Ueber die am diesjährigen Reformationsfeste, dem 31. Oktober, in Gegenwart I. I. M. M. des deutschen Kaisers und der Kaiserin und unter der Theilnahme von Vertretern der gesammten evangelischen Welt einzuweihende deutsche evangelische Kirche in Jerusalem hat der Erbauer derselben, Hr. Wirkl. Geh. Oberbrth. Adler in Berlin vor kurzem einen eingehenden Bericht im C. Bl. d. B. V. veröffentlicht, der inzwischen auch in selbständiger Form erschienen ist (Die Evangelische Erlöser-Kirche in Jerusalem von F. Adler, Wirklicher Geheimer Ober-Baurath. Berlin bei Wilhelm Ernst & Sohn. Preis 1,20 M.).
Auf Grundlage dieser Schrift wollen auch wir unseren Lesern eine kurze Mittheilung über das Bauwerk machen, von dem wir neben dem uns durch den Verfasser überlassenen Grundriss eine gegen Ende August d. J. aufgenommene Ansicht des Aeusseren wiedergeben. Birgt sich die Kirche in der letzteren auch noch grösstentheils hinter dem Thurmgerüst, so ist von der Architektur derselben doch immerhin genügend zu sehen, um sich eine Vorstellung von der Erscheinung des Baues machen zu können. Vor allem aber kommt seine eigenartige Lage und seine Beziehung zu der Umgebung auf dieser Ansicht besser zur Geltung, als auf dem von jener Schrift gebotenen, vielleicht niemals zur Verwirklichung gelangenden Zukuntftsbilde.
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Bekanntlich handelt es sich bei dieser Kirche nicht um eine vollständige Neuschöpfung. Der im Süden der Heiligen Grabeskirche gelegene Platz, auf dem sie steht – ein Geschenk des Sultan Abdul Azis an König Wilhelm I., das durch den Besuch, den Kronprinz Friedrich Wilhelm i. J. 1869 in Jerusalem abstattete, veranlasst war – ist ein Theil des ehemaligen Besitzes des Johanniter-Ordens, der hier ein Nonnenkloster mit einem Hospiz für kranke Pilgerinnen errichtet hatte. Nachdem die 7-8 m hohen Schuttmassen, die das Gelände bedeckten, hinweggeräumt waren, zeigte sich von den alten Baulichkeiten noch so viel erhalten, dass man den Gedanken einer Wiederherstellung derselben näher treten konnte. Ein erster Entwurf hierzu, nach welchem mit der Kirche ein Hospiz, eine Pfarre und eine Schule verbunden werden sollte, wurde von Hrn. Adler in unmittelbarem Auftrage Kaiser Wilhelms I. bereits in den Jahren 1871-74 ausgearbeitet; zu einer Ausführung des Baues kam es jedoch nicht, weil zuvor der mit England geschlossene Vertrag über die gemeinsame Unterhaltung eines englisch-preussischen Bisthums in Jerusalem gelöst werden musste, was erst i. J. 1888 gelang. So wurde zunächst nur der best erhaltene Raum des ehemaligen Klosters, ein im Obergeschoss belegener (im Grundriss dunkel hervorgehobener) Saal, zu einer deutschen evangelischen Kapelle eingerichtet, die Verfolgung der weitergehender Pläne aber einstweilen vertagt. Dem Entschlusse S. M. Kaiser Wilhelms II. ist es zu danken, dass sie endlich i. J. 1892 wieder aufgenommen wurden, jedoch mit der Aenderung, dass mit der Kirche nunmehr lediglich ein Hospiz verbunden werden soll, während für Pfarrhaus und Schule Neubauten ausserhalb der Stadt in Aussicht genommen sind. Nachdem der zur Ausführung des Baues erwählte, bei Wiederherstellung der Schlosskirche in Wittenberg bewährte Reg.-Baumeister Groth im Sommer 1893 die nöthigen Einleitungen getroffen hatte, könnte am Reformationsfeste desselben Jahres in feierlicher Weise der Grundstein zu dem nunmehr vollendeten Werke gelegt werden.
Nach den vorhandenen urkundlichen Nachrichten und aufgrund eines Vergleiches der Bauformen mit denjenigen anderer in Palästina noch erhaltener Werke aus der Kreuzfahrer-Zeit glaubt Hr. Adler die Erbauung der Kirche, welche einst den Namen St. Maria latina major führte, in die Zeit zwischen 1120 bis 1130 setzen zu sollen. Etwas später, etwa zwischen 1160-1170, dürfte das grosse Nordportal hinzu gefügt worden sein, das ehemals den einzigen Eingang bildete, der von aussen her in die auf der Westseite völlig verbaute Kirche führte. Ihr Grundriss könnte auf eine dreischiffige Hallen-Anlage schliessen lassen; in Wirklichkeit war der Bau jedoch eine Pfeiler-Basilika, deren Ostjoche als Querhaus mit achtseitiger Vierungs-Kuppel ausgebildet waren; über dem Westjoch des südlichen Seitenschiffes war ein Thurm errichtet. Für die Bestimmung der Höhenmaasse lieferte die im wesentlichen erhaltene südliche Apsis den erforderlichen Anhalt; ebenso konnten alle Einzelformen mit genügender Sicherheit festgestellt werden. Letztere waren übrigens ziemlich einfacher Art: bescheidener plastischer Schmuck war nur an dem Nordportal vertreten. Während im Aeusseren durchweg Rundbögen verwendet sind, treten im Inneren schon Spitzbögen auf; die stilistische Haltung des Ganzen weist auf südfranzösische Vorbilder hin, die freilich stark „reduzirt“ sind. Die flach geneigten Dächer waren mit Steinplatten abgedeckt. Aehnliche Formen, jedoch in noch grösserer Einfachheit, zeigen die einen Kreuzgang umschliessenden Baulichkeiten des ehemaligen Klosters, dessen Räume durchweg mit Tonnen oder scharfgratigen Kreuzgewölben überwölbt waren.
Bei dem Entwurfe zum Wiederaufbau der Kirche ist der Architekt davon ausgegangen, soweit es überhaupt anging, die ursprüngliche Erscheinung derselben zu erneuern. Diejenigen Theile, deren ehemalige Bildung sich mit Sicherheit nicht mehr feststellen liess, wie die Vierungskuppel, oder die dem alten Bau gefehlt hatten, wie die mit einem abgestuften zweitheiligen Portal und einer einfachen Fensterrose geschmückte Westfront, sind im Anschluss an die Gliederung der übrigen Theile und in Anlehnung an das Vorbild anderer Kreuzfahrer-Bauten aus derselben Zeit gestaltet worden. Eine Ausnahme hiervon macht allein der 45,5 m hohe Glockenthurm, für den eine eigenhändige Entwurf-Skizze S. M. des Kaisers das Motiv angegeben hat – und zwar, wie man willig anerkennen muss, durchaus nicht zum Nachtheile des Baues, der durch die Einfügung dieses eigenartigen nordischen Elementes an Interesse wesentlich gewonnen hat. Dem mit hochbusigen Kreuzgewölben überwölbten Innenraume, der sein Licht zur Hauptsache durch die Fenster des mittleren Hochschiffs und der Vierungskuppel empfängt, ist durch eine nach Entwürfen des Architekten Er erfolgte Ausmalung und durch seine neue Ausstattung mit Altar, Kanzel, Taufstein, Orgel und Gestühl von vorn herein ein selbständigeres Gepräge gesichert worden. Altar, Kanzel und Taufstein sind in einem festen, marmorähnlichen Kalkstein ausgeführt, der bei Bethlehem gebrochen ist; das Gehäuse der auf einer Estrade im Nordflügel des Querschiffes aufgestellten Orgel, der Schalldeckel der Kanzel und das Gestühl sind in Eichenholz hergestellt.
Grosse Schwierigkeiten erwuchsen der Ausführung aus dem Umstande, dass die mit mittelalterlicher Sorglosigkeit angelegten Grundpfeiler des alten Baues zum grösseren Theil erneuert und bis auf den im Durchschnitt etwa 11,20 m tief liegenden tragfähigen Felsboden herabgeführt werden mussten. Einzelne Theile, wie z. B. das Nordportal, mussten hierbei vollständig abgebrochen und mit möglichster Verwendung der alten Steine wieder neu aufgeführt werden. Auch die geringe Leistungsfähigkeit der zur Verfügung stehenden einheimischen Arbeiter war sehr hinderlich; andererseits erwiesen sich einige Fellachen unter der Anleitung zweier deutschen nach Jerusalem berufenen Steinmetzen und des Baumeisters als so begabt und lernbegierig, dass ihnen selbst die Anfertigung des Altars, der Kanzel und des Taufsteins nach den von Bildhauer Junkersdorf in Berlin gelieferten Gipsmodellen anvertraut werden konnte. Die Mehrzahl der übrigen Ausstattungs-Stücke ist in Deutschland hergestellt worden:die Glocken von Ulrich in Apolda, die Orgel und der Orgelprospekt von Gebr. Dinse in Berlin, die übrigen Holzarbeiten von Lober in Wittenberg, die in Bronze getriebenen Kunstgegenstände (Altarleuchter sowie Bänder und Beschläge der Thüren) von Lind in Berlin, das vergoldete Kreuz über der Vierung von Tretbar in Leipzig, der Schalldeckel-Träger von Puls in Berlin, die Glasmalereien vom kgl. Glasmalerei-Institut in Charlottenburg, ein Christuskopf in Glasmosaik von Puhl & Wagner in Rixdorf. Die Malereien haben die Gebr. Krügersdorf aus Schönebeck a. E. ausgeführt.
Die Wiederherstellung der alten Klosterbaulichkeiten scheint noch wenig vorgeschritten zu sein. Der Adler’sche Bericht erwähnt einiger Arbeiten am Kreuzgang. Das Aeussere, dessen Zustand die beigefügte, gleichfalls Ende August d. J. aufgenommene kleine Gesammtansicht erkennen lässt, macht noch einen stark trümmerhaften Eindruck und zeigt nur den oben erwähnten, bisher als Kapelle benutzten Saalbau durch ein Nothdach geschützt.
Voraussichtlich wird jedoch der Kaiserbesuch in Jerusalem auch hier schnelleren Wandel schaffen und den Erfolg haben, dass die gesammten Baulichkeiten der deutschen Niederlassung in der heiligen Stadt binnen kurzem in eine Verfassung versetzt werden, welche der Stellung Deutschlands unter den Völkern entspricht
Dieser Artikel erschien zuerst am 29.10.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „F.“.