Palästinische Skizzen I.

Der Erdenwinkel, welcher in wenigen Wochen den mit grossem Pomp vor sich gehenden Besuch Kaiser Wilhelms II. zu erwarten hat, ist, ganz abgesehen von der Bedeutung, die ihm in der Geschichte der Religionen zukommt, einer der merkwürdigsten auf dem weiten Erdenrund: merkwürdig nach seiner geologischen Gestaltung, nach seinen physikalisch-geographischen und ethnographischen Verhältnissen und am merkwürdigsten vielleicht durch die überaus vielfältigen Wechsel, welche der allgemeine Kulturzustand dieser Gegenden im Laufe der Jahrtausende erlitten hat.

Das Merkwürdigste an der geologischen Gestaltung von Palästina bildet die in der ganzen Längenausdehnung des Landes verlaufende, im Todten Meer bis zu 600 m unter Meeresspiegel tiefe Furche des Jordanthals, die nur im nördlichen Theile des Landes von ein paar unregelmässig gestalteten Querfurchen, welche zum Mittelmeer herangehen, gekreuzt wird. Vulkanische Hebungen und Senkungen schufen hier, unmittelbar neben einander liegend, einen massigen, bis zu 900 m aufragenden, etwa 50 km breiten Gebirgswall, neben einer 10-20 km breiten Tiefebene, die mit ihrer theilweise den Tropen angehörenden Pflanzenwelt und ihrem Bodenreichthum durch das Bibelwort von dem Lande, da Milch und Honig fliesst, treffend gezeichnet ist. Ob der geologische Vorgang, der diese eigenartige Gestaltung hervorrief, so zu denken ist, dass die heutige, Palästina genannte Küstenlandschaft ursprünglich einen Theil des Mittelmeer-Beckens bildete, das damals bis zur östlichen Grenze des Jordanthales reichte und nun aus der Tiefe um mehr als 1000 m emporgehoben wurde, oder ob man eine mit der heutigen übereinstimmende Grenze des Mittelmeeres, und eine Versenkung um 1000 m oder mehr anzunehmen hat, durch die das Tiefland des Jordanthals geschaffen ward, ist eine Frage, welche von der Geologie noch nicht sicher beantwortet werden kann. Doch hat, nach dem Bestande des palästinischen Gebirgslandes aus Sedimentgesteinen (Sand- und Kalksteinen der Juraformation) und dem vereinzelten Zutagetreten von vulkanischen Gesteinen (Basalt in der Ebene Jesreel) die Annahme, dass das Land durch Hebung entstanden ist, die grössere Wahrscheinlichkeit für sich.

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Zu biblischen Zeiten umfasste Palästina ausser der zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan liegenden Landschaft, dem sogen. Westjordanlande, auch grössere Gebiete östlich vom Jordan, namentlich am Unterlauf des Flusses, die sich weit gegen die arabische Wüste hin erstreckten; in der späteren Zeit wird unter Palästina fast nur noch das Land, das westlich vom Jordan liegt, verstanden. Die östlichen Landschaften sind übrigens auch so gut wie todt, indem sie, abgesehen von der Bewohnerschaft einiger wenigen Plätze, nur von nomadisirenden Beduinen bewohnt werden.

Das heutige Palästina, südlich an der Wüste Zin, nahe Gaza beginnend, und im Norden an dem den Libanon durchbrechenden Litani endend, hat eine Küstenerstreckung von 230 km, welche etwa den fünften Theil der ganzen Ostküsten-Länge des Mittelmeeres ausmacht: Am südlichen Ende beträgt die Breite etwa 110 km, am nördlichen Ende nur 40 km, woraus sich eine Flächenausdehnung von etwa 18 500 qkm berechnet. Ein zusammenhängender Küstensaum von etwa 2 km Breite und 120 km Länge, daher etwa 250 km Fläche, ist entweder flacher sandiger Strand, oder zu einiger Höhe ansteigendes Dünenland und das südliche Ende von Palästina bildet mit etwa 630 qkm Ausdehnung den nördlichsten Zipfel des arabischen hügeligen Wüstenlandes. Unmittelbar an den unteren Theil der Jordan-Niederung, und an das Todte Meer anstossend, hat man in einem Streifen von 70 km Länge und durchschnittlich 20 km Breite das Gebirgsland der „Wüste Juda“ und somit an Landschaften, die als „wüst“ zu bezeichnen sind, imganzen 8500 qkm, nach deren Abzug von der Gesammtausdehnung noch 10 000 qkm (nicht voll 200 □ Meilen) bewohntes Gebiet verbleiben. Nach einer anderen, ohne Rücksicht auf Bewohnbarkeit durchgeführten Eintheilung finden sich in Küstenstrichen, die bis zu 150 m ansteigen, ferner in der Ebene Jesreel und im Jordanthal imganzen 6500 qkm sogen. Tiefland, wonach das bis 900 m und etwas darüber ansteigende Gebirgsland 12 000 qkm, etwas über 60 % der Gesamtfläche ausmacht.

Abbildg. 1 – Ansicht von Haifa mit der Bucht und dem nördl. Ausläufer des Carmelgebirges

Da die ganze Küstenlänge des Landes fast ungezackt ist, und, abgesehen von dem aus der Ebene Jesreel kommenden Bach Kison nur einige ganz unbedeutende Wasserläufe ins Mittelmeer ausmünden, ist Palästina von der Seeseite recht unzugänglich. Einen einzigen geschützt liegenden Landepunkt liefert die breite nach Nordwesten ausgehende Bucht von Haifa, vielleicht die einzige Stelle an der palästinischen Küste, an welcher eine Landung ohne grössere Schwierigkeiten möglich ist. Die Landung in Jaffa, das einen Hafen besitzt, dem man nur in uneigentlichem Sinne diese Bezeichnung beilegen darf, ist fast immer gefährlich, weil tiefer gehende Schiffe sich der Küste nur bis auf ein paar Kilometer nähern dürfen, und der Zugang zur Landestelle mit einer langen Kette von Felsriffen umschlossen ist, durch die es nur einen einzigen etwa 10 m breiten Durchgang giebt, den beim Ab- und Anbooten bei einigem Wellenschlage ohne Schaden zu passiren ein nicht ungefährliches Kunststück ist.

Haifa und Jaffa sind beides Städte von ansehnlicher Grösse und einem äusseren Gepräge, das sich in einzelnen Theilen vortheilhaft von der Art orientalischer Städte abhebt. Beide verdanken dies zum grossen Theil deutscher Art, da beide deutsche Viertel besitzen, in welchen an regelmässig ausgelegten, gut befestigten und sauber gehaltenen Strassen die freundlich ausschauenden, nach deutscher Art eingerichteten und von Gärten umgebenen Häuser stehen. So klein diese Viertel im Vergleich zu den Grössen der beiden Städte auch sind, so üben sie doch unverkennbar einen gewissen wohlthätigen Einfluss auch auf die Haltung der morgenländischen Stadttheile aus, die bei ihrer äusseren Haltung an manchen Stellen Alles, und an einigen nicht viel weniger als Alles zu wünschen übrig lassen.

Abbildg. 2 – Ansicht von Jaffa mit dem Hafen

Haifa, Abbildg. 1, dehnt sich am sanft abfallenden Abhange des an der Bucht endigenden bewaldeten Carmelgebirges aus, und bietet am ruhig daliegenden Meeresspiegel an sonnigen Morgen ein anziehendes landschaftliches Bild. Es ist aber gegenwärtig nur ein gelegentlich benutzter Hafenplatz, obwohl es als Hinterland die fruchtbare Ebene Jesreel hat, aus der Brot- und Oelfrüchte in grösseren Mengen exportirt werden. Zurzeit der Anwesenheit des Verfassers im Juli 1895 war denn auch der Marktplatz in Haifa mit zahlreichen Haufen offen daliegenden Weizens bedeckt, welche vielleicht längere Zeit auf die Ankunft eines Schiffes zu warten hatten, und währenddem allen Unbilden von Wetter, Thieren und Menschen ausgesetzt waren. – Der Landepier, der für Kaiser Wilhelms Ankunft in Haifa schleunigst errichtet wird, kann kaum eine andere Stelle erhalten als links bei der im Bilde erkennbaren kleinen Badeanstalt, von welcher aus eine Strasse gerade ins deutsche Stadtviertel hinaufführt.

Anders das äussere Bild von Jaffa, Abbildg. 2. Diese, z. Z. 30 000 Einwohner zählende Stadt steht auf einem ziemlich steil ansteigenden Hügel, der an der Rückseite und nach Norden (links) sich zur Ebene ausbreitet, und als ein nördlicher Ausläufer der Dünenkette erscheint, die sich ohne Unterbrechung von der Grenze Aegyptens bis hierher erstreckt. Von der Ursprünglichkeit der Hafenwerke Jaffa’s gewährt das beigegebene Bild eine deutliche Vorstellung. Aber in der Stadt selbst und der Umgebung finden sich herrliche Gärten, so z. B. beim Hotel du Parc, das der Kaiser als Absteigequartier gewählt hat, und in diesen Gärten gedeihen Südfrüchte (Apfelsinen in grossen Mengen), Palmen und andere Pflanzen der Tropenwelt in üppigster Art. Die weitere Umgebung von Jaffa geht in die bekannte fruchtbare Ebene Sarona über, in welcher 1868 die schwäbischen Templer sich angesiedelt haben, allerdings wohl ohne den vollen Lohn, den sie erhofft hatten. Denn Jaffa und die Ebene Sarona sind Fieberherde und recht Viele, die hoffnungsfreudig dereinst an diesem Gestade landeten, haben dem Würger bereits ihren Tribut entrichten müssen. Besonders ersieht derselbe sich die Männer zu Opfern aus, vermuthlich weil dieselben bei der Arbeit im Freien gegen das feuchtheisse Klima der Gegend nicht ausreichend widerstandsfähig sind. Wenn aber die Kolonisten für ihre Feldarbeit auf die Leistungen der Einheimischen greifen müssen, so ist der Hauptzweck, der sie zum Ansiedeln in diesen Gegenden veranlasst hat, sehr geschmälert und an eine reiche Entwicklung deutscher Ackerbau-Kolonien in dieser Gegend des Landes zunächst wohl nicht zu denken; es sei denn, dass die Kolonisten sich anderen weniger ungesunden, dafür aber auch weniger fruchtbaren Länderstrichen zuwenden, der nordöstlichen Seite der Bucht von Haifa liegt Akka, das alte Ptolemais, bekanntlich der letzte feste Punkt, den die Kreuzfahrer innehatten, und den sie im 1391 an die Türken verloren. Jetzt ist es, gleich dem etwa 40 km nördlich liegenden Tyrus, nicht viel mehr als eine Ruinenstadt und ganz dasselbe gilt von dem nahe der ägyptisch-palästinischen Grenze liegenden Askalon, das am Ende des 12. Jahrhunderts von den Christen selbst zerstört wurde und seitdem in Trümmern liegt. Eine Welt von einstiger Pracht, die zum grossen Theil von Herodes d. Grossen geschaffen ward, liegt hier zum grossen Theil im Sande verweht, und was an Marmor und Granit noch mit leichter Mühe erreichbar ist, wird weit hinein ins Land verschleppt, um beim Bau von Hütten und Häusern der überaus armseligen Bewohnerschaft dieser Gegenden verarbeitet oder als Hausgeräth benutzt zu werden.

An der ganzen 230 km langen Küste des Landes wird nach dem Vorstehenden heute ausser Jaffa kein einziger Platz von einiger Bedeutung angetroffen und man muss weit nördlich, bis nach Beirut, 220 km von Jaffa entfernt, hinaufgehen, um abermals einen Küstenplatz von einiger Bedeutung zu finden. Hier ist allerdings alles vorhanden was eine reiche Entwicklung hervorrufen kann: eine Bevölkerungszahl von 120 000 (darunter besonders zahlreich Franzosen und Italiener vertreten) neben ihnen aber nur eine kleine deutsche Kolonie; ein grosser, dem Meere abgewonnener, mit Molen umschlossener Hafen, der von einer französischen Gesellschaft im laufenden Jahrzehnt erbaut ist; das Libanongebiet mit grossen Schätzen an Früchten aller Art und Wein, auch einigem Getreide; endlich die überaus reiche, um Damaskus liegende Landschaft und das südlich sich anschliessende Gebiet des Haurans, das als eine Kornkammer bezeichnet werden kann, welche enorme Getreidemengen zu liefern imstande ist. Und in dieses, etwa 150 km entfernt liegende Gebiet führt von Beirut aus eine Eisenbahn, welche in etwa 1400 m Passhöhe den Libanon überschreitet. Sie hat bei den starken Steigungen theilweise als kombinirte Zahnrad- und Adhäsions-Bahn hergestellt werden müssen und ihre Leistung mag beschränkt sein. Aber neben ihr läuft eine aus Anlass der Unruhen, die in diesen Landstrichen 1860-1861 stattfanden, von Napoleon III. erbaute und gut unterhaltene Chaussee und endlich steht Beirut mit seinem Hinterlande täglich durch Dutzende von langen Karavanenzügen, die meist neben der Chaussee entlang ziehen, und einen bedeutenden Güteraustausch vermitteln, in lebhafter Verbindung. Die Eisenbahn über den Libanon (120 km) bis Damaskus ist ebenfalls Eigenthum einer französischen Gesellschaft und wurde erst im Jahre 1895 vollendet, während die Verlängerung von Damaskus in das Haurangebiet hinein schon vorher einige Jahre hindurch bestanden hatte. Beirut ist eine halbwegs moderne Stadt, bei welcher zu der Schönheit der Aussenseite eine wundervolle Lage hart am Fusse des Libanon und eine wahrhaft paradiesische Umgebung sich hinzugesellen. Im übrigen ist es gleichzeitig der Sammelplatz des internationalen Hochstaplerthums.

Mit der für Verkehrszwecke höchst ungünstigen Küstenform der ganzen Ostseite des Mittelmeeres, verbinden sich die steilen Aufstiege, die das palästinische Hochland sowohl an der West- als Ostseite besitzt. Da auf wenigen Kilometer Breite Höhen bis zu 900 genommen werden müssen, ist die Herstellung von Strassen und Eisenbahnen, die das Land in der Richtung von Westen nach Osten durchqueren, sehr kostspielig. Von ersteren giebt es daher nur eine sehr geringe Zahl, darunter als wichtigste wohl die von Jaffa nach Jerusalem und dem Todten Meer führende, während in der Längenrichtung, dem Zuge des Gebirges folgend, von Alters her etwas mehr für den Strassenbau geschehen ist. So besteht aus frühester Zeit her eine in Damaskus beginnende über Sichem, Jerusalem und Hebron nach Petra an der arabischen Wüste führende, das ganze Land der Länge nach theilende Strasse, die sich aber zum grossen Theil in sehr mangelhafter Verfassung befindet. Von Eisenbahnen besitzt Palästina seit den Jahren 1892 oder 1893 eine einzige, nämlich die 88 km lange Bahn von Jaffa nach Jerusalem, auf der regelmässig zwei Züge von je 2-4 Wagen, daneben aber nach Bedarf Sonderzüge in grösserer Zahl verkehren. Sie ist vollständig als Adhäsionsbahn hergestellt; die Fahrzeit beträgt etwa 4 Stunden.

Quer durch das Land giebt es in seiner ganzen Längenerstreckung nur eine einzige niedrige Durchbruchsstelle durch das palästinische Gebirge. Dies ist das Thal des Baches Kison, das unmittelbar neben Haifa in ein breites sumpfiges, mit Schilf bestandenes Delta ausgeht. Dass dieser Punkt, als einziger an der reichlich 1100 km langen Küstenstrecke, die von Aegypten bis zu Kleinasien hinaufreicht, sowohl in wirthschaftlicher als politischer Hinsicht grosse Bedeutung besitzt, ist klar. In der That ist derselbe seit lange als Anfangspunkt einer grossen europäisch-indischen Eisenbahnlinie von England in Aussicht genommen und es liegt bei Haifa sogar schon ein kurzer Anfang dieser Weltbahn, der in den Jahren 1893 und 1894 hergestellt, aber rasch wieder aufgegeben worden ist, weil, wie mir am Orte gesagt ward, die Arbeiterschaft durch Fieber vollständig dezimirt wurde. Vermuthlich sind es jedoch andere, als solche relativ „kleinlichen“ Rücksichten, die der Verfolgung des Planes vorläufig ein Ziel gesetzt haben, der vielleicht zu einem späteren Zeitpunkte, wenn die Lösung erst dringender geworden ist, wieder aufgenommen werden wird. Aber zur Charakterisirung der Grösse der Aufgabe, um die es sich bei diesem Eisenbahnprojekt handelt, genügt es darauf hinzuweisen, dass zwischen Haifa und dem Euphrat-Thal bei Babylon eine Entfernung von reichlich 1000 km liegt, welche zu ¾ dem Gebiet der syrisch-arabischen Wüste angehört.

Palästinische Skizzen II.

Wenn trotz des in dem ersten Artikel geschilderten Umstandes, dass die Küste Palästinas dem Verkehr mit der Aussenwelt grosse Hindernisse bereitet, in früheren Jahrhunderten dieses Land rege Wechselbeziehungen nach allen Seiten hin hatte, so kommen dabei in erster Linie allerdings die über äussere Hindernisse sich bald hinweg setzenden Antriebe religiöser Art inbetracht. Neben ihnen spielt aber ohne Zweifel auch die eigenartige Lage des Landes an einer Stelle, an welcher drei Erdtheile nahe zusammen treten, eine bedeutende Rolle. Friedlich sowohl als kriegerisch berührten auf dem Boden Palästinas sich die Bewohner der drei Erdtheile, dabei jede nationale Eigenart der Bevölkerung und die Besonderheiten, die aus ihr sich entwickeln, verwischend. Weder die Israeliten noch die Römer, noch die zuletzt gekommenen Araber und Türken haben es vermocht, dem Lande mit dem, was in ihm enthalten ist, den Stempel einer gewissen Eigenart aufzudrücken: das Endergebniss ihrer Kultur ist ausser Ruinen ein Völker-Mischmasch, wie er kaum irgendwo in der Welt zum zweiten Male angetroffen werden kann. Alle Nationen der Erde, mit Ausnahme nur der Bewohner der nördlichsten und östlichsten asiatischen Länder, der Südseeinseln und der Ureinwohner Amerikas leben in dem kleinen Palästina mit einer gewissen örtlichen Absonderung durcheinander.

Unter der halben Million Bewohner, die das Land zurzeit zählen mag, sind die Araber weitaus am zahlreichsten vertreten, die Türken nur mässig; bis Mitte der 80er Jahre war auch die Zahl der Israeliten klein, mochte vielleicht 6-8000 nicht überschreiten. Seitdem hat sich aber durch starke Zuwanderung, namentlich aus den osteuropäischen Ländern und aus Russland, die jüdische Bevölkerung Palästinas bedeutend vermehrt; überall, wo anbaufähiger Boden vorhanden ist, sind jüdische Ackerbau-Kolonien entstanden, und es entstehen noch immerwährend neue Ansiedelungen. Offenkundig verfolgen die neueren Zuzügler zumtheil das Bestreben, hier im Lande einen nationalen jüdischen Staat aufzurichten. Alles das vollzieht sich trotz des den Israeliten gegenüber bestehenden Einwanderungs-Verbotes, als Beweis für die in Palästina unüberwindliche Macht des Bachschisch.

Wie alle von Menschen auf diesem Boden einstmals mehrfach hinter einander geschaffenen Werke Palästinas zu Trümmern gegangen sind, so auch das Land selbst; seine Verwüstung ist durch das Zusammenwirken natürlicher Kräfte und menschlicher Fahrlässigkeit um so gründlicher erfolgt. Es würde langer, sehr langer Zeitperioden bedürfen, insbesondere den Naturdingen Palästinas neues Leben einzuflössen; doch wäre dieses Ziel nicht aussichtslos.

Die Zerstörungsarbeit der Natur ist theils in den ungünstigen klimatischen, theils in den geologischen Verhältnissen, theils in der Oberflächengestalt des Landes, wie das im ersten Artikel summarisch geschildert wurde, begründet. Das Klima übt seinen ungünstigen Einfluss insbesondere durch die Ungleichförmigkeit in der Vertheiling der Regenmenge auf die einzelnen Jahreszeiten. Die Jahreshöhe des Regens ist etwa übereinstimmend mit der unserigen, dagegen die Zahl der jährlichen Regentage nur etwa 1/3 so gross, wie bei uns, und die ganze Regenhöhe fällt in den 6 Monaten November bis April, während die anderen 6 Monate Mai-Oktober so gut wie regenlos sind. Die mittleren Temperaturen dieser Monate liegen zwischen 21 und 25 °; die mittlere Jahrestemperatur ist 17 °, und als Extreme sind im Gebirge 44 ° bezw. -4 ° beobachtet worden. – Die wenig dichten Sand- und Kalksteinmassen, aus welchen das Gebirge aufgebaut ist, werden in den Sommermonaten hoch erwärmt, ausgedörrt und in ihrem Gefüge gelockert, saugen daher nach Einsetzen der Regenzeit beträchtliche Wassermengen auf und lassen andere grössere Mengen durch Spalten und Klüfte in die Tiefe versinken. Der Theil aber, der nicht unterirdisch verschwindet, fliesst in stürzender Bewegung die steilen Berghänge hinab, dabei die gelockerten Trümmer der Felsoberfläche mit sich zu Thal führend. Der grösste Theil der Fläche des wald- und vegetationslosen Gebirges ist auf solche Weise durch das Wirken der Natur selbst nackt geworden und auf dem Reste, der ehedem mit eigen Baum- und Pflanzenwuchs bedeckt war, hat die Hirten-Bevölkerung des Landes die Zerstörung durch Auftreiben der Ziegen- und Schafheerden, welche alle Vegetation bis auf die Wurzeln vertilgten, vollendet. Es gab allerdings in Palästina einst Zeiten, in welcher man durch Thalsperren-Anlagen und Terrassenbauten das nährende Wasser in höheren Lagen sammelte und zurückhielt, und Spuren solcher Werke sind noch an manchen Stellen erkennbar, so besonders in der Umgebung von Bethlehem. Es war aber eine andere als die heutige Bevölkerung, die solche Werke schuf und unterhielt, der es zum erfolgreichen Ankämpfen gegen ungünstige Naturverhältnisse nicht an Mitteln, besonders aber nicht an Antrieben zur Arbeit fehlte. Seit die Türkenherrschaft über das Land ausgebreitet liegt, fehlen erstere, fehlt der Sporn, der von oben kommen und zum Schaffen anregen könnte, fehlt vor allem bei den Bewohnern selbst die Achtung vor und die Lust zu ernster, nachhaltiger Thätigkeit. Und die heutige Indolenz mit der unausbleiblichen Folge, dass fast alle früheren Einrichtungen der Landeskultur dem Verfall überlassen worden sind, hat ihren Grund zumeist darin, dass derjenige, der arbeitet, der minderwerthigen Klasse zugerechnet wird, und der, der nicht zu arbeiten braucht, als „Chawadscha“ (Herr) angesprochen wird, selbst in dem Falle, dass er sich die Freiheit vom Arbeitszwang durch Einsammeln von Bachschisch in nicht gerade der allergemeinsten Form verschafft. –

Es giebt daher im allgemeinen nur zwei Klassen in Palästina: nicht arbeitende „Herren“ und „Niedere“, die im Schweisse ihres Angesichts arbeiten müssen. Von einem „Mittelstande“, der eine gewisse Bedeutung in der Bevölkerung beanspruchen könnte, sind erst die Anfänge vorhanden. Sie werden zunächst durch die Einwanderer – wenn diese nicht dem geistlichen oder Mönchsstande angehören – gebildet, weiter aber durch das Wirken der zahlreichen Missionare, die besonders unter den Arabern thätig sind. Es giebt eine Anzahl von durch die Missionen geschaffenen und unterhaltenen Instituten, in welchen Lehrer, Schreiber, Dragomane, Handwerker verschiedener Art usw. herangebildet werden; gewöhnlich sind es Waisen- oder Halbwaisen-Kinder, die in den Instituten schon früh Aufnahme finden. Selbstverständlich sind von dieser Klasseneintheilung die in der neueren Zeit Eingewanderten ausgenommen; im Vergleich zu der alten Bevölkerung machen sie aber nur eine Minderzahl aus.

Die Klasse der Niederen wird insbesondere von den Fellachen – meist Arabern – gebildet, die nur theilweise im Besitz des Bodens sind, den sie anbauen, meist denselben erpachten. Die Fellachen wohnen in ganzen Dörfern oder kleinen Kolonien zusammen und ihre Wohnungen sind von der denkbar primitivsten Art. Im Gebirge werden sie aus Stein erbaut, auch wohl in natürlichen Höhlen angelegt, oder in den Fels eingehauen; im Flachlande wird die Fellachen-Wohnung aus Reisig, Stroh, Lehm usw. errichtet, ist zuweilen auch nur eine halb in die Erde eingewühlte Grube mit einer Decke aus Reisig, Laub und Stroh. Sie besteht in der Regel nur aus einem einzigen Raum, an dessen Umfange sich ein paar Alkoven oder Nischen befinden, und in ihr bilden ein paar Steinbänke die einzigen „Möbel“. Dieser Raum dient gleichzeitig für den Menschen und für die kleinen Hausthiere. Nebenräume fehlen, sind auch nicht sehr nothwendig, weil die Sorge um Aufbewahrung von Wintervorräthen entfällt. Was aufzubewahren ist, findet in den Cisternen Raum genug. – Immer gewährt ein Fellachen-Dorf oder eine Ansiedlung einen höchst ruinenhaften, schmutzigen Anblick, der dadurch verstärkt wird, dass die Wohnungen von „Häusern“ kann man kaum sprechen – platt abgedeckt sind, und dass es keine „Strassen“ zwischen ihnen giebt, sondern nur Wege oder Gänge, die mit der denkbarsten Unregelmässigkeit verlaufen.

Etwas günstiger sind selbstverständlich die Wohnzustände in den Städten. Aber auch hier sieht es im allgemeinen trübe genug aus. Denn die palästinischen Städte haben ebenfalls keine Strassen im Sinne, sondern nur ein unregelmässiges Skelett aus winkeligen, engen, theilweise überwölbten Gassen oder Sackgassen. Die oberen Geschosse treten gegen die unteren oft etwas vor und die Häuser sind gruppenweise zusammengerückt, etwa wie die Zelte eines Beduinen-Lagers. Jede Gruppe bewahrt dadurch eine gewisse Eigenart, dass sich in ihr die Angehörigen eines und desselben Gewerbes zusammenthun: wie Schmiede, Töpfer, Lederarbeiter, Schneider, Händler usw. Am ausgeprägtesten tritt die Eigenart in den sogen. Bazarstrassen hervor: mit Stoffen halb oder ganz überspannten, vereinzelt auch mit festen Dächern überdeckten Gängen, die mitunter aber auch breit genug sind, dass der Wagen-, Reiter- und Karawanen-Verkehr sich hindurch bewegen kann. In jeder Bazarstrasse sammeln sich die Angehörigen eines und desselben Geschäftszweiges und gerade diese Strassen sind bei dem relativ starken Verkehr, den sie aufzunehmen haben, bei der Absperrung des Sonnenlichtes und der Luftstagnation, welche in ihnen stattfindet, die schmutzigsten, die man nicht ohne arge Beleidigung des Gesichts- und Geruchsinnes passiren kann.

Uebrigens sondert sich die Bevölkerung der Städte nach den drei Hauptreligionen: muhammedanisch, israelitisch und christlich noch in eigene Viertel mit streng eingehaltenen Grenzen aber auch in einzelne Städte mit Einheitlichkeit der Bewohnerschaft.

Auch in den städtischen Häusern der älteren Zeit bildet der ungetheilte Raum die Norm; in ihm wohnen zuweilen mehre Familien friedlich oder unfriedlich beisammen, wenn die Mittel zu Erweiterungen fehlen. Sind diese vorhanden, so wird ein zweiter, wiederum eintheiliger und selbständiger Raum hinzugebaut, und so fort, wobei alle Räume um einen inneren Hof gruppirt werden, nur nach diesem Ausgänge haben, ohne unter einander in Verbindung zu stehen. Zuweilen wiederholt sich dieselbe Anlage in einem Obergeschoss, das dann durch Treppen, die aussen angebracht werden, zugänglich ist. Fast immer ist das Haus ohne Dachraum, mit einem Söller abgeschlossen, auf welchem oft ein kleines Häuschen, das den Treppenzugang überdeckt, aber auch einigen Raum zum Sitzen enthält, errichtet wird. Die Umschliessungen des Hauses werden immer aus Naturstein aufgeführt, der, in Riemenzeug oder Stoff eingeschlungen, von Kameelen in Lasten, die zu beiden Seiten desselben herabhängen, herbeigeschafft wird. Der fast marmorweisse Stein ist ursprünglich weich und nimmt erst an der Luft grössere Härte an. Der Söller ist in ältester Zeit aus stärkern Hölzern und Reisig, darüber mit einem Lehmestrich hergestellt worden, später als Gewölbe aus Naturstein; in neuerer Zeit werden auch Kappen zwischen Eisenträgern benutzt. Entweder erhält der Söller Beplattung aus Natursteinen oder einen Estrich aus Kalk oder Zement; Reparaturen an denselben hören nicht auf. Die innere Ausstattung ist so ursprünglich wie möglich; der Fussboden wird aus Steinplatten oder Estrich gebildet; auf demselben werden Schilfmatten oder Teppiche ausgebreitet. Vor den weiss getünchten Wänden stehen Steinbänke mit Polster, zuweilen fehlen aber auch die Bänke und als Sitzgelegenheiten dienen auf dem Fussboden umher liegende Polster; ein Tisch wird oft vermisst; selbst in einer türkischen Schule gewahrte ich weder Tische noch Bänke. Eine Kiste für Kleider-Aufbewahrung und Nischen in den Wänden zur Aufbewahrung der des Nachts auf dem Fussboden ausgebreiteten Betten, die Handmühle zum Mahlen des Getreides, die hölzerne (!) Backschüssel und ein grosser thönerner Wasserkrug vollenden die Einrichtung. Zur Heizung, die aber nur ausnahmsweise nöthig ist, dient ein Kohlenbecken der Rauch nimmt seinen Weg wo er ihn findet, da es Schornsteine nicht giebt. Nothwendiges Zubehör zu jedem Hause oder einer Gruppe von Häusern ist eine im Hofe liegende, in den Felsgrund eingearbeitete Cisterne, die auch zur Aufbewahrung von Speisevorräthen benutzt wird.

Ausnahmen von dem allgemeinen Typus bilden die Wohnungen der Reichen und die der zugewanderten Fremden. Häufig heben sich die Häuser der Reichen in ihrem strassenseitigen Aussehen von demjenigen der ärmeren Bevölkerung kaum ab. Man tritt durch eine unscheinbare enge Pforte in einen längeren Gang, der sich zuweilen im Zickzack windet, um plötzlich in einem Hofe zu stehen, der einen Brunnen in der Mitte hat, mit tropischen Pflanzen besetzt ist, und um welchen herum sich die oft mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Wohnräume – jeder von dem anderen abgetrennt – gruppiren. Die Wohnungen der zugewanderten Fremden schliessen sich in Bauweise und Einrichtung natürlich dem mehr oder weniger nahe an, was in der Heimath üblich ist; doch bringt das Fehlen von künstlichen Steinen – es kommen davon im Lande nur Lehmziegel vor ferner von stärkeren Hölzern, und die Kostspieligkeit von Eisen selbstverständlich Besonderheiten mit sich, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Schräge Dächer, wie bei uns, werden aus Schiefer oder gebrannten Dachsteinen, welche aus den Mittelmeerhäfen Frankreichs nach Palästina kommen, hergestellt.

Für Pflasterung der Strassen in den Städten, für Ordnung und Reinlichkeit geschieht selbstverständlich nur das mindeste; ein gut Theil der Aufgabe der Befreiung der Strassen von dem bedenklichsten Schmutz fällt den überall herrenlosen – Hunden zu, die einen höchst widerwärtigen Anblick gewähren. Gelegentlich wird die Strasse auch einmal gekehrt und der Kehricht in Taschen, die zu beiden Seiten eines Kameels oder Esels herabhängen, fortgebracht, um unmittelbar ausserhalb des nächsten Thores hart am Wege abgeladen zu werden und wie z.B. in Damaskus, hohe Wälle von Unrath aller Art zu bilden. In Jerusalem, vielleicht auch in Nazareth und Bethlehem, herrscht etwas mehr Ordnung auf den Strassen; hier findet sogar ab und zu Besprengung statt, die vom Standpunkt der Gesundheitspflege angesehen, vielleicht besser unterlassen würde. Ebenfalls ist in diesen Orten einige Beleuchtung der Strassen mit Oellampen eingerichtet; sie leistet aber so wenig, dass nach polizeilichem Gebot jeder, der Nachts die Strasse betritt, mit einer Laterne versehen sein muss, bei Gefahr, arretirt zu werden.

Man wird nach den vorstehenden Schilderungen imstande sein, sich wenigstens ein ungefähres Bild von palästinischen Wohnzuständen und einer heutigen palästinischen Stadt zu machen. Zur Erleichterung dieser Aufgabe mögen die drei beigegebenen Abbildungen dienen.

Abbildg. 3 – Kahn (Herberge) El Ahmar oder El Hadur. Von der Rückseite gesehen

Abbildg. 3 stellt die Hinteransicht des etwa auf halbem Wege zwischen Jerusalem und Jericho in der Wüste Juda liegenden „Khans“ (Herberge) El Ahmar dar. An eine mittlere, an der Vorder- und Hinterseite offene Halle, den Sammelraum der Gäste, schliessen sich links und rechts Gelasse für dieselben an. Hinter dem Gebäude liegt ein umfriedigter Hof, in welchem Nachts die Thiere der Reisenden frei umherlaufen.

Abbildg. 4 – Nazareth, etwas rechts von der Mitte eine ausgedehnte Franziskaner-Kloster-Anlage mit einer modernen, stark weltlich angehauchten Kirche, die über der Stätte der Wohnung Maria’s erbaut sein soll.

Abbildg. 4 giebt einen Theil der Gesammtansicht von Nazareth. Die Stadt hat überwiegend christliche Bevölkerung und zeichnet sich vor den übrigen Städten des Landes durch einen vergleichsweise hohen Grad von Ordnung und Sauberkeit aus. Die Stadt streckt sich lang in mehren von Hügeln umschlossenen Thälern, hat aber grösstentheils recht steile Strassen, welche im ganzen genommen gut gehalten sind, auch grössere Breiten haben und mehr regelmässige Form aufweisen, als man sie in anderen palästinischen Städten antrifft, Die Einwohnerzahl soll zwischen 7000 und 8000 betragen.

Abbildg. 5 stellt die Grabeskirche in Jerusalem in der Ansicht von Südwest dar. Die links vorbeiführende schluchtartige Strasse zählt zu den Haupstassenzügen der Stadt. Weiteres über Jerusalem bleibt dem folgenden Artikel vorbehalten.

Abbildg. 5 – Grabeskirche in Jerusalem mit unmittelbarer Umgebung, von Südwest gesehen, Ausdehnung des Gebäudekomplexes der Grabeskirche in der Richtung Nord-Süd etwa 120 m, in der Richtung West-Ost etwa 135 m.

Palästinische Skizzen III.

Ausser Nazareth giebt es im palästinischen Binnenlande eine kleine Anzahl von Städten, die einige Bedeutung beanspruchen; über sie zunächst mögen hier einige Bemerkungen Platz finden.

Da ist zunächst der uralte Ort Hebron, etwa 40 km südlich von Jerusalem, doch heute nicht mehr dieselbe Stelle einnehmend, die er zu jüdischer Zeit hatte. Die Umgebung Hebrons ist, so weit man in Palästina überhaupt von „Wald“ sprechen kann, waldreich, dazu auch fruchtbar, weil bei der Lage der Stadt in einem Thalgrunde Wasser vorhanden ist. In der Nähe finden sich ein paar grosse künstlich geschaffene, mit Mauern eingefasste Wasserbecken von sehr hohem Alter, vielleicht aus der Zeit des Königs David stammend. – Das einzige interessante Gebäude der Stadt ist eine grosse Moschee, die aber von Fremden nur auf besondere Erlaubniss des Sultans betreten werden darf. Die Einwohnerzahl der Stadt soll gegen 10 000 betragen, bis auf einen geringen Bruchtheil Muhamedaner.

Nur etwa 12 km südlich Jerusalems liegt in felsiger, aber durch menschlichen Fleiss leidlich fruchtbar gemachter, und auch in Fruchtbarkeit erhaltener Gegend Bethlehem. Die Hänge des Geländes sind zum Zurückhalten des Meteorwassers terrassirt und bringen Gewächse mancherlei Art – darunter auch Wein – hervor. In der Nähe finden sich die drei Salomonsteiche, theils mit Mauern eingefasste, theils in den Felsgrund eingearbeitete grosse Becken, aus welchen vordem Jerusalem mit Wasser versorgt wurde. Nach der Beschaffenheit des Mauerwerks stammen die Teiche aber nicht aus der ältesten israelitischen, sondern aus der späteren arabischen Zeit. Die Stadt zählt 7-8000 Einwohner, unter welchen nur ein paar hundert Muhamedaner sind. Das Gros vertheilt sich auf Zubehörige einer ganzen Anzahl christlicher Konfessionen. Die Bewohnerschaft Bethlehems zeigt einen eigenartigen Typus von einer gewissen Schönheit der Gestalt und der Gesichtszüge, besitzt Geschicklichkeit in der Schaffung von allerlei Handarbeiten, darunter namentlich in Filigran, Perlmutter-, Elfenbein- und Holzschnitzerei. Das Hauptinteresse knüpft sich in Bethlehem an die Geburtskirche, eine 5schiffige Säulen-Basilika mit Halbrundschluss des Kreuzschiffes und der Apsis und offenem hölzernem Dachstuhl. Die Verhältnisse und Formen der Schiffe sind einfach und edel, dazu vollkommen einheitlich, so dass für die Annahme, dass man es in dem heutigen Bauwerke noch mit dem ursprünglichen, im Jahre 330 von Kaiser Constantin begonnenen Bau zu thun habe, guter Grund vorhanden ist. Leider ist der schöne und ehrwürdige Bau durch die von den Angehörigen der griechisch-orthodoxen Kirche um 1840 vorgenommene Vermauerung der drei Apsiden arg verunstaltet, wie desgleichen durch eine mit unsagbarer Ueberladung hergestellte Abschlusswand des Chors. Unmittelbar anstossend an die eine Querschiff-Endigung ist in neuerer Zeit von österreichischen Franziskanern eine dreischiffige Klosterkirche errichtet worden, die in ihrer ganzen, mit der stimmungsvollen Einfachheit der Geburtskirche stark kontrastirenden modernen Haltung einen wenig günstigen Eindruck hinterlässt. – Auf der Höhe eines Felsenvorsprunges und mit ihrem Thurm die Stadt weit überschauend, erhebt sich seit dem Anfange des gegenwärtigen Dezenniums in Bethlehem eine kleine, aus Werkstein aufgewführte evangelische Kirche, die nach Plänen des Geh. Brth. Orth in Berlin mit rundem Schluss der Kreuzarme und der Apsis aufgeführt ist. Die Abbildg. 6 giebt eine Ansicht des kleinen durch Lage und Haltung recht wirkungsvollen Gebäudes. Der Unterbau desselben nimmt eine Schule, sowie die Wohnungen der Lehrer auf.

Abbildg. 6 – Evangelische Kirche in Betlehem. Erbaut nach den Plänen des Geh. Baurath A. Orth in Berlin

Nördlich von Jerusalem treffen wir, 65 km entfernt, Nablus, das biblische Sichem an, das in einer Thalsohle gestreckt, doch etwa 600 m über Meer liegt. Die Gegend gehört, wie die um Hebron, zu den fruchtbaren; es sind reiche Oelbaumpflanzungen und gute Weiden vorhanden. Die mehrfach zerstörte und wieder aufgebaute Stadt enthält wenig Bemerkenswerthes. Ein paar ursprünglich christliche Kirchen aus der Zeit der Kreuzzüge sind von den Türken in Moscheen umgewandelt. Das Anziehende, was die Stadt besitzt, liegt in der Beschaffenheit ihrer Umgebung, namentlich der benachbarten Berge, welche weite Aussichten gewähren. Die Stadt zählt etwa 20 000 Einwohner, bis auf Bruchtheile Muhamedaner.

Etwa 12 km westlich von Nablus liegen die Trümmer der einstigen, besonders von Herodes dem Grossen reich geschmückten Stadt Samaria, Die heutige Dorfstätte führt den Namen Sebaste oder Sebastje. –

Als Hauptstadt der nördlichen, galiläischen Landschaft galt früher Tiberias, am Westufer des Sees Genezareth; neuerdings behauptet Nazareth den Rang der Hauptstadt. Die Stadt breitet sich malerisch schön einerseits am Fusse des einige Hundert Meter hohen Gebirgszuges, andererseits am See-Ufer hin. Hohe, mit Zinnen gekrönte Mauern und ein Kastell, von welchen beiden aber nur noch gewaltige Reste übrig geblieben sind, die von der einstigen Bedeutung der Stadt Zeugniss ablegen, schnüren dieselbe in einem Maasse ein, dass die Gänge zwischen den Häusern „unheimlich“ eng ausgefallen sind. Die Stadt, in welcher zu Anfang unserer Zeitrechnung Herodes Paläste, Thermen, Rennbahnen usw. schuf und reichen Luxus entfaltete, ist heute eine der elendesten Stätten, welche in Palästina angetroffen werden, obwohl sie fast 4000 Einwohner – die zu Zweidrittel strenggläubige Israeliten sind – enthält. Eine beinahe todtenähnliche Stille breitet sich über den Ort, den man darnach nicht unpassend als „mumifizirt“ bezeichnen könnte. Geniessbar für den Fremden ist sie mit ihrer Enge und ihrem Schmutz eigentlich nur in der Nacht, wo das bleiche Licht des Mondes auf grotesken Ruinenformen, der weiten Seefläche und der verödeten Landschaft romantisch flimmert, während tagsüber die von der blendenden Sonne grell beleuchtet Elendigkeit des Ortes, verbunden mit der Indolenz der Bewohnerschaft sehr abstossend wirkt. Die ganze Umgebung des Sees Genezareth, einst eine Landschaft strotzender Fruchtbarkeit, liegt heute mehr oder weniger wüst da; nur vereinzelt wiegt eine Dattelpalme melancholisch ihre langen Wedel im Windhauche und nur unscheinbare Trümmer bezeichnen heute die Stätten, an welchen vor 1900 Jahren eine Reihe von namhaften Orten sich dehnte. In der Nähe von Tiberias findet sich eine Thermen-Anlage, die geeignet wäre, etwas Bedeutendes sein zu können. Heute bedeutet sie wenig mehr als nichts; allerdings muss, um diesen Stand der Dinge einigermaassen verständlich zu machen hinzugefügt werden, dass die Gegend um Tiberias fast tropische Hitze und fieberschwangeren Grund hat.

Ziemlich weit ausserhalb der Grenzen des Landes, mehr als 200 km nordöstlich von Jerusalem, liegt Damaskus, neben Mekka und Jerusalem eine der drei „heiligen“ Städte der Muhamedaner, in welcher Eigenschaft einerseits einige Vorrechte, andererseits auch Beschränkungen in gewissen Dingen begründet sind; so z. B. werden in diesen Städten keine Darbietungen der „leichtgeschürzten Muse“ geduldet. Viel stärker als den palästinischen und den europäisch-türkischen Städten ist Damaskus der Stempel des Orients aufgedrückt. Dies tritt sowohl in dem ganzen Aussehen der Stadt, in Haltung und Trachten der Bewohnerschaft, als in deren Beschäftigungsweise zutage. Das hindert aber nicht, dass Damaskus eine Art Vermittlungsrolle zwischen den weiter östlich und südlich liegenden Gebieten Syriens und Arabiens und Europa spielt. Die Stadt ist sowohl Sammelpunkt für die nach Europa gehenden Schätze dieser weiten, doch meist wüsten Gegenden, als auch Stätte, an welcher die Vertheilung der nach dort gehenden europäischen Gegenstände stattfindet. Gewisse Gewerbe, wie das der Gold- und Silberschmiede, der Lederarbeiter, der Verfertiger von kostbaren Waffen, Prunkgeräthen aus Metall, von Seidenstickereien und andere scheinen noch immer im Schwange zu sein. Dementsprechend trifft man hier die Bazarstrassen in einer ungeahnten Ausdehnung und im allgemeinen auch in etwas besserer Haltung als in den palästinıschen Städten; über mehren hundert Meter langen und an manchen Stellen auch nicht gerade engen Strassen erstreckt sich eine hoch liegende hölzerne Ueberdachung; einiges Licht wird von den Seiten zugeführt. Aber was in solchen Strassen dem Auge und dem Geruchssinn des Europäers an manchen Stellen geboten wird, ist kaum zu beschreiben; zu mehr als einem eiligen Besuch solcher Stellen wird trotz des grossen Anreizes, welchen die Eigenartigkeit des Treibens in den Bazarstrassen ausübt, sich nicht jeder entschliessen. Auch aus dem anderen Grunde wird man sich die Wiederholung von Besuchen wohl zwei mal überlegen, dass die Bevölkerung (von 120 000 Seelen) der fast reinen Muhamedaner-Stadt Damaskus stark fanatisch geartet ist und Christen gegenüber um so leichter zu Ausschreitungen gelangt, das Gedränge, das in den Strassen herscht, dazu jeden Augenblick günstige Gelegenheiten bietet. Die Stadt ist mit einer hohen Mauer umschlossen, ausserhalb welcher die grosse Vorstadt, oder vielmehr das Kurdendorf es Salihiye am Fusse des mächtigen, 1200 m hohen Dschebel Kasiun liegt. Der Blick, den man vom Hange dieses Berges aus bei abendlichem Sonnenglanze auf die Stadt und deren weitere Umgebung werfen kann, ist unbeschreiblich schön und prägt sich in der Erinnerung dauernd ein. Denn die Stadt liegt umgeben von einem nach allen Richtungen sich mehre Kilometer weit erstreckenden Hain von Fruchtbäumen und Fruchtsträuchern aller Art, europäischen und tropischen, welcher von Dutzenden von plätschernden Wasserläufen durchzogen ist, und aus dem üppigen Grün der sich weit dehnenden Landschaft steigt eine grosse Zahl von spitzen Minarets, umgeben von weiss leuchtenden Häusermassen zum Himmel empor, sodass ein Gesammtbild entsteht, welches von den Arabern nicht ganz mit Unrecht als „paradiesisch“ bezeichnet wird.

Als Sitz einer Provinzial-Regierung birgt Damaskus in seinen Mauern eine Anzahl von Palästen der Grossen des türkischen Reiches, neben anderen von reichen Kaufherren; sie scheinen meist im Besitz von Israeliten zu sein. Aeusserlich treten diese Paläste kaum hervor, während hinter dem unscheinbaren Aeussern sich oft strotzender Prunk entfaltet. Das meiste Interesse bietet aber dem Architekten die durch einen zu Anfang der 90er Jahre stattgefundenen Brand in Trümmer gelegte grosse Omajaden-Moschee, dereinst ein gewaltiger dreischiffiger Bau von 131 m Länge und 38 m Breite, von welchem jetzt noch die vordere Giebelmauer, einiges von den Seitenmauern und ein grosses Minaret steht; 1895 war die Stätte noch wenig aufgeräumt. Der um etwa 400 errichtete Bau war eine christliche, dem Johannes geweihte Kirche, die später gemeinsam den Christen und Muhamedanern als Gotteshaus gedient hat, danach um etwa 700 als Prunk-Moschee neu aufgebaut ward, wobei aber Vieles von dem älteren Bau von neuem zur Verwendung kam. So festgewurzelt aber erwies sich die Achtung der Muhamedaner vor dem ursprünglich christlichen, mit besonderen Erinnerungen umgebenen Bau, dass sie sich niemals als Eigenthümer der Moschee, sondern immer nur als einstweilige Verwalter dieser geweihten Stätte betrachtet haben. –

Zum Schluss meiner „Skizzen“ komme ich kurz auf Jerusalem, die „hochgebaute“ Hauptstadt Palästinas selbst. Die Stadt liegt in etwa 800 m Meereshöhe, auf 3 Seiten von tief eingeschnittenen Thälern umgeben, und nur an der westlichen und Nordseite ohne Geländeeinschnitt in die Umgebung unmittelbar übergehend. Deshalb findet sich an der Westseite, an welcher bei allen stattgefundenen Eroberungen der Angriff des Feindes erfolgte, eine Citadelle, die aus ein paar mächtigen thurmartigen Bauten (Abbildg. 8), besteht, welche man als „Thürme des Hippikus“ bezeichnet. Die Citadelle ist in die 10-12 m hohe Mauer eingefügt, welche sich in einer Länge von etwa 4500 m um die ganze Stadt herumzieht.

Abbildg. 7 – Theil der Stadtmauer von Jerusalem am Damaskus-Thor

Doch ist die gegenwärtige Stadteinfassung im Norden nicht mehr die ursprüngliche, die nach Norden hin erheblich weiter war. In der neueren Zeit hat sich aber die Stadtmauer wiederum als zu eng erwiesen und es liegen heute bedeutende Theile derselben im Norden und Nordwesten ausserhalb derselben, sich namentlich zu den Seiten der von Jaffa kommenden Strasse weit hinaus ins Land erstreckend. Diese neuen Stadttheile sind Fremdenkolonien, unter denen namentlich die Anlagen der Russen, sowie Israeliten-Ansiedelungen einen breiten Raum einnehmen.

Die von der Mauer umschlossene Stadt bildet ein verschobenes Rechteck, dessen von Südwest nach Nordost gerichtete grösste Diagonale etwa 1500 m Länge hat und dessen Flächeninhalt wenig über 100 ha ist. 6 Thore führen aus der Stadt heraus, im Westen das Jaffathor, im Nordwesten das (neuere) Abdul-Hamid’s Thor, im Norden das Damaskus-Thor, im Osten das Stephansthor – ein zweites hier vorhandenes Thor, die Porta aurea, ist seit lange vermauert – und im Süden das Mistthor und das Zionsthor. Die Stadtmauer in ihrer gegenwärtigen Erscheinung – die übrigens nicht auf der ganzen Länge mit der Abbildg. 7 übereinstimmt, sondern an anderen Stellen einfacher gehalten ist – soll dem 16. Jahrhundert angehören; man bemerkt manche antike Reste und Stücke in derselben.

Abbildg. 8 – Die Citadelle am Jaffa-Thor in Jerusalem. (Thürme des Hippikus)

Hinsichtlich der Strassen Jerusalems gilt dasselbe, was von allen orientalischen Städten gilt; es sind mehr „Gänge“, als eigentliche Strassen, und auch nur wenige solcher vorhanden. Doch hat sich neuerdings ein gewisser Zustand von Ordnung und Reinlichkeit herausgebildet, der durch den Kaiserbesuch wahrscheinlich eine Weiterentwicklung erfahren wird. Es besteht einige Strassenbeleuchtung, etwas Strassenreinigung, und es sind dem vorhandenen ältesten Bestande an unterirdıschen Kanälen in jüngerer Zeit sogar einige neuere Kanäle hinzugefügt worden, Es heisst, dass zur Zeit auch einige Durchbrüche imgange sind, durch die man dem ärgsten Gewinkel in den von dem Kaiserbesuche berührten Stadttheile den Garaus machen will; es kann darin kaum zu viel geschehen.

Abgesehen von der Fremdenstadt extra muros, zerfällt die innerhalb der Mauer liegende Stadt in vier, ziemlich scharf gesonderte Einzelstädte: die Christenstadt im Nordwesten, die Armenierstadt im Südwesten, die Judenstadt im Südosten und die Muhamedanerstadt, welche die ganze Ost- und Nordostseite einnimmt. Wie gross die heutige Bevölkerungszahl der Stadt ist, ist sehr unsicher; es scheinen zwischen 50 000 und 60 000 Köpfe zu sein, darunter mehr als die Hälfte Israeliten, und vielleicht 8000 Muhamedaner. Jedenfalls ist innerhalb der Mauer und namentlich in der Judenstadt die Bevölkerung ausserordentlich dicht zusammengedrängt, obwohl etwa 1/5 des von der Mauer umschlossenen Stadtgebiets noch unbebaut daliegt.

Abbildg. 9 – Theil vom Aeusseren der Moschee Kuppet es Sachra auf dem Tempelplatz in Jerusalem

Es giebt wohl keine zweite Stadt in der ganzen Welt, die in ihren Baudenkmalen und dem allgemeinen Bauzustande so grosse und zahlreiche Wechsel erlebt hat, wie Jerusalem. Dies dürfte schon allein durch die Thatsache erhärtet werden, dass das Strassen-Niveau, das die Stadt zu jüdischer Zeit hatte, um 8-12 m unter Schutt begiaben liegt, an einzelnen Stellen sogar um 25 m. Dadurch allein ist die Feststellung baugeschichtlicher Vorgänge ausserordentlich erschwert, und es treten in der genauen Feststellung der Bedeutung der sprachlichen und traditionellen Ueberlieferungen, endlich in der in alle Dinge hineinspielenden religiösen Seite sowie der Habsucht und Verlogenheit der heutigen Bevölkerung ausserordentliche Erschwernisse hinzu. Nichtsdestoweniger ist es vieljähriger Thätigkeit Einzelner, worunter namentlich der des Baurath Schick rühmlich zu gedenken ist, gelungen, Manches sicher zu stellen, so namentlich die Zweifel über die Gestaltung des jüdischen Tempelplatzes und die Art der Generationen von Bauten, welche dieser Platz bisher getragen hat, in eine einigermaassen helle Beleuchtung zu rücken. Schick hat das Ergebniss seiner mühsamen Arbeiten in einem Buch zusammengefasst, das unter der Ueberschrift: „Die Stiftshütte, der Tempel in Jerusalem und der Tempelplatz der Jetztzeit“ 1896 in Berlin erschienen ist.

Der Tempelplatz liegt an der Ostseite der Stadt und bildet ein ziemlich regelmässiges Rechteck von 480 m Länge und i. M. 290 m Breite; er nimmt etwa den siebenten Theil des ganzen ummauerten Stadtgebiets ein. Die Bautenfolge, die dieser gewaltige Platz gesehen hat, theilt Schick in 6 Perioden ein: diejenige vor Beginn der heutigen Zeitrechnung, dann die Periode der heidnischen Bauten von 130-532, die christlich-byzantinische von 532-637, die arabisch-muhamedanische von 637 bis 1099, die christlich-lateinische von 1099-1187, und die 1187 beginnende, bis heute fortdauernde muhamedanische.

Den überwiegenden Theil in der Schick’schen Arbeit nimmt die Beschreibung der Entstehung und der Wandlungen ein, welche die zwei heute noch vorhandenen Hauptbauwerke des Tempelplatzes: die beiden Moscheen El Aksa und Kuppet Sachra (d. i. Felsendom) erfahren haben. EI Aksa reicht in seinen Anfängen auf Justinian zurück, der an dieser Stelle eine Basilika errichtete, die später vielfach erweitert (Schick spricht von 15 Schiffen) ist, und heute als 7schiffiger Bau, theils mit Pfeiler-, theils Säulenstellungen dasteht,. Der Bau wirkt mehr durch die Grösse als durch die innere Erscheinung, die gedrückt, wenig einheitlich und auch keineswegs reich ist. Umgekehrt die über einem unterhöhlten, mit Sagen und Wundern umgebenen mächtigen Felsblock errichtete Kuppet Sachra, die zweifellos das hervorragendste Baudenkmal des heutigen palästinischen Landes ist, deren Ursprung aber im Dunkeln liegt, vielleicht auf Hadrians Zeit zurückgeht. Nur ein paar Einzelheiten mögen unter Verweisung auf Schicks Beschreibung, die fast minutiös ist, ist, hier Platz finden. Der unterhöhlte Felsen ist etwa 1 5x 12 = 180 qm gross und mit einem Doppelgitter umschlossen; über demselben erhebt sich die auf hohem Tambour, der durch 4 Pfeiler und 12 Säulen unterstützt ist, ruhende 11,5 m weite und zur Höhe von 40 m hinauf reichende Kuppel aus hölzernen Bindern und Bleideckung. Durch Stellung von 8 Pfeilern und 16 Säulen wird ein zweifacher Umgang um den zentralen abgeschlossenen Raum hergestellt; der innere Umgang hat 6 m Breite und 11,5 m Höhe, der äussere ist nur 4,5 m breit und 9,5 m hoch. Die ganze Ausstattung des Innenraumes ist prunkhaft und von einem unbeschreiblichen Farbenreichthum; die höchste kunstgewerbliche Leistung ist wohl in den 58 farbigen Fenstern verwirklicht, die in einer eigenartigen Technik hergestellt sind, deren Beschreibung allein einen breiten Raum beanspruchen würde. Die Aussenseite des Baues ist unten mit Marmor, oben mit farbigen Fayence-Platten belegt.

Abbildg. 10 – Kuppelraum und innerer Rundgang in Kuppet es Sachra

Auf die ein ganzes Stadtviertel bildende, aus einer grösseren Anzahl von Kirchen und Kapellen zusammengesetzte Grabeskirche, in deren Labyrinth man sich erst nach wiederholten Besuchen zurechtfindet, einzugehen, verbietet sich von selbst. Der Verzicht ist auch leicht, weil bei dieser Kirche weder von bedeutenden Aussen- noch Innenwirkungen, noch von künstlerisch hervorragender Ausstattung die Rede würde sein können; alles an derselben geht in religiösen Vorstellungen, die vielfach an Wahnwitz streifen, auf.

Mit ein paar Worten sei zum Schluss noch des Muristans gedacht, jenes Platzes, auf welchem sich in diesen Tagen das weltgeschichtliche Ereigniss der Einweihung einer evangelischen Kirche durch den deutschen Kaiser vollzogen hat. Der Muristan (zu deutsch Irrenhaus) ist ein grosser, fast quadratischer Platz unmittelbar südlich der Grabeskirche, von 137-155 m Ausdehnung; an seinem Umfang befinden sich ältere Bauten, die grösstentheils in deutschen Händen sind. Das östliche Drittel des Platzes wurde 1869 dem Könige von Preussen vom Sultan geschenkt, der ganze übrige Theil später durch Kauf hinzu erworben. Auf diesem Platze sind schon durch Justinian Gebäude zur Pflege der Pilger errichtet, später andere durch Karl den Grossen und noch später grosse Gebäude durch den Johanniter-Orden, dessen Geburtsstätte hier ist. Bei der Zerstörung durch Saladin 1187 fiel auch ein Theil der Gebäude auf dem Muristan dem Untergange anheim und die folgende Zeit vollendete das Zerstörungswerk. Das Wiedererwachen des Platzes knüpft an den Besuch des damaligen Kronprinzen von Preussen 1869 an; es dauerte aber bis zum 31. Oktober 1893, bis der Grundstein der Kirche, die nunmehr geweiht worden ist, gelegt werden konnte.

Diese Artikelserie erschien zuerst zwischen dem 12.10. und dem 02.11.1898 in der Deutsche Bauzeitung, sie war gekennzeichnet mit „-B.-“.