Die Pariser Weltausstellung 1900 – II

Von Wilhelm Hartmann, Professor der Kgl. Technischen Hochschule. Von den Ausstellungsbaulichkeiten ist jetzt der weitaus größere Teil fertiggestellt; nur an einigen Ecken wird noch gebaut, an andern Stellen fällt schon wieder etwas ein.

Aber das ist nur eine Folge der Stetigkeit der Naturkräfte, die an allem nagen und zertrümmern, was zu schwach ist. Nach dem Einsturz der Passerelle an der Avenue Suffren sind nur noch einige Teile des Gipsplafonds unter den Galerien, ohne großen Schaden zu thun, auf Ausstellungsgegenstände und Passanten gefallen. Jetzt wird alles auf das sorgfältigste nachgesehen und ausgebessert; Laufbrücken, Stege und Galerien werden durch Belastungsproben untersucht und danach häufig verstärkt. Es ist also zu hoffen, daß späteren Besuchern nichts mehr auf die Köpfe fällt.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Auch die Schutthaufen sind mehr und mehr in die Winkel gedrängt, und wo solche nicht vorhanden, aber nötig waren, hat man aus Segel- oder Sackleinwand und Latten mehr oder weniger geschmackvolle Kulissen aufgebaut, die den Besucher in vorsichtiger Weise daran erinnern, daß er sich auf einer Weltbühne befindet, einer Bühne mit Hohlräumen, Kanälen und Versenkungen, die je nach dem Ort oder der Zeit der Darstellung geschlossen oder offen sind und im letzteren Fall leicht als Besucherfalle dienen können. Das Fallen nimmt jetzt aber ab, das sicherste Zeichen, daß die Ausstellung bald fertig sein wird. Einige Teile sind schon ganz und gar fertig.

Die Strasse der Nationen auf der Pariser Weltausstellung – Das Englische und das Belgische Haus

Der von dem Innern von Paris, der Lage der großen Hotels, kommende Besucher stößt zuerst auf die von der schon erwähnten Parisiana gekrönte Porte monumentale, ein dreibeiniges, bläulich abgetöntes Kuppelgewölbe, mit drei großen Bogenöffnungen, flankiert von zwei schlanken Pylonen, die die einen als Minarets, die andern als Obelisken, die meisten aber treffend gar nicht zu bezeichnen wagen. Das phantastische Bauwerk bringt den vorübergehenden Charakter von Ausstellungsgebäuden recht gut zum Ausdruck. Offenbar sind seine Formen und Verhältnisse besser für die Nacht- als für die Tagesbeleuchtung geeignet. In der That stellen es alle Abbildungen, die ich früher davon gesehen, im illuminierten Zustand dar, wobei die Dreibeinigkeit nicht vom Uebel ist. Seine zahlreichen elektrischen Lampen und Lämpchen werden von der Lähmeyer-Nürnberger Dynamo-Dampfmaschine mit Strom versorgt. Die Beleuchtungsproben haben dargethan, daß der Künstler die beabsichtigte Nachtwirkung erreicht hat.

Die Porte monumentale sieht man sich also besser bei Nacht an. Wer am Tage zum erstenmal in die Ausstellung will, nimmt besser den Eintritt durch die in der Nähe des Präsidentschaftspalais belegene Pforte von der Avenne des Champs Elysées aus. Hier hat man eine Anlage vor sich, die einen Vergleich mit dem Court of honour der Chicagoer Ausstellung zuläßt. Im Vordergrund rechts und links die gewaltigen Säulenhallen der beiden Kunstpaläste, dann die breite Alexanderbrücke mit den vier prächtigen hochaufragenden Eckpfeilern, darauf die Esplanade des Invalides und im Hintergrund die Kuppel des Invalidendoms über dem Grabe Napoleons. Zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit eine historische und eine optische Perspektive.

Der Abstand beider Endpunkte erscheint künstlich verlängert. Auf der Esplanade treten die Baulichkeiten näher aneinander und vergrößern die Wirkung der geometrischen Perspektive; der Dunst der Großstadt, der Pariser Staub – der offenbar die Gleichartigkeit der Stimmung erzeugt, denn nach Berichten im „Matin“ enthält 1 Gramm davon 1 200 000 Mikroben – drängt vermöge seiner lichtschwächenden Wirkung den Hintergrund noch weiter zurück. So entsteht eine gewaltige Perspektive, deren Verschwindungspunkt im Kaiserdom liegt.

Derweilen wir einige Zeit bei den Kunstpalästen, so springt ihre Gleichartigkeit und doch wieder ein gewisser Unterschied sofort ins Auge. Beide sind in prachtvoll reinem französischen Sandstein erbaut in den Formen und Verhältnissen altgriechischer Bauwerke. Der kleinere, nach Osten zu liegend, enthält einen halbkreisförmigen, offenen, mit Granitsäulen umgebenen Hof, er bildet eine Galerie nebeneinanderliegender Räume, die zur Aufnahme alter französischer Kunstprodukte, als Goldsachen, Gobelins, Waffen, Gemälde, Emaillen, Möbel u. s. w. dienen. Das Innere dieses Baues steht mit dem Aeußeren in voller Harmonie.

Die Strasse der Nationen auf der Pariser Weltausstellung – Das Norwegische, das Deutsche und das Spanische Haus

Von dem westlichen größeren Palast kann man nicht dasselbe sagen. Sein Inneres stimmt zum Teil mit der wuchtigen Fassade nicht überein. Hat man die prachtvolle Außenseite bewundernd betrachtet und das durch vorspringende Pfeiler etwas verdunkelte Portal passiert, so ist man überrascht, sich im Innern in einer überdachten Halle zu befinden, in die das Tageslicht von oben ungehindert hineinflutet. Ein von zwei Tonnengewölben rechtwinklig durchdrungenes Kuppelgewölbe überdacht einen T-förmigen Raum von gewaltiger Ausdehnung. Die tragende Eisenkonstruktion ist nirgends verdeckt und läßt die Erinnerung an reine Nutzbauten, beispielsweise an Bahnhöfe oder das Borsigwalzwerk in Oberschlesien, nicht unterdrücken. Die Verbindung von Stein und Eisen ist hier nicht geglückt, vielleicht auch kaum versucht. In dem mit seiner Fassade an die Avenue d’Autin anstoßenden kleineren Lichthof ist dagegen die tragende Eisenkonstruktion verschwunden; der ganze Raum ist aus einem Guß und macht mit seinen prachtvollen, als Dekorationsmittel benutzten Treppenanlagen einen bedeutenden Eindruck auf den Beschauer.

Gefüllt ist der große Kunstpalast mit Bildwerken und Gemälden. Die Bildwerke sind zum weitaus größten Teil in dem großen Lichthof untergebracht, die Gemälde in daranliegenden großen Sälen.

Alle Kulturvölker haben sich vereinigt, um diese Räume zu füllen. Alle Stimmungen, die in der bildenden Kunst Ausdruck finden können, scheinen vertreten zu sein. Mich führte der Zufall zuerst in einige rechter Hand gelegene Räume, in denen leider der Stumpfsinn und das Grausen die Ueberhand hatten und die reine Freude an harmonischen Abbildungen nicht aufkommen ließen. Diese Konzentrierung des Häßlichen an einer Stelle hat aber ihr Gutes, an den andern trifft man daher weniger. Das Schauerliche scheint aber den Künstlern minderer Begabung noch immer der liebste Vorwurf zu sein; es fällt durch seine Massenhaftigkeit auf, und die Masse kann immer nur Durchschnittsbegabung besitzen. Dem Geschmack der feinsinnigeren Besucher entsprechen diese Darstellungen offenbar nicht, denn ich sah viele, die sich schnell andern Kunstwerken zuwandten. Und an solchen ist gottlob kein Mangel, auch kann bei der Fülle des Dargebotenen jeder Geschmack Befriedigung finden.

Die Schlachtengemälde, z. B. „La Sortie de la Garnison Huningue“ und andere heroische Darstellungen von Détaille, die Huldigung vor Napoleon und ähnliche Bilder von Vibert, Waldpartien und Landschaften von Michel, die Lady Codiva von Lefebvre und viele andere französische Gemälde finden wegen ihrer vortrefflichen Ausführung und ansprechenden Sujets beständig zahlreiche Bewunderer.

Bilder von der Pariser Weltausstellung – Das Finnische Haus

In der ungarischen Abteilung fesselt durch den wunderbaren Glanz seines scharlachroten Seidengewands der Kardinal Schlauch von Benczur Gyula das Auge. Auf die Bilder des spanischen Künstlers Madrazo, der großbritannischen Marcus Stone, Graham, Swinburne und Alma Tadema, der amerikanischen Ridway Knight und Brown sei nur beispielsweise hingewiesen. Browns Straßenscene spielender Jungen läßt einerseits die Erinnerung an die fröhliche Schilderung Mark Twains von Tom Sawyers und Huckleberry Finn und andererseits an die Murillos der alten Pynakothek Münchens wach werden.

Deutschlands Gemäldeausstellung bildet, wenigstens für uns Deutsche – ich glaube aber bemerkt zu haben, auch für andere – einen Ruhepunkt in der Flucht der Erscheinungen. Man braucht auch nur Namen zu nennen, wie Menzel, Kaulbach, Lenbach, Achenbach, Becker, Defregger, v. Uhde, Koner, Anaus, Gabr. Max, Simm Saltzmann u. a. um dies leicht zu verstehen. Höchst interessant ist es, die Angehörigen andrer Volksstämme, namentlich der Franzosen, vor unsern Bildern zu beobachten und ihre Urteile zu hören. Die Spannung in Haltung und Gebärde, wenn sie sich dem Kaiserbild von Koner nahen; die verständnisvolle Bewunderung vor dem Eisenbahnkupee von Menzel, den lachenden Erben von Becker und dem Liebhaberkonzert von Simm; die Ausrufe fröhlichen Entzückens bei der Affengesellschaft von Gabr. Max, der Menagerie von Meyerheim oder des Hühnerstilllebens von Hofner. Daß die Porträts von Kaulbach und Lenbach mit besondrer Bewunderung betrachtet werden, ist selbstverständlich. Der Kriegsrat von Defregger oder die Erstürmung des Kirchhofs von Leuthen von Röchling üben auf unsere kriegstüchtigen Nachbarn bedeutende Anziehungskraft aus.

Eines außerordentlichen Zuspruchs erfreut sich augenblicklich das Deutsche Haus. Es bildet wegen seiner markigen Erscheinung und seiner soliden Ausführung in mitten einer größtenteils im Ausstellungsstil gehaltenen Gebäudereihe einen Gegenstand des lebhaftesten Interesses für eine Bevölkerung, die, man möchte sagen, zu sehr an französische Bauweise und Stil gewöhnt ist. Seine aufregenden Formen und kraftvollen Verhältnisse, seine Giebel, Erker und Türme, die die Eigenartigkeit und das Selbstbewußtsein der deutschen mittelalterlichen Bauweise an den Ufern der Seine lebendig werden lassen, die bemalten Wandflächen mit ihren vom Maler R. Röhland herrührenden Darstellungen sagenhaften Inhalts und ihren in gotischen Buchstaben ausgeführten Sinnsprüchen reden in einer hier bislang zu wenig gekannten Sprache und legen Zeugnis ab für die Bedeutung und Selbständigkeit der deutschen Architekturentwicklung.

Der Erbauer des Hauses, Herr Postbauinspektor Johannes Radke, hat seine ältere Chicagoer Leistung noch übertroffen. Sein dortiges „Deutsches Haus“, das, wie bekannt sein dürfte, nicht wieder abgebrochen ist, hatte eine bessere Umgebung, weite, grüne Rasenflächen mit alten Bäumen; es wurde nicht eingeengt durch andre Baulichkeiten. Hier in Paris steht das Deutsche Haus auf schmalem Raum, in einer Umgebung, die es vereinsamt erscheinen läßt; es fehlen zu dem altdeutschen Rathaus die Nachbarn, die Tempelherrn oder Gildehäuser auf einem mittelalterlichen Marktplatz.

Bilder von der Pariser Weltausstellung – Gesamtansicht der Esplanade des Invalides

Der kraftvollen Außenseite entspricht der solide und reiche Inhalt des Hauses. Bewunderung und Ueberraschung bekunden die Besucher, wenn sie, an das bazarartige Innere der Pavillons fast aller andern Nationen gewöhnt, die großartige Halle des Hauses betreten. Der Fuß gleitet fast aus auf dem glatten Marmor der Eingangshalle. Vornehm breite Treppen aus demselben Material führen an den beiden Seiten der mit Deckengemälden von Gustav Wittig und Wandgemälden von Prof.

Gußmann geschmückten und durch ein farbenprächtiges Glasfenster von A. Lütti stimmungsvoll etwas verdunkelten Halle zu der Sammlung Friedrichs des Großen empor. Vier im Geschmack des 18. Jahrhunderts künstlerisch ausgestattete Räume bilden den Rahmen für die Kunstschätze, die der Deutsche Kaiser hergesandt hat. Der mittlere, als Empfangszimmer dienende Raum mit seinen gelbseidenen Tapeten und weißen Holztäfelungen, den herrlichen, mit Silberranken verzierten Spiegeln über der Eingangsthür und dem Marmorkamin, der nach dem Vorbild von Sanssouci mit silbernem Rankenwerk und Spinnweben geschmückten, aber nicht kopierten Decke und den weißen, ebenfalls mit Silber verzierten Thüren läßt die kostbaren Gemälde, Büsten, Vasen und Möbel zur schönsten Geltung kommen. Das kleine, runde, links daneben liegende Bibliothekzimmer mit seiner Wandtäfelung aus Zedernholz und zwei rechts vom Salon gelegene, mit seidenen Tapeten geschmückte Zimmer bilden den behaglich vornehmen Hintergrund für die kostbaren Gemälde und Möbel. Die Herren Direktor Dr. Seidel und Bauinspektor Radke haben es in kunstsinnigster Weise verstanden, hier nicht eine Sammlung im gewohnten Sinn unterzubringen, sondern die ganze Umgebung den Kunstschätzen und der damaligen Zeit derart anzupassen, daß man sich in das 18. Jahrhundert zurückversetzt glaubt. Die berühmten Gemälde erster französischer Künstler, wie Watteau, Lancret, Chardin, Pater, Coypel u. s. w., die kostbaren, reich mit vergoldeter Bronze verzierten Vasen aus Porphyr und Marmor, die herrlichen Uhren, die schweren, reich mit Bronze geschmückten Möbel, die zum großen Teil Berliner und Potsdamer Fabrikat sind (im Salon sind die Beschläge aus Silber, wie auch die Holzteile der Sitzmöbel versilbert sind), geben in dem ihnen künstlerisch angepaßten Rahmen ein Ganzes ab, das sich so großartig wohl nie wieder auf einer Ausstellung vorfinden dürfte.

Bilder von der Pariser Weltausstellung – Das Sibirische Haus

Die andern Räume des Deutschen Hauses sind durch die Ausstellung des Buchgewerbes und der Wohlfahrtseinrichtungen, denen man in Deutschland bekanntlich seit geraumer Zeit ein ganz besonderes Interesse entgegenbringt, eingenommen. Auch hier ist jedes Zimmer eigenartig und zweckentsprechend. In übersichtlicher Weise sind die verschiedenen Erzeugnisse deutschen Fleißes auf dem Gebiet des Buchgewerbes geordnet.

In seinen Wohlfahrtseinrichtungen zeigt Deutschland dann noch dem aufmerksamen Beschauer, wie es die Kräfte hebt, stützt und zu erhalten sucht, die ihm in rastloser Arbeit und Pflichttreue helfen, durch körperliche Arbeit das zustande zu bringen, was deutscher Geist und Scharfsinn auf den verschiedenen Gebieten erdacht, um Deutschland auf den Platz zu stellen, den es jetzt an der Jahrhundertwende einnimmt.

Dieser Artikel erschien erstmals 1900 in Die Woche.