Die Nachbildungen deutschen Silbergeräts für die Harvarduniversität

Aus dem Ratssilber von Lüneburg

Von Geh. Regierungsrat Professor Dr. Julius Lessing.

Es ist unvergessen, wie im Februar 1902 Prinz Heinrich von Preußen als Vertreter des Kaisers die Vereinigten Staaten von Amerika besuchte, und wie das Stammesgefühl von vielen Millionen Deutschen in gewaltiger Urkraft emporloderte, sich zu Huldigungen ohnegleichen steigernd.

Prinz Heinrich war zugleich Ueberbringer eines kaiserlichen Geschenks, das dem deutschen Gedanken eine feste Form geben sollte.

An einer der vornehmsten Stellen geistiger Bildung, in Cambridge Mass., nahe Boston, besteht das Harvard College, eine Universität, die ein Germanisches Museum gegründet hat, das bestimmt ist, das Material für die Kenntnis deutscher Kunst zu sammeln. Um dieses Museum würdig auszustatten, hat der Kaiser von den wichtigsten Monumenten alter deutscher Kunst Abgüsse herstellen lassen, eine Reihe, wie sie in gleicher Gute und Vollkommenheit nirgends sonst besteht.

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Das Geschenk, das 1902 zunächst in Photographien überreicht wurde, ist seitdem über den Ozean gegangen und in dem neuerrichteten Bau des Germanischen Museums aufgestellt worden. Den 10. November, den Geburtstag von Luther und Schiller, haben die deutschen Stammesgenossen gewählt, um den Neubau mit seinen Schätzen feierlich zu eröffnen.

An dem gleichen Tag wird diesem Hort deutschen Geisteslebens ein zweites Geschenk übergeben werden.

An die monumentale Skulptur der mittelalterlichen Kirchen sollte sich das Silbergerät des deutschen Bürgertums anreihen. Das Komitee, das in Berlin zusammentrat, umfaßte glänzende Namen deutscher Wissenschaft, Mommsen und Virchow an der Spitze. In einer einzigen Sitzung, über die nichts nach außen hin verlautete, war man sich einig über das, was geschehen sollte; in aller Stille, ohne irgendeinen öffentlichen Aufruf, waren von vaterländisch gesinnten, opferwilligen Männern und Frauen die für den Zweck erforderlichen, recht erheblichen Mittel gesammelt; an der Spitze standen die Herren Ministerialdirektor Althoff, der Generaldirektor der Königlichen Museen Schöne, der Direktor der Deutschen Bank Gwinner und der Direktor des Königlichen Kunstgewerbemuseums Lessing; durch das Kunstgewerbemuseum wurden die Stücke ausgewählt, gesammelt, neu bestellt und alles zu Ende geführt.

Jetzt sind die fünfundfünfzig Stücke beisammen, die demnächst über den Ozean gehen werden. An dem Festtag des Germanischen Museums fern in Boston sind die Stücke in feierlicher Weise vor geladenen Gästen im Kunstgewerbemuseum öffentlich ausgestellt worden, um alsdann nach kurzer Frist übersandt zu werden.

Um diesen in hellem Glanz des Goldes erstrahlenden Schatz köstlichen Gerätes herzustellen, bot die Galvanoplastik das unvergleichliche Mittel. Mit der Entstehung unserer Kunstgewerbemuseen war das Bestreben aufgetaucht, durch solche Nachbildungen, die Kopien von täuschender Aehnlichkeit geben, ein Studienmaterial für weite Kreise zu bieten. London, Paris, Wien, Nürnberg, Budapest hatten wichtige Kollektionen von Nachbildungen geschaffen. Berlin ist seit 1875 in die Reihe getreten und hat es sich zur Aufgabe gestellt, solche Nachbildungen unter Zuhilfenahme künstlerischer Handarbeit zur höchsten Vollendung zu steigern. Die hier gefertigten Nachbildungen des Lüneburger Ratssilbers sind von den Originalen ohne eingehende Prüfung nicht mehr zu unterscheiden.

Aus dem Ratssilber von Lüneburg
Aus dem Ratssilber von Lüneburg

Durch diese Vorarbeiten war ein Stamm gegeben; aus den verfügbaren Kopien wurde nur das Beste ausgewählt und ausschließlich deutsche Arbeiten, die in ihrer Zusammenstellung ein geschlossenes Bild der ganz eigenartigen altdeutschen Goldschmiedekunst darbieten.

Um dieses Bild auszugestalten, genügte aber das vorhandene Material nicht. Ganz besonders wichtige Stücke in deutschen Schatzkammern waren bisher niemals für ein Nachbildungsverfahren hergegeben worden, und hier setzte nun die besondere Arbeit ein, gerade diese Stücke frei zu machen. Ermöglicht wurde es vor allem durch das großmütige Vorgehen des Deutschen Kaisers, der die Schätze seiner Vorfahren im Königlichen Schloß zur Verfügung stellte, und ihm schlossen sich die Fürsten und die Kunstsammlungen von ganz Deutschland an. Aus den Schlössern des Königs von Württemberg, des Großhherzogs von Schwerin, des Herzogs von Anhalt, aus den königlichen Sammlungen von München, von Dresden, aus dem Besitz von Nürnberg, von Frankfurt a. M. kamen die kostbarsten, bis dahin unzugänglichen Stücke, so daß diese fünfundfünfzig Meisterarbeiten ein geschlossenes Bild von größter Pracht und Schönheit hergeben, ein Bild, wie es nicht hätte geschaffen werden können, wenn nicht die Größe der Aufgabe und der ganz besondere Anlaß die Bedenken und Rückhalte weggeräumt hätte. Handelte es sich doch um Stücke im Wert von Hunderttausenden, die dem Transport, dem Museum und den Werkstätten anvertraut werden mußten.

Bei dieser Sammlung handelt es sich nicht bloß um eine historische Darstellung der Goldschmiedearbeit. In diesen Pokalen, wie sie jetzt reihenweise dastehn, spiegelt sich ein merkwürdiges Stück deutschen Geisteslebens seiner glanzvollsten Zeit.

Bis in das Ende des Mittelalters hinein steht die Kirche und ihr Bedarf an der Spitze des Kunstlebens. Dann setzt das Bürgertum ein, die Reformation scheidet den Reliquiendienst aus, dessen vielgestaltige Ansprüche bisher die reichsten künstlerischen Aufgaben gegeben hatten.

Nunmehr gehört die Kunst dem starken lebensfrohen Bürgertum; der Goldschmied arbeitet für die Städte, die Zünfte, die Innungen. Wie sich früher die Schatzkammern der Kirchen füllten in frommer Dankbarkeit für genossene Gnaden, so füllen sich jetzt die Festsäle der Rathäuser in stolzem Gedenken gemeinsamer Arbeit. Zu jedem Fest des 16. Jahrhunderts gehört fröhliches Gelage und vor allem der Ehrentrunk, der in reich geschmücktem Pokal dargebracht wird. Die Pokale des Ratssilbers sind kein gewöhnliches Gerät. Wenn ein Bürger in städtischen Ehrenämtern gestanden hat, so stiftet er einen Pokal; dieser Gebrauch wird zum Gesetz, das „Herwedde“; aus dein Nachlaß eines vornehmen Bürgers geht ein erlesenes Stück in den Besitz der Stadt über, oder es wird von den Erben eine Summe angewiesen, aus der ein Stück beschafft wird; ein Fürst, der auf seiner Reise von der Stadt beherbergt wird, stiftet ein Stück in das Ratssilber und empfängt ein Gegengabe; wichtige Ereignisse, selbst religiöser Art, werden in der Ausschmückung eines Pokals dem Andenken überliefert.

Die Nachbildungen deutschen Silbergeräts für die Harvarduniversität
Die Nachbildungen deutschen Silbergeräts für die Harvarduniversität

Von dem ganz eigenartigen Geistesleben des Mittelalters, dieser Mischung von altreligiösem Empfinden mit klassischer Bildung, von dem Bürgerstolz und vielseitigem Betrieb deutscher Städte gibt das übersichtlichste Bild das Lüneburger Ratssilber (seit 1873 im Besitz des Berliner Gewerbemuseums), das deshalb mit 17 Stücken in die Sammlung für das Germanische Museum aufgenommen ist. Wir sehen hier die rein gotische Form aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, die Buckelung mit den scklanken, ineinandergreifenden Fischblasenformen an Körper, Fuß und Deckel. Wir sehen, wie die Buckel beibehalten, aber nebeneinander gesetzt werden, wie die Einschnürung in der Mitte des Bechers zu einem geschmückten Band, wie der Fuß zu einem antikisierenden Kandelaber wird. Dann haben die reiche Mannigfaltigkeit der Formen bis zu dem hohen Doppelbecher; außer den Pokalen dann noch die sonst fast nirgends erhaltenen großen und kleinen Konfektschalen, die Löwen in Form der altkirchlichen Aquamanilen als Gußkannen für das Händewaschen nach der Mahlzeit, dazu die großen Schüsseln mit geschmücktem Rand.

An diese wichtigste Gruppe schließen sich dann, von andern Stellen herrührend, Prachtstücke ersten Ranges, ausgesucht mit der Absicht, nicht nur die wichtigsten Formen, sondern auch die wichtigsten Kunstorte und Meister vertreten zu sehen. Für den Hauptmeister von Nürnberg, Wenzel Jamnitzer, tritt der Kaiserpokal ein, gefertigt um 1570, den der Deutsche Kaiser aus seinem Schatz hergeliehen. Auf dem Deckel erscheint Kaiser Maximilian II. mit deutschen Fürsten, auf dem Körper die Wappen deutscher Städte. Den andern Großmeister Hans Petzolt von Nürnberg vertritt der Nautiluspokal des Königs von Württemberg, zugleich das schönste Beispiel der phantastischen Verwendung der edlen Nautilusmuschel. Die beiden größten Stücke sind der Landschadenbund von Graz, der die Augsburger Arbeit darstellt, und der unvergleichliche Pokal, den Kaiser Friedrich III. und König Mathias Korvinns 1462 nach Wiener Neustadt gestiftet haben, zugleich das älteste Beispiel dieser rein weltlichen Riesenpokale.

Aus Dessau kommt ein sittengeschichtlich interessantes Stück, ein mächtiger Pokal, den ein Fürst von Hessen 1571 infolge einer Wette über Regeln des Kartenspiels „das Prünieren“ in zwei Exemplaren, eins für sich und eins für den Fürsten von Anhalt, anfertigen ließ.

Wie lange diese Sitte vorhielt, zeigt der Pokal der Stadt Köln um 1710, mit den Figuren aller städtischen Heiligen geschmückt, jetzt im Besitz des Kaisers.

Für die beliebte Kannenform, auch ein Trink-, nicht Gußgerät, hat der Herzog von Mecklenburg das herrliche Exemplar von Schwerin (von 1590) hergeliehen mit der folgenden prächtigen (niederdeutschen) Inschrift:

Drinck und iß. Gottes nicht vergiß,
Bewahr dein Ehr. Dir wird nicht mehr
Von dieser Habe, denn ein Tuch zum Grabe.

Die Nachbildungen deutschen Silbergeräts für die Harvarduniversität
Die Nachbildungen deutschen Silbergeräts für die Harvarduniversität

Ganz besondere Gruppen bilden die Silberschätze der Innungen, die jetzt fast ausnahmslos in der Welt zerstreut sind.

An der Spitze stand die Goldschmiedeinnung von Nürnberg, in deren Besitz sich die Meisterstücke der neu eintretenden Meister befanden, sämtlich in vorgeschriebener Form, Becher in Gestalt von Akeleiblüten, von denen wir zwei der Sammlung einverleibt haben. Von den Frankfurter Silberschmieden stammt der äußerst feine Becher von 1602 mit Darstellung der Schmiedewerkstatt. Der Becher der Bankmetzger von Augsburg ist jetzt eins der herrlichsten werke im Bayrischen Nationalmuseum; die Frankfurter Metzger haben als Trinkgerät einen springenden Stier. Alle diese Stücke sind jetzt zum erstenmal nachgebildet worden. Bekannter ist der Zunftbecher der Schneider von Nürnberg in Form eines Fingerhuts, auf der Spitze des Deckels ein Amor mit der Nadel als Waffe.

Die Tiere in Silberarbeit, die wir so häufig finden, sind nicht Tafelaufsätze, wie sie zumeist genannt werden, sondern Trinkgeräte mit abnehmbarem Kopf. Aus dem Rathaus zu Erfurt stammt der zierliche Sturzbecher von Nürnberger Arbeit 1566 mit der Inschrift:

Ein frumb Weib ist dem Hause ein Eer,
Die ihren Mann erfreuet sehr,
Die den Wein im Willkumb bedeut,
Der auch dem Mann sein Hertz erfreut.

Eine andere Form zeigt die Hausfrau mit erhobenen Armen, der weite Rock bildet den großen Becher, zwischen den Armen ist der kleine Becher beweglich; der Kavalier füllt beide Becher, leert den größeren, ohne etwas zu vergießen, und reicht den kleineren seiner Dame.

Der Kreis phantastischer Formen wird sehr reizvoll erweitert durch die Verwendung seltener Naturprodukte, vor allem des Nautilus. Zu dem schon erwähnten von Stuttgart tritt das herrliche Werk im Grünen Gewölbe in Dresden, das früher als eine Arbeit des Cellini, jedenfalls aber als ein Hauptwerk italienischer Renaissance angesprochen wurde. Jetzt wissen wir, daß es die Arbeit eines Berliner Goldschmieds, Bernhard Quippe, um 1720 ist, ein Werk von solchem Adel der Formen, daß man ohne weiteres an Schlüter gemahnt wird.

Die Nachbildungen deutschen Silbergeräts für die Harvarduniversität
Die Nachbildungen deutschen Silbergeräts für die Harvarduniversität

Neben den großen Prachtstücken für Rathaus und Zunftstube hatte das 16. Jahrhundert noch in großen Mengen einfacheres Gebrauchsgerät für das bürgerliche Haus. Bei der Geldknappheit jener Zeit war das Silbergerät eine Art von Notgroschen, wie man in diesem Sinn bis heute als Patengeschenk silberne Becher gibt, die sonst nicht mehr im Gebrauch sind.

Als formal und sachlich gleich anziehendes Stück haben wir der Sammlung den Becher eingereiht, den die Stadt Wittenberg 1525 dem Dr. Martin Luther zum Hochzeitsgeschenk gemacht hat; jetzt im Besitz der Universität Greifswald.

Neben den Bechern, die weitaus die größte Menge allen alten Bestandes ausmachen, waren im Silbergerät noch besonders beliebt die Kannen und Becken, die zum Uebergießen der Hände nach dem Essen dienten. Aß man doch noch ohne Gabeln. Alte Stücke dieser Art werden jetzt meist als Taufkannen und -schüsseln bezeichnet und dienen auch häufig als solche, aber erst, nachdem sie in häuslichem Gebrauch gestanden hatten. Die Sitte reicht bis in das 18. Jahrhundert die Sammlung enthält ein Paar des 16. und eins des 18. Jahrhunderts.

Ein sehr elegantes Schmuckstück der Tafel sind die flachen Schalen von mäßigem Umfang auf schlankem Fuß. Das schönste Stück dieses Typus in unserer Sammlung befindet sich im Louvre und gilt, viel bewundert, als eins der edelsten Stücke italienischer Renaissance und hat unendlich vielen modernen Arbeiten als Vorbild gedient. Auch dieses ist jetzt endgültig als Arbeit von Augsburg erkannt.

Aus dem Ratssilber von Lüneburg
Aus dem Ratssilber von Lüneburg

Im Lauf des 17. und 18. Jahrhunderts tritt das Silber als Trinkgerät zugunsten des Kristallglases zurück, der Pokal bleibt nur noch als symbolisches Gerät stehen, die silbernen Kannen und Schüsseln werden zum Wandschmuck, wie an den Prachtbüfetten des Königlichen Schlosses zu Berlin, wo sie in zentnerschweren Massen aufgehäuft sind. Der Kaiser hat auch die Nachbildung eines dieser Stücke gestattet, einer Feldflasche scheinbar zum Umhängen, aber von so monumentaler Größe, daß die Benutzung völlig ausgeschlossen ist. Es ist nur noch Ziergefäß.

So endet diese herrliche deutsche Goldschmiedekunst, die, auf dem Boden altkirchlicher Kunst erwachsen im Bürgertum des 16. Jahrhunderts zu höchster Kraft erstarkt war, in höfischer Pracht.

Der Sammlung, die wir hergestellt haben, sind von den Vorläufern bürgerlicher Kunst nur einige Stücke kirchlichen Geräts hinzugefügt, zwei Kelche, die für die Formenentwicklung des späteren Pokals wichtig sind. Den Grundzug des Ganzen bildet der Pokal, der Willkomm des deutschen Bürgertums, der in prächtiger Entfaltung den Deutschen jenseits des Ozeans von den Brüdern des alten Stammlandes dargeboten wird.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 47/1903.