Architekt: S. Langenberger in München.
Der Verein für Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in München, dessen I. Vorsitzender der erste Bürgermeister Münchens, v. Borscht, dessen II. Vorsitzender Hofrth. Prof. Lujo Brentano, der bekannte Nationalökonom, ist, und in dessen Vorstand alle Berufskreise der Bevölkerung vertreten sind, hat sich zur Aufgabe gestellt, die Wohnungsnoth der minder bemittelten Klassen in München zu lindern, insbesondere Arbeitern, Bediensteten und Angestellten städtischer und privater Betriebe sowie auch Kleingewerbetreibenden billige und gesunde Wohnungen zu verschaffen, bei welchen sowohl eine Steigerung des Miethspreises wie auch bei Einhaltung der Pflichten des Miethsvertrages eine Kündigung seitens des Vereins ausgeschlossen ist.
Der Verein will durch das Zusammenwirken seiner Mitglieder das erreichen, was dem einzelnen Arbeiter, Bediensteten oder Handwerker nur noch schwer oder überhaupt nicht mehr zu erreichen möglich ist. Er hat auch die Errichtung von Logirhäusern für ledige Personen vorgesehen.
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Der Verein betrachtet sich mit Recht als ein nothwendiges Gegenmittel gegen die auch in München herrschende Wohnungsnoth, die namentlich in diesem Spätjahre hier wie im Reiche überhaupt so unheilvoll in die Erscheinung trat, dass sich dem Vernehmen nach die Reichsregierung mit der Ausarbeitung gesetzlicher Maassnahmen beschäftigen soll und die Verwaltungen der grösseren Städte sich gezwungen sahen, der „an die Pforten der Rathhäuser pochenden Wohnungsfrage“ nachdrückliche Beachtung zu schenken. In einer Broschüre von Schirmer über „das Wohnungselend der Minderbemittelten in München“ ist festgestellt, dass von 1351 Wohnungen, welche im Jahre 1898 ausgemessen wurden, bei einem Mindestluftraum von 20 cbm für die Person 600 oder 44 % und bei Annahme eines Mindestluftraumes von nur 15 cbm immer noch 343 oder 25,3 % der Wohnungen mit 30 % der Bewohner als überfüllt angesehen werden mussten. Bemerkenswerth sind die allerdings nur natürlichen Wahrnehmungen, dass bei Wohnungen von nur 2 Räumen, die Küche als Raum gerechnet, das Aftermiethwesen sich weitaus weniger entwickelt zeigte, als bei drei- oder vierräumigen Wohnungen. Bei den dreiräumigen Wohnungen lebten 664 Personen ohne Aftermiether, 1162 Personen dagegen mit solchen.
Die auch in grösseren Entfernungen vom Mittelpunkte der Stadt erheblich gestiegenen Miethen, sowie der Umstand, dass die Bauspekulation den Bau grösserer Wohnungen bevorzugt, hat den genannten Verein veranlasst, einzugreifen, um die Kleinwohnungs-Verhältnisse auf dem Wege der Vereinsthätigkeit zu bessern. Der Verein wirbt um die Mitgliedschaft in allen Schichten der Bevölkerung und in den weitesten Kreisen. Die Pflicht der Mitglieder besteht lediglich in Einzahlungen von 1 M. wöchentlich, 5 M. monatlich oder von grösseren beliebigen Beträgen.
Sämmtliche Einlagen werden mit 3 ½ % verzinst. Wer 75 M. eingezahlt hat, erhält in der Reihe der Einzahlungen die Anwartschaft auf eine Wohnung in den vom Verein erbauten Häusern. Die Urheber dieser Einzahlungen werden ausserordentliche Mitglieder des Vereins; ordentliche Mitglieder haben die Pflicht zur Zeichnung eines Antheilscheines von 300 M. Wer 10 oder mehr Antheilscheine erwirbt, besitzt für je 10 Antheile das übertragbare Recht der Wohnungs-Anwartschaft. Ordentliches Mitglied kann auch werden, wer einen jährlichen Beitrag von mindestens 20 M. entrichtet und auf die Wohnungs-Anwartschaft verzichtet, Anwartschaft und Wohnung gehen im Todesfalle auf Wittwe und Kinder über. Es ist ausserdem Gelegenheit zur Ansammlung von Spareinlagen geboten, die gleichfalls zu 3 ½ % verzinst werden und dem Vereine zur Schaffung weiterer Wohnungen dienen.
Das Ziel des Vereins besteht darin, hauptsächlich Wohnungen von 2 Zimmern, 2 Zimmern mit Küche und 3 Zimmern mit Küche und Zubehör zu schaffen. Jede Wohnung soll eigenen Abort, eigene Keller- und Speicherräume und möglichst auch Veranden erhalten. Die Wohnungen sind unter sich abgeschlossen und sollen unter Verzicht auf jeden Gewinn zum billigsten Miethpreise vermiethet werden. Bei den Erwägungen über die Art solcher Miethhäuser, ob Etagenhaus oder etwa Ein- bis Vierfamilienhaus, die von der grösseren oder geringeren Entfernung der Bauplätze vom Stadtmittelpunkte bezw. der Arbeitsstätte abhängig sind, liess sich der Verein von dem Gedanken leiten, die Wohnhäuser in nicht zu grosser Entfernung von der Peripherie der Stadt anzulegen, da die örtlichen Verhältnisse von München, wo die sogen. englische Arbeitszeit noch wenig Verbreitung gefunden hat, es den Wohnungsinhabern wünschenswert erscheinen lassen, die Mittagspause zu Hause zubringen zu können und auch die Feierabendstunden durch zu grosse Wege nicht zu sehr verkürzt zu sehen. Ausserdem treten Ersparnisse an Fahrgeld ein. Der Verein hält die auf diese Art sich ergebenden Vortheile für zunächst schwerwiegender, wie die, welche sich aus dem Wohnen im freien Lande, aber in grösserer Entfernung von der Stadt ergeben.
Für sein erstes Bauunternehmen nun hat der Verein in günstiger Lage an der Lindwurmstrasse in München ein Gelände im Ausmaass von rd. 8400 qm für 275 000 M. erworben und seinen technischen Beirath, den Architekten Hrn. S. Langenberger, beauftragt, den beistehenden Entwurf zu verfassen. Das Gelände wird von der Daiser-, Oberländer- und Aberlestrasse begrenzt; auf ihm sollen 19 Wohnhäuser derart errichtet werden, dass die Gebäude sich um 2 Innenhöfe mit gärtnerischen Anlagen und eine 15,5 m breite Durchgangsstrasse, gleichfalls mit gärtnerischen Anlagen, gruppiren. Es entstehen zwei Hauptgruppen von Gebäuden: die eine, grössere Gruppe umfasst 12 Häuser, bedeckt 3100 cm Grundfläche und hat 1500 qm Hof- und Gartenanlage; die andere Gruppe umfasst 7 Häuser und bedeckt eine Fläche von 1700 qm, dazu 1000 qm Hoffläche. Es ergiebt sich somit eine bebaute Fläche von insgesammt 4800 qm, bei 3600 qm freiem Raum für Hof, Garten und Durchgangsstrasse. Die Bebauung ist als offene mit Erd-, drei Ober- und einem Dachgeschoss gedacht. Um der Durchgangsstrasse den privaten Charakter zu wahren, ist ihre Einmündung in die Daiser- und die Aberlestrasse mit je einem terrassenförmigen Zwischenbau überbaut. In diesen Zwischenbauten liegen 4 geräumige Ladenlokale. Die Gesammtanlage wird nach ihrer Fertigstellung enthalten: eine Restauration, 5 Verkaufsläden und 275 Wohnungen. Diese zerfallen in 117 zweiräumige, 150 dreiräumige und 8 vierräumige Wohnungen. Die Grösse einer zweiräumigen Wohnung, die aus 1 Wohnzimmer, 1 Kochzimmer (zugleich Küche) und 1 kleinen Kammer, sowie Vorplatz und Abort besteht, ist mit 37 qm Nutzfläche und 108 cbm Nutzraum angenommen. Bei einer dreiräumigen Wohnung tritt zu den genannten Räumen noch ein Wohnraum, durch welchen sich die Nutzfläche auf 51 qm und der Nutzraum auf 148 cbm erhöhen.
Der Miethpreis ist für den Wohnraum und Monat mit 8,5-9 M. festgesetzt; grössere Räume bedingen einen verhältnissmässigen Zuschlag. Es sei noch erwähnt, dass jede in sich geschlossene Wohnung Wasserleitung und Wasserspülung besitzt, dass darin nach den Strassenseiten nach Thunlichkeit offene und nach den Gartenseiten für die Küchen oder Kochzimmer geschlossene Balkone angeordnet sind. Jedes der 19 Häuser besitzt ausserdem eine gemeinschaftliche Waschküche und einen gemeinschaftlichen Baderaum. Die gesammten Baukosten der bereits begonnenen Häusergruppe sind mit 1 400 000 M. veranschlagt.
Es sei wiederholt, dass die einzelnen Wohnungen dem, der sich auf ihre Benutzung durch entsprechende Einzahlungen ein Anrecht erworben hat, weder gekündigt, noch im Miethpreise gesteigert werden können, sofern die Vertragsbedingungen eingehalten werden. Wie der Entwurf zeigt, ist die Gesammtanlage im Grundriss wohl gruppirt und stellt sich auch in ihrem Aufbau als eine den berüchtigten Kasernenstil glücklich vermeidende Wohnungsgruppe dar. In der Durcharbeitung der einzelnen Grundrisse will es uns scheinen, als ob noch nicht das letzte Wort gesprochen sei; am besten haben uns die Eckgrundrisse mit den im Polygon gebrochenen Treppen gefallen; hier scheint uns auf die Zugänglichkeit jedes einzelnen Raumes oder doch auf die Möglichkeit einer solchen, sowie auf die Anlage der Aborte mehr Sorgfalt verwendet zu sein, wie bei den übrigen Grundrissen.
Dem Vereine ist die Abgabe von Baugründen im ungefähren Ausmaasse von 10 00 qm seitens der Stadtgemeinde München auch für den Nordwesten und den Osten der Stadt zugesagt, sodass er glaubt, seine segensreiche Thätigkeit bald auch auf diese Stadttheile erstrecken zu können. –
Dieser Artikel erschien zuerst am 17.10.1900 in der Deutsche Bauzeitung.