Die Herstellung des Zuckers aus Rüben ist eine deutsche Erfindung und die Kultur der Zuckerrüben und deren Verarbeitung zu Zucker eine Errungenschaft des verflossenen Jahrhunderts.
Der Chemiker Marggraf war es, der bereits 1747 in Berlin die bedeutsame Entdeckung machte, daß in den Runkelrüben ein dem Rohrzucker völlig gleicher Stoff enthalten sei. Aber fast ein halbes Jahrhundert blieb seine Entdeckung ohne praktische Resultate. Erst den rastlosen Versuchen und Bemühungen des geistvollen Fr. Karl Achard gelang es, die technische Verwendung der deutschen Erfindung durchzusetzen. In der auf dem eigenen Gut Cunern in Niederschlesien errichteten ersten Rohzuckerfabrik Deutschlands begann er in den bescheidensten Verhältnissen die Verarbeitung der gewonnenen Zuckerrüben auf Zucker und legte somit den Grund zu einer der bedeutendsten Industrien Deutschlands.
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
War es bis zu dieser Erfindung nur möglich gewesen, den Zucker aus Zuckerrohr zu gewinnen und ihn als ein Kolonialerzeugnis einzuführen, so änderte sich nun diese Sachlage, und es galt für die deutschen Unternehmer, die Zuckerrübe zu kultivieren und in größerem Maßstab anzubaun. Und sie haben sich dieser ihrer Aufgabe auch mit großem Eifer unterzogen. Denn durch Auswahl des geeigneten Saatguts machten sich die deutschen Saatgutzüchter, unterstützt von den landwirtschaftlichen Versuchsstationen, daran, Zuckerrüben mit möglichst hohem Zuckergehahlt zu züchten, und ebenso schritt man auch in dem Verfahren, den Zucker aus der Rübe zu gewinnen, abgesehen von der Verbesserung aller maschinellen Betriebseinrichtungen, durch Einführung des Diffusionsverfahrens und der Anwendung des Strontianitverfahrens zur Melasseentzuckerung weiter fort, so daß man heutzutage eine Durchschnittsausbeute an Zucker von 13 bis 14 Prozent hat, während sie anfangs nur 5 Prozent betrug.
Aber so wichtig der Anbau der Zuckerrüben auch für die deutsche Landwirtschaft in technischer Beziehung ist, wird im Vergleich mit dem in Deutschland vorhandenen Ackerland von der Zuckerrübenkultur nur ein geringer Raum eingenommen, da er sich auf 447 600 Hektar oder 1,5 Prozent des gesamten Ackerlandes beschränkt. Denn an Bodenbeschaffenheit und Klima stellt die Zuckerrübe so hohe Anforderungen, wie keine andere Frucht, so daß sie nur in den besonders bevorzugten Gegenden unseres Vaterlandes gedeiht.
Als eigentliche Heimat des Zuckerrübenbaus haben wir neben den fruchtbaren Gegenden Schlesiens die tiefgründigen „Börden“ und „goldenen Auen“, wie wir sie in der Provinz Sachsen, in Braunschweig und Anhalt finden, anzusehen; erst später hat sich diese Kultur auf die schweren Böden der östlichen Provinzen und mit der Zunahme des Verbrauchs künstlicher Düngemittel, die die chemische Beschaffenheit des Ackers verbessern, auch auf die milderen humosen Ländereien dieser Landesteile ausgedehnt, so daß in größerem Umfang die Zuckerrübe neben den schon genannten Gebieten auch in Posen, vornehmlich in dem fruchtbaren Kujawien, in Westpreußen, Mecklenburg und Brandenburg angebaut wird, während Süddeutschland davon fast gänzlich frei ist.
Welchen Aufschwung in diesen Gebieten die Zuckerrübenkultur genommen hat, dürfte zur Genüge daraus hervorgehen, daß im Jahr 1871 in Deutschland auf 110 285 Hektar Rübenland 2 250 918 Tonnen Zuckerrüben geerntet wurden, während die Anbaufläche 1900 428 142 Hektar und die Menge der verarbeiteten Rüben 12 150 042 Tonnen betrug. Dementsprechend hob sich die Zuckererzeugung im gleichen Zeitraum von 186 442 Tonnen auf 1 998 591 Tonnen, und während 1871 bei einer Zuckereinfuhr nach Deutschland von 219 755 Tonnen nur 14 275 Tonnen ausgeführt wurden, beträgt gegenwärtig die Einfuhr nur 1200 Tonnen; dagegen wirft Deutschland über 1 Million Tonnen Zucker jährlich auf den Weltmarkt und hat einen Verbrauch von rund 750 000 Tonnen im Inland, der sich 1871 nur auf 220 000 Tonnen belief, so daß augenblicklich ein Zuckerverbrauch von rund 14 Kilogramm auf den Kopf der Bevölkerung kommt, während er vor dreißig Jahren sich kaum auf 6 Kilogramm belief.
Die Zuckerindustrie in Deutschland ist bis auf den heutigen Tag eine rein landwirtschaftliche Industrie geblieben. Die Vorteile, die sie bringt, kommen daher auch auch ausschließlich der Landwirtschaft zu gute, und zwar in gleicher Weise dem Großgrundbesitz, wie dem bäuerlichen Besitz, denn beide haben sich unter Zugrundelegung des Genossenschaftsprinzips zur Verarbeitung ihrer Rohprodukte in Zucker vereinigt, so daß sie nach Maßgabe ihrer Beteiligung den Gewinn von ihrer Arbeit ernten.
Aber die Zuckerindustrie wirft gegenwärtig nicht mehr den hohen Ertrag ab, den sie in den siebziger und achtziger Jahren brachte, denn mit der Konkurrenz der andern Länder und durch Ausschluß des deutschen Fabrikats von fremden Märkten ist der Preis für den Zucker und somit auch die Rente der Industrie und der Preis der Rüben, der gewöhnlich nach Maßgabe der Rentabilität der Zuckerfabriken berechnet wird, arg gesunken. Wurde doch in Magdeburg, einem der wichtigsten Zuckermärkte der Welt, in den siebziger Jahren 100 Kilogramm Rohzucker mit 60 bis 65 Mark bezahlt, während dieser Preis in der Gegenwart auf 20 bis 25 Mark, also beinah auf ein Drittel, herabgesunken ist.
Trotz dieses gewaltigen Preisrückgangs hat aber der Zuckerrübenbau noch immer für die Landwirtschaft eine hohe Bedeutung; denn sein Wert besteht weniger in der Rente, die er abwirft, als vielmehr darin, daß mit dem Zuckerrübenbau infolge der hohen Ansprüche, die er an die Bodenbeschaffenheit und Bodenbearbeitung stellt, eine intensivere Kultur des Ackerlandes eingeführt worden ist und immer wieder gepflegt werden muß, so daß hierdurch bei weitem größere Ernten und größere Gewinne auch der andern Feldfrüchte, die im Wechsel mit der Zuckerrübe angebaut werden, erzielt werden. Wohl kaum wird dem Ackerland, wenn man vom Garten- und Gemüsebau absieht, beim Anbau einer andern Frucht eine solche Pflege zu teil, wie bei der Kultur der Zuckerrübe. In anschaulicher Weise zeigen dies auch unsere Abbildungen. So verlangt der Rüdenbau zunächst ein tiefes Umpflügen des Ackerlandes, das bald mit dem Dampfpflug, bald aber auch mit dem von Pferden oder Ochsen gezogenen Pflug ausgeführt wird. Die Pflugfurche hat hierbei eine Tiefe von etwa 25 bis 50 Zentimeter zu erhalten, so daß nur vier ausgesucht starke Tiere imstande sind, die Last zu bewältigen. Egge und Walze haben sodann das ihrige zu thun, um den Boden völlig zur Aufnahme des Samenkorns und zu einer gedeihlichen Entwicklung vorzubeackern.
Die Aussaat des Samenkorns selbst erfolgt mit Hilfe der Drillmaschine oder der Dibbelmaschine. Ist aber das Saatgut in die Erde gebracht, so kann noch nicht die Pflege des Menschen aufhören, sondern auch jetzt erfordert das Feld Aufmerksamkeit und Arbeit. Die Ansprüche, die die Zuckerrübe an die chemischen Bestandteile des Bodens stellt, sind ungewöhnlich groß, so daß das Ackerland nicht nur vor der Aussaat reichlich mit natürlichem und künstlichem Dünger gesättigt werden muß, sondern auch, nachdem die kleinen Pflänzchen aufgegangen sind, ist eine mehrmalige sogenannte Kopfdüngung mit Chilesalpeter, einem Stickstoff enthaltenden Düngemittel, notwendig, der ebensowohl mit Maschinen wie mit der Hand durch Arbeiter ausgestreut werden kann. Wird so für das Vorhandensein der erforderlichen Nährstoffe für die junge Pflanze gesorgt, so muß ihr auch der nötige Raum zu ihrer vollen Entwicklung gewährleistet werden. Daher müssen durch das Verziehen die zu viel aufgegangenen Sprößlinge entfernt werden, so daß an derselben Stelle nur eine kräftige Pflanze im Acker übrigbleibt, die zur vollen Entwicklung kommt. Diese Standweite der einzelnen Rüben voneinander ist für ihr späteres Gedeihen von der größten Wichtigkeit; sie beträgt im Geviert etwa 30 bis 40 Sentimeter, doch wechseln diese Weiten, so daß die Rüben selten im Quadrat, stets aber im Rechteck zu einander stehen. Hiermit ist aber das Bedürfnis der Zuckerrübe an Pflege noch keineswegs befriedigt. Vielmehr verlangt sie, daß der Boden, in dem sie wächst, während ihrer Vegetationszeit verschiedentlich durch Bearbeitung mit der Hacke gelockert wird, so daß die atmosphärische Luft in ihm leicht Zutritt hat, und das Unkraut, das den jungen Rübenpflanzen leicht Nährstoffe, Luft und Licht fortnehmen kann, vernichtet wird. Zwar hat man zu Beginn der Zuckerrübenkultur diese Arbeit in der Regel durch Menschenhand verrichten lassen, aber mit der Zunahme des Anbaus und mit dem stets größer werdenden Arbeitermangel auf dem Land mußte man auch hierzu notgedrungen Maschinen zur Anwendung bringen. Nur wenige Monate während des Sommers bleibt der Rübenacker von Menschenhand unberührt. Denn schon im September beginnt die Zuckerrübe, die Ende April und Anfang Mai gedrillt wurde, zu reifen, und fleißige Hände haben sich dann zu regen, um die Ernte hereinzubringen. Die Anwendung von Maschinen zur Rübenernte ist noch wenig üblich; wohl hat man Rübenheber, die die fest in der Erde steckenden Wurzeln lockern und herausheben, aber jede einzelne Rübe muß noch durch die Hand eines Arbeiters gehen, der das Kraut an der Wurzel abschneidet und die Rübe von der Erde reinigt, da die Zuckerfabriken den größten Wert auf die Lieferung reiner Rüben legen und bei ungenügender Arbeit nach dieser Richtung hin gewisse Prozente für Schmutz bei Bestimmung der gelieferten Rübenmenge in Abzug bringen.
Der große Aufwand von menschlicher Arbeit für die Zuckerrübenkultur ist eins ihrer wichtigsten charakteristischen Merkmale. Durch diese Erscheinung wurde in erster Linie die sogenannte Sachsengängerei hervorgerufen. Wohl jedem, der mit einiger Aufmerksamkeit die Vorgänge in den Straßen Berlins verfolgt, ist es schon aufgefallen, wie im Frühjahr oft unsere Bahnhöfe, von denen die Züge nach den Zuckerrübengeländen abgelassen werden, von Arbeiterscharen belagert werden, die vom fernen Osten kommen, um zur Zeit der Rübeaussaat in den Rübenwirtschaften ihre Thätigkeit zu beginnen und bis zum Schluß der Rübenernte dort zu bleiben. Mit gutem Verdienst in der Tasche kehren sie dann im November wieder in ihre Heimat zurück und leben während des Winters von dem, was sie im Sommer in heißer Arbeitszeit verdient haben. Abbildung S. 2138 zeigt so eine Schar Sachsengänger, die gerade im Begriff sind, mit ihrem Vorarbeiter an der Spitze, das Hacken der Rüben zu beginnen.
Ganz außergewöhnlich ist der Aufschwung gewesen, den die Zuckerrübenkultur in Deutschland gemacht hat, so daß wir heute das Land sind, das am meisten Zucker von allen Ländern der Erde hervorbringt. Großartig sind die Fortschritte der Fabrikation und des Rübenbaus gewesen; stark sinkende Preise und schnell wachsender Verbrauch waren die Folgen hiervon für die Volkswirtschaft.
So wie die Zuckerindustrie sich entwickelt hat, ist sie zum Segen für die heimische Landeskultur geworden, denn reichlichere Ernten, vielfältige Arbeitsgelegenheit und zunehmenden Wohlstand hat sie im Gefolge gehabt, so daß die Zuckerrübenkultur nur ein Segen für unser Vaterland sein kann.
Dieser Artikel von Dr. W. Schulze erschien zuerst am 15.11.1902 in Die Woche.