Die St. Bernwards-Gruft in Hildesheim

Wiederhergestellt durch Prof. Christoph Hehl. In der Besprechung, die wir vor 10 Jahren den älteren und neueren Bauten Hildesheims und unter jenen insbesondere der ehrwürdigen Kirche St. Michael gewidmet haben [Hildesheimer Studien. Jhrg. 1888. No. 98-104], ist die unter dem Westchor der Kirche gelegene Krypta nur beiläufig erwähnt worden.

Es wurde mitgetheilt, dass diese i. J. 1015 geweihte Krypta, welche der Stifter und Erbauer von St. Michael, St. Bernward, zu seiner eigenen Grabstätte bestimmt hatte, bis heute dem katholischen Gottesdienst erhalten ist, während die Kirche selbst schon 1543 in den Besitz der evangelischen Bürgerschaft übernommen wurde. Näher auf die Anlage und den Zustand des Raumes einzugehen, lag damals keine Veranlassung vor.

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Mittlerweile ist i. J. 1893 die Gedächtnissfeier an die i. J. 993 erfolgte Erhebung Bernwards auf den Hildesheimer Bischofssitz begangen worden und hat dazu geführt, das Andenken an den als Kirchenfürsten, Staatsmann und Künstler (oder doch Kunstförderer) gleich bedeutsamen Mann durch verschiedene bleibende Veranstaltungen festzuhalten. Auf dem grossen Domhof – da wo früher die nunmehr ins Innere des Domes überführte, unter Bernward gegossene Christussäule stand – erhebt sich nunmehr ein von Prof. Hartzer in Berlin und Prof. Chr. Hehl geschaffenes schönes Standbild des Bischofs – ein Denkmal, zu dessen Errichtung die hohe Geistlichkeit des Bisthums mit den Vertretern der Bürgerschaft und der Staatsbehörden sich vereinigt hatte. Der zeitige Inhaber des Bischofstuhles aber hat sich nicht nehmen lassen, seinem grossen Vorgänger durch eine würdige künstlerische Instandsetzung seiner Grabstätte auch eine persönliche Huldigung darzubringen. Durch die zu diesem Zwecke nach dem Entwurf und unter der Leitung von Prof. Chr. Hehl ausgeführten Arbeiten, die man im strengsten Sinne des Wortes allerdings kaum als eine Wiederherstellung betrachten, sondern nur als eine neue Anordnung und Ausschmückung bezeichnen kann, ist die St. Bernwards-Gruft in die Reihe der ersten Sehenswürdigkeiten von Hildesheim eingetreten und zu einem Range erhoben worden, der es rechtfertigt, wenn wir ihr nachträglich auch an dieser Stelle eine kurze Darstellung widmen.

Eine ausführliche Beschreibung der Gruft, insbesondere des Bernward-Sarges und Grabsteins giebt eine von dem Domvikar Dr. Adolf Bertram verfasste kleine Schrift: Die Bernwardsgruft in Hildesheim. Ein Gedenkblatt zum Bernward-Jubiläum 1893. Verlag von L. Steffen in Hildesheim. Wir haben uns mehrfach an dieselbe angelehnt.

Grundriss
Längsschnitt

Ueber die bauliche Anordnung der Krypta giebt der mitgetheilte Grundriss in Verbindung mit dem Längsschnitt ausreichenden Aufschluss. Es ist leicht zu ersehen, dass der äussere Umgang des Raumes, der um etwa 2 m mehr Höhe hat, als der mittlere Theil, ein späterer Zusatz ist; wahrscheinlich gehört derselbe dem gegen Ende des 12. Jahrhunderts ausgeführten Umbau des Bischofs Adelog an. Die Durchbrechung der Wand zwischen diesem Auge und dem Innenraum bezw. die Auflösung derselben in ein System von Pfeilern und Bögen soll erst gegen Mitte des 17. Jahrhunderts erfolgt sein; vermuthlich als man genöthigt war, den Raum ständig für gottesdienstliche Zwecke zu benutzen. Ob die Säulen und Gewölbe des Innenraums noch die des ursprünglichen Bernward-Baues sind, steht urkundlich nicht fest und wird von Dr. Bertram bezweifelt. Allerdings ist der von ihm angeführte Grund, dass das Kirchenmodell, welches der als oberster Grabstein über die Gruft gelegten Bernward-Figur beigegeben ist, einen kürzeren Chor zeigt, nicht stichhaltig. Denn diese Figur – eine schlechte handwerksmässige Arbeit – ist offenbar nicht mittelalterlich und sicherlich jünger, als das im Hildesheimer Museum befindliche Holzmodell der Kirche, das Chöre von entsprechender Länge zeigt, wie sie im übrigen bei einer Klosterkirche schon das Bedürfniss bedingte.

Portal

Der Zugang zur Krypta erfolgte ursprünglich jedenfalls durch eine aus dem westlichen Querschiff der Kirche in der Axe der letzteren hinab führende Treppe; der Marien-Altar, vor dem Bernward beigesetzt wurde, kann demnach seine Stelle nur dieser Treppe gegenüber, an der Westwand der Krypta gehabt haben. Als nahezu 200 Jahre später der äussere Umgang ausgeführt wurde, dürften neue, in diesen führende Treppen-Zugänge aus den westlichen Querschiff-Flügeln angelegt worden sein, die jedoch geschlossen werden mussten, nachdem zunächst die ganze Oberkirche bis auf den nördlichen Querschiff-Flügel, zuletzt auch dieser dem Besitz des Klosters und dem katholischen Gottesdienste entzogen worden waren. Damals dürfte, gleichzeitig mit der Oeffnung der Wand zwischen der ursprünglichen Krypta und dem Umgang, auch die neue, von aussen her in den letzteren führende Pforte ausgebrochen worden sein. Doch haben zu ihrer Umrahmung anscheinend alte Werkstücke Verwendung gefunden; wenigstens scheinen die Säulen noch der Bernward-Zeit anzugehören. – Genaueres über alle diese Bauvorgänge und die mit ihnen verbundene Versetzung der Gruftaltäre könnte natürlich nur durch eine sorgfältige technische Untersuchung, im Zusammenhange mit den nöthigen Aufgrabungen festgestellt werden.

Was die eigentliche Bernward-Gruft betrifft, die nach der Heiligsprechung des Bischofs i. J. 1193 zum Zwecke der Erhebung seiner Gebeine zum ersten Male geöffnet wurde, so war sie in sehr beschränkten Abmessungen angelegt. Die in Sandstein gemeisselte Deckplatte derselben – wie der Steinsarg selbst angeblich von Bernward selbst, jedenfalls aber nach seinen Angaben angefertigt – misst 2,775 m zu 1,23 m, so dass der 1,75 m lange und 0,62 m breite Sarg nur von einem freien Raum von etwa 20 cm umgeben war. Selbstverständlich war die Gruft ursprünglich nicht zugänglich. Erst i. J. 1864 versuchte man, dies in beschränktem Maasse zu erreichen, indem man unter Forträumung des davor stehenden St. Bernward-Altars, der in die östliche Nische des südlichen Aussenschiffs (Umgangs) versetzt wurde, eine kleine Treppe anlegte, die bis zum Sarkophage führte. Gleichzeitig wurde die alte Grabplatte der Gruft dadurch sichtbar gemacht, dass man den bisher über derselben lagernden Stein mit der Bernward-Figur anhob und auf vier niedrige Säulchen stellte.

Das Ziel der letzten Instandsetzung der Gruft war, neben einer würdigen monumentalen Ausschmückung des ganzen Raumes eine vollständige Freilegung des Bernward-Sarkophages und ebenso eine völlige Sichtbarmachung der alten Gruftplatte zu ermöglichen – beides Werke nicht nur von hohem kunstgeschichtlichem Interesse, sondern auch nicht ohne künstlerischen Reiz, auf deren Beschreibung und Würdigung wir jedoch hier nicht wohl eingehen können. Es sei in dieser Beziehung auf die Schrift des Dr. Bertram verwiesen. – Zu jenem Zwecke sind beide Grabplatten von der Gruft abgehoben und in den seitlichen Nischen der Ostwand des Mittelraums aufgestellt worden – die jüngere links, die ältere rechts von dem in der Mittelnische belassenen Marienaltar. (Als Gegenstück zu dem Bernward-Altar ist schon 1864 an der Ostwand des nördlichen Umgangs ein Godehard-Altar gegründet worden.) Die Gruft selbst ist bis zu den Aussersten zulässigen Grenzen erweitert worden, so dass sie jetzt den ganzen Raum zwischen den 6 östlichen Säulen des Mittelschiffs umfasst. 7 Stufen führen von Westen her zu dem an den Wänden mit geschliffenen Steinplatten bekleideten 3,71 m langen, 1,84 m breiten Raume hinab, in welchem der auf Löwen gestellte, mit seinem Fussende bis an die Ostwand geschobene Sarg (aus rothem Sandstein) mit seinem reich verzierten Deckel nunmehr bequem sichtbar ist. Den Hauptschmuck der Gruft bilden jedoch die 3 aus einem Steingerüst mit Bronzegitter-Füllungen hergestellten Bewehrungen, welche oberhalb derselben den Raum zwischen den Säulen abschliessen. In der Durchbildung dieser Bewehrungen, vor denen auf der Innenseite Bronzeleuchter in Löwenform (nach dem Muster eines alten Leuchters im Dom) stehen – insbesondere in der Ornamentirung der 20 romanischen Säulchen auf ihrer Innenseite hat der Künstler seine Beherrschung dieses Stils in glänzender Weise bethätigt. Als Material für alle diese Arbeiten, ebenso für die neue mensa des Altars, ist der in der Nähe von Bentheim gebrochene, äusserst bildsame Baumberger Kalkstein verwendet worden.

Die ursprüngliche Absicht von Hrn. Hehl ging übrigens dahin, dem Altar seine alte und natürliche Stellung an der Aussenwand der Krypta wieder zu geben und dementsprechend auch die Gruftreppe in entgegengesetzter Richtung anzulegen. Er hat darauf verzichten müssen, weil man von einer solchen Anordnung eine wesentliche Störung der Beleuchtung befürchtete, für welche gegenwärtig das Oberfenster über der Eingangsthür die Haupt-Lichtquelle bildet. Ebenso ist die in seinem ersten Entwurfe vorgesehene Ausführung eines neuen Fussboden-Belages in Steinmosaik – eines Werkes anmuthigster Erfindung, das jener vorher erwähnten Ausbildung der Gruft-Umwehrungen würdig sich zur Seite stellen wird, zunächst noch verschoben worden.

Die St. Bernward-Gruft in Hildesheim

Vollendet ist dagegen bereits der malerische Schmuck des Raumes, in welchem die bewährte Kraft von Prof. Hermann Schaper in Hannover wieder eine Meisterleistung geschaffen hat. Anknüpfend an die Vorbilder altchristlicher, insbesondere ravennatischer Mosaikmalerei, verleiht dieser Schmuck, auf dessen symbolischen, mit den Patronen der Kirche und den Skulpturen des Bernward-Sarkophags in Zusammenhang stehenden Inhalt wir nicht weiter eingehen wollen, dem ernsten und schlichten Raume ein überaus feierliches echt künstlerisches Gepräge, das in ganz hervorragender Weise namentlich bei den allwöchentlich abgehaltenen Morgen-Gottesdiensten sich geltend machen soll, wenn dieselben im Winter bei künstlicher Beleuchtung abgehalten werden. Leider haben diese in Tempera-Farben ausgeführten Malereien in den 5 Jahren, die seit ihrer Vollendung vergangen sind, schon sehr durch Feuchtigkeit gelitten, obwohl das alte Bruchsteingemäuer zu ihrer Aufnahme mit einem neuen Abputze versehen worden ist. Man wird sich darauf gefasst zu machen haben, dass sie in absehbarer Zeit einer Erneuerung werden unterzogen werden müssen. Vielleicht gelingt es, die Mittel zu sammeln, um diese Erneuerung dann durch Glasmosaik bewirken zu können. Bischof Bernward hat es um die deutsche Kunst verdient, dass seinem Mausoleum der monumentalste Schmuck zutheil werde.

Dieser Artikel erschien zuerst am 12.03.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „F.“.