Die Umgestaltung des Münchener Viktualienmarktes

Meist ganz oder nahezu gleichzeitig mit der Erweiterung der Städte durch Vergrösserung ihres Umfanges findet auch eine Umgestaltung des alten Stadt-Kernes, des seit Jahrhunderten in der Bebauung fertigen inneren Theiles statt.

Beide Erscheinungen haben ihre letzte Ursache in der Gesammt-Bevölkerungszunahme, wenn gleich die nächsten Veranlassungen zu ihrem Auftreten oft ganz von einander verschieden sind. Denn die erstere, die Entstehung neuer Stadtheile am äusseren Rande, bezweckt zunächst die Schaffung neuer Wohnungen für die zugezogene, durch Ueberschuss der Geburten über die Sterbefälle angewachsene und aus dem Kerne verdrängte Bevölkerung; die andere aber hat häufig ihren Grund in gesteigerten Ansprüchen des Verkehrs an Bequemlichkeit und Herstellung neuer Einrichtungen, für deren Befriedigung im Innern Raum, Mittel und Wege geschaffen werden sollen.

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München steht zur Zeit in und vor einer solch’ zweifachen Umgestaltung seines Stadtplanes. Im Jahrgang 1899 dieser Zeitschrift ist in einem längeren Aufsatze die geplante Entwicklung der Stadt nach aussen zu schildern versucht worden.Heute soll einiges über die Stadterweiterung Münchens „von innen heraus“ berichtet werden.

Dass bei der Vergrösserung einer Stadt durch Zufügen neuer Bauquartiere am äusseren Rande ein planmässiges, einheitliches Vorgehen allein zu einem gedeihlichen Ziele führen kann, das leuchtet uns heute wohl ohne weiteres ein, obwohl gar manche Städte – und München kann hiervon leider nicht ausgenommen werden – zu ihrem eigenen grossen Schaden die Ueberzeugung von der Richtigkeit dieses Grundsatzes erst durch Erfahrungen am Gegentheil gewinnen mussten. Dass aber auch die Lösung so mancher, anscheinend ganz ohne Zusammenhang unter sich stehender Fragen, welche bauliche Veränderungen in grossem Maasstabe nothwendig machen, zweckmässig, erschöpfend und auf die Dauer genügend nur in gegenseitiger Beziehung und Verbindung mit einander und mit einem weiten, die Zukunft und ihre Forderungen vorahnenden Blicke gefunden werden kann, das will vielfach noch nicht ganz zugegeben werden.

Ein von solchen Gesichtspunkten ausgehender Entwurf zur Umgestaltung eines Theiles der Altstadt Münchens soll im Folgenden seiner geschichtlichen Entwicklung nach und in den Grundzügen in den Plänen beschrieben werden, welche der städt. Oberbaurath Rettig im vergangenen Jahre der Münchener Gemeindevertretung für die Umgestaltung des Viktualienmarktes und die Erbauung einer grossen Markthalle daselbst vorgelegt hat. Den Mittelpunkt Alt-Münchens bildet der Marienplatz, auf dem seit 1639 Hans Krümper’s Bildsäule der „Patrona Bavariae“ zur Erinnerung an die Schwedenzeit steht und auf welchem Hauberrisser in seinem Rathhausneubau auch dem bürgerlichen Verkehr unserer Zeit einen Zielpunkt geschaffen hat.

Vom Marienplatze aus gehen strahlenförmig die älteren Hauptstrassen nach den Himmelsgegenden auseinander: nach Westen die Kaufinger- und Neuhauserstrasse, nach Osten „das Thal“, nach Südwesten die Sendlingerstrasse und in nördlicher Richtung zwei parallele Hauptverkehrsadern, die Wein- und die Dienerstrasse.

Abbildg. 1 – Gegenwärtiger Zustand

Auch das im Süden der Altstadt neu angegliederte Viertel, welches sich um den Gärtnerplatz gruppirt, sucht in seiner Hauptstrasse, der Reichenbachstrasse, die Verbindung nach dem Marienplatze hin.

Für den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens und Verkehres hatte der Marienplatz von jeher die geeignetste Lage; auf ihm wurde auch in früheren Zeiten der Markt, insbesondere aber der Getreideverkauf abgehalten; bis zum Jahre 1854 hiess er daher auch Markt- oder Schrannenplatz. Der eigentliche Lebensmittelmarkt siedelte im Jahre 1801 vom östlichen Ende des heutigen Marienplatzes weg, zunächst in den nahegelegenen „St. Petersfreithof“ (bei der St. Peterskirche) über; von da kam er 1807 in den Hofraum des noch weiter südlich gelegenen ehemaligen Heiliggeistspitales. Es war nämlich der ganze grosse Raum, der in den Stadtplänen von heute mit „Viktualienmarkt“ bezeichnet ist, früher vollständig verbaut. Der grösste Theil dieser Gebäude gehörte dem Heiliggeist-Spital an, welches 1258 eingeweiht wurde, und von welchem heute nur noch die seitdem gleichfalls vielfach umgebaute und wesentlich veränderte Kirche gleichen Namens am westlichen Ende des „Thales“ vorhanden ist.

Südlich grenzten die ehemaligen Klostergebäude bis an die Stadtmauern und Thürme Kaiser Ludwig des Bayern (1313-1347), welche etwa dem Zuge der heutigen Blumen- und Frauenstrasse folgten und deren letzte Reste erst vor zwei Jahren vom Viktualienmarkt verschwanden.

Zwei Stadtpläne von München aus den Jahren 1806 und 1812, von deren Originalplatten das topographische Bureau des k. b. Generalstabes im vergangenen Jahre in dankenswerther Weise Neuabdrücke veranstaltet hat, zeigen den früheren Zustand des heutigen Viktualienmarktes in anschaulichster Weise.

Dem wachsenden Bedürfniss entsprechend wurde der Platz durch Niederlegen der alten Klostergebäude und anstossender Häuser immer mehr vergrössert und für bessere Zugänge zu demselben gesorgt. Die überaus günstige Lage des Viktualienmarktes nahe dem Mittelpunkt der Altstadt hat es mit sich gebracht, dass auch heute noch weitaus der grösste Theil des Marktverkehrs der ganzen Stadt sich auf ihm und in seiner unmittelbaren Nähe abspielt. Denn die in den weiter aussen gelegenen Stadttheilen später errichteten Zweig-Märkte, am Salvatorplatz seit 1823, an der Ecke der Karls- und Dachauerstr, und in der Vorstadt Haidhausen, sind bis jetzt nur von untergeordneter Bedeutung geblieben.

Auch der Münchener Kornmarkt, der infolge grosser Zufuhren aus Ober- und Niederbayern bis in die fünfziger Jahre hinein sich zum Mittelpunkt des süddeutschen Getreidehandels ausgebildet hatte, ist längst vom Marienplatz wegverlegt worden.

1853 wurde hierfür die nach Stdtbrth. C. Muffat’s Plänen erbaute Maximilians-Getreidehalle eröffnet. Sie steht auf dem Gelände der schon erwähnten alten Befestigungen, hat eine Länge von 430 m, nimmt 10900 qm Grundfläche ein und theilt die Blumenstrasse der Länge nach in zwei Theile von ungleicher Breite. Sie ist, abgesehen von einem massiven Mittelbau und zwei ebensolchen Endpavillons ganz in Eisen errichtet und ihrer Form und Konstruktion nach ein Musterbau (Försters Allgemeine Bauzeitung. Wien 1856) aus jener Zeit, in welcher man, wie namentlich auch im Münchener Glaspalaste, es versuchte, dem Gusseisen monumentale Gestaltung zu geben.

Während aber mit Ausdehnung des Eisenbahnbaues in den letzten Jahrzehnten der Getreideverkehr in der Schrannenhalle fort und fort abnahm und sich mehr auf die bei den Bahnhöfen entstandenen Lagerplätze warf, erschien der Raum des Viktualienmarktes für die wachsende Stadt trotz stetiger Vergrösserung durch Abbruch umgebender Gebäude immer wieder ungenügend. Nachdem daher Ende der 70er Jahre die Reichenbachstrasse in nördlicher Verlängerung von der Utzschneider- bis zur Frauenstrasse durchgebrochen worden war, musste man auch wieder an eine wesentliche Vergrösserung und Umgestaltung des Lebensmittelmarktes denken. Unmittelbar südlich und westlich anstossend an die Kirche zum heiligen Geist bestand bis dahin noch ein grosses Gebäude, welches seither als Fleischbank gedient hatte. Dieses kam nach Eröffnung des neuen grossen städtischen Schlachthauses beim Südbahnhof Mitte der 80er Jahre zum Abbruch. Die Kirche wurde hierdurch freigelegt und durch Anbau dreier neuer Gewölbefelder und einer entsprechenden Giebelfassade an der Westseite 1886 nach den Plänen des städt. Bauamtmanns Löwel erweitert.

Für die Bankmetzger, die Marktmetzger, die Wildpret- und Geflügelhändler, dann für Bäcker, Lämmer- und Kitzmetzger und die Kuttler, welche alle seither in und bei der abgebrochenen Fleischbank untergebracht waren, errichtete man südlich der Kirche auf der freien Marktfläche nach den Plänen des städt. Baubeamten Eggers zwei gedeckte und seitlich geschlossene, in Stände eingetheilte, mit Gas- und Wasserleitung versehene und ganz aus Eisen konstruirte Hallen von 1030 und 400 qm Grundfläche. Den Obst-Grossmarkt brachte man in dem freigewordenen nördlichen Theil der Schrannenhalle unter.

Gleichzeitig mit Umgestaltung des Viktualienmarktes und Neuregelung seiner Einrichtungen machen sich aber in den nahe gelegenen Stadttheilen noch weitere Bedürfnisse immer lebhafter geltend. Zunächst erfordert jener zwischen Blumenstrasse, Sendlingerstrasse und Rosenthal gelegene Stadttheil bessere Zugänglichmachung und Verbindung mit den ihn begrenzenden Hauptstrassen. Man nennt diese Gegend das „Anger-Viertel“, weil hier einstmals Felder, Wiesen, Gärten und auch die Stadtbleiche sich ausdehnten.

Ebenso nothwendig ist die Weiterführung der Reichenbachstrasse und ihrer Pferdebahnlinie bis zum „Thal“. Wie schon oben bemerkt, vermittelt diese Strasse den Hauptverkehr aus dem Gärtnerplatz-Viertel und den südöstlichen Vorstädten Au und Giesing nach dem Mittelpunkt der Altstadt hin. Erst Ende der 70er Jahre ist sie von der Kreuzung der Utzschneider- und Rumfordstrasse bis zur Frauenstrasse durchgebrochen worden und heute noch endet ihre Pferdebahnlinie am Südrande des Marktplatzes, weil die Weiterführung der Gleise quer über den Platz hinweg bis zum unmittelbaren Anschluss an die Linie Neuhauserstrasse-Thal wegen der dermaligen Art der Verwendung des Platzes zu Marktzwecken unthunlich erscheint, obwohl die immer mehr sich steigernden Bedürfnisse des Verkehrs gerade in dieser Richtung eine Ausbildung des Hauptverkehrslinien-Netzes nothwendig machen.

Seit längerer Zeit schon wurde die Regelung dieser letzteren Angelegenheit in Erwägung gezogen und Ende des Jahres 1891 eine Anzahl der zwischen Frauen- und Westenriederstrasse gelegenen Häuser und Anwesen um den Gesammtpreis von 815 000 M. (1 qm ungefähr für 205 M.) von der Gemeinde in der Absicht angekauft, nach Niederlegung der Gebäude den frei gemachten Platz zur Unterbringung jener Marktverkäufer zu benützen, welche nach Fortführung der Reichenbachstrasse mit 20 m Breite über den Viktualienmarkt zum Rathhausthurm hin ihre dermaligen Plätze hätten verlassen müssen.

Schon vorher hatte man behufs zeitgemässer Ausgestaltung der Lebensmittel-Versorgung an die Errichtung einer Markthalle gedacht, welche nicht nur den unentbehrlichen Grosshandel fördern, sondern auch dem Einzelverkauf dienen und der bis heute höchst ungenügend entwickelten Versorgung der äusseren Stadttheile mit entsprechenden Märkten aufhelfen sollte. Als geeignetsten Platz für eine solche Gross-Markthalle nahm man den nahe bei und nördlich vom Zentralbahnhofe gelegenen, der Stadtgemeinde gehörigen, noch unbebauten sogen. Maffei-Anger in Aussicht; es erwiesen sich jedoch die wegen des Eisenbahn-Anschlusses der geplanten Markthalle mit den einschlägigen Staatsbehörden geführten Verhandlungen als wenig aussichtsvoll wohl auch wegen der nicht geringen technischen Schwierigkeiten welche trotz der grossen Nähe des Zentralbahnhofes darin lagen dass eine zwischen dem Markthallen-Bauplatze und dem Bahnhofe gelegene Hauptverkehrsstrasse bei dem nicht leicht zu ändernden Höhenverhältnissen in Schienengleiche hätte überschritten werden müssen. Man sah daher von einer weiteren Verfolgung des letzteren Zieles auch aus einem anderen Grunde ab. Frühere Versuche nämlich, den Marktverkehr durch Errichtung der Markthalle am Salvatorplatz, des Marktes an der Augusten- und Dachauerstrasse und jenes in Haidhausen zu dezentralisiren, zeigten schon, dass die Münchener Bevölkerung so sehr an dem alten Markte hängt, dass ein Verlegen desselben auf andere Plätze schwerlich gelingen dürfte.

Man liess daher nach Ankauf der erwähnten Anwesen an der Westenriederstrasse zu Anfang des Jahres 1892 durch den städt. Baubeamten Eggers nach einem von dem rechtskundigen Referenten über Marktwesen aufgestellten, genau begrenzten Programme einen Bauentwurf bearbeiten, welcher die Fortführung der Reichenbachstrasse und ihrer Pferdebahn längs der dermaligen östlichen Begrenzung des Viktualienmarktes und ihre Einmündung ins Thal zunächst der Kirche zum heiligen Geist und dem alten Rathhausthurme vorsah, während auf dem angekauften Grundstücke zwischen Westenrieder- und Frauenstrasse die Errichtung einer Markthalle für animalische Lebensmittel erfolgen sollte. Diese Halle stellt sich nach den Eggers’schen Plänen als der überdeckte Hofraum im Innern jenes Gebäudeblockes dar, welcher auf dem angekauften Platze zwischen den etwas regulirten Baufluchten der genannten Strassen wieder erstehen sollte. Die Halle sammt den umschliessenden Gebäuden würde etwa 4000 qm Grundfläche einnehmen; auf 3 Seiten würde sie von 3stöckigen, zusammenhängenden Häusern umgeben sein, welche in ihren Erdgeschossen ringsum kleine Läden für Obstverkäufer usw., in den Obergeschossen aber Amtsräume für Sparkasse und sonstige städtische Verwaltungsbehörden, Dienstwohnungen und Versammlungssäle enthalten sollten. Die auf dem Vikt.-Markte noch verfügbar bleibenden Plätze sind in regelmässige Formen gebracht, theilweise an den Rändern mit Bäumen bepflanzt und mit einheitlich gestalteten, kleinen, durch gedeckte Gänge verbundenen, heizbaren Reihen-Ständen versehen gedacht. Die weitere Umgebung des Vikt.-Marktes, sowie die auf ihm befindliche Metzgerhalle neben der Kirche zum heiligen Geist, die Metzgerläden unter der Terrasse beim Standesamt an der Nordwestseite des Platzes und der auf der Terrasse daselbst befindliche Blumenmarkt, sowie die Freibank und der Obst-Grossverkauf in der Schrannenhalle sollten unberührt, und die letzteren Verkaufs-Einrichtungen als solche fortbestehen bleiben. Die Baukosten für die Halle sind generell auf 1 620 000 M. veranschlagt, wobei der Werth des Bauplatzes mit 800 000 M. in Ansatz gebracht ist.

Als aufgrund dieser ersten Pläne die Angelegenheit im Magistrate zur Berathung kam, wurde zwar im allgemeinen anerkannt, dass es möglich sei, durch Ausführung dieser Vorschläge auf eine Reihe von Jahren einen erträglichen Zustand herbeizuführen, aber im einzelnen gingen die Ansichten doch ganz erheblich auseinander. Auch Oberbaurath Rettig, welcher zum ersten Male seit Antritt seines Münchener Amtes den Berathungen beiwohnte, erhob Widerspruch: zunächst bezüglich des Baues dagegen, dass man nicht nur in der Halle selbst einen Lebensmittelverkauf einrichten wolle, sondern auch aussen ringsum in Läden, welche, abgesehen von sanitären und marktpolizeilichen Bedenken, einerseits wegen ihrer schlechten Beleuchtung und ihres mangelhaften Luftwechsels zum Verkauf von Esswaaren sich doch recht wenig eigneten, andererseits die auf einem Markte gerade so gesuchte Annehmlichkeit, alle Waaren hell und luftig aufgestellt in massenhafter Uebersicht und grosser Auswahl zum Einkauf vorzufinden, den Käufern in keiner Weise zu bieten vermöchten. Im übrigen erschien ihn der rings um die Halle geplante Aufbau von mehren Geschossen als ein wenig glücklicher Gedanke, da er wegen des unmittelbaren Zusammenhanges mit der Halle angenehme Aufenthaltsräume kaum werde bieten können, den Zutritt von Luft und Licht zur Halle selbst aber voraussichtlich wesentlich beeinträchtigen werde.

Für die künftige Brauchbarkeit der neuen Markthalle schien ferner der Umstand nicht unbedenklich, dass wegen zweier sich auf dem Grundstück kreuzender Stadtbäche die Herstellung von zusammenhängenden guten Kellerräumen kaum zu erreichen sein werde. Ebensowenig durfte der Missstand übersehen worden, dass für die Anfahrt und das Abladen, sowie für das Warten der Wagen rings um die Halle nur mässig breite Strassen zur Verfügung stehen.

Da es ausserdem an gleichzeitigen Vorschlägen für die Gesammt-Gestaltung der künftigen Lebensmittel-Versorgung Münchens noch fehlte, so kam es zu einer Ausführung irgend welcher Beschlüsse in dieser Sache zunächst nicht.

Ober-Baurath Rettig, welcher die grossartige Umgestaltung der Lebensmittel-Versorgung der Reichshauptstadt in unmittelbarer Nähe mitgemacht und erst kürzlich als Stadtbaumeister in Dresden die Pläne zu der dortigen Markthalle entworfen und deren Ausführung eingeleitet hatte, glaubte nun, einen umfassenden, selbständigen Vorschlag zur Neuregelung des Münchener Marktwesens und Benützung der neueren Erfahrungen anderer grosser Städte machen zu sollen und arbeitete demgemäss jenen Entwurf aus, welcher Gegenstand unserer weiteren Erörterungen sein soll.

Im März 1893 war diese Arbeit, welche ausser einer Anzahl Lagepläne, zwei farbigen perspektivischen Darstellungen und den nöthigen Ansichten, Querschnitten und Grundrissen auch aus einer Rentabilitäts-Berechnung des ganzen Unternehmens und einer 116 Folioseiten umfassenden Denkschrift besteht, fertig gestellt und dem Magistrat in Vorlage gebracht. Seither sind die Grundzüge des Entwurfes durch öffentliche Ausstellung der Pläne zunächst im Münchener Architekten- und Ingenieur-Vereine, sodann im grossen Saale des alten Rathhauses der Allgemeinheit zugänglich gemacht worden. Die Münchener Tagespresse hat sich ausserordentlich lebhaft mit den verschiedenen Seiten der Angelegenheit beschäftigt; eine Entscheidung über die weitere Verfolgung des Rettig’schen Planes oder eine Beschlussfassung über die Marktfrage überhaupt ist aber in beiden städt. Kollegien bis heute noch nicht erfolgt. Wir fügen nun eine Beschreibung des Rettig’schen Entwurfes an, indem wir die Grundzüge des zu seiner Erläuterung dienenden Berichtes wiedergeben.

Die Nothwendigkeit einer mehr kaufmännischen Gestaltung des Münchener Marktwesens bedingt vor allem die Errichtung einer Hauptstätte, Zentral- oder Gross-Markthalle genannt. Da jedoch in den meisten Waarengattungen in München sich erst ein Grosshandel entwickeln soll, so würde die Erbauung einer dem Grosshandel allein dienenden Landesproduktenhalle nicht nur ein Wagniss, sondern auch aller Voraussicht nach im Hinblick auf die Erfahrungen anderer Grosstädte ein grosser Fehler sein. Denn eine reine Grossmarkthalle besteht nirgends: Grosshändler und Einzelverkäufer müssen auf dem Hauptmarkt beisammen sein. Was dann den unmittelbaren Anschluss einer solchen Halle an die Gleise einer Eisenbahn anlangt, so kommt für die Möglichkeit desselben vor allem die Lage der Markthalle inbetracht. Die Lage der Halle aber bedingt auch wieder die Entwicklung eines eigentlichen Marktverkaufes, während ein geeigneter Anschluss eine Verbilligung der zur Halle gehenden Zufuhren verspricht. Es ist nun bei der fest gegebenen Lage der Eisenbahnhöfe möglich, dass in der Nähe eines solchen ein geeigneter, einen lebhaften, gedeihlichen Marktverkehr ermöglichender Platz gar nicht vorhanden ist. In der That besitzen von 17 Städten Frankreichs, Englands und Deutschlands, deren Marktverhältnisse in der erwähnten Denkschrift zusammengestellt sind, nur drei Hauptmarkthallen mit Eisenbahnanschluss, nämlich: Smithfield-Market, der Haupt-Fleisch- und Gemüsemarkt Londons, unter welchem drei Eisenbahnen von ferne her zusammenlaufen, die Zentral-Markthalle in Berlin, welche an die Stadtbahn angeschlossen ist, und die Zentral-Markthalle in Wien. Die beiden ersteren aber liegen, was nicht übersehen werden darf, zu gleicher Zeit im Brennpunkte des grosstädtischen Verkehrs: Die Londoner Halle beim Holborn-Viadukt mitten in der City, die Berliner Halle 5 Minuten vom Rathhaus und in unmittelbarer Nähe der beiden früher bestandenen Hauptmärkte Alexanderplatz und Neuer Markt. Das einzige Beispiel für eine Grossmarkthalle mit Eisenbahnanschluss ausserhalb des eigentlichen Mittelpunktes der Stadt bietet die Zentral-Markthalle in Wien, von der jedoch berichtet wird, dass ihre Anlage, wenn sie auch nicht gerade als unbrauchbar oder verfehlt bezeichnet werden will, ihrem eigentlichen Zwecke doch nur unvollkommen diene. Immerhin liegt aber auch diese Halle noch am Ring, also dem Zentrum noch sehr nahe, keineswegs aber der Lage der Münchener Bahnhöfe entsprechend in verkehrslosen Stadttheilen.

Trotzdem alle die übrigen der oben erwähnten Städte meist mehre Bahnhöfe haben, liegen gleichwohl ihre Markthallen ausnahmslos mitten in der Stadt und haben keinen Bahnanschluss.

Der Satz, welcher aus der ganzen Markthallen-Litteratur als ein unumstösslicher Grundsatz hervorgeht: dass nämlich eine Markthalle nur da gedeihen kann, wo der Brennpunkt des städt. Verkehrs sich befindet, wird also durch die Thatsache bestätigt, dass sämmtliche bekanntere Markthallen in der Mitte der Städte liegen, und dass unter diesen Markthallen nur diejenigen einen Eisenbahnanschluss besitzen, bei welchen derselbe in Mitte der Stadt hat bewirkt werden können.

Dabei hat sich der unmittelbare Bahnanschluss nicht nach Erwarten bewährt. Der Riesen-Fleischmarkt in London erhält trotz der allerunmittelbarsten Verbindung mit den in seinem Keller zusammenlaufenden Eisenbahnen nur den allergeringsten Theil seiner Zufuhr durch die Bahn. Seine Hauptversorgung geschieht durch die von allen Bahnhöfen her unmittelbar mittels Fuhrwerk zugeführten Waaren. Die Zentralmarkthalle in Berlin bezieht allerdings einen grossen Theil ihrer Waaren durch die namentlich bei Nachtzeit ankommenden Markthallenzüge, welche in den letzten Jahren auch zweimal am Tage einfahren, aber ein weitaus grösserer Theil wird unmittelbar von den Bahnhöfen zugerollt. Viele der Waaren vertragen die Verzögerung nicht, welche dadurch entsteht, dass die Wagen, in welchen sie verfrachtet sind, auf den Güterstationen der rings um die Stadt belegenen verschiedenen Güterbahnhöfe erst ausrangirt, über den Nord- und Südring nach Potsdam überführt, dort erst zu Markthallenzügen zusammengestellt und dann endlich auf der Stadtbahn nach der Zentralmarkthalle hineingeführt werden können. Bis diese Waaren ankommen, sind die durch Fuhrwerk zugerollten längst verkauft und unter Umständen bereits aufgegessen und verdaut.

Bauinspektor Lindemann, der Bauleiter der Berliner Markthallen, äusserte sich in dieser Frage dahin, dass für eine Markthalle für den Engros-Verkehr in erster Linie eine zentrale Lage erforderlich, ein Eisenbahnanschluss sehr wünschenswerth ist, wenn er sich ohne grosse Kosten herstellen lässt, also die Entladung womöglich im Niveau ohne Fahrstuhlbetrieb, Viaduktanlagen usw. geschehen kann.

Wie wenig berechtigt die Behauptung ist, dass eine Bahnverbindung für jeden grösseren Markt geradezu ein unentbehrliches Bedürfniss ist, dafür liefern die Zentralhallen in Paris mit ihrem ungeheuren Verkehr den glänzendsten Beweis. Weit ab von jeder Eisenbahn, im Herzen der Stadt, an der Vereinigung verschiedener verkehrsreicher Hauptstrassen gelegen, florirt dieser Markt in ausserordentlichem Maasse, und versorgt nicht nur sämmtliche Detail-Markthallen von Paris, sondern exportirt auch in die Provinz nach Belgien, England, ja nach den ferneren Orten des Auslandes.

Wir haben die Ausführungen der Denkschrift über die Bahnanschluss-Frage hier besonders ausführlich wiedergegeben, weil bei der lebhaften Besprechung des Rettig’schen Planes, welche sich an die Ausstellung der Pläne im Münchener Arch.- und Ing.-Verein anschloss, gerade dieser Punkt eingehend erörtert und von mehren Seiten der Mangel einer Gleiseverbindung der geplanten Münchener Halle als ein Fehler betrachtet wurde.

Die künftige Gestaltung der Lebensmittel-Versorgung Münchens ist nach Rettig’s Vorschlägen nun so gedacht, dass nahe dem Viktualienmarkt eine Haupt-Markthalle errichtet werde als Hauptstätte für Grosshandel und Einzelverkauf, in welcher sich die Käufer der Altstadt und die Wiederverkäufer für das ganze Stadtgebiet versorgen können. In einem Kreise um die Haupt-Markthalle, dessen Halbmesser nach dem Beispiel von Paris nicht über 15-18 000 m gewählt werden dürfte, würden zugleich und je nach Bedürfniss offene Märkte zu gründen sein, welche durch Zuweisung der in der Haupthalle entbehrlichen Massen von Verkäufern besetzt werden. Je nach der Entwicklung der Stadt dürften diese Märkte dann allmählich, sobald das Bedürfniss wächst, in bedeckte Märkte, Marktballen, umzuwandeln sein. Es erscheint bei diesen Voraussetzungen nicht nothwendig, die geplante Haupt-Markthalle so gross zu bauen, dass sie alle den Markt gegenwärtig besuchenden Verkäufer aufzunehmen vermag; denn nach den Erfahrungen anderer Städte genügt eine gewisse grössere Anzahl von Verkäufern aus jeder Waarengattung zu einer kräftigen Wettbewerbung und Erzielung billiger und gleichmässiger Lebensmittelpreise,

Demnach soll die an der westlichen Seite des Viktualienmarktes zu errichtende Zentral-Markthalle etwas über 8000 qm Grundfläche erhalten; sie wäre somit nur um ¼ kleiner als die bisherige Zentral-Markthalle in Berlin, um die Hälfte grösser, als die neue Markthalle auf dem Antonsplatze in Dresden, doppelt so gross wie die Markthalle in Frankfurt a. M. und nahezu ebenso gross wie die neue Zentral-Markthalle in Leipzig.

Die Kosten des Erwerbes eines für eine solche Halle geeigneten Platzes in der Nähe des alten Viktualienmarktes stellen sich allerdings bei der ringsum dichten Bebauung und dem Preise von 500 M. für 1qm allein auf 2 ½ Millionen M.; hierzu 1 ½ Millionen M. Baukosten und der wieder zu deckende Reingewinn aus dem gegenwärtigen Marktbetriebe würden eine jährliche Einnahme von 430 000 M. aus der neuen Markthalle nothwendig machen.

Es lässt sich jedoch annehmen, dass die Masse der dermaligen Nebenauslagen, welche die Verkäufer bei dem jetzigen Marktbetriebe zu leisten haben, und welche doch nur recht unvollkommen die Bedürfnisse derselben zu befriedigen vermögen, zusammengenommen eine Summe von Spesen bilden, die bei einer wohleingerichteten Markthalle ganz in Wegfall kommen wird. Erwägt man weiter, dass die neue Halle eine Masse Bequemlichkeiten, wie elektr. Licht, Gas, Wasser, verschliessbare Standeinrichtungen, Kellerabtheilungen usw. zur Verfügung stellt und hierdurch die Verkaufswaaren gegen Regen und Sonne, Russ und Staub, die Personen vor Wind und Wetter, Kälte und Hitze schützen wird, so erscheint es berechtigt, für die in wohleingerichteten Markthallen gebotenen Plätze ein höheres Standgeld festzusetzen, als dies vorher für die Plätze auf dem freien Markte erhoben worden war. Dasselbe haben sämmtliche Stadtverwaltungen ohne Ausnahme gethan, welche in ähnlicher Lage waren.

Trotzdem sind dabei, z. B. in Berlin, die Lebensmittelpreise seit Errichtung der Markthallen nicht nur nicht gestiegen, sondern niedriger geworden, als sie früher gewesen waren, obwohl man heute in den Berliner Markthallen für 1 qm verschliessbaren Stand beinahe das Zehnfache von früher zahlt. Die Einnahmen der Stadt aus den Standgeldern aber sind nach kaum 10 Jahren auf das Vierzigfache gestiegen.

Unter solchen Umständen erscheint der Gedanke der Erbauung einer Haupt-Markthalle auf einem werthvollen Platze der inneren Stadt nachweisbar ohne Verlust für die Einnahmen der Gemeinde ausführbar. Ein solch geeigneter Platz liegt etwa an der Stelle zwischen Rosenthal, Sebastiansplatz und Jacobsplatz. Es ergab sich aber bei weiterer Verfolgung dieses Gedankens die Möglichkeit, mit der vorliegenden Aufgabe auch die seit Jahren erörterte Frage der besseren Erschliessung der nordwestlich und südöstlich der Blumenstrasse gelegenen Stadtviertel einer gründlichen und glücklichen Lösung entgegenzuführen.

Vor allem sind es die Schrannenhalle und die westlich von ihrer südlichen Hälfte zwischen Unteranger und Blumenstrasse gelegene, z. Z. im Staatsbesitze befindliche Frohnfeste, welche der Entwicklung jenes Stadttheiles hindernd imwege stehen.

Zurzeit der Errichtung der Schrannenhalle (1852) stellte der Getreidehandel, noch wenig beeinflusst von den erst in der Entwicklung begriffenen Eisenbahnen, einen grossartigen Betrieb dar. Die Förderung des Schrannenwesens war eine wichtige Aufgabe der Stadtverwaltung und wurde auch von der Staatsregierung nachdrücklich unterstützt.

Heute aber hat sich der Münchener Getreidehandel hauptsächlich nach den bei den Bahnhöfen gelegenen und Gleise-Anschluss besitzenden Lagerhäusern gezogen, so dass der Getreide-Umsatz der Schranne schon vor 15 Jahren nur noch 1/? vom Gesammt-Getreidehandel Münchens betrug, heute aber gar auf 1/7 zusammengeschrumpft ist. Dabei ist dieses 1/7 zu 9/10 Hafer.

Die Schrannenhalle wird daher heute ausser für diesen Haferumsatz als Hopfenmarkt, als Fässer-Aichanstalt, Lehrmittel Magazin, dann hauptsächlich als Verkaufshalle für die Obst-Grosshändler und als Freibank benützt. Diese Betriebe lassen sich zweckmässiger anders wohin verlegen, während bei dem unaufhaltsamen Steigen der Preise von Grund und Boden in der inneren Stadt die Belassung der grösstentheils als Lagerraum benützten Schrannenhalle nicht mehr zu rechtfertigen ist, Eine Fläche von 21 600 qm würde einer gewinnbringenden Verwendung entgegen geführt werden können.

Durch die Beseitigung der Schrannenhalle bietet sich daher die Möglichkeit, die beiden Hälften der Blumenstrasse zusammen zu legen und einen geradezu grossartigen Strassenzug im Innern der Stadt zu schaffen, ohne dass hierzu besondere Mittel aufgewendet werden müssten. Denn die schönen, mit ihrer Front gegen die Morgensonne gerichteten neuen Bauplätze, welche durch Vorschiebung der nordwestlichen Flucht der Blumenstrasse gewonnen werden, würden nicht nur die aufzuwendenden Kosten für die Verlegung decken, sondern es würde durch deren Verkauf sogar noch ein glänzender Ueberschuss erzielt werden, mit dessen Betrag die Kosten für den Bauplatz der neuen Markthalle am Viktualienmarkt mit sammt den Kosten für die übrigen Umgestaltungen bestritten werden können.

Während die beiden jetzt noch durch die Schrannenhalle getrennten Theile der Blumenstrasse trotz der grossen Fläche, welche sie zusammen einnehmen, für sich nur von untergeordneter Bedeutung sind, würden dieselben nach Beseitigung der Schrannenhalle vereinigt einen imponirenden Strassenzug bilden, welchem die Breite der Ludwigsstrasse gegeben werden kann und die schönste Verbindung zwischen dem als Verkehrsmittelpunkt auszubildender freien Marktplatz und den Anlagen der oberen Blumenstrasse darstellen. Die Einförmigkeit des jetzigen Strassenbildes mit der mehr als 400 m langen, einem Schuppen ähnlichen Halle auf der einen und der alten schmucklosen Stadtmauer auf der anderen Seite würde verschwinden und daselbst eine zusammenhängende Reihe stattlicher Neubauten entstehen, welche nicht nur dem ganzen Stadttheile zur Zierde gereichen, sondern auch auf die Bauthätigkeit in den anstossenden Strassen vom wohlthätigsten Einflusse sein würden.

Die für die Zentral-Markthalle gewählte Stelle ist nach jeder Richtung hin sehr passend. Nicht nur wegen der hier viel geeigneteren Zufahrtsstrassen als bei dem Entwurfe nach Eggers zwischen Frauen- und Westenriederstrasse, sondern auch wegen der Möglichkeit, zu gewissen Zeiten durch Hinzunahme des südwestlich der Halle gelegenen St, Jacobs- und Sebastians-Platzes den Markt wesentlich vergrössern zu können, ein Vortheil, der nach Berliner, Pariser und namentlich Leipziger Erfahrungen nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Der ganze Entwurf für die Umgestaltung des Marktes und seiner Umgebung ist in drei Varianten bearbeitet, welche sich lediglich in der Art der Fortführung der Reichenbachstrasse unterscheiden, während die Markthalle selbst bei allen dreien in gleicher Weise angenommen ist.

Nach dem ersten Vorschlage ist die Reichenbachstrasse in geradliniger Verlängerung bis zur Mitte des Marktplatzes geführt, um von hier aus in schwacher Krümmung westlich von der Kirche zum hl. Geist ins „Thal“ einzumünden. Hierdurch wird es zwar möglich, das von der Stadt erworbene Grundstück zwischen Westenrieder- und Frauenstrasse in rechtwinkliger Bebauung ausgiebigst und günstigst auszunützen, allein der frei gemachte Marktplatz wird von der Pferdebahnlinie in der Diagonale durchschnitten und die einheitliche Wirkung der Platzanlage geht hierdurch grösstentheils verloren.

Abbildg. 2 – Zukünftige Gestaltung (2. Entwurf)

Bei dem zweiten Vorschlage, welcher in dem Lageplane (Abbildg. 2) dargestellt ist, wendet sich die geplante Verlängerung der Reichenbachstrasse und ihrer Pferdebahnlinie schon von der Einmündung in die Frauenstrasse ab scharf nach Ost und erreicht das „Thal“ östlich von der Kirche zum hl. Geist, wobei zwischen letzterer und den Häuserquadraten an der Südseite des Thales eine neue breite Verbindungsstrasse geschaffen wird, während durch die geplante Verbauung eines Theiles des Marktplatzes der letztere an seiner Ostseite eine geschlossene Wandung und eine entschieden monumentaler wirkende Grundform erhalten würde, ohne durch die Einbusse an Fläche in schönheitlicher Beziehung etwas zu verlieren. Der Hauptvorzug der zweiten Variante vor der erster besteht aber darin, dass die Einführung des von der Reichenbachstrasse herkommenden grossen Verkehrsstromes ins „Thal“ an einer wesentlich passenderen Stelle geschieht, als nach dem ersten Vorschlage an der ohnehin schon bedenklich eingeschränkten Durchfahrt unter dem Thurme des alten Rathhauses.

Abbildg. 3

Die dritte Variante endlich (Abbildg. 3) ist entstanden, um einem Wunsche der Bewohner der Reichenbachstrasse Rechnung zu tragen, welchen der Anblick des in der Axe ihrer Strasse liegenden Rathhausthurmes bei dem zweiten Vorschlage entzogen werden würde. Zu diesem Behufe ist die Reichenbachstrassen-Verlängerung in zwei Arme getheilt, von denen der eine nahezu der zweiten Variante entspricht und hauptsächlich für den Pferdebahnverkehr und das schwere Fuhrwerk bestimmt ist, der andere geradlinig nach dem Rathhausthurm hinführt und nur leichteren Verkehr aufnehmen soll.

Wir möchten aber den dritten Vorschlag keineswegs über den zweiten setzen; denn die Reichenbachstrasse ist ohnehin schon viel zu lang und bedarf recht sehr eines näher gelegenen Abschlusses, der Rathhausthurm aus unendlicher Ferne gesehen aber wirkt keineswegs beherrschend auf das Strassenbild, während die diagonale Durchschneidung des neu geplanten Gebäudeblockes die so erwünschte Geschlossenheit der Ostwand des Marktplatzes zum grössten Theil wieder zerstören und dafür noch einen Gebäudeblock von für die Bebauung höchst ungünstiger dreieckiger Grundform schaffen würde. Der Umweg aber, den man von der Reichenbachstrasse zum Rathhausthurm nach der zweiten Variante um die südwestliche Ecke des neuen Häuserquadrates zu machen hätte, ist höchst unerheblich.

Die neue Markthalle nun würde nach allen drei Varianten an die Südwestseite des bisherigen Viktualienmarktes, anstelle des zwischen Sebastiansplatz und Rosenthal belegenen Häuserviertels zu stehen kommen; die westliche und östliche Blumenstrasse würde zu einem einzigen 35 m breiten Strassenzuge zusammengelegt werden. Das äusserst schmale Hebammen-Gässchen wäre auf 17 m zu verbreitern und als „Markthallenstrasse“ nördlich bis zum Rindermarkt durchzubrechen sein.

Eine ganze Reihe weiterer Strassenverbreiterungen hängt mit dem Entwurfe zusammen; sie bezwecken vornehmlich die „Erschliessung des Angers“ nach jeder Richtung hin, streben eine bessere Verbindung des Mariannenplatzes mit dem Rindermarkte an und gewähren der neuen Markthalle von allen Seiten her bequeme Zugänge. Die geplante Verbreiterung der Blumenstrasse aber nach vollständigem Abbruch sowohl der jetzigen Schrannenhalle als auch der westlich derselben am Unteranger liegenden und vom Staat zu erwerbenden Frohnfeste sichern die Gewinnung einer ganzen Reihe werthvollster Bauplätze, deren Verkauf in der Rentabilitäts-Berechnung des ganzen Unternehmens eine Hauptrolle spielt.

Die Markthalle selbst soll eine Grundfläche von 8150 qm bedecken, im Erdgeschoss des eigentlichen Hallenraumes zusammen 3066 qm geschlossene und 659 qm nicht umhegte Standplätze für Verkäufer von Fleisch, Wildpret, Geflügel, Fischen, Bier, Butter, Obst, Gemüsen usw. enthalten, während auf den Gallerien, welche sich längs der Umfassungsmauern hinziehen und in der Mitte durch zwei Quergallerien verbunden sind, hauptsächlich sogen. Bauernstände mit einer Gesammtfläche von 1452 qm sich befinden, die in erster Linie für die ländlichen Verkäufer bestimmt sind. Verschiedene, an geeigneten Stellen angelegte, bequeme Treppen stellen die nöthige Verbindung zwischen den unteren und oberen Verkaufsplätzen her; zur Beförderung der zum Verkauf bestimmten Waaren von und zum Keller sind mehre hydraulische Aufzüge vorgesehen.

Anschliessend an den Hallenraum an der Ecke des Rosenthals und der erweiterten Hebammenstrasse ist eine Gastwirthschaft mit dazu gehörigen Nebenräumen angenommen, an welche sich die Amtszimmer für die Markt-Inspektion und die Polizei, ferner Räume zur Aufbewahrung von Geräthen und öffentliche Aborte anreihen. Darüber befinden sich, theils von der Gallerie, theils vom Treppenhaus zugänglich, Räume für Verkaufs-Vermittler und Hallenarbeiter, für Sanitätszwecke sowie auch die nöthige Anzahl öffentlicher Aborte und die Wohnung des Markt-Inspektors. Im 2. Obergeschosse dieses Gebäudetheiles sind Wohnungen für die Markt-Aufseher und den Wirth, im Dachgeschoss verschiedene Kammern für Dienstboten angenommen.

Die Halle soll ihrer ganzen Ausdehnung nach unterkellert werden, so dass zur Lagerung der Waaren eine ebenso grosse Grundfläche wie jene der gesammten unteren Verkaufsstände zur Verfügung stehen würde. Im übrigen Theile des Kellergeschosses sind die Räume für Kessel und Maschinen zum Betrieb der elektrischen Beleuchtung, der Lüftungs- und Kühlanlagen, ferner Vorrathskeller für die Gastwirthschaft und die Wohnungen gedacht.

Hinsichtlich der in Aussicht genommenen Konstruktionen ging man von dem Gedanken aus, einen grossen gedeckten Marktplatz zu schaffen und demnach im Gegensatz zu den in München theilweise angewendeten niedrigen überdeckten Standreihen eine einzige, reichlich Licht und Luft zulassende Halle zu planen, wie solche in neuerer Zeit in allen grösseren Städten hergestellt wurden und auch den Beifall des kaufenden Publikums ausnahmslos gefunden haben. Mit Rücksicht auf die klimatischen Verhältnisse sind durchaus gemauerte Umfassungen, sowie auf Eisenkonstruktion ruhende Falzziegeldächer unter Vermeidung von Oberlicht angenommen, wie auch Boden und Decke der Gallerie durchgehends massiv konstruirt gedacht sind. Der Höhenunterschied der Haupt- und Zwischendächer gestattet die Zuführung reichlichen Seitenlichtes und mehr als ausreichende Lüftung des Hallenraumes, während die Abführung der vom verdorbenen Luft aus den Kellerräumen über Dach in den als Ventilationsschlöte wirkenden Eisenpfeilern der Hallenkonstruktion bewerkstelligt werden würde.

Im Aeusseren zeigt der Bau die Formen süddeutscher Barock-Architektur mit verputzten, an einzelnen Stellen bemalten, Flächen und Gliederungen in Ziegel-Fugenbau und spärlicher Verwendung von Haustein. An der stumpfen Ecke der Blumenstrasse an des Marktplatzes wurde hauptsächlich aus esthetischen Gründen ein Thurm geplant, in dessen oberem Theil der zum Betrieb der Aufzüge nöthige Wasserbehälter Aufstellung finden würde. Zur Belebung der in ihrem unteren Theile nackten äusseren Mauerfläche und der dadurch ermöglichten Erzielung eines malerischen Bildes sind auf der schmalen, dem Marktplatze zugekehrten Seite einige Verkaufsläden angeordnet, in welchen Delikatessen, Bäcker- und Konditorwaaren oder ähnliche Artikel feilgeboten werden können. In der Nähe des Thurmes soll ein laufender Wandbrunnen in künstlerischer Ausgestaltung zur Ausführung kommen.

Als eine Neuerung gegenüber dem bisherigen Marktbetrieb sei noch erwähnt, dass die vorgesehene elektrische Beleuchtung die Benützung der Halle auch in den Abendstunden ermöglicht, so dass besonders der arbeitenden Bevölkerung zu jeder Jahreszeit Gelegenheit geboten wäre, nach Feierabend noch die nöthigen Einkäufe für den folgenden Tag zu machen.

Was die für die Durchführung des Entwurfes aufzuwendenden Kosten anlangt, so ist der Bau der Markthalle mit 1 600 000 M. veranschlagt. Der Aufwand für die übrigen Umgestaltungen soll durch den Verkauf der gewonnenen werthvollen Bauplätze gedeckt werden, einschl. des Erwerbes des Bauplatzes der Markthalle. Aus dem Betrieb der Markthalle soll noch über die Baukosten ein Ueberschuss erzielt werden.

Gleichzeitig mit der Erbauung einer Zentral-Markthalle am Viktualienmarkt ist auch die Errichtung von mehren Aussen-Markthallen ins Auge gefasst; so eine solche im Hofe des Schulhauses an der Luisenstrasse, eine im Norden und eine im Westen der Stadt, ferner eine weitere im Süden und endlich die Anlage zweier kleinerer Aussenmärkte im Osten auf den Kirchenplätzen der Vorstädte Haidhausen und Au. Bei diesen Aussenmärkten würden die vom Viktualienmarkte zu entfernenden Hallen vortheilhaft verwendet werden können. Ein wesentlicher Vorzug des Rettig’schen Entwurfs, welcher in der Denkschrift nicht besonders hervorgehoben ist, liegt unseres Erachtens auch darin, dass bei Ausführung desselben neben den für den Verkehr in jeglicher Beziehung erreichten ausserordentlichen Vortheilen die künstlerischen Seiten der Aufgaben nicht vernachlässigt, sondern in ihrer grossen Bedeutung für den Städtebau voll gewürdigt worden sind. Es ist dies um so erfreulicher, wenn man mit ansehen muss, wie die Gemeindevertretung einer anderen bayerischen Stadt, wohlmeinenden Rathschlägen zum Trotz und in übereifriger, einseitiger Verfolgung imaginärer Verkehrsbedürfnisse, die charakteristischen Bestandtheile ihrer schönsten Städtebilder rücksichtslos zu zerstören beginnt zu derselben Zeit, wo Sitte und Henrici’s Bemühungen, Dank dem verständnissvollen Entgegenkommen einsichtiger Techniker, in der Landeshauptstadt so erfreuliche Blüthen zeitigen.

Durch die Beseitigung der unregelmässigen Stände und Hütten vom jetzigen Viktualienmarkt und durch Herstellung einer geschlossenen, architektonisch ausgebildeten Wand anstelle der ausdruckslosen, zerrissenen dermaligen Begrenzung der Ostseite wird der Raum des Viktualienmarktes erst als ein Platz von hervorragender Schönheit für die Stadt gewonnen. Denn gegenwärtig ist man im Drange des geschäftlichen Verkehr und im freien Ausblick auf die Umgebung durch die Hütten und Stände behindert, gar nicht imstande, sich der genussreichen Betrachtung der vielgestaltigen Architekturbilder hinzugeben, welche namentlich von der etwas höher gelegene: Frauenstrasse aus dem Blick gegen Norden sich darbieten, wo die drei Thürme, jener des alten Rathhauses und die von St. Peter und zum heiligen Geist, mit den bewegten Umrisslinien der vor- und hintergelagerten Gebäudemassen ein prächtiges Beispiel mittelalterlicher Platzgestaltungen darstellen. Eine der vortrefflichen perspektivischen Darstellungen des Plans veranschaulicht diese Seite des Entwurfes in vorzüglicher Weise.

Selbst wenn die Markthalle nicht an der gewählten Stelle zur Ausführung käme, so würde die Freimachung des Viktualienmarktes für sich schon eine bedeutsame baukünstlerische That sein, welche Zeugniss davon ablegt, dass die begonnene Stadterweiterung Münchens wohl geeigneten Händen anvertraut ist, und dass hierbei neben voller Befriedigung aller praktischen Bedürfnisse die schönheitliche Ausgestaltung unserer Stadt nicht ausseracht gelassen wird.

München, am 1. Februar 1894. C. Wbr.

Dieser Artikel erschien zuerst 1894 in der Deutschen Bauzeitung. Das farbige Beitragsbild gehört nicht zum Ursprungsartikel. Es handelt sich um einen Stadtplanausschnitt aus Meyers Lexikon von 1928.