Die Gardeschützen in Rheinsberg

Als ich vor zehn Tagen hier in Rheinsberg ankam, regnete es, langsam, aber sicher; der Himmel war bleigrau, und leichte Nebel hingen in den Bäumen, so daß von dem Idyll, das ich erhoffte, nichts zu sehen war, als eine Anzahl kleiner Häuschen, von Regen triefend, und trübselig dreinblickende Menschen, die ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgingen. das war mein erster Eindruck – schön war er gewiß nicht. Aber dennoch blieb ich hier und wartete, daß es besser werden würde. so wartete ich zehn Tage.

Aber jeden Morgen zeigte der unbarmherzige Himmel dasselbe trostlos graue Gesicht, und jeden Tag beglückten uns immer von neuem die lieblichen Regenschauer, die schließlich auch den dickfelligsten Menschen durchnässen. Endlich war auch ich des Wartens müde und rüstete zur Abreise. Da aber kamen einige hoffnungsfrohe Bürger und sagten: „Reisen sie nicht, denn jetzt wird es bestimmt besser; jetzt kommen die Schützen, und wenn die da sind, ist es noch immer gutes Wetter geworden.“

Was glaubt man in der Sommerfrische nicht alles!

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Und wenn man einen solchen Park hat, wie Rheinsberg ihn sein nennt, wird einem das Warten – selbst bei solidem Dauerregen – nicht allzuschwer.

Dieser Park! Jeder alte Baum, jedes alte Gemäuer weckt Erinnerungen, und Friedrich der Große, das ist der Name, der uns hier nicht mehr losläßt. Hier hat er vier Jahre als Kronprinz residiert, und hier schuf er ein Idyll, das zum großen Teil für das spätere Sanssouci vorbildlich wurde. Zwar ist hier alles kleiner und schlichter, dafür aber wirkt es um so anheimelnder und ladet zum behaglichen Genießen ein.

Wie gesagt, selbst kalte Regentage lassen sich hier ertragen – wenn man warm angezogen ist.

Aber schließlich nimmt ja alles mal ein Ende, und so kamen denn am Sonnabend den 16. d. M. die so sehnlichst erwarteten Gardeschützen an. Hei, das gab ein Leben, als die schmucken Grünröcke einmarschierten! An allen Ecken und Enden regte es sich, und manches junge Mädchenherz schlug höher. Und siehe, kaum war das Militär eingerückt, da schien die Sonne, die wirkliche, warme Sonne, auf die ich seit zehn Tagen vergeblich gewartet hatte – nun war auch ich Militärfromm.

Seit dem Jahr 1885 kommen die Gardeschützen aus Groß-Lichterfelde alljährlich um diese Zeit hierher, um eine acht- bis zehntägige Schießübung hier abzuhalten, und jedesmal sind sie gerngesehene Gäste, die von den Bürgern aufs beste bewirtet werden. Zum Dank für die dargebotene Gastfreundschaft veranstaltet das Bataillon dann eine Vorstellung in dem eigenartigen Naturtheater des Parks, deren Erträgnis der Armenkasse Rheinsbergs zufließt.

Das Naturtheater, 1758 vom Prinzen Heinrich, de großen Königs Bruder, geschaffen, liegt versteckt in einem lauschigen Winkel des schönen Parks. Die Bühne, vom Zuschauerraum durch eine Tannenhecke getrennt, ist etwa dreiviertel Meter erhöht und wird nach hinten zu ganz schmal die Kullissen werden abwechselnd von Tannen- und Buchenhecken gebildet. Der amplhitheatralische Zuschauertaum faßt nahezu 2000 Personen. Kopf an Kopf gedrängt saß und stand das Publikum in diesem Theatersaal, dessen Plafond der herrlichste blaue Himmel war, dessen Wandschmuck das duftige Waldgrün bildete. Um halb Fünf begann die Vorstellung. „Kyritz-Pyritz“ wurde gegeben. Darsteller waren Mannschaften des Gardeschützenbataillons. Natürlich wurden auch die Damenrollen von Männern gespielt.

Von der Theateraufführung der Gardeschützen im Naturtheater zu Rheinsberg – Scene aus Kyritz-Pyritz

Ich hätte gewünscht, die Verfasser Wilken und Justinus hätten diese Vorstellung noch erlebt. sie hätten ihre helle Freude gehabt, mit solcher Hingabe und so flott wurde gespielt.

Von geradezu verblüffender Wirkung waren die Darsteller der Damenrollen, die sich ehrlich mühten, ihre rauhen Kriegerstimmen zart abzutönen; und wenn dann und wann mal die Kopfstimme versagte und ein rauher Männerton mittenhinein sich verirrte, so wirkte das um so erheiternder.

Der Erfolg war rauschend und wohlverdient, und Herr Hauptmann von Krosigk, der das Stück mit großem Geschick insceniert hatte, konnte mit seiner strammen Truppe auch hier zufrieden sein.

Den Beschluß des festlichen Tages bildete ein Feuerwerk, das die Mannschaften auf dem Schloßplatz abbrannten.

Dann aber ging’s zum Tanz, denn Rheinsbergs Mädchen wollen auch etwas von dem Vergnügen für sich haben.

Um Mitternacht war die Urlaubskarte abgelaufen. Schluß des Jubels, denn Montag früh um halb Fünf heißt es, frisch sein: der Dienst beginnt!

Als ich aber Montag um 7 Uhr erwachte, war die Sonne fort, und wieder regnete es in Strömen….

Dieser Artikel von Paul Bliß erschien zust am 23.08.1902 in Die Woche.