Die XXX. Abgeordneten-Versammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine – III. Der Besuch der Marienburg

Ansicht der Marienburg in Westpreussen von der Stadtseite

Dem herrlichen Tage am waldumsäumten Meeresstrande des Samlandes, der den aus dem Süden und Westen Deutschlands herbeigeeilten Fachgenossen landschaftliche Bilder von einer Schönheit vorführte, wie sie wohl von den wenigsten hier in dem oft verschrieenen äussersten Nordosten des Deutschen Reiches erwartet wurden, dem Tage, an welchem sich die Königsberger Kollegenschaft auf der Höhe herzlicher Gastlichkeit zeigte, folgte als glanzvoller Abschluss der Versammlung ein gemeinsamer Ausflug nach Marienburg, um dort das in alter Pracht wiedererstandene Schloss des deutschen Ordens, den Schauplatz einer grossen Vergangenheit blutiger Kämpfe und friedlicher Kulturarbeit unter Führung des Mannes zu besuchen, der es sich zur Lebensaufgabe gestellt hat, dieses Denkmal deutscher Geschichte im Geiste der Blüthezeit des deutschen Ordens wieder aufzurichten.

Dass ihm, dem Geh. Brth. Dr. Steinbrecht, das in vollem Maasse gelungen ist, lehrt schon ein Blick auf unsere Abbildungen, welche einige von seiner Künstlerhand restaurirte Theile der Marienburg darstellen; noch mehr aber empfindet man die liebevolle Vertiefung in die Entwürfe unserer Altvordern, die sich bis auf alle Einzelheiten der inneren Ausstattung erstreckt, wenn man die kühnen Hallen des stolzen Schlosses durchschreitet, in denen einst ein thatkräftiges Rittergeschlecht hauste, das nicht nur das Schwert zu schwingen verstand, sondern auch seltene Herrschertugenden entwickelte, das nicht nur als den Mittelpunkt seiner Macht eine trotzige Burg zu schaffen wusste, sondern den festen Bau auch in kluger Raumausnutzung in behaglicher Weise und mit feinem künstlerischen Verständniss ausstattete.

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Ehe wir unseren Rundgang durch das Schloss beginnen, seien einige kurze historische Angaben vorausgeschickt. Der 1192 vor Akkon gestiftete deutsche Ritterorden, der, ungleich den anderen Orden dieser Art, stets vaterländisch fühlte und daher auch von den deutschen Kaisern Anerkennung und Förderung erfuhr, hatte sich unter Hermann von Salza die Aufgabe gestellt, die an Deutschland angrenzenden Nord-Ostmarken der Preussen dem Christenthum und der Kultur aufzuschliessen. In 50-jährigem blutigen Kampfe gelang dieses Werk, zu dessen Sicherung überall in dem neuen Ordenslande feste Burgen, Komthureien gegründet wurden. So entstand in der Niederung zwischen Nogat und Weichsel 1280. die Marienburg. Das jetzige Hochschloss wurde als Haus für 12 Ordensritter errichtet, an welches sich in einer Vorburg Wirthschaftsräume, Ställe usw. anschlossen. Nach dem Falle Akkons verlegte der Hochmeister Siegfried v. Feuchtwangen seinen Sitz 1309 nach der Marienburg, die nunmehr in glanzvoller Weise unter ihm und seinen Nachfolgern im 14. Jahrhundert erweitert wurde. Das Vorschloss wurde für den Hofstaat des Hochmeisters ausgebaut, es entstand der Hochmeisterpalast; die St. Annenkapelle, die Gruft der Hochmeister und darüber die St. Marienkirche wurden angelegt, neue Wehrgänge und Mauern umzogen die Burg und vor derselben entstand eine neue ausgedehnte Vorburg mit Wirthschafts- und Vorrathsräumen aller Art.

Silospeicher am Pregel in Königsberg i. Pr.
Silospeicher am Pregel in Königsberg i. Pr.
Der Pregel in der Nähe der Eisenbahnbrücke in Königsberg i. Pr.
Der Pregel in der Nähe der Eisenbahnbrücke in Königsberg i. Pr.

Mit der Schlacht bei Tannenberg 1410 wurde dann die Macht des Ordens gebrochen und 1465 ging das ganze Land an Polen über. Nur die Marienburg hielt sich noch 3 Jahre in tapferem Kampfe. Unter der sorglosen 3 Jahrhunderte dauernden polnischen Herrschaft ging die Pracht des Schlosses raschem Verfalle entgegen, wobei Brandschäden und Kriegsnoth ihr Theil beitrugen. Am schlimmsten erging es jedoch der Burg, die sich als polnisches Königsschloss doch immer noch einer gewissen Beachtung erfreute, als Westpreussen und auch damit die Marienburg 1772 von Friedrich II. für Preussen zurückgewonnen wurden. Das Hochschloss wurde zunächst in eine Kaserne umgewandelt, in den anderen Räumen wurden industrielle Betriebe untergebracht. Schliesslich wurde das Hochschloss zu einem Kriegsmagazin umgestaltet, wobei man, um die Böden einzuziehen, die Gewölbe herausschlug. Ein gleiches Schicksal bedrohte schon das Mittelschloss und den Hochmeisterpalast, als 1815 der Oberpräsident v. Schön einschritt und die Wiederherstellung der Marienburg durchsetzte. Von 1815-1840 wurde der Hochmeisterpalast nebst dem grossen Rittersaal wiederhergestellt, zwar mit anerkennenswerthem guten Willen, aber mit geringen Mitteln und noch geringeren archäologischen Kenntnissen, sodass der Erfolg kein befriedigender ist. Die jetzigen Umgestaltungsarbeiten werden daher auch eine sorgfältige Nachprüfung dieser früheren Restaurirungen im Gefolge haben, sodass später ein einheitliches Werk vor uns stehen wird.

Schmiedebrücke in Königsberg i. Pr., Klappbrücke v. 28,32 m von Mitte zu Mitte Drehachse
Schmiedebrücke in Königsberg i. Pr., Klappbrücke v. 28,32 m von Mitte zu Mitte Drehachse
Schlossteich mit Schloss in Königsberg i. Pr. (Phot. Aufn. v. F. Gscheidl in Königsberg)
Schlossteich mit Schloss in Königsberg i. Pr. (Phot. Aufn. v. F. Gscheidl in Königsberg)

Grosse Verdienste erwarb sich der Konservator v. Quast durch seine archäologischen Forschungen, welche eine wichtige Grundlage für die Wiederherstellungs-Arbeiten der neueren Zeit bildeten, welche durch den Kultusminister v. Gossler 1882 eingeleitet wurden und die Wiederherstellung des Hochschlosses ins Auge fassten. Mächtige Förderung erfuhren dann die Arbeiten durch Kronprinz Friedrich und später Kaiser Wilhelm II., durch deren Interesse nunmehr auch reichliche Mittel gesichert wurden. 1894 konnten in dem allerdings noch nicht ganz vollendeten Hochschloss glänzende Feste gefeiert werden, 1896 wurde das Mittelschloss in Angriff genommen. Im linken Flügel desselben wurden die Gastkammern wiederhergestellt, während gleichzeitig der Ausbau der Grosskomthurei im vorderen Flügel des Schlosses in Angriff genommen wurde. Diese inneren Arbeiten erfuhren durch die für dieses Jahr geplant gewesenen Festlichkeiten eine längere Unterbrechung, da man die Räume provisorisch zur Benutzung einrichten musste. Inzwischen sind die Arbeiten, die stetig mit 60 bis 80 Mann sorgfältig angelernter Leute ausschliesslich im Tagelohn ausgeführt werden, wieder dem Aeusseren zugewendet worden, das auf der Südseite noch einiger Umgestaltungen bedarf.

Ansicht der Marienburg in Westpreussen von der Stadtseite
Ansicht der Marienburg in Westpreussen von der Stadtseite

Unser Kopfbild zeigt eine Gesammtansicht des Schlosses von Osten, d. h. von der Stadtseite her. Links 1iegt das Hochschloss mit seinem hochragenden Thurm, dessen Spitze von einem Ritter bekrönt wird, dessen Gestalt wir besonders wiedergeben. Das Schloss ist mit einem jetzt trockenen Graben umzogen. Dahinter liegen Mauern mit Wehrgängen, aus denen stellenweise kräftige Thürme, die Dansker, vorspringen, die gleichzeitig als Kloake dienten. Zwischen Mauer und Schloss zieht sich ein breiter Umgang, der Parcham hin, der jetzt als Gartenanlage ausgenutzt eine auffällig üppige Vegetation zeigt. Im Hochschloss, das sich ganz regelmässig um einen fast quadratischen, von zweigeschossigen Kreuzgängen umzogenen Hof gruppirt, in dessen Mitte ein tiefer Ziehbrunnen steht, vergl. S. 439, sind im Erdgeschoss Küche und Vorrathsräume untergebracht, darüber im Hauptgeschoss im Ost- und Südflügel die Schlafsäle der Ritter, im Westflügel die besonderen Wohnräume des Hauskomthurs und des Tresslers. Im Nordflügel liegt der schöne Kapitelsaal an welchen sich unmittelbar die St. Marienkirche anschliesst die mit ihrem Chor weit vor die Ostfront vorspringt. Die Aussenseite des Chores ziert ein mächtiges Marienbild das in voller Höhe des Geschosses durchgeht. Reich gegliedert, auf 3 Granitstützen ruhend, ist die gewölbte Decke des Kapitelsaales, der überhaupt in reichster Weise ausgeschmückt ist, wobei hinsichtlich des bildnerischen Schmuckes Hrn. Prof. Fr. Behrendt-Berlin hier und an anderer Stelle ein besonderes Verdienst gebührt. Die Wände sind mit den Bildnissen der sämmtlichen Hochmeister ausgestattet, die von Prof. Schaper-Hannover nach den alten Resten gemalt sind. Am besten erhalten war die Kirche selbst, namentlich fanden sich hier die alten Malereien fast vollständig vor. Ebenso ist vieles von der Ausstattung erhalten geblieben bezw. nach den vorhandenen Resten und guten Vorbildern ergänzungsfähig gewesen. So ist jetzt wieder ein weihevoller Raum entstanden. Unsere Abbildungen geben einen Einblick in den Chor der Kirche, bezw. eine Aussenansicht mit dem Schmucke des Marienbildes. Im Obergeschoss des Hochschlosses liegt im Südflügel der Aufenthaltsraum der Ritter bei Tage, der grosse Konvents-Remter, daneben die Herrenstube. Trotz einfacher Ausstattung ist der auf 7 schlanken Granitpfeilern ruhende Saal des Remters mit seiner hochgewölbten Decke von schöner Wirkung. Die übrigen Räume des Obergeschosses werden von Waffen- und Vorrathsräumen eingenommen. Auf engen, steilen Treppen gelangt man dann auf die Höhe zu den Wehrgängen, die sich nach allen Richtungen über dem Schlosse verzweigen.

Choransicht der Hochschlosskirche
Choransicht der Hochschlosskirche
Hof des Hochschlosses
Hof des Hochschlosses

Vor dem Hochschloss, durch einen Graben getrennt, der von einer Zugbrücke überspannt wird, liegt das Mittelschloss, dessen 3 Flügel zwischen sich einen geräumigen Vorhof einschliessen. Im Ostflügel, nach der Stadt zu, liegen die soeben wiederhergestellten, wenn auch noch nicht fertigen Gastkammern. Im Nordflügel, unter welchen der Eingang zur Schlossanlage hindurchführt, lagen einst die Grosskomthurei und die Firmarie für die Kranken, während im Westflügel zu ebener Erde der grosse 3säulige Rittersaal nebst mächtiger Küche untergebracht ist, der als Festsaal bei Empfang fremder Gäste diente. Unmittelbar an diesen Bau schliesst sich das Hochmeisterschloss an, das unten Wachtstube und Vorhalle, oben Winter- und Sommerremter, sowie die Wohnräume des Hochmeisters nebst einer Kapelle enthält. Diese Räume des Hochmeisterschlosses nebst dem Rittersaal stammen aus der früheren Wiederherstellungs-Periode und zeigen recht augenfällig den Gegensatz zwischen dem, was man früher für stilgerecht hielt und was jetzt, allerdings auf erweiterter wissenschaftlicher Grundlage, geschaffen ist.

Innenansicht der Hochschlosskirche
Innenansicht der Hochschlosskirche
Konventsremter
Konventsremter

Noch 10 Jahre will Meister Steinbrecht seinem Lebenswerke widmen, bis er es, soweit eine Wiederherstellung möglich ist – die alte Vorburg ist fast verschwunden und nicht wieder zu schaffen – in möglichst historischer Treue vollendet dem deutschen Volke zurückgeben kann, als ein Wahrzeichen deutscher Kraft, deutschen Geistes und deutscher Kultur und als eine Mahnung, dass auch die Gegenwart an diesem Geiste festhalten möge.

Dieser Artikel erschien zuerst am 04.09.1901 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „Fr. E.“.