1898, Architekt: Baurath Louis Müller. Die am 9. Mai 1897 nach, fünfjähriger Bauzeit feierlich eingeweihte neue evangelische Garnisonskirche in Strassburg ist bereits Gegenstand wiederholter Mittheilungen in diesen Blättern gewesen, seitdem die deutsche Militär-Verwaltung i. J. 1889 den Entwurf dieser Kirche zum öffentlichen Wettbewerbe gestellt hatte. Wir haben s. Z. in unserem Berichte über das Ergebniss des Wettbewerbs (No. 6, Jhrg. 90) die Grundrisse der 3 preisgekrönten Pläne und später (No. 23 Jhrg. 91) den Grundriss und die Ansicht des neuen Entwurfs veröffentlicht, den der für die Ausführung des Baues gewonnene Architekt, Hr. Baurath Louis Müller, auf der Grundlage seines ursprünglichen, mit einem zweiten Preise bedachten Planes bearbeitet hatte. Es ist endlich auch (No. 54 Jhrg. 92) gemeldet worden, dass die Genehmigung zum Beginn des Baues erst ertheilt worden war, nachdem eine abermalige, also die dritte Bearbeitung des Entwurfes bewirkt war, – Wir haben nunmehr das vollendete Werk vorzuführen.
Den wesentlichsten Beweggrund für jene langwierige und mühselige Vorbereitung des Baues, durch welche die freudige Hingebung des Architekten auf keine leichte Probe gestellt wurde, bildete der unumstössliche Entschluss der Reichs-Militär-Verwaltung, mit der für jenen Zweck von vornherein in Aussicht genommenen, sehr knapp bemessenen Bausumme von 1 100 000 M. unter allen Umständen auszureichen.
Es ist dieses Ziel auch annähernd erreicht worden. Denn während die Veranschlagung des zweiten Entwurfs noch einen Betrag von 1 750 000 M. ergeben hatte, sind für den ausgeführten Bau – ausschliesslich der Kosten des Grunderwerbs und der Entwurfs-Bearbeitung (123 000 M.) sowie derjenigen für die Geräthe-Ausstattung (93 500 M.) – nur 1 149 500 M. zur Verfügung gestellt worden. – Man hat jedoch gleichzeitig noch einen höheren Erfolg erzielt. Die zunächst genommenen Einschränkungen und Vereinfachungen des Entwurfs haben der künstlerischen Wirkung des Werkes nicht nur nicht geschadet, sondern ihr vielmehr zum grössten Vortheil gereicht. Mit jeder neuen Bearbeitung ist der Plan reifer und einheitlicher geworden. Und da der Künstler demnächst auch der weiteren Durchbildung und Ausgestaltung des Baues mit vollster Liebe und Sorgfalt und unter Einsetzung seiner ganzen Kraft sich gewidmet hat, so ist aus der ursprünglichen , zwar durchaus tüchtigen und korrekten, aber immerhin etwas farblosen Skizze, welche die Preisrichter mit dem ersten Preise auszuzeichnen nicht gewagt hatten, schließlich eine Schöpfung hervor gegangen, die unbedingt zu den besten Leistungen neuerer deutschen Kirchenbaukunst gezählt werden kann und die in ihrer schlichten, eigenartig-reizvollen Lebens nicht entbehrenden Haltung den Fachmann wie den Laien gleichmässig anspricht.
Dieser Ausgang der Dinge ist um so erfreulicher, als ein Bau von geringerem künstlerischen Range an einer so einer hervorragenden Baustelle, wie der für die neue evangelische Garnisonkirche Strassburgs gewählten, nicht nur kein Gewinn, sondern geradezu ein Flecken für das glänzende Bild der jedem Deutschen am Herzen liegenden neu empor blühenden Hauptstadt der Reichslande gewesen wäre. Denn diese Baustelle auf der Südwestspitze der von Ill und Aar umflossenen sogen. Heleneninsel ist, wie der umstehende Lageplan zeigt, unstreitig die schönste und bedeutsamste, welche auf dem Gelände der Stadterweiterung überhaupt zur Verfügung stand. Von allen Seiten weither sichtbar, beherrscht ein hier aufgeführter Bau nicht nur seine gesammte Umgebung, er tritt vielmehr zugleich in Beziehung zur Altstadt wie zur Neustadt. Er bildet das Bindeglied und die Dominante für die beiden monumentalen Baugruppen am Kaiserplatz und am Universitäts-Platz.
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Freilich können wir die Frage, ob die für den Bau gewählte Lösung die dieser Lage angemessenste und darum an sich die glücklichste sei, nicht unbedingt bejahen. Wir huldigen nach wie vor der Ansicht, dass eine Kirche in romanischen oder Renaissance-Formen, bei welcher mit der gleichen Bausumme wuchtigere Massen hätten entfaltet werden können, in die Umgebung noch glücklicher sich eingefügt hätte. Indessen beeinträchtigt eine solche persönliche Anschauung in keiner Weise die Anerkennung, welche wir der vorliegenden Leistung zu zollen haben. Es ist auch nicht zu übersehen, dass der Eindruck der Kirche im Stadtbilde wesentlich sich steigern wird, wenn erst die benachbarten, auf den jenseitigen Ufern der beiden Wasserläufe wie auf der Insel selbst geplanten Bauviertel vollständig mit geschlossenen Häusermassen besetzt sind. Ein sehr bedauerlicher Irrthum wäre es dagegen, wenn man dem in Strassburg bereits laut gewordenen Vorschlage auf möglichste Freistellung der Kirche nachgeben und die beiden zunächst, zwischen ihr und der Vogesenstrasse liegenden Bauviertelzu Gartenanlagen verwenden wollte.
Eine bis in alle Einzelheiten erstreckte Beschreibung des Baues dürfte angesichts der mitgetheilten Abbildungen für unsere Leser nicht erforderlich sein.
Was zunächst die Grundriss-Anlage betrifft, so ist diese aufs beste den eigenartigen Bedürfnissen des protestantischen Gottesdienstes angepasst und gewährt Weiträumigkeit, Uebersichtlichkeit, sowie eine einheitliche Zusammenfassung der Plätze um die Mittelpunkte der gottesdienstlichen Handlungen, ohne doch aus dem Rahmen der geschichtlich entwickelten mittelalterlichen Kirchenform sich zu entfernen. Die ganze Anlage ist aus einem Netz entwickelt, dessen Maschen dem Maasse einer Jochweite von 5 m entsprechen. Der Hauptkörper der Kirche besteht demnach aus einem dreischiffigen Bau, dessen Mittelschiff die Breite von drei Jochweiten und dessen Seitenschiffe die Breite von einer Jochweite erhalten haben, während die Länge 7 Jochweiten beträgt, Durch die Einfügung eines um je ein Joch vorspringenden Querschiffs in der Breite des zweiten, dritten und vierten Jochs ist daraus eine kreuzförmige Anlage von je 36 m grösster Weite i. L. entstanden, an welche sich in der Hauptaxe einerseits die aus 5 Seiten eines Zehnecks gebildete Chornische, anderseits die Orgelbühne mit 2 Thurmhallen anschliessen. Die äusseren Joche der Querschiff-Flügel, die Seitenschiffe und das auf das Thurm- und Orgeljoch folgende letzte Joch des Langhauses sind mit Emporen versehen, deren Fussboden auf seinem tiefsten Punkte 4 m über dem Kirchenboden liegt. Die zu diesen Emporen führenden 8 Treppen, sämmlich von außen und zugleich aus dem Kircheninnern, bezw. den Vorhallen zugänglich, sind in nach außen vorspringende Treppenhäuser verlegt; imganzen führen 16 Eingänge in die Kirchen, der demnach die Möglichkeit einer schnellen Besetzung bezw. Entleerung gesichert ist. Der Dachboden bezw. Die Thürme sind von außen her durch besondere kleine Wendeltreppen in den Ecken der Giebelfronten zu ersteigen, denen in den entgegengesetzten Ecken Aufzugsschächte für die Förderung der Materialien zu Herstellungs-Arbeiten usw. entsprechen.
An den Chor lehnt als ein als besonderer Nebenbau die Sakristei mit ihren zugehörigen Räumen und an diese eine selbständige Kapelle für Trauungen und Unterrichtszwecke sich an.
Die Vertheilung der Sitzplätze, von denen 1469 im unteren Schiff, 642 auf den Emporen liegen, sowie die Stellung der Kanzel sind aus dem Grundriss ersichtlich; nur ein verhältnissmässig kleiner Theil der Sitzplätze entbehrt des unmittelbaren Ausblicks auf die Kanzel. Von den 4 Logen, die sich in den Seitenschiffen des ersten, zwischen Chor und Querschiff liegenden Jochs ergeben haben, sind die beiden der Kanzel gegenüber liegenden, die obere für den kaiserlichen Hof, die untere für die Generalität, die andern für Offiziers-Familien bestimmt.
An Stehplätzen lassen sich in den Seitenschiffen und Gängen noch etwa 800 – 1000 gewinnen, so dass das Fassungsvermögen der Kirche auf insgesammt rd. 3000 Personen anzunehmen ist.
Aus der Ansicht des äusseren Aufbaues der Kirche wird der Fachmann, auch wenn ihm der Studiengang und die früheren Leistungen des Architekten nicht vertraut sind, den Schüler Ungewitters unschwer erkennen. Es ist eine späte, aber echte Blüthe der Schule des hessischen Meisters, die hier nachträglich auf elsässischem Boden entsprossen ist.
Vielleicht werden Gothiker an dieser oder jener Einzelheit etwas auszusetzen haben: über den bei aller Zierlichkeit der Formen mächtigen und edlen Gesammt-Eindruck des aus dem röthlichen Buntsandstein der Vogesen ausgeführten Bauwerks kann indess kein Zweifel bestehen. Wie schon oben erwähnt wurde, ist derselbe durch die wiederholten Einschränkungen und Vereinfachungen des Entwurfs wesentlich gesteigert worden. Zunächst durch die Herabdrückung der Höhe des Kirchenschiffs, dessen Hauptgesims nur 16,65 m über dem inneren Fussboden, 18 m über dem äusseren Gelände sich erhebt, so dass die Gewölbe in das Dach gezogen werden mussten. Da den auf 8m im Geviert angelegten Thürmen dagegen ihre Höhe von 76 m belassen wurde, so tritt nunmehr die Thurmfassade als beherrschendes Hauptmotiv mächtig hervor. Andererseits kommt durch die knappe architektonische Fassung auch das Kreuzschiff als einheitlicher Baukörper zu entschiedener Geltung, so dass der Organismus des Inneren mit voller Deutlichkeit sich ausprägt.
Von besonders reizvoller, malerischer Wirkung sind die vorgelegten Treppenhäuser, die zugleich auf den Emporenbau und damit auf die Bestimmung der Kirche für den protestantischen Gottesdienst hinweisen. Als sehr glücklich erweist sich auch die in akademischer Strenge bewirkte Durchführung der Horizontalen.
Fast noch grösseres Gewicht möchten wir auf die Fortlassung des reichen ornamentalen Schmucks an Kantenblumen usw. legen, mit denen der Künstler ursprünglich die strengen Linien seiner frühgothischen Architektur zu beleben gedachte.
Der Maasstab der Kirche ist nicht gross genug, als dass darunter nicht die ruhige Wucht ihres Eindruckes gelitten haben dürfte, zumal die reichen Rosenfenster und die Blendverzierung der Giebel, sowie die fein ausgebildeten dreitheiligen Portale im Verein mit dem Maasswerk der Fenster im Kirchenschiff und der Glockenstube wohl als ein genügendes Gegengewicht gegen die Massen des Bauwerks anzusehen sind.
Hinter dem Aeusseren steht das Innere der Kirche nicht zurück. Die geschickte Anordnung des Grundrisses lässt dasselbe als eine einheitliche und übersichtliche mächtige Halle erscheinen, wie sie den Zwecken des protestantischen Gottesdienstes so wohl entspricht, und die verhältnissmässig bescheidene Höhe des Raumes – 20 m bis zu den Schlussteinen der Gewölbe – trägt dazu bei, demselben bei voller Wahrung monumentaler Würde auch eine gewisse Behaglichkeit zu sichern. Sie ist auch der Hörsamkeit der Kirche zugute gekommen, die sich als eine ausgezeichnete erwiesen hat, sowohl für das gesprochene Wort wie für Gesang und Instrumental-Musik.
Von der dekorativen Ausbildung des Kirchenraumes giebt die mitgetheilte Ansicht der Chornische wenigstens eine annähernde Vorstellung. Das architektonische Gerüst des Baues, Pfeiler, Dienste und Rippen haben die natürliche röthliche Farbe des Sandsteins behalten, sind jedoch durch dunklere Färbung der Tiefen in den profilirten und sparsame Vergoldung an den ornamentirten Theilen (Kapitellen und Schlusssteinen) angemessen hervorgehoben worden. Die geputzten Wand- und Gewölbeflächen haben einen gelben bezw. weissen Anstrich erhalten. Die ersteren sind gequadert und mit heraldischem Ornament, die letzteren mit Sternen- und Pflanzen-Ornament belebt. Als figürliche Darstellungen sind in 4 Gewölbefeldern der Vierung die Bilder der 4 Evangelisten und in den 7 Gewölbefeldern des Chors Engelfiguren mit Spruchbändern (nach Cartons des Malers Bode in Frankfurt a. M.) angeordnet. Wir können nicht verhehlen, dass uns persönlich diese malerische Ausstattung der Kirche in ihrer etwas unruhigen Haltung und ihren unentschiedenen Farbentönen als der am wenigsten gelungene Theil des Baues erscheint. Ansprechender ist der Bilderschmuck der Fenster figürliche Darstellungen im Chor, die Wappen des Reichs und der deutschen Bundesstaaten in den Fenstern der Kreuzflügel und Seitenschiffe, Grisaille-Muster in den übrigen Fenstern – von denen die 3 Fenster im Chor und die Wappenfenster aus den Werkstätten von Prof. Linnemann in Frankfurt a. M. und Prof Geiges in Freiburg i. B. hervorgegangen sind, während die übrigen Fenster nach Entwürfen des Architekten von Didden & Busch in Berlin hergestellt wurden.
Der mit einem Bilde von Prof. Plockhorst in Berlin, sowie 2 Figuren und einem Relief von Prof.
Dopmeyer in Hannover geschmückte Altar ist im Unterbau von weissem Vogesen-Sandstein, im oberen Theile von Eichenholz ausgeführt. Aus weissem Sandstein mit einem Schalldeckel bezw. Deckel von Eichenholz sind auch die reich durchgebildete Kanzel und der Taufstein gefertigt. Die Orgel ist ein Werk von F. Walcker & Co. in Ludwigsburg.
In ähnlicher Weise ist auch die Kapelle hinter der Sakristei ausgestattet und geschmückt.
Das aus 3 Bronzeglocken bestehende Geläut ist von Heinrich Kurtz in Stuttgart geliefert; die durch ein Gehwerk nach dem System Schwilgué betriebenen beiden Schlagwerke der Uhr zeigen die Viertelstunden mit Doppelschlag an den kleineren Glocken, die Vollstunden durch Schlag auf der grossen Glocke an.
In konstruktiver Hinsicht ist endlich noch zu bemerken, dass die Fundamente des Baues bis zur Hochwassergrenze aus Kalkzement-Beton, darüber aus Bruchstein ausgeführt worden sind. Der in Eisen konstruirte Dachstuhl ist mit Schiefer gedeckt, der Dachreiter über der Vierung mit Blei bekleidet. Die Erwärmung der Kirche erfolgt durch eine Dampfheizung von Käferle in Hannover, deren Kessel in Kellern unter den Kreuzflügeln liegen und deren Schornsteine in den Giebeln empor geführt sind, wo ihre Köpfe als architektonisches Motiv für die mittlere Bekrönung benutzt worden sind.
Ueber die Kosten des Baues sind oben schon einige Angaben gemacht worden. Der Durchschnittspreis für die Raumeinheit stellt sich bei dem 25 248 qm messenden Hauptkirchenkörper auf 27,10 M., bei den 5364 qm messenden Thürmen auf 58,80 M. und bei den 2570 qm messenden An- und Nebenbauten auf 57,90 M. für 1 cbm.
Dieser Artikel erschien zuerst 1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „- F. -„.