Von B. Ohrt in Hamburg. Die im vorigen Jahre zu uns gelangten Berichte über die Hungersnoth und das daraus entstandene schreckliche Elend in Indien sind noch in aller Gedächtniss. Die Ursachen dieser von Zeit zu Zeit immer wiederkehrenden Hungersnoth sind eine oder mehre auf einander folgende Missernten gewesen, die wiederum stets die Folge anhaltender Dürre waren.
Uns liegt die Frage sehr nahe, wie es heute noch möglich ist, dass Missernten Hungersnoth hervorrufen können, wo doch Dampfschiffs-Verbindungen vollauf vorhanden sind, um das fehlende Korn nach den dortigen Hafenstädten zu bringen, wo Indien selbst von so vielen Eisenbahnen durchquert wird und von der englischen Regierung umfangreiche Versuche gemacht worden sind, der Noth rechtzeitig zu steuern. Von allen Seiten und, wie der diesjährige Bericht der Handelskammer uns sagt, auch von Hamburg sind bedeutende Mengen Reis nach Indien eingeführt worden, während noch 1892/93 der Werth der Reisausfuhr aus Indien auf etwa 250 Mill. M. angegeben wird.
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Betrachtet man aber alle mitwirkenden Umstände näher, so erkennt man doch, dass die Hilfe von aussen eine ungenügende und überhaupt nicht geeignet war, dem Elend zu steuern. Die Grösse von Indien wird auf 3 575 000 qkm mit etwa 290 Mill. Einwohnern angegeben, während Deutschland 540 500 qkm gross ist und etwa 48 Mill. Einwohner hat. Die Länderflächen verhalten sich also wie 6,6:1 und die Einwohnerzahlen etwa wie 6,3:1. Schlagintweit giebt in seinem Buche „Reisen in Indien und Hochasien“ von 1869 an, dass im Ganges- und Jamma-Gebiet sich das bebaute Land zu dem unbebauten verhält wie 100:84. Die Bevölkerung ist dessen ungeachtet, selbst auf das ganze Gebiet bezogen, eine dichte zu nennen; sie beträgt 100 Köpfe auf 1 qkm, eine Einwohnerzahl, wie wir sie nur in den Industriebezirken Deutschlands finden.
In den letzten 10 Jahren haben sich die Eisenbahnanlagen in Indien ausserordentlich vermehrt, sodass insgesammt 29 000km im Betrieb sein sollen. Hierbei genügt aber ein Blick auf die Karte, um zu zeigen, dass bedeutend grössere Länderflächen als z. B. Deutschland vollständig ohne Bahnanlagen sind. Liest man die Berichte der Reisenden, so ergiebt sich ferner, dass im Innern von Indien verhältnissmässig nur wenig Wege sind und dass diese Wege selten in gutem Zustande sich befinden. Dieselben sind im Gegentheil oft meilenweit vollständig zerstört und bleiben bei der Indolenz der Einwohner in diesem Zustande unberührt liegen.
Andererseits ist allgemein bekannt, dass in Indien vielfach die Industrie in ihrer Weise sich bis zu einer bedeutenden Höhe seit langer Zeit aufgeschwungen hat, wovon die in ihrer Art grossartig ausgeführten Tempel und Paläste, sowie die schönen Shawls und Teppiche usw. genügsam den Beweis liefern; dann aber giebt es wiederum auch unendlich grosse Bezirke, in welche eine Kultur von auswärts bisher nicht eingedrungen ist. In solchen Gegenden sind 4/5 der meistens sehr dichten Bevölkerung Ackerbautreibende mit den denkbar geringsten Bedürfnissen. Hier wird der Sohn das, was sein Vater und seine Vorfahren seit undenkbaren Zeiten gewesen waren, der Bauer, der sein Land mit Hilfe von Ochsen beackert. Keiner im Dorfe kommt über die Grenzen der nächsten Nachbarschaft hinaus und keine Zeitung bringt ihnen die Geschehnisse der Aussenwelt. Begreiflich ist, dass in solchen Ländergebieten die Bevölkerung von der Hand in den Mund lebt und dass hier Missernten stets eine Hungersnoth nach sich ziehen müssen. Unter den geschilderten Umständen ist es aber auch unmöglich, von aussen diesen Menschenmassen das nöthige Korn zu beschaffen und zwar um so weniger, als andererseits die Bevölkerung selbst keine Schritte thut, sich Lebensmittel heranzuholen, sondern fatalistisch das Unglück über sich ergehen lässt.
Ganz Indien ist, mit nur geringen Ausnahmen, ein ausserordentlich fruchtbares Land und es bildet der Ackerbau die Hauptbeschäftigung der gesammten Bevölkerung. So sollen von den auf 290 Millionen geschätzten Einwohnern etwa 170 Millionen Ackerbau treiben. Die hauptsächlichsten Erzeugnisse der Landwirthschaft sind Reis, Weizen und in der Nähe der Städte und der Küsten auch Zucker, Thee und Baumwolle. Bei der durchweg hohen Temperatur bedarf aber das Land, um überhaupt ertragsfähig zu sein, eine recht bedeutende Menge von Feuchtigkeit, welche durch die Niederschläge lange nicht immer genügend dem Boden zugeführt wird.
Weil als der Regen für den Hindu von der allergrössten Bedeutung ist, so lässt er auch den Anfang des Jahres zusammenfallen mit dem im Juli erfolgenden Eintritt der Regenzeit, die meistens 8 Wochen, also bis Ende August anhält. Dann folgt im September und Oktober die drückende feuchte Zeit nach dem Regen. November u. Dezember bilden die kühle Zeit, in der zuweilen Ende Dezember 8 – 14 Tage Niederschläge erfolgen. Im Januar und Februar treten die Nebel ein. Nun folgt der schöne Frühling im März und April und dann endlich die heisse Zeit im Mai und Juni.
Da die Reiskultur einen hohen Wärmegrad und eine beträchtliche Feuchtigkeit beansprucht (Reis ist bekanntlich eine Sumpfpflanze), so fällt die Aussaat mit dem Beginn der Regenperiode zusammen und es erfolgt die Ernte im Oktober und November. Treten genügende Niederschläge im Dezember ein, so erfolgt eine zweite Aussaat, deren Ernte dann wieder im März oder April beschafft wird. Unter normalen Verhältnissen rechnet man in 2 Jahren auf 3 Ernten.
An der Südseite des Himalaya und östlich des an der Westseite des Decan’s sich hinziehenden Ghatgebirges sind die jährlichen Regenhöhen durchschnittlich 124 cm, was für die Reiskultur vollauf genügend ist, im übrigen Vorderindien giebt es aber viele regenarme Gegenden, die oft weniger als 50 cm Regenhöhe haben, wie z. B. Haidarabad, Maissar, Puna, Belbari u. a. m.
Schlimmer aber als dieser grosse Regenmangel ist für das Leben und den Ackerbau die ausserordentliche Ungleichheit des Regenfalles in ganz Indien. So fiel im Jahre 1867 in Madras 206 cm und in Bangulur 163 cm, dagegen im Jahre 1876 nur 55 cm bezw. 44 cm Regen. Ferner kommt noch inbetracht, dass der Niederschlag nicht wie bei uns der sanfte und befruchtende, sondern nur allzu oft der schwere und wolkenbruchartige Regen ist, der dann, statt nutzbringend zu sein, nur zerstörend wirkt. Ein englischer Ingenieur, der bei Vermessungsarbeiten dort beschäftigt war, hat eine Regenhöhe von 17 cm in ¾ Stunden beobachtet. Dass aber wiederum der Boden bei dem dortigen Klima vollständig austrocknen muss, kann man sich vorstellen, wenn man bedenkt, dass in 10 Monaten, von September bis Juni einschliesslich, oft mit alleiniger Ausnahme einer kurzen Ausnahme einer kurzen Regenperiode um die Weihnachtszeit, kein Tropfen Regen fällt. Der Reisende Prof. Dr. Sievers sagt in seinem Buche über Asien an einer Stelle: „In der jetzigen Jahreszeit, Ende März, ist buchstäblich keine einzige frische Pflanze zu sehen. Aus dem langhalmigen Grase strecken die dürren Bäume ihre kahlen Aeste hervor und buschiger abgestorbener Bambus überzieht die Ränder der vielen ausgetrockneten Bachrinnen“. Wie mag es dort wohl ausgesehen haben nach dem nun noch nachfolgenden Monat April und den heissesten Monaten Mai und Juni? Aus all dem geht hervor, dass in Indien die künstlichen Bewässerungen für die Kultur des Bodens und für die Bevölkerung geradezu nothwendig sind. Die einfachste und in den nordwestlichen Provinzen noch jetzt vielfach angewandte Methode zur Bewässerung der Ländereien ist die Herstellung von Brunnen auf den Feldern. Aus diesen wird das Wasser von Menschen oder mit Hilfe von Ochsen herausgehoben und in kleine Bewässerungsgräben gegossen. Es sollen in dieser Weise im Tage mit 2 Mann 0,4 ha, mit 6 Mann und 3-4 Paar Ochsen etwa 8 ha bewässert werden können. Im allgemeinen ist diese Art der Bewässerung nicht sehr lohnend, weil die gleichgiltigen Indier solche Brunnen meistens nur flach und dann noch ohne Bekleidung herstellen, so dass dieselben bei der nächsten Regenzeit zusammenfallen. Nur selten findet man tiefere und ausgemauerte Brunnen. Schlagintweit giebt an, dass ihm vom Revenue-Departement angegeben sei, dass in der Provinz Allahabad auf 1 ½ Mill. Menschen 60 000 Brunnen kommen.
Ergiebiger und gebräuchlicher ist die Anlage von Teichen oder grösseren Reservoiren durch Aufstauung von Bächen oder kleineren Flüssen mittels Dammschüttung‚ um die hierdurch gesammelten Wassermassen durch besondere Kanäle nach den Feldern zu führen. Diese Arten von Bewässerung wurden schon seit Jahrtausenden von den Indern und ihren Fürsten ausgeführt. Ob die ersten Bewässerungsanlagen dieser Art vor der Einführung des Buddhismus, also 400 Jahre vor Christi Geburt, ausgeführt sind, ist nicht nachweisbar; wohl aber ist bewiesen, dass sehr bald nach Einführung dieser Religion die Priester Anleitung gaben, solche Anlagen auszuführen. Da den Anhängern des Buddhismus das Fleischessen verboten war, wurden sie von den Priestern auf die Reiskultur und somit auf die Bewässerungsanlagen hingewiesen, Eine grosse Anzahl solcher Anlagen sind bis in diese Zeit zurück zu führen. Als im 12. Jahrh. nach Christi Geburt die Invasion der Muhammedaner erfolgte, soll auch ein König Orissa eine grosse Menge Teiche angelegt haben. Im 14. Jahrh. war es der König Faroze Toghlak, der das Bas Muddak-Massoor-Reservoir erbaute, welches 1070 Mill. cbm Inhalt, bei etwa 30 m Tiefe, gehabt haben soll; dasselbe soll aber bald wieder zerfallen sein. In der Mitte des 16. Jahrh. stellte der König Akbar dieses Reservoir mit den Kanälen aber wieder her und sein Nachfolger Sha Jehan soll die Kanäle noch bedeutend erweitert, ja bis nach Delhi fortgeführt haben. Bei diesen Arbeiten sollen 1000 Aufseher zu Fuss und 500 zu Pferde die Aufsicht geführt haben.
Von vielen dieser und manchen noch später angelegten Bewässerungsanlagen sind nur noch Ruinen vorhanden und nur sehr wenige sind noch in Benutzung, die meisten sind nach und nach zerfallen. Mangelhafte Unterhaltung der Krone und der Ueberläufe, der Wehre, oder Quellen am Fusse der Dämme mögen Dammbrüche und so eine allmähliche Zerstörung vielfach hervorgerufen haben. Der grösste Verfall aller Bewässerungsanlagen rührt aber von den vielen Revolutionen und blutigen Kriegen her, von welchen ganz Indien in den vorigen Jahrhunderten fortwährend heimgesucht wurde, und endlich nicht am wenigsten von der angeborenen Gleichgiltigkeit der gesammten Bevölkerung. Kehrten die Völker nach lang andauernden Kriegen in die Heimath zurück, so wurden die während dieser Zeit verfallenen Anlagen nicht wieder hergestellt, man genügte sich mit den Resten der ursprünglichen Anlagen und mit dem wenigen Wasser, welches diese noch liefern konnten. Die Bewohner betrachteten das als ein ihnen auferlegtes Schicksal, gegen welches sich aufzulehnen nicht ihre Sache sei.
Die englisch-ostindische Compagnie, welche bekanntlich 1600 gegründet wurde und im Laufe des 17. und 18. Jahrh. sich fast über ganz Ostindien ausgedehnt und befestigt hatte, begann im Anfange dieses Jahrhunderts mit der Wiederherstellung der alten Bewässerungsanlagen sich zu beschäftigen und dieselben zu verbessern beziehungsweise zu ergänzen. Viel Gutes ist dadurch gestiftet worden, aber die gesammten wieder hergestellten Bewässerungs-Anlagen umfassten viel zu kleine Bezirke, um durch sie einen nur einigermaassen grösseren Nutzen zu erzielen. Dann kam noch hinzu, dass viele Einwohner sich die nun wieder hergestellten Bewässerungsanlagen gar nicht zu Nutzen machten, weil die englische Compagnie durch ihre andauernden grausamen Erpressungen von der gesammten Bevölkerung sehr misstrauisch angesehen wurde und dass sehr viele in der Abnahme des Wassers und in der Einführung der Wassertaxe nur wieder eine neue weitere Erpressung witterten.
Die ersten Arbeiten, welche einen namhaften Erfolg aufzuweisen hatten, wurden auf Anregung des englischen Obersten Colvın in Angriff genommen, nachdem die Dürre im Jahre 1837/38 die furchtbarste Hungersnoth in vielen Provinzen hervorgerufen hatte. Diese liess die grosse Wichtigkeit einer weit ausgedehnten Bewässerungsanlage erkennen, trotzdem aber bewilligte die Compagnie doch die nöthigen Gelder für die Vermessungen erst, nachdem der Verlust der Compagnie an Pacht und Abgaben sich für die Jahre 1837/38 auf 24-30 Mill. M. belaufen hatte.
Es handelte sich darum, den Ganges für eine Kanalanlage für die Landschaften Ober- und Nieder-Duab zu benutzen, die sich in südöstlicher Ausdehnung am rechten Ufer des Ganges in einer Länge von über 500 km hinziehen. Aber erst 10 Jahre nach der Hungersnoth, also im Jahre 1848, waren alle Vorbereitungen getroffen und besonders alle von der Compagnie entgegen gesetzten Schwierigkeiten von den englischen Ingenieuren überwunden, so dass nun endlich mit dem Bau begonnen werden konnte. Die Einweihung dieses ersten grossen Werkes fand nach 6jährigem Bau am 8. April 1854 statt. Die Kunde von der bevorstehenden Eröffnung war durch Wallfahrer weit verbreitet und so waren 500 000 Menschen zusammengekommen, um Augenzeuge dieses grossen Ereignisses zu sein. Sikhs, Bengslen, Rohillas, Afghanen, Mahrattas, Perser, Tartaren, Hindus, Buddhisten, Parsis, Muhammedaner, Juden, indische Christen und Engländer kamen zusammen und gaben ein wundersames Bild ab, und trotzdem die fanatischen Priester die Ableitung des Ganges als einen himmelschreienden Frevel dargestellt hatten, verlief das Fest doch, ohne den geplanten Aufstand hervorgerufen zu haben.
Der Anfangspunkt des Kanals ist Maiapur, nahe vor dem Eintreten des Ganges in die hindostanische Ebene. Der Ganges hat hier einen Wassergehalt von 230 cbm in der Sek., von denen für den Kanal 190 cbm entnommen werden. Die Hauptlinie des Kanals ist fast 500 km lang und fliesst bei Kanhpur mit sehr vermindertem Wassergehalt wieder in den Ganges. Die Gesammtlänge der Nebenkanäle beträgt über 1450 km. Bei dem Beginn ist der Hauptkanal 43 m breit und 3 m tief. Der Flächenraum, welcher durch diese Anlage bewässert werden kann, ist 18 000 qkm, Natürlich mussten bedeutende Bauwerke ausgeführt werden, um Bäche und Flüsse kreuzen zu können; das bedeutendste ist die Ueberschreitung des Solaniflusses mit 15 Bögen zu je 15,5 m Spannweite.
Die bis zu dieser Zeit imganzen verausgabten Gelder für Bewässerungsanlagen werdet auf etwa 17 Mill. M. angegeben und da nun das bisher gezeigte Misstrauen der Inder allmählich schwand, so wurden nicht allein der Gangeskanal, sondern auch die übrigen Anlagen mehr und mehr in Benutzung genommen, so dass schon nach 2 Jahren für die Gesammtanlagen ein reiner Ueberschuss von etwa 1 240 000 M. angegeben wird, der sich von Jahr zu Jahr steigerte.
Als nun im Jahre 1838 nach der Unterdrückung des gewaltigen Aufstandes die ostindische Compagnie aufgelöst wurde und ihr ganzer Länderbesitz in die Hände der englischen Regierung überging, wurde von dieser die Bewässerungsfrage ebenfalls mit grosser Thatkraft aufgenommen. Man machte Vermessungen, genaue Untersuchungen über die zur Verfügung stehenden Wassermengen und stellte die bestehenden Rechte der Grundeigenthümer fest. Zugleich war man aber auch eifrig bestrebt, verfallene Reservoire wieder herzustellen und dieselben den bestehenden Verhältnissen anzupassen.
Sobald die Entwürfe festgestellt und die Gelder von der Regierung bewilligt waren, begann man auch mit den Arbeiten neuer Anlagen, leider jedoch nicht immer mit den nöthigen Arbeitskräften. Als nun aber 1865/66 wieder eine verheerende Hungersnoth ausbrach, suchte die englische Regierung den Indern dadurch energisch zu Hilfe zu kommen, dass die begonnenen Arbeiten auf das Eifrigste betrieben wurden.
In allen von der Hungersnoth betroffenen Provinzen begann man ausserdem grosse Reservoire mit den zugehörigen Kanälen zu bauen, so dass man am Ende des Jahres 1866 etwa 10 Millionen und 1867 rd. 13 Millionen Mark verausgabt hatte. Als nun aber trotz lesen Hilfe 1868/69 abermals eine Hungersnoth eintrat und die Ueberschüsse sich mehr und mehr verminderten, entschloss man sich, besondere Kanalgesellschaften ins Leben zu rufen. Diese Kanalgesellschaften erhielten von der Regierung das Vorrecht, Reservoire und Kanäle auf eigene Kosten anzulegen und den Grundeigenthümern das erforderliche Wasser zur Bewässerung ihrer Ländereien gegen eine von der Regierung bestätigte Taxe abzugeben.
Diese Privatgesellschaften, von denen besonders die Madras-Gesellschaft hervorzuheben ist, begannen nun mit derselben Energie, wie die englische Regierung, die Bauten der Bewässerungsanlagen auszuführen. So wurden von der genannten Gesellschaft in der Provinz Madras im Jahre 1869/70 Anlagen für etwa 40 Millionen Mark in Angriff genommen, wodurch 11 800 qkm mit Wasser versehen werden sollten. Ferner wurde der grosse Sirhind-Kanal 1871 begonnen, der von dem Sutleyfluss im Punjab abgeleitet wurde. Dieser Kanal bewässert mit 3200 Nebenkanälen eine Länderfläche von 3000 qkm und soll 32 232 000 M. gekostet haben. In der Nähe von Bombay wurden durch Aufstauung des Moota-Flusses, 16 km oberhalb der Stadt Poona, durch einen 1200 m langen Damm mit einer Maximalhöhe von 30 m ein See von 22 km Länge und mit einer Durchschnittsbreite von 800 m geschaffen. 2 Kanäle von 160 km und 126 km Länge vertheilen das Wasser auf eine Fläche von 6255 qkm. Bei diesen Arbeiten sollen durchweg 10 000 Arbeiter beschäftigt gewesen und imganzen 7 Millionen Mark verausgabt worden sein.
Mitte der 70er Jahre traten Umstände ein, welche den Nutzen der fertig gestellten Arbeiten vielfach infrage stellten und schliesslich die englischen Ingenieure veranlassten, die bis dahin beibehaltenen Grundzüge bei der Ausführung neuer Arbeiten zu verlassen. Die wahrscheinlich nicht immer mit der nöthigen Sorgfalt ausgeführten Dämme der Kanäle, bei denen man ausserdem meistens den nöthigen Puddelkern weggelassen hatte, liessen vielfach das Wasser durchsickern; ferner hatte man auch ebenso oft unterlassen, die Grundbesitzer anzuweisen, für die nöthigen Abzugskanäle des gebrauchten Wassers in genügender Weise zu sorgen. Die Folge war einmal ein gewaltiger Verlust an Nutzwasser und ausserdem eine arge Versumpfung der bewässerten Ländereien.
Es musste viel Geld verausgabt werden, die Dämme zu dichten, ferner mussten die vorerwähnten Abzugsgräben staatsseitig hergestellt werden, weil die gleichgiltigen Bewohner nicht zur Herstellung dieser Arbeiten zu bewegen waren. Noch ein weiterer Umstand kam erschwerend hinzu. Der überraschende Nutzen der angelegten Bewässerungsanlagen förderte die Trägheit der Einwohner, indem dieselben durch den erhöhten Ertrag des Bodens sich verleiten liessen, die früher übliche Abwechslung der Kultur zu verlassen, nur Weizen auf Weizen zu bauen und so den Boden bis zur völligen Erschöpfung auszusaugen.
Die natürliche Folge all’ dieser Misstände war ein bedeutender Rückgang der landwirthschaftlichen Erträge, und als nun noch 1876 und 1877 anhaltend schlechte Witterungsverhältnisse hinzukamen, traten wieder Missernten ein und mit diesen eine schwere Hungersnoth, die von 1876 bis 1878 anhielt und grosses Elend hervorrief.
Das bei dem Bau der Bewässerungs-Anlagen bisher verfolgte Prinzip der englischen Ingenieure bestand darin den Hauptkanälen ein starkes Gefälle zu geben. Hierbei hatte sich nun der Uebelstand gezeigt, dass das stark fliessende Wasser Boden von der Sohle und den Böschungen mit fortnahm. Dieser kam sodann in den mit schwächeren Gefällen angelegten Nebenkanälen wieder zum Sinken und rief Verstopfungen dieser Gräben hervor. Ferner konnte man bei dem angewandten starken Gefälle sich mit dem Kanal natürlich weniger weit von dem Fluss entfernen, es wurde dadurch also das Bewässerungsgebiet verringert.
Setzte man nun das Gefälle auf das kleinmöglichste Maass, so konnte der Kanal in grössere Entfernung von dem Fluss geführt werden und es vergrösserte sich hierbei das Bewässerungsgebiet von selbst. Daher wurden von der Regierung praktische Versuche angestellt und schliesslich festgesetzt, dass Geschwindigkeiten unter 0,46 bis 0,53 m wegen der Versandung unstatthaft seien; als höchste Geschwindigkeiten wurden in den Kanälen festgesetzt: für leichten Sandboden 0,762, für mittleren Sandboden 0,838 m, für Lehmboden 0,914 m, für Kies und festen Boden 1,219 m. Weitere Versuche hatten noch ergeben, dass im allgemeinen der Wasserverlust durch Filtration und Verdunstung in den Reservoiren etwa 5-7 ½ % beträgt; da aber der Verlust in den Zuleitungskanälen noch hinzu kommt, so wird der Gesammtverlust auf 12 % geschätzt.
Nach diesen Grundzügen wurden nun, sowohl von den Privatgesellschaften, als auch von der englischen Regierung, immer weitere Bewässerungs-Anlagen ausgeführt; das bis zum Jahre 1894 imganzen in Bewässerungs-AnIngen, festgelegte Kapital wird auf rd. 460 Mill. M. angegeben. Leider ist nicht zugleich der Inhalt der bewässerten Flächen angegeben und so achtunggebietend diese hohe Geldsumme ist, so werden doch augenscheinlich die bewässerten Flächen verschwindend klein sein gegen die noch nicht bewässerten Gebiete. Bis in Indien der Noth für immer gesteuert sein wird, werden noch viele Jahre vergehen und es werden noch viele Milliarden verbaut werden müssen.
Den Beweis der Richtigkeit dieser Behauptung hat ja leider die im vorigen Jahre wieder ausgebrochene Hungersnoth gegeben. Schon seit längerer Zeit hatte sie gedroht, da anhaltende Dürre und nebenbei auch noch Milliarden von Feldmäusen mehre Ernten vernichtet hatten. Ueberall wo nur angängig hatte die Regierung versucht, schleunigst Abhilfe zu schaffen und schon seit mehren Jahren in den am ärgsten bedrohten Provinzen wieder grosse Bauten beginnen lassen, die nun mit verstärkten Arbeitskräften betrieben wurden, aber leider ohne genügenden Erfolg.
Es möge hier der eben fertig gestellte Nirakanal beschrieben werden, weil diese Anlage eine der wichtigsten und zugleich technisch interessantesten ist, und dieselbe in dem Theile des Bombay-Dekans liegt, welcher im vorigen Jahre schwer von der Hungersnoth gelitten hat. Die umfangreichen Hochebenen des Boinbay-Dekans werden durch eine grosse Anzahl von Flüssen durchzogen, welche alle ihren Ursprung indem an der Westseite sich hinziehenden Ghat-Gebirge haben. Der Wasserzufluss fehlt an diesen Flüssen nie ganz, weil an den östlichen Abhängen des Ghatgebirges die Niederschläge durch die dort vorherrschenden Passatwinde reichlich sind. Da diese Niederschläge aber auch hier sehr ungleich fallen, so lag der Gedanke sehr nahe, an diesen Flüssen, bevor sie in die Ebene treten, Thalsperren anzulegen, um so Wasser für eine stetige Bewässerung aufzuspeichern.
Der Bau der Bewässerungsanlage des Nirakanals bestand also erstens in der Herstellung eines Sammelbeckens, zweitens in dem Bau eines Wehres, welches das aus dem Becken entnommene Wasser in den Bewässerungskanal, den dritten Haupttheil der gesammten Anlage, leiten soll, von dem die Vertheilung des Wassers nach den einzelnen Grundstücken durch die Nebenkanäle bewirkt wird (s. Abbildg. I.)
Als geeignete Stelle für das Sammelbecken wurde eine ziemlich wilde Schlucht gewählt, durch welche der Nirafluss sich ergiesst, in der das Land, welches durch die Aufstauung des Wassers verloren geht, von nicht erheblichem Werth war. Die Schlucht hat an der Baustelle eine untere Breite von 120-130 m, dann steigen die Felswände an beiden Seiten 19-20 m ziemlich steil aufwärts, während weiter von hier die Thalwände ungefähr mit einer Steigung von 1:25 aufwärts gehen. Hierdurch erhält der Abschlussdamm der Thalsperre eine Länge von 1240 m mit einer grössten Höhe von 38,7 m über dem tiefsten Punkte des Fundamentes und 31,4 m über der Flusssohle. Die grösste Breite des Dammes ist an seiner Basis 23 m. Da das durch diesen Damm gebildete Becken eine Länge von etwa 16 km und stellenweise 1,5 km obere Wasserfläche hat, so können in demselben etwa 132 Mill cbm Wasser aufgespeichert werden. Das Niederschlagsgebiet des Beckens umfasst 332 qkm.
Nach Abbildg. 2 und 3 ist die Richtung des Dammes vom Nordrande der Schlucht an zuerst 270 m gradlinig, dann folgt der Damm einer der Stromrichtung gegenüber, konvexen Kurve von 1400 m Radius in einer Länge von 690 m, geht sodann in einer Länge von 160 m mit einem konkaven Bogen von nur 100 m Radius weiter, um endlich tangential in gerader Linie 120 m bis an die südliche Felswand geführt zu werden. Zu dieser eigenthümlichen Linienführung des Abschlussdammes wurde man durch die Lage einer Felsschicht gezwungen, welche die genügende Festigkeit für den aussergewöhnlichen Fundamentdruck des Abschlussdammes zeigte.
Die sehr bedeutende Dammhöhe verlangte eine sehr genaue Untersuchung des Untergrundes für die Fundamente. Zeigte der nicht sehr tief liegende Felsen nicht die erforderliche Härte, so wurde so lange der weiche Felsen entfernt, bis das Gestein auf der ganzen Breite des Fundamentes die vorgeschriebene Festigkeit besass.
Infolge dessen wurde in der ganzen Sohlenbreite des Thales der Felsen bis 7 m unter dem gewachsenen Boden beseitigt, an einigen Stellen an der Nordseite der Schlucht sogar auf 9 m, während auf der Südseite einige Meter tief ein gutes Fundament gefunden wurde.
In Abbildg. 4 ist das Profil des Dammes an seiner grössten Höhe gezeigt. Hiernach hat der Damm eine Kronenbreite von 3 m, stromaufwärts eine Böschung von 1:50, stromabwärts legen sich dagegen eine Reihe von Böschungen von je 3 m Länge aneinander, welche sich nach unten mehr und mehr abflachen, so dass die unterste Breite 23 m misst. Weil eine Thalsperre von solcher Höhe bisher in Indien noch nicht erbaut war, so ging man bei der statischen Berechnung äusserst vorsichtig zu Werke und legte nachstehende Annahmen zugrunde:
1. die Kronenbreite soll 3 m betragen
2. der Vertikaldruck soll 9 kg für 1 qcm nicht überschreiten,
3. der resultirende Druck soll an jeder Stelle in das mittlere Drittel des Querschnittes fallen,
4. das Gewicht des Mauerwerks soll zu 2800 kg für 1 cbm angenommen werden,
5. soll die Verwendung von Konkret gestattet sein, wo der Druck 4,5 kg für 1 qcm nicht übersteigt.
Wo nun die Berechnung für das Mauerwerk einen Druck von mehr als 5 kg für 1 qcm ergab, wurde das Mauerwerk aus Bruchsteinen mit Quaderverblendung in Zementmörtel ausgeführt, da wo der Druck geringer als 5 kg für 1 qcm war, wurde zwischen einer Quaderverblendung Konkret eingestampft. Ebenso wurde die ganze Fundamentgrube zwischen dem Mauerwerk und dem Felsen bis zur Oberkante des Felsens mit Konkret vollgestampft, einmal, um Durchsickerungen des Wassers und dann auch, um Auskolkungen zu vermeiden, welche das aus den Ueberlaufschleusen abfliessende Wasser hervorbringen könnte. Ueberall, wo das Mauerwerk an dem Uferrande in die Höhe stieg, wurde dasselbe 1-2 m in die Felswand eingelassen und der Zwischenraum zwischen Mauerwerk und Felsen an beiden Seiten mit Stampfbeton ausgefüllt. –
Imganzen sind 81 Ueberlaufschleusen vorgesehen, jede 2,5 m hoch und 3 breit, durch welche 1600 cbm Wasser i. d. Sek. abgelassen werden können. Es ist dieses die berechnete Wassermasce, welche bei einer geschätzten Regenhöhe von 16 mm in 1 Stunde aus dem Niederschlagsgebiet zufliessen kann. Ursprünglich sollten alle 81 Ueberlaufschleusen auf der Südseite eingebaut werden, des schlechteren Untergrundes wegen wurden jedoch 45 nach der Nordseite verlegt. Ausser diesen Schleusen wurden in der Thalsohle in dem Flussbett 3,8 m über der Flussohle 13 Schleusen, jede 2,4 m hoch und 1,2 m breit, eingebaut, um die ersten, viel Schlamm mit sich führenden Passatfluthen ablassen zu können. Diese Unterschleusen sind durch gusseiserne Schieber geschlossen, welche von der Krone des Dammes geöffnet werden. Jeder Schieber ist mit einer 11,5 cm im Durchmesser haltenden stählernen Spindel fest verschraubt, welche bis zur Dammkrone hinaufführt. Das obere Ende dieser Spindel ist auf einer Länge von etwa 4 viereckig abgehobelt und geht durch eine gleichfalls gehobelte Büchse, Das nun folgende letzte Ende der Hubstange ist mit einem Gewinde versehen, welches in einer metallenen Mutter geht die wiederum durch einen gusseisernen, in dem Mauerwerk der Dammkrone verschraubten Kasten geschützt ist. Ein gusseiserner Ankerspillkopf umgiebt die Mutter und wird durch 6 schmiedeiserne, etwa 1,5 m nach oben gebogene Arme bewegt, die durch angeschraubte Röhren noch verlängert werden können, falls die Schraube zu schwer gehen sollte. Schieber und Spindel haben zusammen ein Gewicht von etwa 4,5 t. Zum Schutz gegen Treibholz ist ein kräftiges Schutzgitter vor den Schiebern angebracht. Für etwaige Fabrikanlagen, welche vielleicht später einmal angelegt werden möchten, hat man auf dem linken Ufer 5, auf dem rechten 2 Turbinenschleusen von je 0,75 m im Durchmesser in den Damm eingebaut. Diese Unterschleusen werden zu Zeiten der höchsten Fluthen geöffnet und es können auf diese Weise 740 cbm in 1 Sek. geschleusst werden.
Bei den Ueberlaufschleusen sind interessante, bisher noch nicht angewandte selbstthätige Schützen zur Ausführung gekommen (Abbildg. 5). Vor jeder Schleuse hängt in 2 Ketten ein schmiedeiserner Schieber. Die Ketten sind über Rollen nach rückwärts geführt und hier mit einem Gegengewicht von 4600 kg in Gestalt eines Hohlzylinders verbunden, welches in einem ausgesparten Raume unterhalb der Dammkrone auf- und niedergehen kann. Von diesem Raum aus ist ein Rohr derart eingemauert, dass das bis zur Oberkante der Schütze gestiegene Hochwasser durch dieses Rohr in den Raum, wo das Gegengewicht hängt, einläuft. In demselben Maasse, wie das hohle Gegengewicht durch das in dem Raume aufsteigende Wasser gehoben wird, senkt sich die Schütze und lässt das Hochwasser ablaufen. Sobald der Wasserspiegel des Sammelbeckens sich senkt, hört der Zulauf durch das Rohr in den Raum mit dem Gewicht auf und nun läuft das darin enthaltene Wasser durch eine an der Sohle eingemauerte, aber bedeutend kleinere Röhre als das Zulaufrohr, langsam ab. Mit dem abfliessenden Wasser senkt sich auch das Gegengewicht und in demselben Maasse wird wieder die Schütze gehoben und der Ueberfall geschlossen,
Ein sehr günstiger Umstand für den Bau, der auch z. Th. maassgebend für die Lage war, ist, dass alle Baumaterialien in der Nähe vorhanden waren. Die erforderlichen Quader und Bruchsteine konnten an den Uferrändern des Flusses gebrochen werden. Aus einem sogen. Kunkurstein, einem Kalkstein, der sich am Flussufer in grossen Mengen in Erbsen- bis Faustgrösse vorfand und durch Kulis oder Esel nach dem Arbeitsplatz gebracht wurde, wurde ein hydraulischer Kalk gebrannt und gemahlen. Ebenso fand man im Flussufer einen vorzüglichen Mauersand. Probewürfel aus 1 Th. dieses Kalkes mit 1 Th. Sand hatten nach 6 Monaten eine Druckfestigkeit von 122 kg f. 1 qcm. Würfel aus 1 Th. Kalk und 4 Th Sand erreichten in derselben Zeit eine Festigkeit von 31 kg f. 1 qcm, Der Konkret besteht aus 1 Th. Mörtel und 4 Th. Steinschlag oder Kiesel und hatte nach einem Jahre eine Festigkeit von 34 kg f. 1 qcm.
Nachdem alle Vorbereitungen und Voruntersuchungen auf das genaueste und sorgsamste gemacht waren, wurde gleich nach der Regenzeit mit dem Bau begonnen. Zum Durchlassen des Flusswassers während des Baues liess man eine Oeffnung in Höhe des Flussbettes in dem Mauerwerk von 1,5 auf 3 m. Später wurde diese Oeffnung an der Oberwasserseite zugemauert, während das untere Ende offen blieb. Von hier aus bis zur Dammkrone wurde in dem Mauerwerk ein kleiner senkrechter Schacht ausgespart, um bei dem Füllen des Beckens durch ein Loth untersuchen zu können, ob ein Durchbiegen des Dammes erfolgen würde. Sehr erfreulicher Weise hat die Untersuchung ergeben, dass eine Durchbiegung nicht stattgefunden hat. Der zweite Haupttheil der gesammten Anlage, nämlich das Wehr, war erforderlich, um das aus dem Sammelbecken abgelassene Wasser in den Kanal gelangen zu lassen. 31 km unterhalb des Sammelbeckens und gerade unterhalb der Einmündung eines Nebenflusses wurde die hierzu geeignete Stelle vorgesehen (Abbildg. 6). Hier ist das Hauptwehr mit einer Ueberfall-Länge von 693 m rechtwinklig zur Stromrichtung eingebaut; am linken Ufer des Niraflusses krümmt sich das Wehr, um hier den Nebenfluss auch in der Stromrichtung abzufangen. Die Lage des Wehres an dieser Stelle und in dieser Länge wurde der Lage weiter unten, wo sich das Flussbett bedeutend verengt, vorgezogen, weil bei einem langen Wehr die Höhe des Hochwassers, also auch der Ueberfall des Wassers geringer ist, als bei einem kürzeren, es wird also auch weniger Land überschwemmt bei dem weniger hohen Aufstau. Die Krone des Wehres liegt 12,8 m über der Flussohle, hat eine Breite von 2,7 m, während die Basis des Wehres 8 m ist. Die Neigung der Mauer ist stromaufwärts 1:40, stromabwärts für die unteren 4 m 1:2 und von hier bis zur Krone 1:3 (Abbildg.7). Das südliche Ende des Wehres legt sich unmittelbar gegen den kahlen Felsen des rechten Niraufers an, während das nördliche Ende sich gegen ein gemauertes Quaderwiderlager auflegt, welches den sogen. Regulator des oberhalb des Wehres sich abzweigenden Kanals bildet, auf den wir weiter unten noch zurückkommen werden. Dicht vor diesem Quaderdamm sind 2 Schleusen von 0,9 m Breite und 1,4 m Höhe in das Wehr eigebaut, deren Schwellen 3,6 m unter der Krone liegen und welche den Zweck haben, den Schlamm des Flusswassers aus dem Kanal zurückzuhalten. Das Wehr ist zumtheil aus Bruchsteinmauerwerk, zumtheil aus Konkret, der zwischen Bruchsteinwänden von 0,60-0,75 m Dicke eingestampft wurde. Zu dem Mörtel und zu dem Konkret wurde dasselbe Mischungsverhältniss genommen, wie bei dem Abschlussdamm für das Sammelbecken.
Etwa 300 m unterhalb dieses Hauptwehres wurde noch ein Hilfswehr erbaut, um das Wasser gegen das Hauptwehr aufzustauen. Hierdurch wird ein Wasserpolster vor dem Hauptwehr erzielt, welches die Stosswirkungen des überstürzenden Wassers aufnimmt. Die Länge des Hilfswehres ist nur 187 m, weil sich das Thal hier bedeutend verengt, die Höhe ist 6 m, die Krone 2,5 m und da die beiderseitigen Neigungen 1:4 sind, so ist die Basis 5,5 m. Auch dieses Wehr ist aus Bruchsteinen und Konkret mit derselben Mörtelmischung, wie das Hauptwehr erbaut und Bruchsteine sowie Kalk sind auch hier in unmittelbarer Nähe der Baustelle gefunden worden. Um den Aufstau bei Hochwasser gegen das Hauptwehr noch zu vergössern, ist die Krone des Hilfswehren auf einer Länge von 85 m wagrecht angelegt, während dasselbe an beiden Seiten mit 1:30 aufsteigt. Das grösste Hochwasser, welches von dem Nirafluss mit dem Nebenfluss zusammen geführt wird, war auf 4500 cbm in der Sek. abgeschätzt. Das Hauptwehr ist nun so angelegt, dass diese Wassermassen dasselbe auf der ganzen Länge mit einem Ueberfall von etwa 2 m, das Hilfswehr dagegen in einer Höhe von etwa 65 m passiren. Der dritte und letzte Theil der Anlagen, der Kanal, zweigt auf der linken Seite des Flusses, unmittelbar oberhalb des Hauptwehres ab, ist aber gegen das Hochwasser des Flusses durch den erwähnten gemauerten Querdamm, den sogenannten Regulator, geschützt, indem dieser 2 m höher als das höchstbekannte Hochwasser, aufgeführt wurde. Sieben Schleusen mit gusseisernen Schützenthoren von 1,2 m im Geviert sind in diesen Querdamm eingebaut worden, um das Wasser nach Bedarf in den Kanal einlassen zu können. Die Schwellen dieser 7 Schleusen liegen 2,6 m unter der Krone des Hauptwehres und bilden den Anfang des Kanals. Unmittelbar von dem Regulator aus geht der Kanal in einer Breite von etwa 9 m ab und entfernt sich, wie es die Gelände-Verhältnisse erlauben, möglichst rasch von dem Fluss und folgt nun im allgemeinen der Gestaltung des Thales, bis er die Wasserscheide zwischen dem Nirafluss und dem benachbarten Bhimafluss erreicht hat. Die ganze Länge des Hauptkanals ist 207 km.
Besonders innerhalb der ersten 12 km werden viele tiefe Schluchten gekreuzt, die mittels hoher Aquädukte überschritten werden mussten; dann mussten wieder vorspringende Hügelketten mittels tiefer Einschnitte durchstochen werden, weil eine Führung des Kanals um den Hügel herum den Kanal zu sehr verlängert haben würde, Die Ersparnisse an Länge, die imganzen durch solche Hügeleinschnitte gemacht wurden, betrugen etwa 32 km. Das Missliche bei solchen Kanalabkürzungen ist freilich, dass hierdurch die Zuleitungskanäle zu den Grundstücken natürlich wieder um so länger werden. Der grösste Einschnitt ist 1440 m lang und schneidet 11 m tief in den Felsen ein.
Im Anfang fördert der Kanal bei einer Breite von 9 m und einer Tiefe von 2 m in 1 Sek. 22 cbm Wasser. Seine Leistungsfähigkeit nimmt mit der Zahl der Entnahmestellen und der Vertheilungskanäle entsprechend ab, bis er zuletzt nur noch eine Breite von 1,8 m hat und nur noch 2,5 cbm Wasser führt. Die Böschungen in den Einschnitten sind je nach der Bodenbeschaffenheit 1:1, 1:1,5 oder 1:2 angelegt, nur in Felsen konnten die Wände senkrecht angelegt werden. Das Gefälle schwankt ebenfalls je nach der Bodenbeschaffenheit zwischen 0,46 und 1,52 m in 1 Sek. Das stärkste Gefälle ist natürlich in den Felseinschnitten und bei den gemauerten Aquädukten angewendet, um auf diese Weise hier mit einem kleinere Querschnitt auskommen zu können.
Bei den Dämmen musste man natürlich sehr vorsichtig mit der Wahl des Materials sein, da man mehrfach mit einer dort oft vorkommenden Erdmasse schlimme Erfahrungen gemacht hatte, indem die Dämme nach dem Einlass von Wasser nachgaben und dadurch böse Rutschungen veranlassten. Es wurde deshalb eine in der Gegend dort ebenfalls vielfach vorkommende schwarze, wenig Wasser durchlassende Erde in Lagen von 15 cm eingebracht und durch Walzen und Stampfen befestigt. Die Kreuzungen des Kanals mit den Flüssen und Bächen verursachten z. Th. Bedeutende Schwierigkeiten. 18 Aquädukte waren erforderlich zum Ueberschreiten der Flüsse und Bäche, dagegen mussten 9 kleinere Flüsse oder Bäche über den Kanal geführt werden und 90 Abzugskanäle waren erforderlich.
Wie schon angedeutet, wurde das Gefälle über den Aquädukten bedeutend verstärkt, dadurch war man in der Lage, diese Baulichkeiten bedeutend schmäler zu machen, wodurch wiederum nicht unbeträchtliche Ersparnisse erzielt wurden. Selbstverständlich wurde das Gefälle unterhalb der Baulichkeiten wieder in das alte zurückgeführt. Der Kara-Aquädukt ist das grösste Bauwerk bei diesem Kanal, er hat eine Länge von 133 m mit 13 Oeffnungen zu je 9,12 m. Ausser diesen Ueber- und Unterführungen der Wasserläufe mussten noch 24 Wegeüberführungen ausgeführt werden.
Da bei der Ausführung der Wehre und des Thalsperrdammes so sehr gute Erfahrungen mit dem Konkret gemacht worden waren, so wurden bei Herstellung der Bauwerke vielfach Konkretmauern und, wo genügende Konstruktionshöhe vorhanden war, auch noch Konkretbögen angewendet. An Stellen, wo die Konstruktionshöhe beschränkt war, vertiefte man die Flussohle unterhalb des Kanals entsprechend, wodurch gewissermaassen eine Art Düker entstand, oder man half sich damit, dass man das Bauwerk nur unter der Sohle des Kanals einengte, während man die Ein- und Ausläufe unter den Böschungen des Kanals konisch anlegte, wodurch bekanntlich die Leistungsfähigkeit des Durchfliessens bedeutend vermehrt wird.
Sehr schwer war bei der grossen Ungleichheit der Niederschläge die Bestimmung der Durchlässe, da, wie oben schon erwähnt, eine Regenhöhe von 7 cm in ¾ Stunden von einem ausführenden Ingenieur festgestellt war.
Man ging daher bei der Berechnung von folgenden Grundssätzen aus: Bei Niederschlagsgebieten von 1,3 qkm Grösse wurde die die Regenhöhe zu 7,5 cm, für solche von 2,6 qkm zu 5 cm, für noch grössere Flächen zu 2,5-1,3 cm angenommen. Bei dem Karafluss, der ein Niederschlagsgebiet von 103 600 ha besitzt, wurde nach besonderen Beobachtungen die Regenhöhe dagegen auf 8 mm festgesetzt.
Die Entnahme des Nutzwassers aus dem Hauptkanal für die Vertheilungsgräben nach den einzelnen Grundstücken geschieht für grössere Gräben durch kleine gemauerte Tunnels, dagegen für kleinere Gräben durch gusseiserne Röhren. Tunnel und Röhren werden durch die Böschungen nach der Kanalsohle geführt, wo ein gemauerter Kopf an der Innenseite der Böschung erbaut ist; dabei wird der Zufluss durch eine Schleusenklappe, bezw. einen Schieber geregelt. Die Vertheilungsgräben sind mit einem Gefälle von 57 cm f. 1 km derart angelegt, dass die Längen der Feldkanäle, welche von den einzelnen Grundbesitzern selbst erbaut werden müssen, keine grössere Länge als 1 km erreichen. Alle zwischen dem Hauptkanal und dem Nirafluss tiefer als die Kanalsohle belegenen Ackerländereien können nun also mit Wasser nach Bedarf versehen werden, hierbei ist jedoch festgesetzt, dass von allen durch einen Zuleitungsgraben versorgten Ländereien z. Zt. nur 1/3 bewässert werden dürfen.
Imganzen sind durch diese Kanalanlage 1020 qkm kulturfähig gemacht. In trockenen Jahreszeiten, wenn die Brunnen versiegt sind, werden aber noch die gesammten Bewohner von 80 Dörfern in diesem Distrikt, reichlich 20 000 Menschen sammt ihrem Vieh, mit dem erforderlichen Trinkwasser versehen.
Die Kosten für die Thalsperre werden auf rd. 4 175 000 M. angegeben, während diejenigen für die Wehre mit den Haupt- und Nebenkanälen sowie den zugehörigen Bauwerken rd. 11 250 000 M. betragen haben sollen. Die Kosten der Zuleitung des Nutzwassers aus den Kanälen nach den einzelnen Grundstücken sollen in der Regel etwa 10 M. auf 1 ha betragen, der Gewinn durch die Bewässerung für die Reiskultur dagegen 63-75 M. ergeben.
Im Norden, wo Latifundien und das Pachtsystem vorherschen, ist die Verzinsung dieser Summe besser, als in Mittel- und Süd-Indien, wo der kleinere Grundbesitz vorherrschend ist. Im allgemeinen wird die in dieser Art festgelegte Kapitalanlage als recht vortheilhaft angesehen und der geringste Zinsgenuss auf etwa 5 ½ % angegeben, der aber meistens bei den Anlagen mit den Jahren wächst. Vereinzelte Anlagen sollen schon jetzt einen Zinsgenuss von 10, ja sogar bis zu 20 % abwerfen.
Man sieht also, dass die Ausführungen solcher Bewässerungsanlagen nicht allein Segen bringend für die armen Inder, sondern auch sehr erträgnissreich für die Engländer sind. –
Dieser Artikel erschien zuerst am 29.06.1898 in der Deutsche Bauzeitung.