Die Wiederherstellung des Metzer Domes

IV. Der neue Ausbau der Westfront
Der Aufsatz schliesst an die Mittheilungen sich an, welche im Jahrg. 1891 d. Bl. (S. 85, 98, 465, 489 u, folg.) über die Wiederherstellung des Metzer Domes durch Dombaumeister Paul Tornow erschienen sind. Es war beabsichtigt, denselben schon in jenem Jahre eine Wiedergabe des Entwurfs zur Neugestaltung der Westfront anzureihen, als sich der Dombaumeister dafür entschied jenen ersten Entwurf fallen zu lassen und die Aufgabe aufgrund neuer sorgfältiger Studien noch einmal zu bearbeiten, Unter diesen Umständen erschien es zweckmässig, mit der Veröffentlichung so lange zu warten, bis eine endgültige Festsetzung erfolgt und die Ausführung in Angriff genommen war.

Neben der vorläufig noch vertagten Errichtung des zur Bekrönung des Baues bestimmten Dachreiters über der Vierung, welcher – wie in Paris und Amiens – als Ersatz eines die Anlage beherrschenden Hauptthurmes dienen soll, ist die zurzeit in Ausführung begriffene Neugestaltung der Westfront weitaus die wichtigste der zur Wiederherstellung und Vollendung des Metzer Domes erforderlichen Arbeiten. Denn sie soll die äussere Erscheinung desselben nicht nur zum harmonischen Abschluss bringen, sondern ihr geradezu das entscheidende Gepräge verleihen. Man darf sich daher nicht wundern, wenn Meister Tornow es mit dem Entwurfe zu dieser künstlerischen Schöpfung, die vermuthlich das Hauptwerk seines Lebens bleiben wird, ganz besonders ernst genommen und unermüdlich verschiedene Lösungen versucht hat, bis er endlich überzeugt war, das Rechte gefunden zu haben.

Von grossem Interesse für die Fachgenossenschaft dürfte es aber sein, diese allmählichen Wandlungen des Entwurfes wenigstens in den Hauptzügen kennen zu lernen.

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Von dem bisherigen Zustande der Westfront giebt die beistehende Ansicht eine wohl ausreichende Vorstellung. Indem für denjenigen, der sich mit den bezügl. Verhältnissen etwas näher bekannt machen will, auf die in unserem ersten Aufsatz (No. 15, Jahrg. 91) gegebene kurze Baugeschichte des Domes verwiesen wird, sei hier lediglich daran erinnert, dass diese in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erbaute Front – ursprünglich die Seitenfront der im Zusammenhange mit dem Dom neu errichteten, aber selbständigen Kollegiat-Kirche „Notre Dame la Ronde“ – erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts freigelegt ist und für die äussere Ansicht des Bauwerks zur Geltung kommt. Bis dahin wurde sie in ihrem unteren Theile durch den anstossenden alten Bischofspalast verdeckt, von dem nur eine kleine Pforte in das Innere der Kirche führte. Das grosse Fenster des Mittelschiffs mit seiner prachtvollen Rose, das – wie die übrigen Fenster des Domes – im Triforium sich fortsetzt, hatte natürlich auch im Aeusseren eine entsprechende architektonische Durchbildung erfahren; auch die Gliederung der Strebepfeiler und das Hauptgesims sind wie sonst durchgeführt. Ueber dem letzteren war der Dachraum zwar mit einem Giebel geschlossen, während die östlichen Querschiff-Flügel des Domes bekanntlich abgewalmt waren, doch war dieser Giebel, in den später eine Uhr eingesetzt wurde, nur als einfache glatte Mauer gestaltet.

Nachdem in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts eine Vereinigung der beiden bis dahin durch eine Zwischenwand getrennten und in verschiedener Fussbodenhöhe liegenden Kirchen erfolgt und etwa gleichzeitig der Bischofspalast zum Abbruch gelangt war, lag es nahe, dem Dom einen Eingang von Westen her zu geben, der naturgemäss nunmehr als Haupteingang ausgestaltet werden musste. Indessen scheint man sich mit der Lösung dieser Aufgabe nicht gerade beeilt, bezw. zunächst mit vorläufigen Anordnungen sich begnügt zu haben; denn erst i. J. 1744 gab eine gefährliche Erkrankung des Königs Ludwig XV., von der er während eines Aufenthaltes in Metz befallen wurde und wieder genas, dem Domkapitel den Anstoss zu dem Beschluss, das neu zu erbauende Westportal zugleich zu einem Denkmal für diese glückliche Errettung des Monarchen zu weihen. Es währte jedoch noch 2 Jahrzehnte, bis der zu diesem Zwecke im Auftrage des Königs durch seinen Architekten Blondel (d. J.) aufgestellte Entwurf zur Ausführung gelangte. Einer Beschreibung der (auf S. 5 auch im Grundriss dargestellten) Anlage, die früher noch von 2 Wohnhaus-Pavillons eingeschlossen wurde, bedarf es hier wohl eben so wenig, wie einer ins Einzelne gehenden Kritik derselben.

Ein echt akademisches Werk von trockener Erfindung, in dem bereits die Bestrebungen des wieder erwachenden Klassizismus zum Ausdruck kamen, stand es nicht nur zufolge seiner Formengebung, sondern vor allem durch die Wahl seines Maasstabes in grellem künstlerischen Gegensatz zu der Stelle, für die es bestimmt war und die es durch 134 Jahre behaupten sollte.

Die bei Aufstellung eines Entwurfes für die Neugestaltung der Westfront des Domes zunächst zu entscheidende Frage, ob jenes Blondel’sche Portal beizubehalten oder zu entfernen sei, konnte daher ohne weiteres in letzterem Sinne beantwortet werden. Hr. Tornow weist in seiner Denkschrift vom Jahre 1890 eingehend nach, dass weder künstlerische, noch kunstgeschichtliche, noch endlich geschichtliche Gründe für die Erhaltung jenes Werkes sprechen, und es ist u. W. auch keine Stimme von Gewicht laut geworden, die für eine solche eingetreten wäre. Denn die Rücksichten der geschichtlichen Pietät, die in einem anderen, ähnlich liegenden Falle vielleicht doch über die künstlerischen Erwägungen gesiegt haben würden, hätten hier nur mit sehr geringem Erfolge geltend gemacht werden können, da nach sicheren Überlieferungen die Krankheit Ludwigs XV., an welche das Denkmal erinnerte, eine „galante“ war. Trotzdem hat Hr, Tornow versucht, das immerhin nicht unbedeutende Werk der Stadt Metz zu erhalten, indem er vorschlug, dasselbe an einen anderen Ort zu versetzen. Da diese sich jedoch weigerte, hierfür einen geeigneten Platz anzuweisen, so ist die Schöpfung Blondels rettungslos dem Untergang verfallen.

So war denn für die künstlerische Erfindung des Dombaumeisters freies Feld geschaffen. Und zwar galt es zunächst, ein neues monumental durchgebildetes Giebeldreieck, sodann ein neues, nach Maassstab und Reichthum der Ausgestaltung dem Range des Bauwerkes entsprechendes Hauptportal zu entwerfen, sowie endlich das an der Südecke des Mittelschiffs, zwischen Hauptportal und Liebfrauen-Portal liegende sogen. Uhrthürmchen im Anschluss an die neuen Theile mit einigen Ergänzungen zu versehen.

Erster Entwurf

Der betreffende, i. J. 1889 aufgestellte und in jener schon oben erwähnten Denkschrift veröffentlichte erste Entwurf hierzu, den der Verfasser übrigens ausdrücklich nur als eine vorläufige Skizze zur Beurtheilung der Gesammtanordnung betrachtet wissen wollte, ist auf S. 5 wiedergegeben.

Was den Giebel betrifft, so zeigen einige ältere Skizzen aus dem Jahre 1875, die jener Denkschrift beigefügt sind, dass es ursprünglich Absicht des Künstlers war, denselben ziemlich einfach zu gestalten.

Das von einer Kreuzblume bekrönte, auf den Schrägseiten mit Kantenblumen geschmückte Giebeldreieck, das damals noch der alten flacheren Dachlinie folgen musste, ist durch flache Blenden gegliedert. Nachdem das neue steilere Dach aufgebracht und die Fronten der Querschiff-Flächen mit reich entwickelten Giebeln bekrönt worden waren, war eine so einfache Lösung hier natürlich nicht mehr am Platze; es musste für die Hauptfront des Domes vielmehr eine Steigerung der künstlerischen Wirkung angestrebt werden. Diese ist dadurch erzielt worden, dass die beiden Hauptmotive der Querschiffgiebel (siehe Jahrg. 91 S. 469 d. Bl.) – die Anordnung einer kräftigen Blendarkatur am Giebelfusse einerseits und freistehender, die seitlichen Abdeckungen durchschiessender Fialen andererseits – mit einander vereinigt sind. Dass die früher stumpf abschliessenden Strebepfeiler im Zusammenhange mit der neuen Giebelarchitektur stilgerechte Bekrönungen enthalten mussten, war selbstverständlich. Ebenso hat Hr. Tornow Werth darauf gelegt, die an diesem Westgiebel seit alters befindliche Uhr zu erhalten und in die Architektur einzufügen; die beiden mittelsten Fialen sind zu diesem Zwecke durch eine Freibogen unterbrochen, der zwischen die nächsten Fialen sich entspannt. Umrahmung und Wimperg der Uhr liegen auf dem Grunde der Giebelmauer auf.

Für das Portal sind in jenen ersten Skizzen vom Jahre 1875 bereits verschiedene Lösungen versucht worden, für welche allerdings von vorn herein bestimmte Grenzen gesteckt waren. Denn wenn das Vorhandensein des ursprünglichen Fensters in der Frontmauer des nördlichen Nebenschiffs auf der einen, und des Uhrtürmchens auf der anderen Seite die Breitenentwicklung der neuen Portalanlage mit Nothwendigkeit auf die weite des Mittelschiffs einschränken, so war auch die Höhenentwicklung desselben daran gebunden, dass, um das Triforium des grossen Westfensters frei zu halten, der Scheitel der Portalhallen-Oeffnung nicht höher gelegt werden durfte, als die Sohlbank der Triforien-Gallerie.

Eine erste Skizze zeigt zwischen den ansehnlich verstärkten und mit ihrer Fialenbekrönung die grosse Rose des Westfensters einrahmenden Strebepfeilern eine dreitheilige offene Vorhalle mit einem hohen, die Brüstung der über ihr befindlichen Plattform durchschneidenden Wimperg über der grossen Mittelöffnung, welcher das. nach innen sich abschrägende zweitheilige Portal entspricht.

Bei 2 weiteren Skizzen, von denen die eine auf ein Hervorheben der Strebepfeiler verzichtet, ist eine einzige, von 2 Fialen-Pfeilern eingeschlossene Portalöffnung mit schrägen Laibungen angenommen – ein Motiv, das auch der Entwurf v. J. 1889 festhält, der jedoch in allen Einzelheiten wesentlich reicher gestaltet ist, als jene früheren Skizzen. Nicht nur dass die Strebepfeiler hier noch weiter vorgezogen und in 2 Absätzen mit Fialen bekrönt sind: auch die Fialen-Pfeiler, zwischen welchen der grosse Wimperg der Portalöffnung sich einspannt, sind nach aussen hin bis über die Strebepfeiler vorgeschoben, so dass zwischen ihnen ein Gewölbe eingefügt werden konnte und der Grundriss der ganzen Portalanlage nunmehr demjenigen des benachbarten etwas kleineren Liebfrauenportals sich nähert.

Die Veränderungen am Uhrthürmchen, das mit dem Giebel durch ein der Arkatur des letzteren entsprechendes Feld verbunden ist, bestehen einerseits in der Bekrönung desselben durch eine durchbrochene Helmspitze, andererseits in der Ummantelung seines kahlen und in schlechtem Zustande befindlichen unteren Theiles durch eine Architektur, welche bestimmt ist, zwischen dem neuen Westgiebel und dem Liebfrauen-Portal eine ästhetische Vermittelung zu bilden. Die Einzelheiten dieser Anordnung, ebenso diejenigen des Giebels und des Portals gehen aus den Abbildungen hervor.

Während die im Vorhergehenden geschilderte Entwurf-Skizze der preussischen Akademie des Bauwesens zur Beurtheilung vorlag, trat der Dombaumeister in Begleitung seines künstlerischen Gefährten Hrn. Dombildhauer Dujardin eine längere Studienreise nach Frankreich an. Das Ziel dieser Reise war vornehmlich darauf gerichtet, einen Anhalt für den Skulpturenschmuck des neuen Westportales zu gewinnen, der in jener Skizze nur flüchtig angedeutet worden war, ohne dass bereits eine Entscheidung über den Gedanken-Inhalt und die nähere Ausgestaltung dieses Werkes stattgefunden hatte. Diese Reise, über welche Hr. Tornow in No. 8/9 des Metzer Dombaublattes eingehend berichtet hat, erstreckte sich auf den grösseren Theil der Monate Oktober und November 1891 und war neben dem Skulpturen-Museum im Pariser Trocadero den mittelalterlichen Kathedralen in Teul, Chálons, Reims, Soissons, Paris, St. Denis, Troyes, Sens, Auxerre, Vézelay, Nevers, Bourges, Tours, le Mans, Chartres, Evreux, Rouen, Beauvais, Amiens, Noyon und Laon gewidmet, also den Hauptwerken der gothischen Bauschulen der Champagne, der Isle de France, Burgunds und der Normandie. Sie hat beiden Künstlern vollste Einsicht in das auf einer innigen Wechselwirkung zwischen Konstruktion und Dekoration beruhende Schaffen der Blüthezeit mittelalterlicher Kunst verschafft und überdies in einer Sammlung von Hrn. Dujardin meisterhaft ausgeführter Photographien einen Stoff von Abbildungen jener Bauten geliefert, wie er wohl an keiner zweiten Stelle vorhanden sein dürfte.

[Eine Veröffentlichung dieser Aufnahmen, die bei ihrer ganz ungewöhnlichen Schärfe jeden Grad der Vergrösserung gestatten, würde allen Kunstfreunden hoch willkommen sein, könnte aber wohl allerdings nur mit einer namhaften Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zustande kommen.]

Auch über die Art, in welcher man in Frankreich die Wiederherstellung alter Baudenkmale betreibt – nicht überall sind Bauhütten errichtet, sondern es werden stellenweise mit zweifelhaftem Erfolge Unternehmer beschäftigt – sind Erfahrungen gesammelt worden und ebenso hat es nicht an kunstgeschichtlichen Entdeckungen gefehlt. So hat es sich beispielsweise herausgestellt, dass bis zum Schlusse des XIII. Jahrh. die Kunst der Glasmalerei noch ausschliesslich von den Klöstern ausgeübt wurde, während die Bauten selbst schon längst von Laienbaumeistern errichtet wurden.

Das werthvollste Ergebniss, das diese Studienreise gezeitigt hat, war jedoch das unmittelbar für die Westfront des Metzer Domes gewonnene. Der Dombaumeister kehrte mit der Ueberzeugung zurück, dass er seine inzwischen von der Akademie des Bauwesens als Grundlage des in den Einzelheiten weiter auszuarbeitenden endgültigen Entwurfes genehmigte Skizze nicht aufrecht erhalten könne, sondern für das Westportal eine andere Lösung suchen müsse.

Ausschlaggebend war hierfür die Erkenntniss, dass die nach jenem Entwurfe zur Verfügung stehenden Wandflächen innerhalb der Portalhalle bei weitem nicht ausreichten, um an ihnen einen so grossen Reichthum figürlicher und szenischer Skulpturen zu entfalten, wie er erforderlich war, wenn das Werk auch nur annähernd den entsprechenden Schöpfungen des Mittelalters an die Seite sich stellen und ein entschiedenes Uebergewicht über das benachbarte Liebfrauen-Portal behaupten sollte. Erwünscht war es auch keinenfalls, dass die allgemeine Anordnung des neuen Portals mit derjenigen des letzteren übereinstimmte, ohne jedoch organisch aus dem Baukörper heraus zu wachsen, Und entlich erschien es zweifelhaft, ob der in jener Entwurfsskizze gewählte, mit der grossen Fensterrose übereinstimmende, mehr den Vertikalismus betonende Stilcharakter des XIV.

Jahrh. für das Portal berechtigt sei und ob es sich nicht vielmehr empfehle, für dasselbe die Formengebung der burgundischen Schule des XIII. Jahrh. durchzuführen, wie sie die das Portal umgebenden unteren Theile der Westfront aufweisen.

In diesem Sinne ging Hr. Tornow an eine durchgreifende Umarbeitung seines bisherigen Entwurfes, aus dem nur die Ergänzungen am Uhrthürmchen und die Neugestaltung des Giebels – letztere jedoch mit einer wesentlich reicheren, in die Flucht der Fialen vorgerückten Umrahmung der Uhr übernommen wurden, während das Portal eine völlig andere Form erhielt. Bereits im Juni 1892 konnte eine neue Entwurf-Skizze vorgelegt werden, die im März 1893 durch eine für die Weltausstellung in Chicago hergestellte, in den Einzelheiten einer weiteren Durcharbeitung unterworfene perspektivische Zeichnung ergänzt wurde.

Diese, zu welcher der S. 13 mitgetheilte Portal-Grundriss gehört, ist in unserer Bildbeilage wiedergegeben.

Der neue Ausbau der Westfront des Metzer Domes. Zweiter Entwurf 1892-93

Wie hieraus zu ersehen ist, hat der Dombaumeister auf seine ersten schon i. J. 1875 zu Papier gebrachten Gedanken zurück gegriffen und das Portal als eine offene Vorhalle gestaltet, deren geschlossene Seitenwände durch Vorziehung der beiden Strebepfeiler der Front gebildet werden, während an der Vorderseite eine grosse Mittelöffnung und zwei kleinere schräg gestellte Seitenöffnungen sich befinden. (Es sind dieser Grundrisslösung übrigens mannichfache Versuche voraus gegangen. In der ersten Skizze vom Juni 1892 schliesst die Portalhalle seitlich mit je 3 Seiten eines Achtecks, von denen 2 geöffnet sind, hat also im ganzen 5 Oeffnungen. Später ist der seitliche Gewölbeabschluss nach 3 Seiten eines Sechsecks bewirkt, wodurch die Mittelöffnung verkleinert und damit die Höhe des Portals eingeschränkt wurde. Die ursprünglich auch bei dieser Anordnung noch fest gehaltene Durchbrechung der Seitenwände in ihrem vordersten Theil ist schliesslich unterdrückt worden, was den ausserordentlichen Vortheil mit sich brachte, dass die äusseren Strebepfeiler des Portals nunmehr in gleichem Winkel wie die mittleren angeordnet werden konnten und die Bildung windschiefer Flächen in Wegfall kam.) Die Bögen über den Oeffnungen sind mit Wimpergen gekrönt, von denen der mittlere statt eines Maasswerks, wie im ersten Entwurf, eine in einen Dreipass ein geschlossene Figurengruppe enthält. Ueber den Strebepfeilern, zwischen welche die Oeffnungen sich einspannen, erheben sich Fialen; grössere Fialen, die jedoch nicht so hoch hinaufgehen wie im ersten Entwurf, sondern ihre Zugehörigkeit zum Portal nicht verleugnen, sind den beiden Hauptstrebepfeilern der Front vorgesetzt. Der Abschluss der Plattform über der Portalhalle ist durch eine reichere, die Fialen und Wimperge verbindende Arkatur bewirkt. Das Stilgepräge des Ganzen ist, wie schon oben erwähnt, das der burgundischen Schule des XIII. Jahrh. und nach Art der letzteren, insbesondere nach dem Vorbilde der Kathedrale von Auxerre, ist auch der Figurenschmuck der Portalwände geplant, der in 3 horizontalen Zonen oben grosse mit dem Körper der Säulenschäfte vereinigte Figuren unter Baldachinen sodann eine Blendarkatur mit figürlichen Darstellungen in starkem Relief und endlich zu unterst eine von Maasswerk eingerahmte Reihe szenischer Darstellungen in ganz shwachem Relief erhalten soll. Der Gedankeninhalt soll ganz demjenigen der Christus-Portale der französischen Kathedralen entsprechen, die in feststehender Anordnung au Pfeiler des zweitheiligen Portals die Figur des Erlösers, zu beiden Seiten in gleicher Höhe die Figuren der Apostel und im Bogenfeld über der Christusfigur eine Darstellung des jüngsten Gerichtes zeigen, während in den Bogenlaibungen, an den Sockeln und Basen der Strebepfeliern und auf den übrigen Flächen eine Fülle anderer Figuren und Szenen, zumeist aus dem alten Testament sich entwickelt. Besonders hervorzuheben ist an dem Entwurfe der Figurenschmuck der 4 Strebepfeiler: 4 sitzende Kolossalfiguren der grossen Propheten des alten Bundes und darüber die Standbilder der 4 Evangelisten des neuen Testamentes.

Das neue Westportal des Metzer Domes – In Ausführung befindlicher Entwurf

Nachdem dieser neue, zunächst gleichfalls nur als Skizze zu betrachtende Entwurf im Juni 1893 abermals der Akademie des Bauwesens vorgelegen hatte und von dieser gebilligt worden war, konnte nunmehr der Ausarbeitung des der Ausführung zugrunde zu legenden Planes näher getreten werden. Eine zweite grössere Studienreise nach Frankreich, die der Dombaumeister zu Beginn d. J. 1894 in Begleitung des Hrn. Dombildhauers Dujardin und seines ersten Assistenten Hrn. Arch. Schmitz unternahm und bei welcher gleichfalls eine Fülle werthvollster photographischer Aufnahmen gewonnen worden ist, führte wiederum zu einigen nicht unwesentlichen Aenderungen der Portal-Anordnung, bis endlich im Juni 1895 der Entwurf endgültig abgeschlossen wurde. Am 2. September 1895 genehmigte ihn S. Majestät der Kaiser während seines Aufenthaltes in Metz durch eigenhändige Unterschrift und unmittelbar darauf wurde in der Bauhütte des Domes sowie in der Bildhauer-Werkstatt des Domes mit den Ausführungs-Arbeiten zum Portal kräftig begonnen, während die Vorbereitungen zur Ausführung des bereits zu Anfang d. J. 1894 genehmigten Giebel-Entwurfes schon früher in Angriff genommen waren.

Giebel und Grundriss, zweiter Entwurf.

Da die Abweichungen des endgültigen Planes gegen den zweiten Entwurf nur Einzelheiten betreffen, so haben wir geglaubt, von einer vollständigen Darstellung desselben Abstand nehmen zu können, und geben auf S. 12 lediglich die der Werkzeichnung nachgebildeten, im Maassstabe mit den bezgl. Abbildungen des Querschiff-Giebels im Jhrg. 1891 S. 469 übereinstimmenden geometrischen Zeichnungen des neuen Westgiebels, sowie auf S. 13 einen Auf- und Grundriss des in der Ausführung begriffenen Portals. Zu den ersteren, welche im Anschluss an die Architektur der oberen Theile der Westfront die entwickelten Formen des XIV. Jhrh. zeigen, sind weitere Bemerkungen nicht erforderlich. Die Portalhalle ist noch mehr nach aussen vorgeschoben worden, als im Entwurf von 1892/93; gleichzeitig ist die Aussenwand des Mittelschiffs soweit verstärkt, dass die tiefe, für das Portal erforderliche Laibung innerhalb derselben gewonnen werden konnte, ohne dass man zu dem immerhin etwas gekünstelten Mittel einer Vorstreckung des Portals in den Kirchenraum zu greifen brauchte. Die äusseren Strebepfeiler der Halle wachsen in einfacher Weise aus dem Körper der als Seitenwände der letzteren vorgezogenen Haupt-Strebepfeiler der Front heraus. Die Kämpfer der so verbundenen Bögen sind so viel tiefer gelegt, dass auch der Mittelbogen noch als voller Spitzbogen gestaltet werden konnte; die mit Figuren-Bildwerk zu schmückenden Laibungen dieser Bögen setzen nunmehr auf je 2 an den Seiten der Pfeiler vorspringenden Diensten auf. Ist letzteres eine wesentliche und willkommene Bereicherung der Anlage, so sind dafür an anderer stelle nicht minder wesentliche Vereinfachungen bewirkt: die Flächendekoration der Wimperge ist – zum Vortheile des frühgothischen Gepräges derselben – auf je eine Füllung beschränkt, wobei die Figurengruppe des mittleren Wimpergs eine etwas veränderte Ausbildung erfahren hat. Auch die doppleten Figuren an der Aussenseite der Strebepfeiler sind aufgegeben; es sollen an ihnen nur die stehenden Figuren der grossen Propheten Platz finden, während statt der Gestalten der Evangelisten nur die Symbole der letzteren und zwar als Bekrönung der betreffenden Pfeiler-Fialen angeordnet werden sollen. Was den Skulpturenschmuck der inneren Hallenwände betrifft, so ist festgesetzt, dass die Laibung des Portals und es ihm verbleibenden Theile der Hinterwand den üblichen Schmuck eines Christus-Portales erhalten werden, während die beiden Seitenwände für selbständige Figuren-Cyklen bestimmt sind, deren Mittelpunkt die beiden Patrone des Domes, St. Stephanus und St. Paulus bilden sollen.

In den 3 Jahren, die seit Herbst 1895 verflossen sind, ist an der Arbeit rüstig geschafft worden; die Zahl der bereits fertig gestellten Figuren, die in den Schuppen der Dombauhütte lagern, ist allein schon eine so grosse, dass man nicht ohne Erstaunen sich fragt, wie dieselben in einem Bauwerk von doch nur mässigem Umfange untergebracht werden sollen.

Aber mit freudiger Bewunderung erkennt man auch in diesen neuesten Arbeiten von Herrn Dujardin, wie tief sich dieser in den Geist mittelalterlichen Kunstschaffens eingelebt hat, ohne doch dabei jemals in sklavische Nachahmung zu verfallen. Vielleicht ist seit den Tagen des Mittelalters kein Werk entstanden, bei welchem Architekt und Bildhauer in Können und Begeisterung für ihre Aufgabe einander gleich stehend, sich so in einander eingelebt haben, dass das aus ihren Händen hervorgegangene Werk als aus einem Geiste erschaffen – oder vielmehr geworden – sich darstellt.

[In einem Nachtrags – Artikel sollen später neben einigen weiteren Zeichnungen des Westportals in ihrer neuesten, von den hier vorläufig gegebenen Entwurfszeichnungen noch in einigen Punkten abweichenden Feststellung auch einige dieser Skulpturen mitgetheilt werden.]

Der im Frühjahr 1896 begonnene neue Westgiebel ist im Frühjahr 1898 zur Vollendung gelangt und rechtfertigt in seiner Erscheinung alle Erwartungen, die man nach dem (bei der Ausführung übrigens in einigen unwesentlichen Einzelheiten abgeänderten) Entwurf auf ihn setzen konnte. Da der etwa gleichzeitig mit dieser Fertigstellung des Giebels in Angriff genommene Abbruch des alten Blondel’schen Portals infolge der ganz aussergewöhnlich festen Struktur derselben sich etwas verzögert hat, so konnte mit dem Bau des neuen Portals, für welches S. M. der Kaiser inzwischen schon eine an der Laibung des äusseren linken Strebepfeilers inform einer Denktafel anzubringende Inschrift fest gesetzt hat, erst im Herbst 1898 begonnen werden. Die Ausführung dürfte sich trotz der weit vorgeschrittenen Vorbereitungen immerhin über einige Jahre erstrecken, so dass wohl keine Aussicht besteht, mit der Vollendung dieses wichtigsten der neueren Bautheile des Domes zugleich den bereits in das Jahr 1899 fallenden Abschluss der 25jährigen Thätigkeit des Dombaumeisters an demselben feiern zu können.

Seit unserem ersten Berichte ist von der Metzer Dombauhütte neben den vorbereitenden Arbeiten für den Ausbau der Westfront natürlich noch eine Reihe kleinerer Wiederherstellungs-Arbeiten ausgeführt worden, die wenigstens kurz erwähnt werden müssen. Die Instandsetzung der Hochschiffgewölbe und im Zusammenhange damit des Stab-und Maasswerks sowie der Verglasung der Hochschiffenster ist zu Ende geführt. Ebenso ist die Wiederherstellung der Strebebogen-Systeme, welche früher nur auf diejenigen des Langhauses sich erstreckt hatte, nunmehr auch am Chor und der Chorhaube erfolgt, wo besonders grosse Schäden vorlagen. In der Krypta haben die Arbeiten zur Instandsetzung der Gewölbe-Rippen und -Kappen, zur Verblendung der Wände mit Quadern, Neuverglasung der Fenster, Herstellung eines neuen Fussboden-Belages in farbigem Thon-Mosaik und Ausstattung der Kapellen mit steinernen Altären ihren Fortgang genommen. Das Dach der Sakraments-Kapelle ist in stilgemässer Ausstattung erneuert worden, ebenso die arg verstümmelte architektonische Umrahmung, der an der Umfassungswand des nördlichen Seitenschiffs schon vor 12 Jahren aufgedeckten Altarnische, unter welcher sich einst das Grab des in der zweiten Hälfte des 14. Jhrh. wirkenden Dombaumeisters Pierre Ferrat befunden hatte.

Grössere Bedeutung können die Arbeiten zur Wiederherstellung des offenen, mittleren Glockengeschosses am nördlichen Thurm des Domes, dem sogen. „Kapitelthurm“, beanspruchen. Hier galt es zunächst, die kolossalen Steinsäulen zu erneuern, welche die den Strebepfeilern nach aussen vorgesetzten, ähnlichen Bildungen am Dom zu Reims sehr nahe verwandten Baldachin-Fialen tragen, was nicht geringe Schwierigkeiten verursachte. Am Fusse des Geschosses ist statt der früheren offenen Verbindung zwischen den äusseren Pfeilern ein gedeckter Gang hergestellt, als oberer Abschluss des Geschosses aber ein Netzgewölbe eingespannt worden, für welches sich übrigens die Widerlagsteine am Kämpfer bereits eingemauert vorfanden. Auf dem Mittelpfosten der zweitheiligen äusseren Fenster-Oeffnung ist wiederum ein Kruzifix angebracht, wie es nach den vorhandenen Bossen am Pfosten und den Seitenwänden sowie nach einer erst neuerdings bekannt gewordenen Abbildung des Domes aus d. J. 1726 einst an dieser Stelle bestanden hatte.

Die von Hrn. Dujardin modellirte und gemeisselte Christusfigur, welche etwa dreifache Lebensgrösse (5,2 m) besitzt, ist von ergreifender Wirkung.

Gemäss einem Wunsche S. Majestät des Kaisers, welcher die Arbeiten am Dom mit lebhaftestem Interesse verfolgt, hat der Dombaumeister im Herbst 1893 eine Zusammenstellung der Kosten angefertigt, die für jene Arbeiten bereits aufgewendet waren und voraussichtlich noch erforderlich werden.

Danach war für die bis zu jener Zeit ausgeführten Arbeiten eine Summe von 1 388 200 M. ausgegeben worden, von der 372 000 M. auf die allgemeine Instandsetzung des Domes im Aeusseren und Inneren, 147300 M. auf die Wiederherstellung des Liebfrauen-Portals und 512 000 M. auf die Ausbesserung der durch den Brand von 1877 entstandenen Schäden, das neue Dach und die beiden neuen Querschiffgiebel entfallen.

Genaue, zum grösseren Theil bereits genehmigte Kostenanschläge lagen damals im Betrage von 184 300 M. vor, von denen auf den neuen Westgiebel 86 000 M. kamen.

Für die nächste Zukunft kommen sodann die Kosten der Ausstattung von 11 Hochschiff-Fenstern mit farbigen Glasmalereien (275 000 M.), eines neuen Chorgestühls (175 000 M.) und des neuen Westportals (750 000 M.) mit zusammen 1 200 000 M. inbetracht, während in weiterer Zukunft noch eine neue Mobiliar-Ausstattung (für etwa 200 000 M.), ein neuer Platten- Belag des gesammten Domes (für etwa 400 000 M.), der Dachreiter über der Vierung (für etwa 400 000 M.) und die Freilegung des Domes auf der Nordseite mit Anlage neuer Sakristei-Bauten (für etwa 300 000 M.), insgesammt also Arbeiten im ungefähren Kostenbetrage von 1 300 000 M. erforderlich sein werden. Die Gesammt-Ausgaben für die Wiederherstellung und Vollendung des Baudenkmals würden demnach auf die – im Verhältniss zu dem Range und Werthe desselben bescheidene – Summe von 4 067 500 M. sich stellen.

Vielleicht gelingt es jedoch, dieselben dadurch noch zu verringern, dass – wie in anderen deutschen Domen – für die Glasgemälde der Hochschiff-Fenster freiwillige Stifter sich finden.

Möge es den an der Spitze der Wiederherstellungs-Arbeiten stehenden Meistern, den Hrn. Tornow und Dujardin, vergönnt sein, das von ihnen bisher so glänzend durchgeführte Werk. auch zum glücklichen Abbschluss zu bringen. Da beide noch im rüstigsten Mannesalter und auf der Höhe ihrer Schaffenskraft sich befinden, liegt dieses Ziel nicht ausser dem Bereich der erlaubten Hoffnungen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1899 in der Deutschen Bauzeitung. Er war mit dem Kürzel “- F. -” gekennzeichnet.