Das Haus der „Allgemeinen Zeitung“ in München

Das Haus der Allgemeinen Zeitung in München

Architekt: Martin Dülfer in München.
Als am 1. Januar 1798 Johann Friedrich Cotta in Tübingen seine „Neueste Weltkunde“ erscheinen liess, welche nach wenigen Monaten die Bezeichnung „Allgemeine Zeitung“ annahm, eine Zeitung, die sich nach den gewaltigen politischen Stürmen des Ausganges des XVIII. und des Anfanges des XIX. Jahrhunderts die Aufgabe gestellt hatte, eine „Weltgeschichte des Tages in zuverlässigen Urkunden und Regesten“ zu sein und in der Staatengeschichte „das Amt des Chores in der griechischen Tragödie“ zu versehen, da konnte er um so weniger ahnen, dass nach 104 Jahren in München die Einweihung eines grossartigen Geschäftspalastes für diese Zeitung vollzogen werden sollte, als letztere bei ihrem Bestreben, den Ereignissen mit möglichster Sachlichkeit gerecht zu werden, bald in politische Konflikte kam, die zuweilen ihren Bestand bedrohten.

Gleichwohl aber gelang es den leitenden Kräften des Unternehmens, die Zeitung so durch die politischen Wirrnisse der ersten sieben Jahrzehnte des XIX. Jahrhunderts zu leiten, dass, als das Deutsche Reich wiedererstanden war und die Zeitung sich die Pflege des nationalen Gedankens nach wie vor zur ersten Pflicht machte, sie auf diesem Boden zu einem Organe ersten Ranges emporgewachsen war.

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Diesem Range auch äusserlich Ausdruck zu geben und die sämmtlichen Geschäftsräume des Unternehmens an einer Stelle zu vereinigen, wurde in der Bayerstrasse in München nach den Entwürfen des Architekten Martin Dülfer das Haus errichtet, welches wir in den mit folgenden Darstellungen zur Anschauung bringen und von welchem nicht zu viel gesagt ist, wenn ihm für die Baugeschichte Münchens eine einschneidende Rolle zugesprochen wurde.

Das Haus der Allgemeinen Zeitung in München
Das Haus der Allgemeinen Zeitung in München

Das Haus verfolgt den doppelten Zweck, in seinen unteren Geschossen dem vielgestaltigen Organismus und den verschiedenartigsten technischen Bedürfnissen einer modernen grossen Zeitung gerecht zu werden, in seinen oberen Geschossen dagegen den anspruchsvollen Bedürfnissen feiner Wohnlichkeit zu genügen.

Auf die Art, wie der unzweifelhaft bestehende Konflikt zwischen Geschäfts- und Wohnhaus hier gelöst und eine möglichste Einheitlichkeit im Ausdruck erreicht ist, wird sich die Kunstkritik in erster Linie richten müssen. Die organische und stilistische Behandlung eines Hauses, das nur geschäftlichen Zwecken dient, ist, ob man nun das Prinzip voller Durchbrechung der Fassaden oder ein anderes, mehr traditionelles an die erste Stelle treten lässt, immerhin eine einfachere und in der Lösung weniger schwere, als die architektonische Behandlung des Geschäftshauses mit Läden in den unteren und mit Wohnungen in den oberen Stockwerken. Die Forderung grosser Schaufenster, die technische Möglichkeit, dieser Forderung in weitestem Maasse zu genügen, stellte die Baukunst vor eine durchaus neue Aufgabe. Es ergab sich hier das Problem, auf möglichst schmalen eisernen Stützen der Untergeschosse Obergeschosse mit Wandflächen aufzubauen und dabei das herkömmliche Gefühl für das Verhältniss zwischen Last und Stütze nicht zu verletzen. Allerdings hatte hierfür schon der Dogenpalast in Venedig ein Vorbild gegeben, indem sein Architekt die geschlossenen oberen Geschosse über dem Arkadengang des Erdgeschosses mit einem Teppichmuster versah und so aus dem Bau ein Stützengerüst machte, dessen obere Theile gewissermaassen mit Teppichen behängt gedacht waren. Dieses Motiv weiter zu bilden, erlaubten die modernen Bedürfnisse unseres Geschäftshauses aber nicht. Martin Dülfer beschritt daher in geistreicher Weise den anderen Weg, durch Sprossenwerk des untersten Geschosses und reichere Fenstertheilungen des Zwischengeschosses die grossen vom Eisen gelassenen Oeffnungen nach Möglichkeit zu verkleinern, die Fassadenmauern der Wohngeschosse dagegen wieder nach Möglichkeit zu durchbrechen und aufzulösen. Er verfolgte also den Grundsatz der möglichsten Annäherung der durch ihre Benutzung stilistisch soweit von einander abstehenden Geschosse. Ein weiteres Mittel glaubte er. darin finden zu können, dass die Fläche der oberen Fassadenmauer um etwa 5o cm hinter die Flächen der Eisenkonstruktion zurückgelegt und diese Rücklage wiederum zu Ausbauten benutzt ist, welche die Fläche bewegen, auflösen und ihrer Last benehmen; dass weiter das ganze Obergeschoss laubenartig behandelt ist und das Hauptgesims nicht als starre Masse sondern in bewegter Linie auf demselben lagert, und dass endlich der Farbe eine weitgehende Mitwirkung im Aeusseren zugedacht war. Diese Auflösungstendenz zeigt sich in gleicher Weise in der ornamentalen Behandlung. Das grosse Ornament des Mitteltheiles, in welchem man vielleicht wird das „grosse Maul der Presse“ erkennen dürfen und welches in den Seitentheilen weiter wuchert, ist filigranartig aufgelöst und in seinen Tiefen mit derselben blauschwarzen Farbe ausgefasst, welche die geschlossenen Fenster zeigen.

Haus der Allgemeinden Zeitung
Haus der Allgemeinden Zeitung

Zu diesen Mitteln der architektonischen Formensprache tritt nicht nur in dem angeführten Ornament, sondern über die ganze Fassade ausgebreitet, das Mittel einer energischen Farbengebung, um hier zu theilen und aufzulösen, dort den Eindruck zu verstärken. Gold, gelbe, blaue, schwarze, grünliche und andere Töne, die in ihrer satten Farbengebung bisweilen an Vorbilder des morgenländischen Alterthums erinnern, sind mit gleichem Glück verwendet, hier den Eindruck zu erhöhen, ihn dort zu mildern. Mit hoher Meisterschaft ist auf diesem Wege eine einheitliche Wirkung erreicht, welche trotz der reichen und satten Farbe und trotz dem erkennbaren Bestreben, in seiner Ausbildung den Forderungen einer feinen Reklame gerecht zu werden, den würdevollen Ernst nicht verloren hat. In der Gesammtwirkung des Werkes spielt die Farbe eine so entscheidende Rolle, dass unsere Abbildungen auch nicht annähernd imstande sind, den Natureindruck wieder zu geben.

Was in der künstlerischen Ausbildung des Werkes ferner Beachtung verdient, das ist die verschiedenartige Behandlung des Putzes, in welcher Martin Dülfer in den verschiedenen Werken seiner kunstreichen Hand, die Münchens Strassen bereits zieren, in eigenartiger und stets neuer Weise vorgeht und unter Zuhilfenahme einer bescheidenen Farbenwirkung mit kleinen Mitteln vielfach neue Wirkungen erzielt. Beispiele hierfür bieten besonders auch die Hofansichten unseres Geschäftshauses, von welchen wir Theile wiedergeben.

Grundrisse
Grundrisse
Schnitt
Schnitt

Ueber die innere Eintheilung des Hauses geben die Abbildungen so erschöpfende Auskunft, dass wenig zu ergänzen übrig bleibt. Die Räume des Erdgeschosses sind als Läden, die des ersten Obergeschosses als Geschäftsräume eingerichtet. Eine Durchfahrt, nach welcher sich die beiden mittleren Läden öffnen, nimmt den Charakter einer Passage an und führt zu dem ersten grossen Hof, dessen architektonische Ausbildung in den Abbildungen angedeutet ist. Die oberen Geschosse des Vorderhauses enthalten je zwei grössere Wohnungen; der Seitenflügel enthält Bureauräume, das Rückgebäude die Werkstätten der Zeitung, sowie Fabrik- und Lagerräume. Neben den Treppen wird der Verkehr im Hause durch Personen- und Lastenaufzüge, durch Telephon und Rohrpost vermittelt.

Die Erwärmung erfolgt durch eine Zentralheizanlage. Die Ausstattung des Inneren ist maassvoll, dauerhaft und eine des grossen Besitzers würdige; an einzelnen Stellen, wie in den Repräsentations-Räumen der Zeitung, schlägt sie reichere Accente an.

Die Räume für die Zeitung liegen, abgesondert von den übrigen Räumen des Hauses, an einem besonderen Treppenhause, welches unten zu den Verwaltungsräumen, oben zu den Redaktionsräumen führt. Diese liegen Zimmer an Zimmer; von den Räumen der Chefredaktion befördert eine 50 m lange Rohrpostanlage die Manuscripte nach der Setzerei. Mit dieser ist auch die Handelsabtheilung durch eine besondere Rohrpostanlage verbunden. Das Bibliothekzimmer ist zugleich Konferenzzimmer. Durch Nebentreppen und Haustelephon ist die Redaktion mit den Verwaltungsräumen und technischen Anstalten, durch Telephon-Anschlüsse mit der Aussenwelt verbunden.

Theilansicht des grossen Hauses
Theilansicht des grossen Hauses
Theilansicht des grossen Hauses
Theilansicht des grossen Hauses

Was den Bau auszeichnet und von ähnlichen Bauten abhebt, das ist nicht in erster Linie die technische Durchführung und in künstlerischer Beziehung nicht, wie die Festnummer der Allg. Ztg. richtig sagt, das Streben nach Hypermodernität um jeden Preis, sondern das ist Abweichung von dem Gewohnten in der zwingenden Erkenntniss, dass neue Anforderungen und neue Materialien auch zu neuen Ausdrucksformen drängen. Und diesem Drängen in künstlerischer Weise nachzugeben, ohne das struktive Gefühl zu verlieren und das werthvolle Ergebniss alter Kunst zu verachten, darin liegt eines der Hauptverdienste der Kunst Martin Dülfers. Er entwickelt, er stürzt nicht um. Seine Ehrfurcht vor dem Erbe der Vergangenheit ist bei allem Bestreben, Neues zu schaffen, eine zu grosse, als dass er der Herrschaft des künstlerischen Nihilismus bei sich Einlass gewährte. Immerhin ist er in der Aufnahme des Neuen bei diesem Werke weiter gegangen, wie bei früheren. Und wer einstmals eine Baugeschichte des modernen München schreibt, wird dieses Gebäude mit an den Beginn einer neuen Periode setzen müssen. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 27.07.1901 in der deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „- H. -“.