Architekt Professor-Gabriel Seidl. Wer aus den Münchener „Propyläen“ heraus tretend rechts in die Luisenstrasse einbiegt – etwa um nach der Kunstgewerbe-Schule und der Industrie-Schule zu gelangen – wird unwillkürlich von einer Wohnhaus-Gruppe gefesselt werden, die in unmittelbarer Nähe des Thors, neben den Garten-Anlagen an der Mündung der Brienner- in die Luisenstrasse, seinen Blicken sich darbietet.
Dass es sich um die Wohnstätte eines Künstlers handelt, verräth neben den im Garten aufgestellten Bildwerken schon die eigenartige, in freier Verwerthung italienischer Vorbilder entstandene Anordnung des Ganzen. Auf der Rückseite ein dreigeschossiges, von einer Laterne überragtes Haus, neben welchem ein zweigeschossiger, offener Hallenbau einerseits, eine architektonisch gegliederte, oben im Bogenausschnitt abgeschlossene Hofmauer andererseits den Durchblick nach dem Hinterlande verdecken. Links ein lang gestreckter, zur Hauptsache zweigeschossiger Bau; der vordere, eingeschossige Theil desselben von einer offenen Terrasse bedeckt, zu der eine einseitige Freitreppe empor führt. Der nicht bebaute vordere Rest des Grundstücks, das mit breiten, zwischen festen Mauerstücken eingefügten Gitterfeldern nach der Strasse sich öffnet, in geometrischer Regelmässigkeit als Garten-Anlage gestaltet, die ein mittleres Wasserbecken mit einem alt-italienischen Marmorbrunnen umgiebt.
Es hat nicht an geistreichen und wohlwollenden Leuten gefehlt, welche diese eigenartige Anordnung des Hauses zu der Eigenart seines Besitzers, des Malers Prof. Franz v. Lenbach in Beziehung gesetzt haben und sie aus einem besonders stark entwickelten „Repräsentations-Bedürfniss“ des gegenwärtigen Hauptes der Münchener Künstlerschaft ableiten zu können glaubten. Durch einen Hinweis auf andere Künstlerhäuser, deren inneres Leben von der Aussenwelt nach einem stillen Garten sich abkehrt, wurde dabei noch für einen wirksamen Gegensatz gesorgt.
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Leider hält diese Auslegung vor der Wirklichkeit eben so wenig Stich, wie die Deutungen der meisten „Ausleger“ überhaupt. Ein Blick auf den, mitgetheilten, zugleich als Lageplan gestalteten Grundriss wird den Fachmann ohne weiteres darüber belehren, dass die gewählte Art der Bebauung im wesentlichen das einfache Ergebniss der Lage und Gestalt des Grundstücks ist. Letzteres ist viel zu klein, als dass es möglich gewesen wäre, ihm neben den. verlangten, ziemlich umfangreichen Gebäuden noch dem Raum für einen hinter dem Haus liegenden Garten abzugewinnen, der dem Bedürfniss der Bewohner genügen könnte; zudem hätte derselbe erst „angelegt“ werden müssen, also in absehbarer zeit wenig Annehmlichkeiten geboten. Durch die gewählte Anordnung ist den Gebäuden dagegen der freie Ausblick aud die baumreichen Gärten gewonnen worden, welche das Grundstück auf 3 Seiten umgeben – links auf jene Öffentliche Anlage vor den Propyläen, rechts auf den Nachbargarten, nach vorn über die Luisenstrasse hinweg auf den Königsplatz und den Park bei der Glyptothek. Allerdings ist nicht in Abrede zu stellen, dass die Bewohner dabei in gleicher Weise den Blicken des Vorübergehenden ausgesetzt sind; aber dieser Uebelstand spiel bei den Verkehrs-Verhältnissen die in jener Gegend Münchens herrschen, keine so erhebliche Rolle und kommt jedenfalls nicht inbetracht gegenüber den sonstigen Vorzügen der Baustelle. Man muss an einem schönen Sommerabend unter jener Terrasse des Seitengebäudes gestanden und die Aussicht auf die im Feuerglanze der untergehenden Sonne schimmernden Monumentalbauten des Königsplatzes, sowie darüber hinaus auf Altmünchen und die Thürme der Frauenkirche genossen haben, um es dem Künstler nachzuempfinden, dass er für die Errichtung seines Wohnhauses gerade diese Lage jeder andern, innerhalb München zu gewinnenden vorgezogen hat.
Die im Vorstehenden erörterte, durch eine Autotypie nach der von Architekt M. Dülfer verfertigten schönen Federzeichnung zur Anschauung gebrachte, allgemeine Anordnung der Anlage ist ohne Zweifel das interessanteste Moment derselben. Sie liefert wiederum einen überzeugenden Beweis dafür, mit welcher Meisterschaft ihr Schöpfer, Prof. Gabriel Seidl, es versteht, aus den gegebenen Verhältnissen heraus jederzeit ein durch originelle Auffassung fesselndes Werk zu gestalten. Die architektonische Durchführung der Bauten im einzelnen, obwohl gleichfalls überaus reizvoll und eigenartig, tritt demgegenüber doch an die zweite Stelle zurück. Wie die Gesammtansicht und der Aufriss des hinteren Hauses zeigen, hat sich der Künstler dabei der Formensprache italienischer Spätrenaissance bedient.
Aber nicht die Prachtbauten dieser Stilweise haben ihm das Vorbild geliefert, sondern die aus dem Bedürfniss hervorgegangenen einfacheren Villenbauten, wie sie in den Aussenbezirken Roms und anderen italienischen Städten noch so zahlreich sich finden. Die überwiegend in Putzformen hergestellte Architektur ist im ganzen eine überaus schlichte; sie sucht ihre Wirkung nicht in einer Häufung von Formen und Motiven, sondern vor allem in den schönen Verhältnissen der Einzelheiten und in der Gesammtstimmung der ganzen Anlage. Durch die Gruppirung der letzteren im Verein mit der Ausbildung einiger bevorzugten Motive – so der giebelgeschmückten Vorhalle auf der Terrasse und der Loggia auf der Langfront des Seitengebäudes, der Loggia und der Freitreppe am Hinterhause, der an letzeres sich anschliessenden Anbauten usw. – hat sich, gleichsam ungesucht, ein malerischer Eindruck ergeben, der seinen Zauber so leicht auf Keinen verfehlt.
Unser Grundriss giebt das 1. Obergeschoss und daneben noch das Erdgeschoss vom Seitengebäude sowie das Erdgeschoss des hinteren Hauses in ihrer Anordnung wieder. Nach der ursprünglichen Absicht des Bauherrn sollte ersteres ausschlisslich als Ateliergebäude, letzteres als Wohnhaus benutzt werden und es ist dementsprechend auch das Untergeschoss des hinteren Gebäudes ganz zu wirthschaftlichen Zwecken, mit Küche Vorrathsräumen usw.eingerichtet worden. Während der Bauausführung gewann jedoch Prof. v. Lenbach von den mit einer Seite nach den sonnigen städtischen Anlangen an der Brienner Str. mit der anderen nach dem Garten sehenden Erdgeschoss-Räumen des Seitengebäudes einen so günstigen Eindruck, dass er beschloss, seine Wohnung hierher zu verlegen. Das hintere Haus dient demnach z. Z. in Wirklichkeit lediglich als eine Art von Galerie bezw. Museum zur Aufnahme der zahlreichen alten Bilder und Kunstgegenstände welche der Besitzer im Laufe der Jahre gesammelt hat. Doch ist ein namhafter Theil der letzteren auch noch im Seitengebäude, namentlich in den beiden, an das grosse Atelier des Meisters im I. Obergeschoss anstossenden Empfangsräumen, sowie in der diesen folgenden, sogen. „Grotte“, einem gewölbten und nach antiker Art ganz mit Marmor-Mosaik ausgeschmückten Raume untergebracht.
Diese Ausstattung mit einer Fülle erlesener Kunstwerke, giebt zugleich den gesammten Innenräumen beider Gebäude so vorwiegend ihr Gepräge, dass daneben ihre im übrigen gleichfalls ziemlich einfache, vorzugsweise auf schöne Wirkung des Raums an sich und die Gestaltung der Decke gerichtete – bauliche Durchbildung durchaus zurück tritt. Statt einer Beschreibung, die an dieser Stelle allein schon durch den Umfang des Stoffs unmöglich gemacht wird, geben wir als Probe die nach photographischen Aufnahmen hergestellten, umstehenden Abbildungen zweier Ansichten aus dem Innern des Hauses.
Das letztere ist nunmehr seit 2 Jahren vollendet. Dass es – obwohl lediglich aus den Verhältnissen seiner Lage und gemäss den persönlichen Neigungen und Wünschen des Bauherrn gestaltet – dennoch eine „Sehenswürdigkeit“ geworden ist, brauchen wir kaum ausdrücklich zu versichern.
Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „- F.-„.