Die Synagoge zu Bonn

Der allgemein anerkannte Mangel an Veröffentlichung von Bauentwürfen der bestehenden kleinern Synagogen mag es rechtfertigen, hier den 1876 vom Unterzeichneten bis in seine kleinsten Einzelheiten entworfenen Bauplan der Synagoge zu Bonn vorzuführen.

Als Bauplatz war, wie der Lageplan zeigt, die Ecke eines nach dem hiesigen Rheinwerfte gerichteten Strassenviertels bestimmt, welcher Eckplatz bis dahin von 3 alten Wohngebäuden nebst Hinterhäusern und einem Stück alter Stadtmauer bedeckt wurde. Dieser Bauplatz, nur 37,0 m lang und rd. 21 m breit, schränkte sich für den eigentlichen Synagogenbau noch dadurch ein, dass im Westen desselben ein hinreichender Platz für ein später zu erbauendes Gemeindehaus erübrigt werden musste. Eine weitere Schwierigkeit ergab sich dadurch, dass die vor der Synagoge hinziehende Strasse in der Länge des Gebäudes einen Fall von 1,3 m hat.

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Bei der bevorzugten Lage, dem Rheinstrome und seinem viel besuchten Werfte gegenüber, wünschte zur Zeit die Gemeinde trotz der Kleinheit des Baues dem Innern und Aeussern desselben eine strengere architektonische Durchbildung gegeben zu sehen, damit der Neubau hinter den übrigen monumentalen Gotteshäusern Bonns nicht allzu sehr zurück stehe. Da die geringe Breite des Bauplatzes die bei den grössern Synagogen der Neuzeit beliebte, streng zentrale Grundriss-Anordnung ausschloss, so wurde die allgemeine Grundrissform der bekannten Harzbasilika (Hamersleben u. a.) gewählt, indem bestimmt erwartet werden durfte, mit ihren verhältnissmässig einfachen Formungen grade für den Innenraum das höchste, erreichbare Maass von Würde zu erzielen. Um dabei jedoch der Gefahr zu entgehen, dem Innern und Aeussern den Charakter einer christlichen Kirche zu geben, hat der Architekt den eigentlichen Innenraum möglichst quadratisch geplant. Er stelzte daselbst die Rundbogen der Arkaden und des Orgelchors in orientalischer Weise, er wendete im Aeussern durch Einlage von braunrothen Sandsteinstreifen in die weissgelben Ziegelstein-Flächen eine lebhafte Polychromie an, er gab den vielfachen Dachgiebeln durchweg halbkreisförmige Gestalt, er setzte neben jeden Giebel Thürmchen mit minaretartigen Kuppelspitzen, er überdachte die Podeste jedes der beiden Haupteingänge (links für die Männer, rechts für die Frauen) mit den, bei den orientalischen Moscheen so oft angewendeten Kuppelschirmen und suchte endlich in die romanischen Einzelornamente so viel wie möglich sowohl die Zickzacklinie als auch naturalistische Pflanzenformen einzuführen.

Synagoge zu Bonn – Lageplan

Das sehr einfache und sich vielfach der evangelischen Kirche anschliessende Kultus-Bedürfniss bestimmte die Einzel-Ausbildungen des Innenraums. Zur rituellen Ausstattung des möglichst nach Osten. zu richtenden Chores gehört der ausgedehnte und sichere Schrankbehälter zur Aufbewahrung der Thora-Rollen (Bücher des alten Gesetzes), das eigenartig geformte Pult, um auf demselben bequem die obigen grossen Rollen ablesen zu können, die Kanzel in Form eines Lectoriums, das Pult des Vorbeters, der 7- bezw. 9armige Riesenleuchter und die Gedächtnissflamme zur Feier der Jahrestage Gestorbener.

[Die Bonner Synagogen-Gemeinde gehört zu den sogenannten „Gemeinden neuerer Richtung“, keineswegs zu verwechseln mit der „Reformgemeinde“ Berlins (Jobannisstr.), welche letztere in ganz Deutschland die einzige ihrer Art ist. Die „Gemeinden neuer Richtung“, vertreten durch die grossartigen Synagogenbauten in Hannover, Breslau, Berlin (Oranienburgerstr.) usw., machen es sich in gemässigt puritanischer Weise zur Aufgabe, das Judentum auf seine geschichtlichen Grundfesten zurück zu führen und es von allen Schlacken, welche später die Fremde (z. B. schon die Babylonische Gefangenschaft) in dasselbe hinein gebracht hat, zu reinigen; andererseits aber die Ansprüche unserer Zeit zu befriedigen, so weit es das alte Gesetz erlaubt. Daher umfassende und das tiefere Gemüth ansprechende Anwendung der deutschen Sprache in Predigt und Gesängen nach Talmud erlaubt, daher Einführen der Orgel, daher kritische Einschränkung der Zahl der alten Gebettexte. Die Stellung dieser „Gemeinden neuerer Richtung“ zu den sogen, „Orthodoxen Synagogen“ hat demnach eine gewisse Aehnlichkeit mit der Stellung, welche die evangelische Gemeinde der katholischen gegenüber einzunehmen bestrebt ist. Daher die vielfach gleichartigen Gotteshäuser bei beiden „puritanischen“ Gemeinden.]

Synagoge zu Bonn – Grundriss

Die Sitzbank-Anordnung in den Schiffen des Gebäudes ist ganz ähnlich derjenigen der christlichen Kirche, welche die Plätze der Männer von den Frauen streng durch Gänge von einander scheidet. Die Abweichung liegt nur darin, dass jedem Besucher der Synagoge ein solcher (gemietheter) Sitzplatz gewährt wird, welcher ein bequemes öfteres Aufstehen und Niedersetzen, auch selbst ein Niederknieen (Neujahrstag) erlaubt und welcher auch durch ein kleines Schränkchen unter dem schrägen Buchbrette Gelegenheit giebt, einen Gebetmantel nebst Gebetbuch verschlossen unterzubringen. Aus diesen Rücksichten ergeben sich die ungewöhnlich grossen Abmessungen von Stuhllehne zu Stuhllehne – 0,94 m und die der Höhenlage der Oberkante des schrägen Buchbrettes- 1,19 m; auch wird es nothwendig, dass das Sitzbrett jeder einzelnen Person aufgeklappt werden kann.

Synagoge zu Bonn

Als weitere Eigenthümlichkeit der Einrichtung des Innern mag gelten, dass die Synagogen einen ganz besonderen Werth darauf legen, ihrem Abend- und Nacht-Gottesdienste durch überreichliche Beleuchtung ein feierliches Gepränge zu geben; brennen doch bei solcher Gelegenheit in der Bonner Synagoge 120 starke Gasflammen. Der entsprechenden grossen Erhitzung des Raumes muss eine umfassende Lüftungs-Anlage entgegen arbeiten.

Als Haupt-Abmessungen des Innern der Bonner Synagoge seien folgende angegeben:

Lichte Weite des Mittelschiffs, Breite8,16 m
Lichte Weite des Mittelschiffs, Länge15,0 m
Lichte Höhe des Mittelschiffs (Zeltdach)14,0 m
Lichte Tiefe des Chores3,64 m
Lichte Höhe des Chores (halbkreisf. überwölbt)11,85 m
Lichte Weite der Seitenschiffe2,95 m
Lichte Höhe derselben (Flachdecke)7,20 m
Unterer Durchmesser der Hauptsäulen0,63 m
Oberer Durchmesser der Hauptsäulen0,52 m
Deren Höhe einschl. Kapitell4,60 m
Unterer Durchmesser der Nebensäulen0,38 m

Die Kosten des Baues betrugen

1. für den Rohbau ausschl. der Steinmetz-Arbeiten57 015 M.
2. für Steinmetz-Arbeiten einschl. Ornamente13 200 M.
3. für reiche und stilisirte Ausmalung4 791 M.
4. für stilisirte, einfache farbige Verglasung1 169 M.
5. für Thoraschrank in polychr. Eichenholz2 100 M.
6. für Kanzel aus schwarzem und weissem Marmor885 M.
7. für Bänke und Thüren in Eichenholz7 863 M.
8. für stilgemässe Beleuchtungs-Gegenstände (129 Fl.)4 725 M.
9. für Gasleitungen849 M.
10. für die Abschlussgitter nach der Strasse848 M.
Somit Gesammtkosten93 445 M.

Diese Gesammtkosten ergeben, vertheilt auf die bebaute Fläche, für 1 qm rd. 226 M. und vertheilt auf den körperlichen Inhalt des Baues (bis Oberkante der jedesmaligen Hauptgesimse gemessen) für 1 cbm = 21,50 M.

Bonn, im Oktober 1889. Maertens, kgl. Baurath.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung.