Vierte evangelische Kirche für Dessau

Architekt: Joh. Otzen in Berlin. In den beigefügten Abbildungen ist der z. Z. noch in Ausführung begriffene Entwurf zu der vierten evangelischen Kirche Dessau’s dargestellt, die ihren Platz an einer durch die Ausmündung zweier Nebenstrafsen gebildeten Erweiterung der Friedhofstr., unweit der Kreuzung der letzteren mit der Amalienstr. erhält.

Verfasser des Entwurfs, dem verschiedene Versuche anderer Architekten voran gegangen sind, ist Hr. Geh. Reg.-Rth. Prof. Otzen in Berlin; in seinen Händen liegt auch die künstlerische Oberleitung des Baues.

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Wenn die Anlage in ihrer Gesammthaltung sowie in der Durchbildung der Einzelheiten den voran gegangenen Schöpfungen des Meisters selbstverständlich auch nahe verwandt ist, so zeigt sie doch andererseits mehre durchaus eigenartige Züge, die zu besonderer Beachtung heraus fordern.

Ansicht aus der Friedhof-Strasse

Nach ihrer Grundform eine durch den rechteckigen Chor, sowie ein mit halben Sechsecken geschlossenes Querschiff erweiterte, sogen. „Saalkirche“, d.h, ein einschiffiger, nur von schmalen, zwischen den Strebepfeilern ausgesparten Seitengängen begleiteter Kirchenraum mit Emporen über dem Schlussjoch, den Seitengängen und den Armen des Querschiffs, verdankt die Kirche ihre Eigenart der ungewöhnlichen Stellung des Thurmes. Wie ein Blick auf den Lageplan zeigt, ist letztere jedoch keineswegs willkürlich gewählt worden, sondern war bedingt durch den Bauplatz, der eine Stellung des Thurms in der Axe als sehr ungünstig erscheinen liess und es nahe legte, den beherrschenden, höchsten Theil des Bauwerks möglichst in der Mitte desselben und möglichst nahe der Friedhof-Str. anzuordnen. Er hat seinen Platz demnach im unmittelbaren Anschluss an dem dieser zugekehrten Querschiff-Flügel erhalten.

Lageplan

Aus diesem Motive haben sich, gleichsam von selbst, mehrfache andere Anordnungen ergeben. Um auch den unteren Hohlraum des Thurms entsprechend auszunutzen, ist in ihn die Orgel verlegt worden, deren Spieltisch nach Ausweis des Durchschnitts seine Stelle derart erhält, dass der Spieler sowohl den Geistlichen an Altar und Kanzel, wie den Leiter eines bei grösseren gottesdienstlichen Feiern auf der nördlichen Querschiff- Empore aufzustellenden Sängerchores stets im Auge behalten kann. Hierdurch ist die grosse, dem Altar gegenüber liegende Empore im Schlussjoch der Kirche für Anbringung von Sitzplätzen frei geworden; ebenso hat sich an dem, von 2 kleineren Thürmen eingerahmten Gieben des lamghauses eine besonders zweckmässige Anlage der Emporen-Treppen ermöglichen lassen. Als Haupteingänge in die Kirche sind diejenigen durch die Halle des grossen Thurms sowie in den eben erwähnten Thürmen am Giebel anzusehen. Zwei Nebeneingänge auf den Langseiten, die unmittelbar in den Querschiff-Flügel führen, dienen in erster Linie als Zugänge zur Sakristein und zu dem, dieser auf der anderen Chorseite gegenüber liegenden herzoglichen Gestühl; letzteres besitzt überdies noch einen zweiten Zugang, gemeinschaftlich mit dem auf der Hinterseite des Chors angelegten Konfirmanden-Saal.

Die Zahl der Sitzplätze, welche in durchlaufenden Reihen, ohne Mittelgang angeordnet sind, beträgt im unteren Kirchenraum (ohne das herzogl. Gestühl) 608, auf den Emporen 292, i. g. 890. Für diese 890 Kirchenbesucher stehen 7 m Gesammtbreite der Ausgangsthüren, für je 127 Personen also 1 m zur Verfügung. Im Konfirmanden-Saal sind rd. 50 Plätze vorhanden.

Grundriss

Wie eine weitere Erläuterung der Anlage, so dürfte auch eine Schilderung der aus der mitgetheilten perspektivischen Ansicht des Aeusseren und dem Querschnitt in ihren Grundzügen ausreichend ersichtlichen, architektonischen Durchbildung des Bauwerks überflüssig sein. Es mögen daher lediglich noch einige Angaben über die in Anwendung zu bringenden Baustoffe und die beabsichtigte Ausstattung des Inneren folgen. Für das Fassaden-Mauerwerk und ebenso für das architektonische Gerüst des Inneren, Pfeiler, Gurte, Gesimse und Gewölberippen sind rothe Verblend- und Formsteine mit sparsam angebrachten Glasuren in Aussicht genommen. Die durchweg massiy auszuführenden Emporen ruhen auf Sandstein-Säulen. Die Dächer sollen mit glasirten Meissener Schuppenziegeln oder, falls die Mittel hierzu nicht ausreichen, mit grünlichem Thüringer Schiefer gedeckt werden; der Dachstuhl der Kirche wird in Holz, der Thurmhelm in Holz und Eisen, das Stuhlwerk des im Thurm anzubringenden Bronze- oder Gussstahl-Geläuts in Eisen konstruirt. – Wand- und Gewölbeflächen des Inneren werden geputzt und im Schiff mit einfachen, am Triumphbogen und im Chor mit reicherer Malerei geschmückt. Ob die letztere auf figürliche Darstellungen sich wird erstrecken können, ist davon abhängig, ob sich Stifter für die bezgl. Bilder finden; das Gleiche gilt für die Fenster, inbetreff welcher im Anschlage nur die Kosten für einfache Bleiverglasung mit Kathedralglas ausgeworfen sind. Für Altar, Kanzel und Taufstein ist eine Ausführung in Terrakotta, für erstere vielleicht auch eine solche in Eichenholz beabsichtigt. Das Gehäuse der auf 26 Stimmen veranschlagten Orgel sowie das Gestühl sollen in Tannenholz hergestellt werden; letzteres wird dunkel gebeizt. Die Thüren sind im Inneren von Tannen-, im Aeusseren von Eichenholz anzufertigen. Statt der veranschlagten Gasbeleuchtung wird vielleicht sofort elektrische Beleuchtung eingerichtet werden, falls die Einführung des elektrischen Lichts in der Stadt Dessau bis dahin entsprechende Fortschritte gemacht hat. Zur Erwärmung der Kirche ist eine Mitteldruck-Hochwasser-Heizung vorgesehen, deren Röhren unter dem Fussboden, sowie unter den Fensterbrüstungen zu verlegen sind.

Querschnitt

Die Gesammtkosten des Baues, der im Sommer 1889 unter der unmittelbaren Leitung des Hrn. Arch. Caxmann begonnen worden ist und im Laufe des Jahres 1891 zur Vollendung gelangen soll, sind auf 237 000 M. veranschlagt.

Ein würdiges Glied in der Reihe der von ihrem Schöpfer zur Ausführung gebrachten Bauwerke – anziehend eben so sehr durch die überaus glückliche Anpassung an die örtlichen Verhältnisse, wie durch die daraus hervor gegangene malerische Erscheinung des Aufbaues – wird die neue Dessauer Kirche eine sehr willkommene Bereicherung für den an baukünstlerischen Leistungen höheren Ranges noch keineswegs allzu reichen Denkmalschatz der Stadt bilden.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit “-F.-“