Der Neubau des „Velodrom-Rotherbaum“ in Hamburg

Der Neubau des Velodrom-Rotherbaum in Hamburg

Architekt: Herm. Schomburgk in Hamburg. Gegenüber dem gewaltigen Anwachsen der Zahl und der Bedürfnisse der Radfahrer in Hamburg erweisen sich die daselbst vorhandenen offenen und geschlossenen Fahrbahnen als völlig unzureichend, besonders hinsichtlich der unentbehrlichen Vereinigung genügender Abmessungen mit dem Schutze gegen Regen und Frost, wie mit bequemen Einrichtungen für Unterricht und Ausübung.

Ferner vermissen Velociped-Sportsmen angesichts der glänzenden Veranstaltungen ihrer Kollegen auf dem Gebiete der Pferderennen, Regatten und Gymnastik längst eine den Anforderungen des deutschen Radfahrbundes bei der Vorbereitung und Abhaltung grosser Wettfahrten entsprechende Bahn, welche bis jetzt weder in deutschen, noch anderen europäischen Städten in ausreichender Form besteht. Zur Abhilfe in grösstem Stile hat sich unter dem Vorsitze der Hrn. Dr. Scharlach und de Lemos in Hamburg die Velodrom-Gesellschaft gebildet, in deren Auftrag der auf dem Felde des Radsports gründlich erfahrene und mit dessen Bundesvertretung in steter Fühlung arbeitende Architekt Hermann Schomburgk den durch die beigegebenen Auszüge aus seinen Plänen näher erläuterten Neubau entworfen hat und zum Frühjahr 1899 fertigstellen wird.

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Als Bauplatz wurde das von der Hamburgischen Staats-Finanzdeputation in öffentlicher Submission ausgeboten gewesene etwa 25 000 qm grosse, an der Ostseite der Rotherbaum-Chaussee südlich vom Thurmweg liegende Gelände erpachtet, welches die Lageskizze darstellt. Es befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft des grossen Lawntennis-Platzes, der Johanniskirche zu Harvestehude und der vornehmen Häuserkomplexe des rechten Alsterufers und wird auf zwei Hauptsträngen der elektrischen Bahn vom Herzen der Stadt aus in wenigen Minuten erreicht.

Der Neubau des Velodrom-Rotherbaum in Hamburg
Der Neubau des Velodrom-Rotherbaum in Hamburg

Für die Grundrissanlage des Velodroms war die Forderung der deutschen Sportbehörde maassgebend, dass eine für grosse Rennen geeignete Bundesbahn im Abstand von 35 cm von den sie umschliessenden Wänden oder sonstigen Begrenzungen eine Länge von 333,3 m haben muss. Diese an der Westseite 7,2 m, an der Ostseite 5,2 m breite Rennbahn ist auf den beiden je rd. 105 m langen geradlinigen Strecken eben, steigt aber in der Mitte der beiden halbkreisförmigen Abschnitte, wie die Schnitte M-N und P-Q zeigen, bis auf die Höhe von rd. 3,5 m an, während die Auslauf- oder Spurt-Kurve sich bis zu 4 m über das horizontale Fahr-Niveau erhebt. Bei der Konstruktion dieser Kurven ist eine Geschwindigkeit von 17 m in der Sekunde oder mindestens 1 km in der Minute zugrunde gelegt, um den stetig fortschreitenden Leistungen im Aufstellen von Recorden Rechnung zu tragen. Die Rennbahn-Fahrfläche besteht aus Zement mit Drahtgeflecht und Rundeisen-Einlage zur Verhinderung des Reissens, wird zuerst möglichst glatt abgerieben und dann mit leichter Waffel-Riffelung versehen, um das Rutschen der Räder bei Feuchtigkeits-Niederschlägen auszuschliessen, daneben aber eine so hohe Fahrgeschwindigkeit zu ermöglichen, wie sie sich bis jetzt bei bestehenden Bahnen nicht hat erreichen lassen.

Längs der Innengrenze dieser Rennbahn schliesst sich in einer Breite von 6 m an der Ost- und 8 m an der Westseite die Fahrbahn für geübte Radler an. Sie besitzt eine Länge von 1433 m, in der mittleren Fahrlinie gemessen, und umschliesst die den mittleren Haupttheil des Gebäudes einnehmende 25 m breite Lernbahn.

Die Fahrfläche beider stellt eine aus festgewalzten Schlacken, Strassenschlick und Grand hergestellte Chaussee dar. Während den Rahmen dieser dreifachen Bahn im Süden und Norden halbkreisförmige Mauern mit nach aussen gewendeten Verstärkungen beim Auflager der Dachbinder bilden, steigt längs der ganzen Ostseite eine mit 1000 Sitzplätzen bestandene, durch Rampen zugängliche Zuschauer-Tribüne bis zu 3 m Höhe an; der Westseite entlang zieht sich auf rd. 9 m Tiefe ein ebenfalls ansteigender Platz für stehende und wandelnde Zuschauer, sodass imganzen einer Festlichkeit etwa 5000 Personen unter Dach beiwohnen können. Nothausgänge sind sowohl auf der Tribünen-, als auf der Fussgängerseite in grosser Zahl vorhanden.

Da der Gefahr wegen der Zugang nicht über die Radfahrbahnen genommen werden darf, so ist unter den letzteren in der kurzen Axe ein 3 m breiter Tunnel erbaut und es befinden sich noch 2 besondere Eingänge mit Kassen an der Nord- und Südseite des Velodroms. Im Fussgängerraum ist über dem grossen Mittel-Eingang der Längsmauer die Musiktribüne angebracht, zu ebener Erde eine Anzahl von Verkaufsläden für Erfrischungen, Blumen u. dergl.

Der Neubau des Velodrom-Rotherbaum in Hamburg - Schnitte
Der Neubau des Velodrom-Rotherbaum in Hamburg – Schnitte

Nach der Rothenbaum-Chaussee hin springt in den Garten ein Portal-Vorbau ein, welcher ausser dem Vestibül, den Kassen, Treppen und Tunnelrampen, in den Flügeln Herren- und Damen- Toiletten, darüber im Zwischengeschoss getrennte Umkleide-Räume bietet, im I. Geschoss Sportlesezimmer, Rauchzimmer und einige Wohnungen für auswärtige Gäste. In dem bis zu den Zwickelbauten auch unter die Tribünen sich erstreckenden Kellergeschoss finden sich die Garderoben, Räume für Douche und Massage, für den Arzt, 28 Rennfahrer-Kabinen und die nöthigen Gelasse für Heizung, Kohlen und die Bedürfnisse der in den Zwickeln eingehen Lokale. Unter diesen ist in erster Linie der 10/20 m grosse mit Bühne, zweigeschossigen Zuschauer- und Neben-Räumen ausgestattete parkettirte Reigen-Saal für die Aufführung von Quadrillen u. dergl. zu nennen, sammt geräumigem Restaurant und einer Reihe von Klubzimmern.

Die je 457 qm messenden Räumlichkeiten in der Nordost- und Nordwest-Ecke sind für ein Cafe, Läden für Radsport-Artikel und einen grossen Schuppen zur Unterbringung von Fahr-Rädern bestimmt. Ein solcher befindet sich auch in dem freistehenden, im übrigen für die Maschinen und die Reparaturwerkstätte errichteten Hause nächst der Sommerbahn. Diese nimmt den ganzen östlichen Theil des Platzes ein, misst etwa 6000 qm chausseeartig befestigter Fläche und ist theils mit Hindernissen, Brücken, Zelten und Blumenbeeten bestanden, um möglichst gute Gelegenheit zur Uebung zu bieten.

Ueber die Dachkonstruktion giebt die Vogelperspektive und ihr Vergleich mit den Schnitten den nöthigen Aufschluss. Den rechteckigen Theil der Bahnen überspannt ein von 44 Gussäulen und schmiedeisernen, von der Kölnischen Maschinenfabrik in Bayenthal erstellten Trägern unterstütztes 104 m langes Satteldach, das, seitlich mit Pappe gedeckt, in der Mitte längs des ganzen Firstes ein 9,5 m breites Oberlicht erhielt. Die Neigung der Seitenschiff-Dächer und derjenigen Kegeldächer, welche sich über den halbrunden Abschlüssen erheben und zur Beleuchtung der Kurven ebenfalls Oberlichtflächen erhielten, ist eine geringere. In den Absiden finden die zur Stütze nöthigen 8 Säulen Aufstellung. Die übrigen Dächer zeigen einfache Holzkonstruktionen und in ihren Pappebahnen sind ebenfalls nach Bedarf liegende Fenster angebracht. Zur Beleuchtung des Tunnels wurden in seine Decke die erforderlichen Rohglasscheiben eingelassen, zu derjenigen der wichtigeren Räume im Kellergeschoss Lichtschächte vorgebaut.

Für die künstliche Beleuchtung der Gesammt-Anlage ist – neben der Vorsorge für später vielleicht einzurichtendes elektrisches Licht – Hydro-Pressgas gewählt worden. 36 Lampen zu je 600 Kerzen Lichtstärke werden die Haupthalle, je 4 den Reigensaal und das Restaurant, 3 das Cafe erhellen; die übrigen Räume werden nach Bedarf mit Einzelflammen beleuchtet, sodass imganzen 230 Lampen mit zusammen 43 300 Kerzenlichtstärken zur Verwendung kommen.

Das System beruht auf der Thatsache, dass die Temperatur einer Gasflamme und die Helligkeit eines in ihr glühenden Körpers um so höher steigt, je höher der Druck, unter dem der Gasstrom austritt, und je schneller infolgedessen die Verbrennung stattfindet. Um das Gas, welches gewöhnlich an der Erzeugungsstelle unter einem Druck von noch nicht !/; Atm., an der Verbrauchsstelle aber unter wesentlich niedrigerem Drucke steht, bis auf 1/10 Atm. zu spannen, dient ein kräftiges Wassertrommel- Gebläse, welches je nach Bedarf für 2-20 Lampen eingerichtet werden kann und dementsprechend dann auch mit 2 bis 20 Wasserrohren versehen wird. Der Apparat ist in 2 Kammern getheilt. Das aus der Stadtleitung einströmende Wasser von mindestens 1,5 Atm. Druck reisst aus der oberen Gebläsekammer Gas mit sich und dieses tritt in Blasen unten aus dem Druckrohr in die untere Kammer. Der Druck kann dann nie eine durch die Höhe des in der Mitte angebrachten Ueberlaufrohres bestimmte Grenze überschreiten. – Besondere Aufmerksamkeit erheischte die Frage, auf welche Weise die grosse Fahrbahn während der Winter-Monate genügend erwärmt werden sollte. Bei der Grösse des Raumes und der Abkühlungsflächen fehlte jedes Vorbild. Dazu kam die Schwierigkeit, dass die Zuschauer-Plätze, besonders die Tribünen, höher erwärmt werden müssen, als die Fahrbahnen, ohne dass unangenehme Zugerscheinungen auftreten dürfen; ausserdem sollten die 60 000 cbm Luft in wenigen Stunden erwärmt werden können.

Die ausführende Firma E. Angrick in Berlin erhielt mit ihrem billigsten und zugleich den besten Erfolg versprechenden Entwurf, der nachfolgend beschrieben ist, den Vorzug vor ihren Konkurrenten:

Der Neubau des Velodrom-Rotherbaum in Hamburg
Der Neubau des Velodrom-Rotherbaum in Hamburg

In dem Kellergeschossraume nördlich vom Haupteingang werden 2 gekuppelte, besonders rasch wirkende Dampfkessel aufgestellt, welche die Dampfentwicklung selbstthätig reguliren. Weil bei Beginn der Anheizung die grossen Heizflächen sehr rasch den empfangenen Dampf zu Wasser niederschlagen, dienen besonders weite Zuleitungen zu möglichst schnellem Ersatz des kondensirten Dampfes, andererseits müssen die Rückleitungen des Niederschlagwassers wieder sehr weit sein, um die sehr rasch sich bildende Flüssigkeit und zugleich die aus den Heizflächen zu vertreibende Luft abzuleiten. Aus gleichem Grunde mussten auch Heizflächen von grossen Durchgangs-Querschnitten gewählt werden, schon deshalb, weil zwecks gleichmässiger Erwärmung die Ausdehnung der heizenden Fläche in der ganzen Länge des Raumes vorgesehen werden musste und die Gefälle naturgemäss nur kleıne sein können.

Die Frage der höheren Erwärmung der Zuschauer-Tribünen wurde dadurch gelöst, dass dieselben durch Stich-Kanäle von den Heizflächen unmittelbar die höher erwärmte Heizluft unter den Sitzen zugeführt erhalten weil die Fahrbahn nur theilweise unmittelbar durch die Heizflächen, theilweise aber mittelbar durch die Zuschauer-Standorte Wärme empfängt. Hierdurch wird dem kalten Zuge von der Bahn nach den Tribünen wirksam entgegen gearbeitet. Diese Anordnung ermöglichte auch, die Anlage gänzlich dem Auge zu entziehen, ohne dass eine im Betriebe ungleich theurere Dampfluftheizung nöthig wurde.

Die Nebenräume, Ankleideboxes, Bureaux, Lesezimmer, Toiletten u. dergl. können weiter erwärmt werden, wenn auch der eigentliche Velodrom-Saal nach dem Abgange der Zuschauer und Fahrer erkaltet. – Wie bedeutend der Effekt der auf das äusserste Maass beschränkten Heizungs-Anlage noch immer sein wird, erhellt daraus, dass in den 200 Heiztagen eines normalen Winters allein für Erwärmung des Velodrom-Hauptraumes 300 000 kg Koks erforderlich sein werden, wogegen die Gesammtanlage mindestens 500 000 kg verlangen wird.

Für den Restaurations-Anbau mit Reigensaal und Klubzimmern einerseits und das Cafe mit Läden andererseits ist eine selbständige Heizung mit je einem Kessel vorgesehen, um den Pächtern die Heizung in eigenem Betriebe zu ermöglichen.

Den einschliesslich Maschinen etwa 300 000 M. betragenden Baukosten treten nach dem Prospekt der Gesellschaft 100 000 M. jährliche Ausgaben hinzu, wovon auf Platzmiethe und Abgaben 5000 M., auf Heizung und Beleuchtung 20 000 M. entfallen. Für die Konzession erwuchs ein Aufwand von 50 000 M. – Wenn auch die Verlängerung des von der Hamburgischen Finanz-Deputation auf 10 Jahre bewilligten Vertrages erwartet werden darf, so ist doch der Rentabilitäts-Berechnung eine zehnjährige Amortisation zugrunde gelegt mit einer jährlichen Reserve von 30 000 M, für diesen Zweck.

Als Brutto-Einnahmen aus Abonnements- und Eintrittskarten, Radverleihung, Unterricht, aus Rennen und aus der Vermiethung der Kabinen, Restaurants, Läden usw. stehen rd. 197 000 M. in Aussicht, sodass der muthmaassliche Reingewinn im Jahre sich auf etwa 97 000 M. berechnen würde.

Dieser Artikel erschien zuerst am 04.03.1899 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „G.“