Die eigenartige und langgestreckte Lage der Städte Barmen und Elberfeld und der vor Elberfeld gelegenen Vororte Sonnborn und Vohwinkel hat schon seit längerer Zeit den Wunsch nach einem neben der Staatseisenbahn bestehenden durchgehenden lokalen Verkehrsmittel wach gerufen.
Die Einwohnerzahl der lebhaften Industriestädte Barmen und Elberfeld beträgt etwa 300 000 Köpfe; die Vororte Sonnborn und Vohwinkel bilden ihrerseits wieder die Zentren für einen strahlenförmig auf sie zulaufenden Verkehr aus den Nachbargebieten, der durch drei elektrische Strassenbahnen geleitet wird, die zumtheil schon im Betrieb sind oder doch bald dem Betrieb übergeben werden. Auch eine Reihe von Querbahnen sind vorhanden, welche den Industriezentren lebhaften Verkehr zuführen, z. B. die Bahn vom Zoologischen Garten in Elberfeld nach Müngsten und Burg. So entwickelte sich das Bedürfniss nach einem durchgehenden lokalen Verkehrsmittel von selbst und seit dem Beginn der neunziger Jahre sehen wir die Stadtvertretungen bestrebt, die geeignetste Anlage und die vortheilhafteste Art der Bahn zu gewinnen.
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Es lagen schliesslich zwei Entwürfe vor: ein Entwurf der Firma Siemens & Halske in Berlin für eine elektrische Hochbahn und ein Entwurf der Continentalen Gesellschaft für elektrische Unternehmungen in Nürnberg für eine Schwebebahn nach dem System Eugen Langen in Köln a. Rh. Da die infrage kommenden Städte vor völlig neuen Unternehmungen und Konstruktionen standen, über die Erfahrungen nicht oder doch nur spärlich vorlagen, so ernannten sie zur Begutachtung der beiden Entwürfe eine Sachverständigen-Kommission aus den Hrn. Reg.- und Brth. von Borries-Hannover, Prof. Göring-Berlin und Geh. Fin.-Rth. Köpcke-Dresden. Nach einer sorgfältigen Gegenüberstellung der beiden Entwürfe entschieden sich die Sachverständigen für eine zweischienige Schwebebahn, die jedoch nach den stattgehabten Versuchen auf einer einschienigen Versuchsbahn in die Forderung einer einschienigen Schwebebahn umgewandelt wurde. Die Bahn beginnt, wie wir dem besprochenen Werke: „Einschienige Schwebebahnen“ entnehmen, bei dem Bahnhofe Barmen-Rittershausen, folgt dem Wupperlaufe durch Barmen und Elberfeld, verlässt kurz vor dem Elberfelder Vorort Sonnborn das Bett der Wupper und folgt der durch Sonnborn und Vohwinkel führenden Hauptstrasse, um neben dem Staatsbahnhofe Vohwinkel zu endigen. Die grosse Anlage in Elberfeld-Vohwinkel, welche eine zweigleisige Bahn von insgesammt 13,3 km Länge umfasst, und die zum grössten Theil über der Wupper liegt, zum kleineren Theil durch städtische Strassen führt, ist weit gefördert; man hofft die Bahn im Jahre 1900 dem Betrieb übergeben zu können. Auf einer fertigen Strecke von 800 m Länge sind seit Beginn des Jahres bereits Fahrversuche unternommen worden.
Die Bahn folgt den engsten Windungen der Wupper und den stärksten Krümmungen der Strassen.
Die engste Krümmung in den Hauptgleisen hat im allgemeinen 90 m Halbmesser, geht aber beim Endbahnhof Vohwinkel bis auf 30 m herunter, Die Betriebsgleise enthalten sogar Krümmungen bis herunter zu 8 m Halbmesser. Die stärkste Steigung beträgt 45 ‰. Steigungen und Krümmungen sind so gewählt, dass die auf zunächst 40 km in der Stunde angenommene Fahrgeschwindigkeit nirgends verringert zu werden braucht. Bei den Versuchen sind mit Wagen für 50 Personen gewissermaassen Gewaltsproben gemacht worden. Die engsten Krümmungen wurden mit solcher Geschwindigkeit durchfahren, dass sich die Wagen bis zu 25° schief stellten, ein Maass, welches bei Standbahnwagen schon Katastrophen zurfolge haben würde. Bei der Schwebebahn aber hat sich eine so ruhige Fahrt ergeben, dass, wie die Erbauer berichten, im Wagen frei stehende Personen nicht einmal das Bedürfniss hatten, sich festzuhalten. Beim Abfahren kann in 10-15 Sekunden eine Fahrgeschwindigkeit von 40 km in der Stunde erreicht werden, was einer allgemeinen Durchschnitts-Fahrgeschwindigkeit für die ganze Bahn von 30 km entsprechen würde. Diese lässt sich auf 40 km steigern, wenn die grösste Fahrgeschwindigkeit auf 50 km erhöht wird. Die Erbauerin der Bahn nimmt an, dass die Schwebebahnzüge zu der 13,3 km langen Strecke von Vohwinkel bis zu dem Bahnhof Rittershausen bei 18 Zwischenstationen nicht mehr Zeit brauchen, als die Schnellzüge der 1 km kürzeren Staatseisenbahn mit nur zwei Zwischenstationen. Ob diese Annahme nicht etwas allzu sanguinisch ist, muss die Zukunft lehren. Durch ein selbstthätiges Blocksystem glaubt man eine Zugfolge von 2 Minuten einrichten zu können. Die Signale werden vom Wagen selbstthätig gestellt; ein Versagen soll keine Gefahr sondern höchstens eine Betriebs-Störung herbeiführen. Bei der Vorbeifahrt stellt der Wagen das Signal von der Fahrtstellung auf Halt, und erst nachdem dieses Signal auf Halt gestellt ist, wird das weiter zurück liegende Signal wieder auf Fahrt gestellt. Versagt die Vorkehrung und bleibt bei der Vorbeifahrt das Signal auf Fahrt stehen, so muss das weiter zurück liegende Signal auf Halt bleiben. Dadurch soll die Gefahr eines Zusammenstosses ausgeschlossen werden.
Zunächst werden Einzel- und Doppelwagen gefahren. Die Haltestellen sind so geräumig, dass Züge von 4 Wagen eingerichtet werden können. Jeder Wagen enthält rd. 50 Plätze, 30 Sitz- und 20 Stehplätze. Es werden eine I. und eine II. Klasse und besondere Nichtraucher-Abtheilungen geführt. Bei einer Einstellung von 4 Wagen wird auf eine Leistungsfähigkeit der Bahn von 6000 Personen in der Stunde und in jeder Richtung gerechnet. Zum Durchfahren der engen Krümmungen hängt jeder Wagen in 2 Drehgestellen mit einem Abstand von 8 m. Jedes Drehgestell hat zwei Laufachsen, zwischen denen je ein elektrischer Motor eingerichtet ist. Die Motoren eines Wagens leisten bei 500 Volt Spannung 36 H.P. Die Bremsung erfolgt in vierfacher Weise durch eine Luftdruckbremse, System Westinghouse, durch eine Handbremse des Führers, durch eine elektrische Bremse und durch eine elektrische Rückstrombremse Es werden die Haarmann’’schen Blattstosschienen verwendet. Der Schienenkörper hat eine I-Form und ist in seiner unteren Fläche durch einen um den Schienenkopf beschriebenen Kreis begrenzt, wodurch erreicht wird, dass beim Ausschwingen des Wagens die den Schienenkörper umfassenden Theile in jeder Lage des Wagens ein Entgleisen unmöglich machen, jedoch ein Ausschwingen des Wagens nicht hindern. Die Bahnträger sind sowohl über der Wupper wie in den Strassenstrecken ähnlich gebildet (siehe die Abbildg.); sie sind symmetrisch auf den geraden Strecken, unsymmetrisch auf den gekrümmten und verbreitert auf den Haltestellen. Es ist nicht zu leugnen, dass von allen Hochbahnen die Träger der Schwebebahn das leichteste und perspektivisch befriedigendste Bild gewähren, wenn dieses auch keineswegs als schön bezeichnet werden kann! Jede Hochbahn, die nicht auf geschlossenen, künstlerisch durchgebildeten Viadukten geführt werden kann, ist da, wo sie angelegt ist, als ein nothwendiges Uebel zu betrachten, denn sie verdirbt unter allen Umständen das Strassen- und Landschaftsbild.
Um einen Revisionssteg zu schaffen, wird der 4 m breite Raum zwischen den Schienen auf eine Breite von 2 m mit Bohlen oder Latten belegt, sodass die Konstruktion jederzeit nachgesehen werden kann, die Strasse aber doch nicht zu sehr verdunkelt wird. Ueber der Wupper wird die Bahn durch schrägstehende Stützen getragen, welche in ihrer Spannweite dem 15-40 m breiten Flussbette folgen; unter sich sind sie 30 m von einander entfernt und dürfen in das Hochwasserprofil 2 m tief eintauchen. In den Hauptstrassen von Sonnborn und Vohwinkel sind Portalstützen verwendet. Die Stützen stehen auf den Bürgersteigen und lassen den Fahrdamm frei.
Die Haltestellen sind in Elberfeld als Aussenbahnsteige eingerichtet. Die Höhe der Bahnsteige und damit die Höhe der zu ersteigenden Treppen kann bei den Schwebebahnen geringer genommen werden, wie bei den Standbahnen. Bei der Elberfelder Schwebebahn führen die Treppen der Bahnsteige nur bis zu 4,5 m hinauf. Eine besondere Sorgfalt ist der künstlerischen Ausbildung der Haltestellen gewidmet, insbesondere der Haltestelle Döppersberg. Die Gesellschaft hatte für diese einen öffentlichen Wettbewerb und darauf einen engeren ausgeschrieben, aus welchen beiden Hr. Arch. Bruno Möhring in Berlin als Sieger hervorging. Nach dessen eigenartigem Entwurf erhält die Haltestelle Döppersberg den in den Abbildungen dargestellten schönen Bahnhof, auf dessen Wirkung nach der Fertigstellung man wohl gespannt sein darf.
Die Angaben über Wagenschuppen und Betriebsbahnhöfe und andere Einzelheiten glauben wir übergehen zu können, um noch einige kurze Angaben über die Kosten der eigenartigen Bahnanlage zu machen. Bei einer Entfernung der Träger von einander von 30 m und bei der Verwendung beliebig langer Züge mit Wagen zu je 50 Personen beträgt das Eisengewicht einschl. der Stützen für das lfd. m zweigleisiger Bahn auf der Wupperstrecke 1140, auf der Landstrecke 1065 kg. Unsere Quelle giebt auch eine Gegenüberstellung dieser Gewichte mit den für die elektrische Hochbahn in Berlin nöthigen. Nach einer Veröffentlichung Baltzer’s in der Zeitschrift für Kleinbahnen beansprucht die genannte Bahn ohne Gleismaterial bei 16,5 m Stützenweite ein Eisengewicht von 1400, bei 21 m von 1800 kg. Unter Berücksichtigung der augenblicklichen Eisenpreise betragen die Gesammtkosten für 1 km Bahn einschl. der Haltestellen und Gründungsarbeiten 450-500 000 M. Unter der Annahme, dass alle 3 Minuten ein 100 Personen fassender Zug mit einer Geschwindigkeit von 40-50 km befördert wird, betragen die Gesammtkosten einschl. voller Ausrüstung für 1 km zweigleisiger Bahn 700 000 M., gegen 2 Mill. M für die elektrische Hochbahn in Berlin und 3-8 Mill. M. für die Stadtbahn in London (S. 59 unserer Quelle).
Der Aufnahme des vollen Betriebes der Elberfelder Schwebebahn wird mit grossen Erwartungen entgegengesehen. Erst die praktische Erfahrung muss den Nachweis bringen, ob die Langen’sche Schwebebahn auch die Hoffnungen zu erfüllen vermag, nach welchen sie „als Schnellbahn zur Verbindung grösserer Städte und als Hochbahn zur Herstellung eines Schnellverkehrs innerhalb der Städte eine grosse Zukunft hat“ (S. 73). Das eine aber darf man wohl jetzt schon aussprechen, dass die Langen’sche Schwebebahn einen wichtigen Schritt in der Entwicklung des modernen Verkehrswesens insbesondere durch ihre günstigen wirthschaftlichen Verhältnisse bedeutet. Sind die Betriebsergebnisse thatsächlich von den günstigen Erfolgen begleitet, die man von ihnen erwartet, so wird man um so leichteren Herzens über die unschöne Form hinwegsehen, je augenfälliger diese Ergebnisse sind. Denn auch das Schönheitsgefühl findet seine Grenze in den dringlichen Forderungen des Wirthschaftslebens und des Verkehrs. –
Dieser Artikel erschien zuerst am 23.12.1899 in der Deutsche Bauzeitung.
Bücherschau
Einschienige Schwebebahnen nach den Patenten Eugen Langen, Köln a. Rh. Elberfeld 1899. Bädecker’sche Buchhandlung. Preis 9 M.
Unter dem vorstehenden Titel ist ein dünner Band Querfolio erschienen, welcher in 7 Abschnitten mit zahlreichen Lichtdrucktafeln das Wesen der Langen’schen Schwebebahnen erläutern will. Die Schwebebahn setzt die Anwendung der elektrischen Kraft voraus. „Durch vollständige Aenderung der bisherigen Gleis-, Bahn- und Wagenkonstruktionen gewährleistet sie für Fernbahnen auch bei der grössten Geschwindigkeit sowie in verhältmaässig engen Krümmungen eine bisher nicht annähernd erreichte Sicherheit und ermöglicht städtische Hochbahnen vielfach noch da, wo gewöhnliche Standbahn-Hochbahnen ganz ausgeschlossen erscheinen.“ Abschnitt II bespricht den Patentschutz der Haupt- und aller Einzelkonstruktionen, Abschnitt III die Versuchsausführungen und endgiltigen Anlagen. Abschnitt IV behandelt die verschiedenen Arten von Schwebebahnen und zwar die Schwebebahn als Hochbahn in Städten, die Schwebebahn als Schnellbahn, die Feld- und Bergschwebebahn mit künstlicher Verrösserung der Adhäsion, die Zahnrad-Schwebebahn und die Schwebebahn mit Seilbetrieb. Abschnitt V bespricht die Schwebebahn Barmen-Elberfeld-Vohwinkel als die erste Öffentliche Schwebebahn-Anlage für Personen-Beförderung. In Abbldg. 23 wird eine Schwebebahn mit Portalstützen und Dreiecksträgern gegeben, die hinter dem Maria Theresiendenkmal zwischen den beiden Hofmuseen in Wien durchgeführt gedacht ist. ‚Es wäre aber doch erwünscht, dass eine solche Anlage hier und auf ähnlichen monumentalen Plätzen nicht zur Durchführung gelange; denn was in Elberfeld und Barmen über der Wupper noch allenfalls durchgehen kann, braucht deshalb noch keine Zierde für die Hofmuseen zu sein. Abschnitt VI giebt einen Vergleich von Schwebebahnen mit Standbahnhochbahnen und im Schlusswort wird die Zuversicht ausgesprochen, „dass die Langen’sche Schwebebahn namentlich als Schnellbahn zur Verbindung grösserer Städte und als Hochbahn zur Herstellung eines Schnellverkehrs innerhalb der Städte eine grosse Zukunft hat.“ –
Dieser Artikel erschien zuerst am 23.12.1899 in der Deutsche Bauzeitung.