Der „Glorreiche Vierte“, der Julitag, an dem vor 119 Jahren England die Unabhängigkeit seiner dreizehn nordamerikanischen Kolonien anerkennen mußte, der höchste Nationalfesttag der Vereinigten Staaten hat das „american girl“ in seiner ganzen Glorie gesehen, wie es mit seinen Brüdern wetteiferte, den Tag der Unabhängigkeit bei Spiel und Tanz, Sport und Feuerwerk festlich zu begehen, hüben sowohl wie drüben.
Und zu dieser Festfreude hat die Amerikanerin volle Berechtigung. Denn der Tag hat auch den Grund zu ihrer Unabhängigkeit von manchem konventionellen Zwang gelegt hat ihr im Lauf der Zeit Aktionsfreiheit, Selbständigkeit und Selbstbewußtsein gebracht, die sie befähigen, mit ihren Brüdern auf allen Gebieten in freien Wettbewerb zu treten. So ist sie denn auch in das Reich des Sports mit all ihrer Schneid und Energie eingedrungen und ringt dort mit den „Herren der Schöpfung“ siegreich um die Palme.
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
Auch in andern Ländern giebt es Frauen und Mädchen die auf dem Gebiet des Sports nicht unerfahren sind, die auf der Fuchshatz keine Hecke und kein Graben schreckt, denen kein Berggipfel zu hoch ist, die den Hirsch oder Bock in voller Flucht aufs Blatt zu treffen, das Ruder im Boot oder den Schläger beim Tennis meisterhaft zu führen verstehen. Aber so allgemein, wie in den Vereinigten Staaten bethãtigen sich selbst im Vaterland des Sports, in England, die Frauen und Mädchen nicht auf allen Gebieten, die Muskel, physische Kraft und Ausdauer verlangen. Das ist auch drüben erst so allgemein geworden seit den Tagen des Fahrrads, seit die Amerikanerin geschmeckt hat, was es heißt, sich in Gottes freier Natur zu tummeln. Mit wahrer Begeisterung verlegte sie sich auf den Radsport, und von diesem war es zur Beteiligung an den übrigen Sportarten nur ein Schritt. Daß dabei manche Uebertreibungen unterlaufen, daß die Sportenthusiastin ab und zu aus dem Kreis heraustritt, den Konvention und Sitte der Weiblichkeit gezogen haben, ist zu verstehen und zu verzeihen. Fußball z. B. ist eigentlich kein Spiel für Frauen.
Das wird jeder zugeben, der einmal einem regulären Match beigewohnt und gesehen hat, wie hier ein Spieler in vollem Lauf von einem Gegner gefaßt und kopfüber geworfen worden ist, wie sich die Schar der übrigen Spieler in wildem Durcheinander auf sie stürzt, daß man glauben sollte, Hals und Beine und Rippen müßten brechen, was ja auch oft genug dabei vorkommt. Und doch, wer könnte der hübschen Fußballspielerin böse sein, deren Bild wir auf Seite 1255 bringen? Wie reizend sieht sie aus in ihren „Binden und Bandagen“, mit den Lederschienen an den Beinen, dem wattierten Lederpanzer, mit den Schutzledern für die Ohren und mit dem – Nasenschoner, der ihr hübsches Näschen vor zu unsanfter Berührung mit der Mutter Erde schützen soll, wenn eine Gegnerin sie „tackled“ oder ihr, während sie flüchtigen Fußes mit dem Ball dem Goal zustrebt, ein Bein stellt.
Auch Lacrosse, das kanadische Nationalspiel, das, ursprünglich von den Indianern geübt, von diesen ihren weißen Nachbarn gelehrt wurde, ist eigentlich ein Spiel, das nicht für Frauen geschaffen ist, das aber jetzt von den Amerikanerinnen sehr bevorzugt wird, weil man so hübsch in dem Kostüm und mit dem Schlagnetz aussieht, wie untenstehende Abbildung zeigt. Lacrosse wird von zwei Parteien zu je zwölf Personen gespielt. Zweck jeder Partei ist, einen Ball mit den an langen Stielen befestigten Schlagnetzen, von denen es seinen Namen hat, zwischen zwei Malpfosten hindurchzutragen oder zu treiben.
Mit der Hand darf der Ball nicht berührt, auch darf mit den Stelzen nicht geschlagen werden, und die Spieler dürfen sich nicht gegenseitig festhalten. Es ist ein Spiel, bei dem alles auf die Ausdauer der Lungen und Füße ankommt.
Auf den Golflinks dagegen, da ist die Frau am Platz, da kann sie auf dem grünen Rasen ihre ganze Grazie entfalten und beim Treiben des Balls ihre natürliche Anmut entwickeln. Und so ein paar Stunden den Tag beim Golf machen gut, was der Ballsaal und die andern nächtlichen Vergnügungen im Winter verschuldet haben. Was fragt unsere schöne Amerikanerin mit der kecken Golfmütze danach, ob ihre Arme und Hände von der Sonne gebräunt werden? Würde es ihr nicht ebenso gehn, wenn sie einige Tage oder Wochen an Bord einer Jacht an der pittoresken Küste von Maine oder Connecticut kreuzte, oder wenn sie sich am Strand von Coney Island oder Allantic City im Sand sonnte?
Daß es unter den Amerikanerinnen viel kühne Reiterinnen giebt, ist selbstverständlich. Das ist eine der Errungenschaften der früheren Zeiten, als es noch keine Eisenbahnen gab und man zu Pferde steigen mußte, wenn man sich zur Stadt, ja selbst nur zur Nachbarin begeben wollte eine Sitte, die auf dem Land, namentlich im Westen, noch heute allgemein üblich ist. Meadow Falls und Roanoak, sowie die Prairien und Hügel Kentuckys wissen von mancher kühnen Reiterin zu erzählen, die beim Halali unter den Ersten zur Stelle war. Im Winter muß der Fechtsaal die Bewegung im Freien ersetzen und Körper und Muskeln in Uebung halten. In der Gesellschaft gehört es zum guten Ton, auch mit dem Florett Bescheid zu wissen. In den letzten paar Jahren ist zu all diesen Sportfreuden noch das Automobil gekommen, und man kann manche Dame finden, die mit eigener schöner Hand ihr Auto durch die Lande lenkt, wie der allerbeste Chauffeur.
Das Hauptkontingent der ausübenden Sportliebhaberinnen stellt die Schar der jungen Mädchen, die eine der zahlreichen Universitäten und Institute besuchen oder besucht haben. Diese haben ihre Sportklubs, wie ihre männlichen Kommilitonen, und nehmen ihre Liebe zu körperlichen Uebungen in ihr späteres Leben mit hinüber. An Begeisterung und Enthusiasmus für den Sport in allen seinen Formen ist ihnen aber das „Summer Girl“ über. Was ist ein „Summer Girl“? Ein reizendes, süßes, kokettes, selbstbewußtes und smartes weibliches Wesen. das sich befreit hat von der bedrückenden Bevormundung der Herren Eltern, meistens auf eigenen Fußen steht, das sich putzt, sich amüsiert vermöge seiner guten Manieren schnell Eingang in alle Kreise findet und überall gern gesehn wird. Seinen Namen hat es erhalten, weil es nur im Sommer blüht, weil es sich stets in die frischesten, zartesten Sommertoiletten hüllt, und da es ein solches Gebilde niemals öfters als einen Tag trägt, bis dieses von der Waschfrau – meistens ein bezopfter Sohn des himmlischen Reichs – „auf Neu“ gewaschen und gebügelt ist, sieht es auch stets aus wie ein sonniger, lachender Sommertag. Mit Ausdauer und Enthusiasmus wirft es sich dem Sport in die Arme, manchmal ja auch wohl einem feschen Partner.
Und warum auch nicht! Man findet sich so leicht auf dem grünen Rasen, bei fröhlichem Spiel. Und ist dann der Sommer vorüber, ist es meist auch mit Kameradschaft und Liebe aus. „Andere Städtchen, andere Mädchen“, heißt es hier und drüben; „Anderer Sommer anderes Girl!“
Dieser Artikel erschien zuerst am 05.07.1902 in die Woche, er war gekennzeichnet mit “F. E. O.”