die Grundzüge der Frauenkirche in Dresden verwendenden Bau, in welchem die Sitze um den Mittelpunkt des kreisförmigen Innenraums geordnet sind im Mittelpunkte selbst, also in des Wortes erschöpfender Bedeutung „inmitten“ der Gemeinde steht der Altar, hinter ihn möglichst weit gegen die Mitte vorgeschoben, die Kanzel dahinter die Orgel in einer Nische, die sich in dem Rundbau noch dreimal in gleicher Weise wiederholt, demnach nicht de Charakter einer einzigen Altar- oder Chornische annehmen kann. Die Stellung von Kanzel und Altar inmitten der Gemeinde, meint der Verfasser, der Wegfall jeder Reminiszenz an den katholischen Chor, würde allein den evangelischen Typus kennzeichnen.

Mit den Plänen des Wettbewerbs war auch der Entwurf ausgestellt, den der verstorbene Vorstand der evangelischer Kirchenbau-Inspektion in Karlsruhe, Brth. L. Diemer, für dieselbe Kirche in mehren Varianten angefertigt hatte. Die jüngste Variante gefiel uns am besten und auf ihrer Grundlage scheint auch das Programm verfasst zu sein. Die Anlage besitzt die Kreuzform mit annähernd gleich langen Armen folgt den modernen Bestrebungen so weit, dass die Orgel hinter den in den Chor verlegten Altar versetzt wird, weist jedoch der Kanzel die linksseitige Stellung am Chorbogen an; sie ist aber so weit vorgerückt, dass sie auch von sämmtlichen Plätzen der Querarme gesehen werden kann, Es ist eine gute, durchdachte Grundrisslösung, welcher der Aufriss jedoch nachsteht.

Diese übersichtlichen Angaben über die Gestaltung des Innenraumes der Entwürfe der inrede stehenden Kirche, die Lage von Altar, Kanzel und Orgel, die Anordnung der Sitze usw. werden den tiefgreifenden Einfluss erkennen lassen, den die Berathungen des I. Kongresses für den Kirchenbau des Protestantismus auf diesen Wettbewerb ausgeübt haben. Derselbe bietet aber auch hinsichtlich der Lage des Bauplatzes und der sich hieraus ergebenden Orientirung des Kirchengebäudes ein hohes Interesse. Der Bauplatz ist an 3 Seiten rechtwinklig, an der 4. in schiefer Richtung begrenzt und besitzt ziemlich gleiche mittlere Längen- und Breitenverhältnisse; er liegt am nördlichen Theile der Westendstr., einer Strasse, welche durch die Hauptverkehrsader von Karlsruhe, die Kaiserstr., durchschnitten wird und ein Hauptzugang für den Stadttheil ist, welchem die geplante Kirche dienen soll. Die Westendstr. zieht an der östlichen Seite des Bauplatzes hin, während die westliche Seite durch eine neugeplante Strasse begrenzt werden wird, welche gleichfalls eine Strasse mit nicht unerheblichem Verkehr zu werden verspricht. Für beide Strassen ist die Richtung von Süd nach Nord, also die Richtung, die der aus dem Innern der Stadt Kommende nehmen muss, die Haupt-Verkehrsrichtung. (S. d. Lageplan). Der Bauplatz liegt nicht derart, dass die Kirche den Abschluss einer Strassenperspektive bilden könnte, denn das Baugelände ist durch bereits bebaute Quadrate eingeschlossen. Diese Eigenthümlichkeit der Lage des Bauplatzes musste auf die Stellung des geforderten Thurmes eine Rückwirkung ausüben. Den meisten Bewerbern aber ist die Eigenart der Lage des Bauplatzes nicht zum Bewusstsein gekommen; sie war für einen nicht ortskundigen Bewerber auch nicht gut zu erkennen, Daher kommt es, dass eine grosse Anzahl der Bewerber den Thurm an die Mitte der Ostseite der in ihrer Längsrichtung von Westen nach Osten gelagerten Kirche verlegten und so den Thurn einmal einem geschlossenen Baublock gegenüberstellten, andererseits von dem gegebenen Punkte aus eine nicht sehr günstige perspektivische Ansicht bekamen. Ein anderer Theil der Bewerber beging einen noch grösseren Fehler durch Verlegung des Thurmes an die südliche Ecke der Ostansicht. In dieser Lage musste der Thurm für den von Süden Kommenden das ganze übrige Kirchengebäude schlagen. Wieder ein anderer Theil der Bewerber fühlte diesen Nachtheil und stellte den Thurm an die nördliche Ecke der Ostseite. Alle diese Lösungen indess sind nicht von Bedenken frei. Einen glücklicheren Griff thaten die Bewerber, welche von der Freiheit, die das Programm inbezug auf den Thurm gestattete, Gebrauch machten und denselben bei zentraler Anordnung des Grundrisses als Vierungsthurm, begleitet von 2 oder 4 Flankenthürmen errichteten. Eine solche Anlage konnte durch die Bewerber zugleich auch als eine folgerichtige Durchführung des Grundgedankens des Entwurfes mit Erfolg bezeichnet werden. Denselben glücklichen Griff that auch der Verfasser des Entwurfs mit dem Kennwort „Vivos voco“ (Prof. E. Bischoff in Karlsruhe), als er seinem Thurm eine axiale Stellung an der Westseite der von West nach Ost gelagerten Kirche anwies. Dieser Entwurf ist auch durch ungemein reizvolle Innen- und Aussenperspektiven ausgezeichnet. Die geistreichste und der Lage vollkommen entsprechende Thurmanordnung aber ist in dem Entwurf „Westend“ (Verf. Prof. L. Levy in Karlsruhe) gegeben. Die zentrale Anordnung des Grundrisses dieses Entwurfes wird im Aeusseren durch einen niederen Vierungsaufbau romanischen Stils gekennzeichnet, wie ihn etwa der Dom in Speyer zeigt. Neben diesem Aufbau ist nach Art der italienischen Campanile eine Thurmanlage an die südwestliche Ecke des Bauwerks verlegt worden. Nur in dieser Lage ist der nicht als Vierungsthurm gestaltete Thurm gerechtfertigt; denn von dem Hauptzugang zur Kirche aus, von der Kaiserstrasse zur Westendstrasse, wird sich nur in solcher Lage eine glückliche Steigerung der Baumassen bei zugleich malerischer Erscheinung der ganzen Baugruppe ergeben. Als eine Konsequenz der Lage des Bauplatzes darf auch die Anlage von 2 als Chor charakterisirten Bautheilen am westlichen und östlichen Ende der als Langhauskirche gebildeten Anlage bezeichnet werden, wie sie der Entwurf mit dem Kennwort „Monumental“ zeigt. Im übrigen ist, was die Orientirung des Kirchengebäudes selbst anbelangt, die weitaus grösste Zahl der Bewerber der Anregung gefolgt, welche durch die Forderung des Programmes gegeben war, dass der Eingang zur Kirche an der Ostseite liegen müsse. Eine Ausnahme hiervon macht aus nicht recht ersichtlichen Gründen der als Langhausbau mit Querschiff durchgebildete Entwurf mit dem Kennzeichen eines schwarz-weiss-goldenen Schildes, welcher das Gebäude von Süden nach Norden orientirt. Zwei recht bemerkenswerthe Entwürfe sind es aber, welche mit voller Absicht ihr zentralgeordnetes Kirchengebäude so orientiren, dass der Altar nach Osten liegt und die demzufolge, um den Programm-Forderungen zu genügen, zwei Eingänge rechts und links vom Altar anordneten. Es sind dies die Entwürfe „2. Mos. 20, 24“ und „Glück auf“.

Der erstgenannte Entwurf stellt bei sehr interessantem Grundriss einen Kuppelbau mit niederen Flankenthürmen an der Ostfassade dar, der indessen seiner orientalischen Anklänge wegen nicht die Gnade des Preisgerichtes gefunden hat. Der zweitgenannte Entwurf ist in die engere Wahl gelangt und wird als „ein glänzend dargestellter, und auch bezüglich der künstlerischen Gestaltung hervorragender gothischer Entwurf“ bezeichnet, der indessen für seine Ausführung eine Summe von mindestens 510 000 (gegen 450 000 M. des Programmes) bedürfe. Die Lage der Eingänge wird als eine sehr unglückliche bezeichnet. Wir theilen diese Ansicht nicht in dem Umfange, sondern meinen, die künstlerische und psychische Wirkung des durch die Glasmalereien gedämpften Lichtes der Morgensonne für die erhebende Stimmung von grösster Bedeutung ist. Bei richtiger Farbenwahl für die Glasfenster dürften die physischen Gründe, welche gegen eine solche Anordnung sprechen, vollständig in Wegfall kommen. Wenigstens müssen wir andererseits sagen, dass da, wo man den Versuch unternommen hat, den Altarraum gegen das Licht abzuschliessen, dieser Versuch nach unserer Empfindung als misslungen zu betrachten ist. Was nun das Ergebniss des Wettbewerbes anbelangt, so gelangten von 67 eingelaufenen Entwürfen 21 zur engeren Wahl.

Die eingehende Begründung des Protokolles ist in dankenswerther Weise auf sämmtliche letzteren Entwürfe ausgedehnt. Von den betreffenden Arbeiten mit den Kennworten „Maria“, „Kreuz und Quer“ (Verf. Schöberl-Speyer), „Nun danket alle Gott“, J im Hexagramm, „Karlsruhe“ (Verf. Kempermann & Slevogt und Rüppell), „Bergpredigt“, „Rite“, „1715“, „Paulus“, „Jehova“, „Cum deo“, „Sieben Thürme“, Doppelkreis, „Concordia“, „Grüner und rother Sandstein“, „Eine feste Burg“, „Hosiannah“, „Facit“, „Glück auf“, „Karlsruhe II.“ und „Um Altar und Kanzel“ gelangten die Entwürfe „Rite“, „1715“, Doppelkreis, „Grüner Sandstein“, „Facit“, „Kreuz und Quer“ und „Bergpredigt“ in die engste Wahl. Die ersten 5 wurden als in erster Reihe stehend, die letzten 2 als ihnen näher kommend bezeichnet. Das Preisgericht kam einstimmig zu dem Urtheil, dass unter Berücksichtigung der Anforderungen des Programmes keine Arbeit des ersten Preises würdig sei. Der Grund ist durchgehends Ueberschreitung der Bausumme. Das Preisgericht beschloss daher einstimmig, von der durch das Programm ertheilten Befugniss Gebrauch zu machen und die für „Preise“ ausgesetzte Gesammtsumme in anderer Vertheilung zur „Auszeichnung einer Anzahl der hervorragendsten Entwürfe“ zu verwenden.

Rite von Hrn. Prof. Georg Frentzen – Entwurf zur neuen evangelischen Kirche für Karlsruhe

Demgemäss erhielten auf einstimmigen Beschluss die Entwürfe „Rite“ des Hrn. Prof. Georg Frentzen in Aachen, „1715“ des Hrn. Arch. Karl Voss in Hamburg und „Facit“ des Hrn. Prof. Johannes Vollmer in Berlin je eine Auszeichnung von 2000 M., die Entwürfe Doppelkreis und „Grüner Sandstein“ der Hrn. Curjel & Moser und Hermann Billing, sämmtlich in Karlsruhe, je eine Auszeichnung von 1000 M.

Entwurf von G. Frentzen in Aachen

Unter Hinweis auf die in Abbildung vorgeführten, mit Auszeichnungen bedachten Entwürfe kann sich die Beschreibung derselben kürzer fassen. Die Anlage hat in dem an erster Stelle ausgezeichneten Entwurfe eine Konzentration erfahren, wie kaum in einem zweiten Plane. Aus dem Langschiff ist ein Rudiment geworden, das gegen die stark betonten Querarme erheblich zurück tritt. Die Anordnung des Gestühls wird im Protokoll als im Widerspruch mit dem Prinzip des Aufbaues befindlich bezeichnet. Das mag, theoretisch genommen, richtig sein; in praktischer Hinsicht jedoch wüssten wir nicht, wie das Gestühl hätte besser angeordnet werden können. Mit Recht wird dagegen die Betonung der Zentralanlage und die sich hieraus ergebende glückliche Anordnung der Emporen in Kreuzform als ein bedeutungsvoller Vorzug des Entwurfes bezeichnet, der „bei der ganzen Entwicklung des schön und stimmungsvoll ausgestalteten Innenraums“ besonders wirksam zum Ausdruck gelangt. Auch darin stimmen wir rückhaltlos bei, dass der architektonische Aufbau sich bei einheitlicher, edler und würdiger Formengebung in konsequentester Durchführung zu einem schön gruppirten Bilde gestaltet und den Entwurf als eine reife, wohldurchdachte, in ihrer Gesammtwirkung harmonische Arbeit von grosser Auffassung und hoher künstlerischer Bedeutung kennzeichnet. Es ist in der That eine Arbeit, die in jedem Punkte einen hohen künstlerischen Genuss und volle Befriedigung gewährt und zwar in einem Maasse, wie sie selten bei Konkurrenz-Entwürfen beobachtet werden. Altar, Kanzel und Orgel sind zu einer schönen Gruppe vereinigt.

Entwurf von G. Frentzen in Aachen

Besondere Beachtung verdient die bei Zentralanlagen sonst schwierige ausreichende Beleuchtung des Mittelraumes derart, dass die seitlichen Emporen nicht bis zur Höhe des Hauptraumes hinaufgeführt sind und so Radfenstern die Möglichkeit bieten, über den Emporen hohes Seitenlicht zu spenden. Die Bemessung der Kostensumme hat dem Entwurf den ersten Preis verschlossen. Nach der Ansicht des Preisgerichtes bedarf der Entwurf zu seiner Ausführung gegen die zugebilligte Bausumme eines Mehraufwandes von etwa 100 000 M. Gewiss wird er die festgesetzte Kostensumme überschreiten; es ist indessen schwer, in eine Erörterung über das Wieviel einzutreten. Jedenfalls meinen wir, dürfte eine Kostenüberschreitung von etwa 50 000 M. für eine Bauanlage, die das Gutachten als eine für den Bauplatz vorzugsweise geeignete vor allen anderen Entwürfen erklärt, nicht der Grund sein, von der Ausführung dieses Entwurfes, der der letzte Absatz des § 23 der Bedingungen zudem günstig ist, abzustehen. Denn Karlsruhe hat mit seinen beiden neuesten Kirchenbauten zu trübe Erfahrungen gemacht, als dass nicht der lebhafteste Wunsch gerechtfertigt wäre, durch ein künstlerisch grosses Werk zu zeigen, dass in Baden die Kunstpflege den Verwaltungs- und persönlichen Rücksichten nicht nachsteht.

Entwurf von J. Vollmer in Berlin

Eine gleichfalls sehr bemerkenswerthe Lösung ist der Entwurf von Prof. J. Vollmer-Berlin. Auch hier ist der Grundriss vollkommen zentral geordnet, doch tritt das verkürzte Langschiff gegenüber dem Querschiff in stärkerer Betonung auf. Die Nebenräume haben eine angemessene, malerisch gruppirte Lage erhalten. Altar, Kanzel und Orgel sind zu einer würdigen Gruppe vereinigt. Einen interessanten Versuch unternimmt der Künstler, indem er die Anlage einer eigentlichen Orgel-Empore umgeht und die Sitzreihen des Orgel- und Sängerchores so anordnet, dass sich die vordere Reihe nur etwa 1,50 m über dem Fussboden der Kirche befindet. Er will dadurch eine grössere künstlerische Raumwirkung für den Chor erzielen. Dieser Gedanke ist so interessant, dass er den Versuch einer Ausführung lohnte, namentlich auch um festzustellen, ob diese amphitheatralische Anordnung nicht zu sehr den Eindruck eines Konzertsaales macht und vielleicht die Bedeutung von Altar und Kanzel beeinflusst. Das Aeussere zeigt die straffen, schlichten und schönen Formen, die man gewohnt ist, aus der geschickten Hand des Künstlers hervorgehen zu sehen.

Entwurf von J. Vollmer in Berlin

An dem Entwurf von Karl Voss in Hamburg interessirt hauptsächlich der Grundriss, Er ist, wie die Abbildg. zeigt, gleichfalls zentral angelegt; für Altar, Kanzel und Orgel ist jedoch die alte Stellung beibehalten. Die Anlage des Thurmes war augenfällig nicht von den Erwägungen begleitet, die wir oben dargelegt haben. Das Aeussere steht dem Grundriss nach. Es zeigt gute Verhältnisse, erhebt sich indessen nicht zu dem Schwung der beiden voranstehenden Entwürfe. Die Ausführbarkeit hält sich innerhalb der gegebenen Grenzen.

Entwurf von Karl Voss in Hamburg

Eine überaus reizvolle Arbeit ist dann wiederum die mit dem Kennzeichen des Doppelkreises der Hrn. Curjel & Moser in Karlsruhe. Auch diesen Grundriss beherrscht das zentralistische Prinzip. Altar, Kanzel und Orgel haben die Stellung in der Hauptaxe und im Angesicht der Gläubigen erhalten. Ueber der Vierung erhebt sich ein stattlicher Vierungsthurm, der von Nebenthürmchen flankirt ist. Das Aeussere ist bei einer geschickten Verschmelzung früh- und spätgothischer Formen von reizvollstem malerischem Gepräge.

Die Zentralanlage des Hrn. Hermann Billing beschliesst die Reihe der durch Geldsummen ausgezeichneten Arbeiten. Die Grundform ist die des griechischen Kreuzes; der Aufbau, der Verwandtschaft mit dem Entwurf Krögers zur Kirche in Riesa (s. Dtsche. Bztg. S. 167) zeigt, ist in strenger Folgerung aus dem Grundriss entwickelt. Von grosser Schönheit und monumentaler Wirkung ist die Eintrittshalle. Die Konstruktion ist unmöglich, die Bausumme überschritten. Die Ausbildung des Innern steht dem Aeusseren nach. Im Grossen und Ganzen ist der Entwurf eine tüchtige und bemerkenswerthe Arbeit.

Es würde zu weit führen, auf die grosse Anzahl der übrigen Arbeiten im einzelnen einzugehen. So weit sie nicht schon in der engeren Wahl genannt sind, seien wegen Vorzügen im Grundriss und Aufbau besonders hervorgehoben die Entwürfe mit den Kennworten: „Vielleicht so?“, „Kelch“, „Monumental“, „Sursum corda“, „2. Mose 20, 24“, „Römer 10, 17“, „Caritas“, „Vivos voco“, abnehmende Mondscheibe mit Anklängen an Gross St. Martin in Köln, „Fidelitas“, ein im Aufbau in grosser Schönheit an provengalische Vorbilder erinnernder Entwurf mit stattlichem Vierungthurm, „Westend“, eine nach Grundriss und Gruppirung des Aufbaues gleich werthvolle Arbeit, „Im Anfang war das Wort“, „Holbein“ usw. Es ist eine grosse Anzahl recht werthvoller Arbeiten, die zu diesem Wettbewerbe zusammengeströmt sind. Neben der Anziehungskraft der Aufgabe selbst und den Preisen waren es gewiss auch die ziemlich eingeschränkten Arbeitsleistungen, die hierzu beigetragen haben. Es hat sich auch hier wieder erwiesen, dass für Wettbewerbungen durchgehends und ohne Ausnahme ein Maasstab 1:200 völlig genügt, denn die 1:100 verlangte Vorderfassade dieses Wettbewerbes hat die Uebersicht nur gestört und erschwert, ohne für die künstlerische Beurtheilung mehr Anhaltspunkte gegeben zu haben, als die Zeichnungen 1:200. Die Arbeit des Preisgerichtes war eine mühevolle und eingehendere als in einer Reihe von Wettbewerben der letzten Zeit. Wenn sie nicht durchweg ohne Widerspruch geblieben ist, so liegt das in der Natur derartiger Veranstaltungen, wo dem persönlichen Interesse der einen Seite die individualistische Beurtheilung und das Allgemein-Interesse auf der anderen Seite gegenüberstehen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1894 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit “-H.-“.