Berliner Neubauten 86 – Das Warenhaus A. Wertheim in der Leipziger Strasse

Architekten: Messel & Altgelt in Berlin. Wessen Antlitz überzöge es nicht mit einem vielsagenden und nach der wirthschaftlichen Interessensphäre, der er angehört, zufriedenen oder auch bitteren Lächeln, der sich erinnerte, wie als eine der Grundbedingungen, auf welchen sich das aus der revolutionären Bewegung des Endes der 40er Jahre unseres Jahrhunderts hervorgegangene moderne Staatswesen mit seinen zahlreichen nationalökonomischen Problemen aufbauen sollte, die „Besteuerung des Volkes nach Recht und Billigkeit“ gefordert wurde, wenn er die Verhandlungen des preussischen Landtages der letzten Tage über die Besteuerung der kapitalistischen Grossbetriebe des Zwischenhandels in ihrem Gegensatz zu dem mittleren und dem Kleinhandel nochmals an sich vorüberziehen lässt?

Der wirthschaftliche Kampf kennt keinen Altruismus und in dem ewig sich wiederholenden Entwicklungskreislauf sind wir nahezu wieder an dem Grundsatz der Naturphilosophen des XVIII. Jahrhunderts angelangt, welche die Landwirthschaft als die einzig produktive Kraft eines Staates hinstellten, von den Gewerben nicht anerkennen wollten, dass sie neue Werthe schaffen, den Kaufleuten Lügen vorwarfen und ihnen jede Werthschätzung für das Gesellschaftsgefüge des Staatswesens absprachen. Dieses Symptom des modernen Wirthschaftslebens der Grosstädte ist ein Produkt des wirthschaftlichen Naturtriebes und wurde unter anderem auch hervorgerufen durch den immer weiter um sich greifenden Einfluss der grossen Warenhäuser auf den mittleren und kleinen Handelsbetrieb. Es ist das eine Grosstadts-Erscheinung, die allenthalben, sowohl auf dem europäischen Kontinente einschliesslich der englischen Inselgruppe, wie auf anderen Kontinenten, namentlich dem amerikanischen wahrgenommen werden kann. Die im Tat der letzten zwanzig Jahre in beschleunigter Weise erfolgte schnelle Vermehrung der Bevölkerungsziffer der Grosstädte hat dem Zwischenhändler, dem Vermittler zwischen Erzeuger und Verbraucher, eine Bedeutung verliehen, welche grosskapitalistische Erscheinungen im Gefolge hatte.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Unter Aufwendung grosser und grösster Mittel, vielfach in handelsgesellschaftlicher Assoziation, entstanden in England und Nordamerika Warenhäuser auf breitester organisatorischer Grundlage.

In Paris wuchsen aus kleinen Änfängen die Warenhäuser Louvre, Bon-Marche und Printemps, in Berlin die Häuser Hertzog, Gerson, Jordan und als das jüngste das Warenhaus Wertheim zu einem im Grosstadtleben einflussreichen Machtfaktor auf.

Pfeilerrelief des Mittelbaues der Vorderfassade
Warenhaus A. Wertheim in Berlin. Thürumrahmung

Der geschäftliche Erfolg ihrer Warenhäuser in der Rosenthaler- und in der Oranienstrasse und in organisatorischer und technischer Beziehung namentlich die Erfahrungen in dem von Prof. A. Messel errichteten Warenhause in der Oranienstrasse führten die Firma A. Wertheim zu dem Entschluss, in der Leipziger Strasse, der hervorragendsten Geschäftsstrasse Berlins, ein neues Warenhaus grössten Stils zu errichten. Mit der architektonischen Bearbeitung betraute sie die Architektenfirma Messel & Altgelt, welche das neue Warenhaus nach kaum einjähriger Bauzeit seiner Bestimmung übergeben konnte. Schon während des Baues wendete sich ihm die allgemeine Aufmerksamkeit zu und als es im Aeusseren und Inneren vollendet war, erregte es sowohl technisch wie künstlerisch kein geringeres Aufsehen, wie seinerzeit das von Paul Sedille an der Ecke der Rue de Hávre in Paris errichtete Warenhaus „Le Printemps“ der Wittwe Jaluzot. Hier wie dort sprach die Architektur eine ungewohnte, neue und fesselnde Sprache. Hier wie dort wurde mit einer seit langem überlieferten Tradition gebrochen und dem Gebäude in realistischer Weise der architektonische Ausdruck gegeben, der sich als die nothwendige Folge aus den Verkehrsbedingungen eines solchen Hauses für die künstlerische Erscheinung desselben ergiebt. Die ungeheure Schnelligkeit in den Wandlungen des modernen Wirthschaftslebens und die daraus entspringenden künstlerischen Ergebnisse kommen an den beiden Bauwerken zu einem interessanten Ausdruck.

unbeschriftet
unbeschriftet

Nicht geringe Schwierigkeit verursachte die Wahl eines geeigneten Bauplatzes für das neue Berliner Kaufhaus. Dasselbe sollte eine möglichst stattliche Frontentwicklung bei gleichwohl möglichster Tiefenentwicklung für die umfangreichen räumlichen Anforderungen haben und es sollte das Gelände die Möglichkeit des Zuganges von und der Erweiterung nach einer Verkehrsstrasse gewähren, welche nicht die Leipziger Strasse war. Nach eifrigem Suchen gelang es, in zwei sehr tiefen und regelmässig begrenzten Grundstücken der Leipziger Strasse gegenüber dem neu zu erstellenden Herrenhause, ein Baugelände zu finden, welches die stattliche Frontentwicklung von rd. 64 m zuliess und hinsichtlich seiner Lage allen erfüllbaren Wünschen gerecht wurde. Und nachdem es gelungen war, für das Unternehmen auch ein anschliessendes Grundstück in der der Leipziger Strasse nahezu parallel laufenden Voss-Strasse zu gewinnen, da war die Möglichkeit gegeben, einen durchgehenden, nicht rückstauenden Geschäftsverkehr zu unterhalten und gegebenenfalls nach dieser Richtung hin eine Erweiterung vorzunehmen. Vorläufig steht auf dem Grundstücke der Voss-Strasse ein Wohnhaus mittleren Berliner Alters, welches zumtheil für Verwaltungszwecke des Kaufhauses eingerichtet ist und zumtheil noch Wohnräume enthält. Bei einer etwaigen Erweiterung würde es fallen müssen.

In wie zweckmässiger Weise die Architekten den Grundriss des gewaltigen Bauwerkes in seinen Hauptzügen anlegten, zeigt die beistehende Skizze. In einem Kellergeschoss, welches Lagerräume, die Garderoben u. Wirthschaftsräume für die zahlreichen Angestellten des Hauses und die Räume für die Expedition der Waren enthält, sowie in fünf, stellenweise sechs weiteren Geschossen erhebt sich das stattliche Gebäude und gruppirt seine ausgedehnten Verkaufsräume um den durch alle Geschosse reichenden grossen inneren Lichthof. Die Verkaufsräume fügen sich in der Flächenentwicklung ohne jede wandartige Unterbrechung an einander an und sind in der Höhenentwicklung nur durch die nothwendigen Geschosstheilungen getrennt. In Wirklichkeit bildet also das ganze Haus einen grossen, ununterbrochenen Verkaufsraum. Auf die Bestimmung der einzelnen Raumgruppen weiter, als dies aus dem Grundriss ersichtlich wäre, einzugehen, erübrigt umso mehr, als dem Architekten einmal nicht die Aufgabe gestellt war, den einzelnen Warengattungen angepasste Verkaufsräume auszubilden und als zweitens nicht nur während des Baues, sondern jetzt noch fast täglich grössere oder geringere Verschiebungen in der Raumbestimmung stattfinden. So ist das Haus denn kein Warenhaus im engeren, individualistischen Sinne des Wortes, sondern ein Verkaufshaus allgemeinsten Charakters mit typischer Durchbildung der Verkaufseinrichtungen. Den Verkehr innerhalb des bis unter das Dach ausgenutzten Hauses vermitteln zweckmässige Treppenanlagen zu beiden Seiten der vorderen Raumgruppe, eine stattliche in den Lichthof eingebaute Freitreppe mit entsprechenden Fortsetzungen, Nebentreppen und zahlreiche, auf zwei Stellen, die aus dem Grundriss zu erkennen sind, vertheilte Aufzüge.

Grundriss des Erdgeschosses
Querschnitt durch den Mittelbau

Von der Gestaltung des Aeusseren geben die Abbildungen ein anschauliches Bild. Hatte Paul Sedille in seinem „Printemps“ in Paris einen Bau aus Stein, Eisen und Glas zu erstellen versucht, ein Haus, stark im Stein, graziös im Eisen, reich in der zutage tretenden vielfachen Verwendung des Goldes, die grossen, breiten Oeffnungen den vollen Lichtfluthen zur unbehinderten Einkehr darbietend, und war er bestrebt, den Anforderungen der Waren-Ausstellung, des kaufmännischen Betriebes und des Käuferverkehrs in möglichst unbeengter Weise gerecht.zu werden, so stak er doch gleichwohl noch zu sehr in den Traditionen der schmückenden Form, um in der architektonischen Lösung das struktive Skelett zu sehr in die Erscheinung treten zu lassen. Er verwendete zahlreiche Zierformen und schuf mit ihnen aus dem Kaufhause ein reiches Bild einer ins Künstlerische übersetzten kaufmännischen Reklame. Messel & Altgelt gehen einen Schritt weiter in der Enthaltsamkeit des künstlerischen Schmuckes. Mit der rechnenden Erwägung des Ingenieurs lassen sie dem stuktiven Gefüge volle Geltung zukommen.

Aus Stein, Erz und Glas erhebt sich auch ihr Bau, stark im sparsamen Gefüge des Granites, ernst im Schmucke des dunklen Erzes, lichtdurchflossen in den gewaltigen Glasflächen. Schmale Granitpfeiler, durch eine starke und schattenreiche Profilirung in der Erscheinung noch schwächer gemacht, als sie thatsächlich sind, stützen die Stockwerke und das Dach; sie wollen nicht mehr und nicht weniger als stützen. Die durch die Bedingungen des harten Materials in nur grossen Zügen wiedergegebenen stilisirten Köpfe, welche das obere Ende der Pfeiler schmücken, scheinen unter der Last des Daches zu seufzen. Zwischen den Pfeilern bauen sich im Erdgeschoss die grossen Auslagefenster ein, mit ihrer vorderen Glasfläche in der äussersten Bauflucht liegend und so einmal den Raum des Innern möglichst ausnutzend, zweitens die Waaren dem kauflustigen Beschauer möglichst nahe bringend. Durch sinnreich konstruirte Schutzeinrichtungen, die in das Untergeschoss versenkt werden können, werden die Scheiben und Auslagen Nachts geschützt.

In den oberen Geschossen treten die Scheiben hinter die vordere Flucht wieder zurück und bilden zwischen den granitenen Stützen weite Fensteröffnungen zu einer möglichst realistischen Befriedigung eines grossen Bedürfnisses. Dieser Grundsatz wird jedoch nicht mit äusserster Folgerichtigkeit durchgeführt, sondern es zeigt sich im obersten Geschosse, welches vielleicht als eine Art abschliessenden Fensterfrieses aufgefasst ist, ein merkwürdiges, aber durchaus zu verstehendes Zurückweichen vor der ingenieurartigen struktiven Auffassung der übrigen Theile in der zierlichen metallischen, leicht gothisirenden Kleinarchitektur unmittelbar unter der Traufkante.

Warenhaus A. Wertheim in Berlin, Leipziger Strasse. Oberer Mitteltheil

Der künstlerische Schmuck der Fassade beschränkt sich auf eine Auszeichnung des Mitteltheiles und in sparsamerer Weise der Aussersten seitlichen Theile. Wie durch die genannte Kleinarchitektur, ist auch in diesen Theilen durch eine kleine Fensterpfeiler-Stellung versucht, die riesigen Maasstabsverhältnisse der Fassade zu möglicher Steigerung zu bringen. Im ornamentalen Schmucke des Mitteltheils der Fassade ist mit gutem Gelingen ein rauschender Akkord durch Erzschmuck angeschlagen, der aus bestimmten künstlerischen Erwägungen nicht vergoldet, sondern in der ernsten Erzfarbe gelassen wurde. Das Motiv ist dreitheilig und an den Aussenseiten durch breiter gehaltene Pfeiler begrenzt, welche durch alle Stockwerke ohne Unterbrechung durchschiessen und in eine Nischenarchitektur mit bekrönenden Obelisken endigen. Das Erz, aus der Giesserei von Gladenbeck, schmückt diesen Mittelbau in reicher Weise. Ein üppiges Gehänge aus den verschiedensten Geräthen und Waren ziert die breiten Pfeiler in ihrer ganzen Ausdehnung und endigt unten in stark erhabenen Cartouchen.

Diese Gehänge sind gleich dem ornamentalen Theil der liegenden Ovalfenster und gleich der Attikabekrönung zwischen den Pfeilern, wie auch der Spitzenbekrönung der mittleren beiden Pfeiler von Hrn. Bildhauer August Vogel modellirt. Von ihm stammen auch die beiden äussersten Figuren der Gruppe der vier Jahreszeiten, welche die Nischen der vier Pfeiler schmücken, während die mittleren Figuren, alle gleich schön in Bewegung und Auffassung, den Bildhauer Prof. Widemann zum Urheber haben

Lässt das so gestaltete Aeussere des Gebäudes seinen Charakter als Warenhaus unzweifelhaft erkennen, so ist es doch in seiner vornehmen Haltung gleich weit entfernt von prahlerischer Aufdringlichkeit wie von platter Geschäftsmässigkeit. Unter dieses Urtheil fällt auch das interessante Innere.

Warenhaus A. Wertheim in Berlin, Leipziger Strasse

Das imganzen 5091 qm grosse Grundstück wurde auf 3770 qm derart bebaut, dass etwa eine I-Anlage entstand, durch welche zwei seitliche, durch an den beiden Enden der vorderen Raumgruppe liegende Durchfahrten zugängliche, rd. 14 m breite und 32 m lange Höfe freigelassen wurden. Hinter diesen Höfen entwickeln sich zwei weitere, rd. 19 m breite und 10 m tiefe Höfe, einerseits durch das Kesselhaus, andererseits durch Warenräume mit Treppenanlage von den erstgenannten Höfen getrennt. Durch diese verhältnissmässig einfache, aber sorgfältig durchdachte Anordnung, die einmal den baupolizeilichen Anordnungen, dann aber besonders auch wohlerwogenen Gründen der Zweckmässigkeit zu entsprechen hatte, ist unter Mitwirkung des Lichthofes in das weiträumige Innere eine solche Fluth von Tageslicht eingeführt, dass an allen Stellen des Hauses die ausgiebigste Beleuchtung der ausgestellten Waren gesichert ist. Der Käufer betritt das Warenhaus durch einen gegen die Strasse nicht abgeschlossenen Vorraum, in der Tiefe durch mächtige Spiegelscheiben abgeschlossen, hinter welchen Waren in verlockender Weise zum Kauf ausgelegt sind. Der praktische Zweck dieses Vorraumes kommt dadurch zur Geltung, dass er den Käufer von dem lebhaften Durchgangsverkehr des Trottoirs der Leipziger Strasse absondert und ihm bei Regenwetter die Möglichkeit gewährt, alle gegen dasselbe gerichteten Vorkehrungen zum Schutze der Person in Ruhe zu treffen. Der Vorraum ist also von besonderer Bedeutung. Hinter ihm folgt, durch einen Windfang zugänglich, das Vestibül, rd. 15 zu 7 m im Lichten, durch zwei Geschosse reichend, jedoch in seinen immerhin bescheidenen Raumverhältnissen von dem Riesenmaasstab der Fassade zu kleineren Abmessungen überleitend und zu dem Eindruck des grossen Lichthofes sammelnd. In künstlerischer Beziehung ist diese Vor- oder Empfangshalle gleich der Ouverture zu einer Oper in reicher Weise bedacht.

Frisch und eigenartig entworfene Umrahmungen der Oeffnungen, durch Riegelmann mit trefflichen Schnitzarbeiten geschmückt, Messingbekleidungen der Pfeiler, durch G. Lind mit ornamentalem Schmuck versehen, eine wirkungsvoll profilirte Decke von Westphal, deren prächtige Kronleuchter von Schulz & Holdefleiss, Umsäumungen von zierlichen Brüstungs-Gittern aus Aluminiumbronze von Miksits usw. machen sie zu einem vornehmen, feingestimmten Vorraum. Aus ihm tritt der Besucher durch einen gleichfalls nieder gehaltenen Verbindungstheil in den Lichthof, in das Herz der gewaltigen Anlage, in welchem alle Fäden des ausgedehnten wirthschaftlichen Organismus zusammenlaufen. Auf einer Grundfläche von 31,5 zu 14,5 m, also auf einer Raumbegrenzung von dem ungefähren Verhältniss 1 zu 2, entwickeln sich 4 durch alle Geschosse reichende Bogensysteme auf starken Pfeilern, welchen durch Einrichtungsgegenstände und die Warenbestände sowie durch die Menschenlast der verschiedenen Geschosse eine starke Belastung zugemuthet ist. Die Stirnseiten sind durch ähnliche Bogenstellungen von anderen Abmessungen gegliedert, entwickeln aber über dem Bogenabschluss bis zur Begrenzungslinie des mächtigen Glasabschlusses, welcher tonnenartig den weiten Raum überwölbt, Wandflächen, welche mit dekorativer Malerei versehen sind. Diese stellen auf der einen Seite den antiken Hafen von Prof. Max Koch, auf der anderen Seite den modernen Hafen von Maler Fritz Gehrke dar.

Einen der deutschen Fabelwelt entlehnten Schmuck haben nach den Kartons des Malers Tippel die Vorderflächen der 6 Pfeiler erhalten. Auf ihnen sind als Flachreliefs zur Darstellung gebracht: das tapfere Schneiderlein und die Bremer Stadtmusikanten durch Prof. Manzel; das Aschenbrödel und Hans im Glück durch Bildh. Geyger; das Dornröschen und das Rothkäppchen von Bildh. Vogel. In den Lichthof ist die grosse, dreiarmige Aufgangstreppe zu den oberen Geschossen eingebaut; vor ihr steht, von Prof. Manzel modellirt, die riesenhafte Figur der Arbeit, offenbar für das Querschnittsprofil des Lichthofes berechnet. Der Lichthof ist der einzige Raum des Hauses, welcher bei aller Grösse der Auffassung im Einzelnen nicht das Gefühl einer ausgeglichenen Harmonie im Beschauer hinterlässt. Das mag einmal an dem vielleicht zu feinen Maassstab der Pfeilerreliefs, an den in der Masse zu dünnen metallenen Beleuchtungsobelisken und an der zu wenig Detailbildung aufweisenden Figur der Arbeit liegen. Hierdurch sind unausgeglichene gegensätze geschaffen. Auch will mir das unmittelbare Einschneiden der gewölbten Glasfläche in die Flächen der Stirnmauern etwas hart erscheinen. Es ist möglich, dass beabsichtigt war, hier dem künstlerischen Gedanken Ausdruck zu verschaffen, die gemalte Luftfläche ohne Unterbrechung, durch die technisch nothwendige Glasabdeckung frei ausklingen zu lassen. Das zu erreichen aber scheint mir ohne Anwendung besonderer dekorativer Formen für Stirnflächen und Glasabdeckung unmöglich. Vielleicht auch, dass hier der Punkt ist, an welchem die aufgedrungene Hast der Ausführung ihre Spuren in künstlerischer Beziehung hinterlassen hat.

Hinter der Figur der Arbeit führt die Haupttreppe zu den oberen Räumen empor, zunächst zum Erfrischungsraum, nieder gehalten, behaglich, meist in Holz durch Gossow durchgebildet, in den Fenstern sparsame Glasmalereien, mit Beleuchtungskörpern von Spinn & Sohn. Mit besonderer Feststimmung empfängt den Besucher der Teppichraum, in den unsere Beilage einen Einblick gewährt, und zwar wohl deshalb, weil sich hier der Künstler bei durchweg neuer, zertheilter Anwendung des Beleuchtungsgeräthes stark der alten Kunst, insbesondere der italienischen bediente und damit in tieferer Empfindung einen ungemein festlich-heiteren Raum geschaffen hat. Der Gegensatz zwischen Lichthof und Teppichraum ist zu auffallend, um nicht in einem Widerspiel der künstlerischen Empfindungen ihres Urhebers gesucht werden zu müssen. Zu dem schönen Portal mit seinen gewundenen Säulen, sowie zu den übrigen ornamentalen Theilen dieses Raumes fertigte Bildhauer Giesecke die Modelle. Durch das Portal fällt der Blick auf das sich in glühender Farbenpracht entfaltende grosse Mittelfenster von Melchior Lechter, mit der Darstellung der Königin Mode, umgeben von Rosenguirlanden. Den Treppenaufgang von hier zu den weiteren Geschossen schmücken zwei unbekleidete weibliche, als Schlangenbändigerinnen aufgefasste Figuren als Lichtträger. In ihren graziös-sinnlichen Bewegungen erinnern sie an ein französisches Vorbild, die Salammbo des Jean Ant. Marie Idrac.

Warenhaus A. Wertheim in Berlin, Leipziger Strasse – Eingang zum Teppichraum

In ihrer künstlerischen Haltung müssen die übrigen Räume als einfache Warenverkaufsräume den vorgenannten, in der Hauptaxe sich aneinander schliessenden Räumen nachstehen. Doch ist auch in ihnen viel Schönes und Neues im Ornament vertheilt; es seien erwähnt die prächtigen Gitter in Aluminiumbronze von Miksits und Schulz & Holdefleiss; die eigenartige ornamentale Ausschmückung der Fahrstuhlzugänge; die zumtheil an altchristliche, zumtheil an Vorbilder der italienischen Frührenaissance erinnernden Kapitelle der Stützen der verschiedenen Geschosse von welchen wir eines wiedergaben neben neu und eigenartig aufgefassten Bekrönungen von Pfeilerbildungen; die reizvollen Thürumrahmungen in den Durchgängen von der Strasse zu den Höfen; die einfachen und doch kunstvollen Fensterverglasungen: kurzum, überall war die Schönheit Meisterin und Lenkerin der erfinderischen Hand des Künstlers, der uns in diesem Werke einen tiefen Blick in sein reich bewegtes Seelenleben hat thun lassen. –

Es erübrigt noch, über einige technische Einrichtungen des mit einem Aufwand von 3 Millionen M. errichteten Bauwerkes ein kurzes Wort zu sagen. Das Gebäude wird erwärmt durch eine Dampfniederdruckheizung mit 2/10 Atm. Ueberdruck bei einer gesammten Heizfläche von 3000 qm. Eine künstliche Lüftung ist ermöglicht durch einen elektrisch betriebenen Ventilator, welcher 25 000 cbm vorgewärmte Luft in die Erdgeschossräume hineinpresst. Die Absaugung der schlechten Luft erfolgt im III. Obergeschoss durch einen Ventilator mit 5000 cbm Leistungsfähigkeit. Die Kesselanlage besteht aus 3 Wasserrohrkesseln mit je 185 qm Heizfläche und für 10 Atm. Ueberdruck. Die 3 Kessel entwickeln in der Stunde 8400 kg Dampf für eine Maschinenleistung von 750 effekt. P.S. Die Dampfmaschinen-Anlage besteht aus 3 stehenden Compound-Tandem-Dampfmaschinen System Tosi und aus einem Zentral-Einspritz-Kondensator mit Dampfbetrieb. Die Dynamo-Maschinenanlage setzt sich zusammen aus 3 dynamoelektrischen Nebenschlussmaschinen mit je 245 Umdrehungen in der Minute, einem Kraftverbrauch von 200 effekt. P. S. und einer Normalleistung von 136 Kilowatt, bezw. einer Höchstleistung von 156 Kilowatt bei 230 P. S. Der Wirkungsgrad beträgt 93 %. Die Akkumulatoren-Anlage besteht aus 120 Elementen Tudor-Akkumulatoren Type E. 48a, sie hat eine garantirte Kapazität von 1296 Ampere-Stunden und eine zuverlässige Lade- und Entladestromstärke von 432 Ampere.

Geländer aus Aluminiumbronze aus dem Vestibül

Die Fahrstühle sind mit elektrischem Betrieb eingerichtet. Es sind in Gebrauch: 5 Personenaufzüge von 800 kg und 1 Personenaufzug. von 1050 kg Tragfähigkeit. Vier derselben haben eine Hubhöhe von 20,8, zwei eine solche von 17,2 m. Die Fahrgeschwindigkeit beträgt leer 1,5, belastet 0,8 m in der Sekunde. Das Haus enthält 2 Aufzüge für Waren und Personen, der eine mit 1000 kg Tragfähigkeit, 24,8 m Hubhöhe und 0,4 m Fahrgeschwindigkeit; bei dem anderen sind die entsprechenden Zahlen 750 kg, 20,8 m und 0,5. Ein Plattformaufzug vom Keller zum Hof hat 1000 kg Tragfähigkeit, 3,5 m Hubhöhe und 0,3 m Geschwindigkeit. Ausserdem dient für den Warentransport ein Paternosterwerk für die kleinen Warenpakete mit gekauften Waren, die von den einzelnen Geschossen nach der im Kellergeschoss liegenden Stadt-Expedition befördert werden sollen. Bemerkenswerth sind die 7 Hebevorrichtungen für die Schaufenster-Podien und die Schaufenster-Schutzwände; sie sind für Hand- und für elektrischen Maschinenbetrieb eingerichtet und haben eine Tragfähigkeit von 5000 kg. Das ganze Gebäude einschl. Lichthof und Schaufenster wird mittels Elektrizität und zwar durch 486 Bogen- und etwa 4600 Glühlampen beleuchtet.

So weit sie nicht schon genannt wurden, waren an der Ausführung die folgenden Firmen betheiligt: Fränkel für die Maurer- und Zimmerarbeiten, Ph. Holzmann & Cie. für die Steinmetz, Kunitz für die Klempner-, Steffens & Nölle für die und Eisenwalz-, Boswau & Knauer für die Gips- und Alb. Damcke & Cie. für die Dachdeckerarbeiten. In die Schlosserarbeiten theilten sich Schulz & Holdefleiss, Miksits, Heinrichs, Marcus und Scherbel, in die Glaserarbeiten J. Schmidt, Schneider und Förster, in die Tischlerarbeiten J. C. Pfaff, Kimbel & Friedrichsen und Gossow.

Die Stuecco-lustro-Arbeiten waren C. Hauer, die Malerarbeiten Bodenstein übertragen. Die Akkumulatoren-Anlage lieferte die Accumulatoren Fabrik, Akt.-Ges., die Maschinenanlage die Berl. Maschinenbau-Akt.-Ges. vorm Schwartzkopff, die Aufzüge die Berlin-Anhalt Maschinenfabrik, die Telephonanlage Hardegen & Co., die Schaufenster-Hebebühnen Dörffuhrt. Die Fliesen- und Parkettlieferung war an Pieck und Rosenfeld, die Herstellung der massiven Decken an die Aktien-Gesellschaft für Beton- und Monierbau, die Kellerdichtung an Czarnikow & Cie., die Be- und Entwässerung an die Deutschen Wasserwerke A. G,, die Tiefbrunnenanlage an Andrzejewski, die Lieferung des Kunststeines an Heuber und Ischyrota, Internat. Sandsteingiesserei Bloemendal & Grünberg übertragen. Die Erstellung der Heizungs- und Lüftungsanlage hatte Junk, die der Kocheinrichtung Ulmann übernommen.

Warenhaus A. Wertheim in Berlin. Lichthof

Es bedurfte seitens der Architektenfirma wie seitens des Bauherrn ungewöhnlicher organisatorischeı Fähigkeiten und grosser Ausdauer um neben den Entwurfsarbeiten diese zahlreichen Künstler und technischen Firmen so zu leiten und so zur Zusammenarbeit anzuhalten, dass das Riesenwerk in dem Zeitraume von knapp einem Jahre vollendet werden konnte. Ein grosses Verdienst an dieser Möglichkeit gebührt dem Bauleiter, Hrn. Reg.-Bmstr. A. Breslauer, und es geschieht über die einfache Pflicht einer Namensnennung hinaus, wenn wir seiner grossen Umsicht, Thatkraft und Ausdauer hier besonders gedenken.

Noch ein Wort über die künstlerische Bedeutung des Werkes. Es hat demselben in der kurzen Zeit seit seiner Fertigstellung nicht an den widersprechendsten Urtheilen gefehlt; in der Hauptsache aber liefen diese darauf hinaus, dass das Haus, dem Zuge der Zeit folgend, als ein Werk der neuen Kunst in Anspruch genommen wurde. Man gab sich kaum die Mühe, es genauer zu studiren; mit dem „nebulirenden Blick“, von welchem der Freiherr von Stein einmal sprach, fand man, dass es etwas Ungewöhnliches sei und da alles Ungewöhnliche heute neue Kunst ist, so wurde auch das Kaufhaus Wertheim in dieses Fach eingeordnet. Wer, der nicht für einen Schläfer gehalten sein will, denkt denn heute weiter zurück als fünf, höchstens zehn Jahre ?

Wer, der „auf der Höhe der Zeit“ steht, will noch etwas von der Vergangenheit wissen? C’e vecchia roba, das man dem „scheidenden Jahrhundert“ zu Ehren abzulegen verpflichtet ist. Was hat das leere Schlagwort von dem scheidenden Jahrhundert und seiner Kunst schon für Begriffsverwirrungen angerichtet. Man hat mit ihm versucht, jede Kontinuität der Kunstentwicklung zu leugnen, man hat geglaubt, es so darstellen zu müssen, als ob das letzte Lustrum des 19. Jahrhunderts ohne Vorbereitung als ein fertiger und in sich geschlossener Abschnitt sich der Entwicklung eingefügt und die Vergangenheit abgeschlossen habe; man hat es geglaubt, weil man es glauben wollte und man hat infolge dessen Grenzen gezogen, wo keine Grenzen sind. Wo ein Wille ist, ist bekanntlich auch ein Weg. Und wo Thaten nicht ausreichten, hat man, wie der Maler in Shakespeare’s „Timon von Athen“, Versprechungen gemacht und zu Erwartungen angeregt. „Versprechen ist die Sitte der Zeit; es öffnet die Augen der Erwartung“. Das ist die spekulative Berechnung derer, welche Schlagworte und Theorien als das luftige Postament für eine Eintagsgrösse benutzen wollen und jener anderen Gruppe, die sich an die kraftvollen Schwingen des Adlers heftet, sich von ihm emportragen lässt, ihn dann ein Stück überfliegt und von dem so gewonnenen „höheren Standpunkt“ aus sich vermisst, die künstlerische Arbeit leiten zu wollen. Man würde Alfred Messel – und um diesen allein kann es sich bei der künstlerischen Beurtheilung des Werkes handeln – bitteres Unrecht thun, wollte man ihn und sein Werk zu einer der gedachten Gruppen rechnen. Messel ist kein Neuerer im Sinne derjenigen, welchen die Kunst im gleichen Augenblicke, in welchem sie ist, auch schon war. Dazu ist seine künstlerische Grundlage eine viel zu ehrliche, eine in zu harter Selbstzucht erworbene, als dass er es über sich vermöchte, sie von heute auf morgen in den Dienst einer nicht seinem Wesen entsprechenden Richtung zu stellen. Ihrer ganzen Vergangenheit nach ist die künstlerische Natur Messels unzweifelhaft vorwiegend konservativ, beschaulich, rückwärtsblickend, dem guten Alten augenscheinlich mehr zugethan, als dem mit der Rücksichtslosigkeit des Kampfes ums Dasein sich äussernden Neuen. Gleichwohl verschliesst er sich dem letzteren nicht, sondern nimmt es dankbar auf und sucht es mit den in seiner Seele heimischen Regungen zu verarbeiten, so gut wie es gehen will.

Warenhaus A. Wertheim in Berlin. Erfrischungsraum

In diesem Sinne ist das Kaufhaus hochmodern; das Neue an ihm ist nicht aus dem Bestreben heraus entstanden, um jeden Preis neu zu sein, sondern es wurde durch die innere Nothwendigkeit hervorgerufen, welche die Bestimmung des Werkes fordert. So haben sich gute historische Kunstbildung und die Forderungen moderner Entwicklung amalgamirt und zu einem interessanten Prozess Veranlassung gegeben.

Diesen seelischen Prozess zeigt das Kaufhaus Wertheim in einer ungemein anziehenden Weise und zwar um so unmittelbarer, je schneller es entstanden ist und je weniger Zeit gegeben war, widerstreitende Gefühle zu ausgleichender und sich gegenseitig abwägender Wirkung zu bringen. Kann man es deshalb im Sinne einer harmonischen, bis ins Einzelne gehenden Ausreifung des grossen Werkes vielleicht bedauern, dass die Zeit zu seiner Herstellung eine nur sehr kurze war, so erschliesst uns dieser Umstand andererseits doch eine Fülle intimer Züge der künstlerischen Seelenthätigkeit des Urhebers des Werkes. Dieses selbst aber ist ein schlagender Beweis für den von mir schon früher vertretenen Satz, dass, wie schon seit längerer Zeit die Stilrichtung, nunmehr auch die Unterscheidung, ob alt oder neu Nebensache, äusserliche Bekleidung geworden ist und wenn man dem Bau die Bedeutung eines Marksteines in der Entwicklung der neueren deutschen Baukunst zuerkennen darf, so geschieht es vermöge des in ihm wohnenden Geistes, welcher die Form ohne Rücksicht auf Alter und Herkunft beherrschte und sie in souveräner Weise dem Zweck dienstbar machte. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 30.04. & 07.05.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „Albert Hofmann“.