Die Schlafkrankheit

Operation eines schlafkranken Batekenegers durch die Aerzte Dr. Brumpt und Dr. Trautmann

Von Dr. M. Langeron Paris.

Eine geheimnisvolle und furchtbare Krankheit wütet in Afrika und fordert zahllose Opfer unter der eingeborenen Bevölkerung. Die ihr Verfallenen erkranken unter quälenden Kopfschmerzen, denen sich eine namenlose, unüberwindliche Müdigkeit zugesellt, die sie in eine Art Betäubung versetzt.

Erweckt man sie mühsam von Zeit zu Zeit, so erheben sie sich, gehen, nehmen ihre Mahlzeiten mit Appetit ein, um jedoch wieder sobald die auf sie ausgeübten äußeren Einwirkungen nachlassen, in ihre Lethargie zu verfallen, die sie nach kurzem langsam in den Todesschlaf hinüberleitet. Die Einwohnerschaft ganzer Dörfer ist auf diese Weise dem furchtbaren Leiden zum Opfer gefallen, das man die Schlafkrankheit nennt.

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Nachdem man lange Zeit hindurch die Ursache dieser Seuche nicht gekannt, ist es nunmehr gelungen, den Erreger dieser Krankheit zu entdecken, und zwar ist es ein Italiener, Doktor Castellani, dem als Mitglied der nach Uganda entsandten ärztlichen Kommission dieses Verdienst gebührt. Es handelt sich nicht wie man ursprünglich gedacht, um Mikroben, sondern um einen Parasiten, ein Protozoon mit dem Namen Trypanosoma. Dieser Parasit, der äußerst lebhaft ist, befindet sich nicht nur in der Cerebrospinalflüssigkeit, sondern auch im zirkulierenden Blut der erkrankten Neger und besitzt außerordentliche Aehnlichkeit mit jenem, der bereits als Todesursache der Tiere festgestellt wurde, die unter den Stichen der Tse-Tsefliege erkrankten. Im Verlauf jener ärztlichen Forschungsreise, auf der ihr Leiter eines plötzlichen Todes verschied, hat Dr. Brumpt, der Präparator Professor Blanchards von der medizinischen Fakultät in Paris, Gelegenheit gehabt, sowohl in Uganda als auch am mittleren und unteren Kongo zahlreiche Fälle von Schlafkrankheit zu beobachten. Da die Zahl dieser Fälle im Verhältnis zu dem Vorhandensein der Tse-Tsefliege stand, folgerte er daraus, daß dieser Zweiflügler der Erreger der Krankheit sein müsse. Das Institut für Kolonialheilkunde, in Paris beauftragte ihn nunmehr mit einer zweiten Sendung, um seine Nachforschungen fortsetzen und zum Abschluß bringen zu können, doch war er infolge unzureichender Mittel genötigt, seinen Aufenthalt abzukürzen.

Dessen ungeachtet können die Resultate dieser Reise als wertvoll bezeichnet werden. Zahlreiche Untersuchungen der von der Schlafkrankheit befallenen Neger ergaben das Vorhanden sein des von Dr. Castellani als Erreger bezeichneten Trypanosoma, und zwar in 78 unter 100 Fällen. Drei dieser schlafkranken Neger wurden nach Frankreich übergeführt, wo sie sich gegenwärtig unter ärztlicher Beobachtung und Pflege im Auteuil im Hopital des Dumes francaises befinden.

Unsere eine Abbildung veranschaulicht Dr. Brumpt, wie er, assistiert von seinem Kollegen Dr. Trautmann, Kolonialarzt aus Brazzaville, an einem seiner Patienten die Lumbalpunktion ausfuhrt. Er versenkt eine dünne Nadel durch die Wirbelsäule, entnimmt dem Körper einige Tropfen Cerebrospinalflüssigkeit, die er, nachdem er sie zentrifugiert, mikroskopisch auf das Vorhandensein des Trypanosoma untersucht. Nebenbei bemerkt ist diese kleine Operation absolut gefahrlos.

Operation eines schlafkranken Batekenegers durch die Aerzte Dr. Brumpt und Dr. Trautmann
Operation eines schlafkranken Batekenegers durch die Aerzte Dr. Brumpt und Dr. Trautmann

Was die drei in Auteuil untergebrachten Neger betrifft, so entstammt Salomon, der älteste unter ihnen, der englischen Küste, holte sich jedoch den Krankheitskeim am Kongo. Er liegt, wie unser Bild veranschaulicht, in tiefem Schlaf versunken auf seinem Lager. Der im Vordergrund lehnende Macaya ist ein des Lesens und Schreibens kundiger französischer Untertan von Loango, während der dritte Neger, der dreizehnjährige Bobengui, einem Kannibalenvolk entsprossen ist. Ihre Schlafsucht ist in ständiger Zunahme begriffen, und sie erwachen nur, um ihre kurzen Mahlzeiten, die ihnen zur Zeit der ärztlichen Bessuche gereicht werden, einzunehmen. Dann allerdings scheinen sie den Bann, der auf ihnen lastet, wenn auch nur auf Augenblicke, abzustreifen; sie gehen, sprechen und lachen und erbringen dadurch den Beweis, daß diese furchtbare Krankheit, die bis jetzt unabwendbar mit dem Tod endete, die Geisteskräfte absolut intakt läßt.

Die schlafkranken Macaya, Salomon, Bobengui im Hospital de Dames francaises zu Auteuil
Die schlafkranken Macaya, Salomon, Bobengui im Hospital de Dames francaises zu Auteuil

Von den von Schlafsucht befallenen unglücklichen Kranken in Afrika weiß Dr. Brumpt zu berichten, daß sie die Krankheit als eine Art Strafe betrachten, die dunkle Mächte über sie verhängen. Da sie infolgedessen kein Verständnis für die Ansteckungsgefahr dieses Leidens besitzen, nehmen sie gastfreundlich in von der Krankheit noch verschont gebliebenen Dörfern zuweilen den letzten Ueberlebenden einer ausgestorbenen Ansiedlung auf. Aus dieser Tatsache erklären sich die furchtbaren Verheerungen, die diese Seuche in den verschiedenen Gegenden Afrikas unter den Eingeborenen anrichtete.

Ein solches Elend darf nicht ohne Hilfe bleiben! Außerdem gefährdet die fortschreitende Zunahme dieser entsetzlichen Krankheit den europäischen Handel im Innern Afrikas auf das empfindlichste, um so mehr, als sie sich von Westafrika, auf das sie bis vor wenigen Jahren beschränkt blieb, nun · mehr nach dem südlichen Kongo bis Uganda ausbreitete.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 47/1903.