Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen Landtages

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Sitzungssaal

Architekt: Geh. Brth. Friedr. Schulze in Berlin. Am 16. Januar werden die Abgeordneten der preussischen Monarchie wieder zur Tagung zusammentreten, aber nicht mehr in dem alten Hause am Dönhoffsplatz, sondern in dem neuen Monumentalbau in der Prinz Albrecht-Strasse.

Mit der Besitznahme des neuen Hauses sind die wechselvollen Schicksale der Berathungsstätte der preussischen Landesvertreter nach menschlichem Ermessen zu einem Abschluss gelangt. Als König Friedrich Wilhelm IV. sich gegen seinen Willen gezwungen sah, der öffentlichen Meinung in Preussen ein Zugeständniss zu machen und mittels Patent vom 3. Febr. 1847 den „Vereinigten Landtag“ einsetzte, der nichts weniger als eine Volksvertretung war, da ahnte er noch nicht, dass die Ereignisse des Jahres 1848 ihn zwingen würden, in das bestehende Verhältniss zwischen Fürst und Volk, welches nach seiner damaligen Anschauung das allein natürliche sei, „ein beschriebenes Blatt Papier“, die Verfassung, aufzunehmen. Diese zu berathen, war einer der vornehmsten Zwecke der „Konstituirenden National-Versammlung von 1848“, der Vorläuferin des heutigen Landtages. Dieser wies man die Singakademie als Berathungsstätte an, verlegte sie alsdann in das Schinkel’sche Schauspielhaus, wo sie bis zum 10. Nov. 1848 tagte und liess sie nach dem Antritt des Ministeriums Brandenburg, des Ministeriums der „rettenden That“, in Brandenburg am 27. Nov. wieder zusammentreten. Doch schon am 5. Dez. wurde sie hier wieder aufgelöst. Dann erst bezog die zweite Kammer, die am 26. Februar 1849 zur Berathung der Verfassung wieder zusammentrat, das alte Haus am Dönhoffsplatz, das ehemalige Palais des Staatskanzlers Fürsten Hardenberg, auf dessen rückwärtigem Gelände ein Nothbau für, wie man damals annahm, die kurze Dauer eines Lustrums, in Wirklichkeit für ein halbes Jahrhundert errichtet worden war. Man trug sich schon in dieser Zeit mit dem Gedanken, den Nothbau bald durch eine dauernde Stätte ersetzen zu können. Doch die Angelegenheit verzögerte sich von Jahr zu Jahr und sie kam auch nicht in schnelleren Fluss, als die Ereignisse der Mitte der 60er Jahre, der dänische und der preussisch-deutsche Krieg, der 1866 zwischen Oesterreich und seinen Verbündeten und Preussen und seinen Bundesgenossen um die Hegemonie in Deutschland gekämpft wurde, den Zuwachs von Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt a. M. und Schleswig-Holstein und damit eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten um 80 Sitze brachte. Man beschloss vielmehr eine Erweiterung und Verbesserung des bestehenden Gebäudes, in welches Ende der sechziger Jahre auch das Zollparlament einzog und welches dem neuen deutschen Reichstag in die Zeit vom 21. März bis 12. Juni 1871 zu seinen ersten Sitzungen diente. Als dann der Reichstag in das alte Gebäude in der Leipziger Strasse übersiedelte und es sich als unmöglich erwies, in dem hier errichteten neuen Sitzungssaale auch das Abgeordnetenhaus tagen zu lassen, wurden nochmalige Verbesserungsarbeiten an dem Hause am Dönhoffsplatz vorgenommen. Das geschah in den Jahren 1872-75; in dieser Zeit erhielt das alte Haus das Gepräge, welches es heute noch hat. Die Klagen aber über seine Unzulänglichkeit verschwanden nicht, bis am 2. März 1882 beschlossen wurde, auf dem Gelände des nach Errichtung des neuen Reichstagsgebäudes verfügbar gewordenen alten Hauses Leipziger Strasse No. 4 und dem von den Bauten der alten Porzellanmanufaktur eingenommenen Raume gegen die heutige Prinz Albrecht-Strasse einen Neubau zu errichten. In dem Grundstücke Leipziger Strasse 3 tagte das Herrenhaus; es wurde im Jahre 1825 von dem Vater Felix Mendelsohns gekauft und später für die Zwecke des Herrenhauses dem Staate überlassen. In dem Schatten der Baumriesen des alten Gartens entstanden die unsterblichen Melodien des „Sommernachtstraumes“, Heute sind das Haus und der grösste Theil des Gartens verschwunden, mit ihnen ist ein werthvolles Stück altberliner Erinnerungen und beschaulicher Romantik dem unablassigen Vorwärtsdrängen des Zeitgeistes verfallen. Ob die Geschichte des neuen Herrenhauses, welches anstelle des alten auf dieser historischen Stätte erstehen wird, jene Erinnerungen wird ersetzen können?

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Mit dem Beschluss vom Jahre 1882 war noch kein greifbares Ergebniss gewonnen, denn es stellten sich für die Ueberweisung des in Aussicht genommenen Bauplatzes Schwierigkeiten ein, die erst durch einen Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 19. Mai 1884 beseitigt wurden,

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages

Nun begannen die Entwurfsarbeiten. Zunächst bestand die Absicht, das Abgeordnetenhaus an der Leipziger Strasse auf dem Grundstück No. 4 zu errichten. Das erwies sich als unmöglich und erst nachdem der Vorschlag der Akademie des Bauwesens, das Grundstück No. 3 noch hinzu zu nehmen, Annahme fand, ergab sich die Aussicht, die Baufrage in erweiterter Form – es waren zwei Präsidentenwohnungen in das Bauprogramm aufgenommen worden – in einer dauernd befriedigenden Weise lösen zu können. Es erhielt nunmehr Friedr. Schulze im Jahre 1889 vom Minister der öffentlichen Arbeiten den Auftrag, aufgrund eines für beide Häuser der Landesvertretung aufgestellten Bauprogrammes Entwürfe anzufertigen. Die ersten Erwägungen über die räumliche Anordnung waren von dem Gedanken geleitet, sie ähnlich wie bei dem Reichsraths-Gebäude in Wien und bei einer Reihe anderer Parlamentsgebäude in einem an der Leipziger Strasse zu errichtenden Baukörper zu vereinigen. Doch ergaben sich bei näherer Bearbeitung des Gedankens die räumlichen Verhältnisse der Baustelle unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Forderungen einer neuen Bauordnung nicht als solche, dass sie eine in jeder Beziehung den Bedürfnissen Rechnung tragende Lösung, wie sie von einem vornehmen Neubau hätte erwartet werden können, gewährleisteten. Der Architekt kam daher auf den Gedanken, Abgeordnetenhaus und Herrenhaus zu trennen, das erstere (s. Lageplan) an der Prinz-Albrecht-Strasse, das letztere gegen die Leipziger Strasse zu legen und beide durch das Ministerial-Gebäude zu verbinden. Das Abgeordnetenhaus wurde 22 m hinter die Bauflucht der Prinz-Albrecht-Strasse verlegt, um die Lichtverhältnisse des gegenüberliegenden Kunstgewerbe-Museums nicht zu beeinträchtigen. Dem Herrenhause wurden rechts und links je eine Präsidialwohnung vorgelagert, so dass an der Leipziger Strasse sich ein offener Ehrenhof ergab, der durch eine Kolonnade abgeschlossen wird. In dieser Gruppenvertheilung wurde die Ausführung genehmigt und im Herbste 1892 durch Ausschachten der Baugrube mit den Bauarbeiten zunächst für das Abgeordnetenhaus und das beide Häuser verbindende Ministerialgebäude begonnen. Nach siebenjähriger Bauzeit wird das Abgeordnetenhaus, bis auf die noch an einzelnen Theilen auszuführende malerische Ausschmückung in allen Theilen vollendet, in diesen Tagen seiner Bestimmung übergeben werden!

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Lageplan
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Lageplan
Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Ministergebäude
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Ministergebäude

Ein flüchtiger Blick nur auf die dargestellten Grundrisse lässt schon die im besten Sinne akademische, meisterhafte Lösung der Gesammtanlage des Abgeordnetenhauses erkennen und ein näheres Studium führt zu der weiteren Erkenntniss der mühevollen und sorgfältigen Durcharbeitung im Einzelnen, die in der anscheinend so ungezwungenen und natürlichen Lösung der Raumanordnung steckt. Erleichtert war dieselbe durch zwei Umstände: einmal durch die völlig freie Lage des Gebäudes, die dadurch gegeben war, dass zu beiden Seiten des Hauses das Grundstück in seiner Längsrichtung von Durchfahrten von der Prinz-Albrecht- zur Leipziger-Strasse durchschnitten wird, das andere Mal durch den Verzicht auf jeden über die Dachfläche in monumentaler Weise sich erhebenden kuppelartigen oder anders gestalteten Aufbau, wie er zur traditionellen Erscheinung der Berathungsstätten parlamentarischer Körperschaften bisher gehörte und wie er für deren Grundrisslösung vielfach einen Zwang auferlegte, dessen Einwirkung auf die gesammte Anlage nicht zu verkennen war. Hier konnte der Architekt frei und ungezwungen walten und diese Freiheit ist dem Grundriss sehr zu statten gekommen, Ohne Zweifel ist durch diesen Verzicht aber auch angedeutet, dass das neue Haus in erster Linie nicht sowohl ein Repräsentationshaus für die preussische Monarchie sein soll, wie es das Reichshaus für das Deutsche Reich ist, sondern lediglich ein monumentales, mit einem gewissen Aufwand künstlerischer Mittel erstelltes Geschäftshaus, das jedoch in seiner Erscheinung die gemeinhin für parlamentarische Geschäftshäuser gezogenen Grenzen nicht unerheblich überschreitet und deshalb ohne Widerspruch zu den hervorragenderen Kunstbauten der preussischen Staats- und Staatsbauverwaltung gezählt werden darf.

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Grundriss Tribünen-Geschoss
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Grundriss Tribünen-Geschoss
Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Grundriss Saalgeschoss
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Grundriss Saalgeschoss

Die Komposition des Grundrisses stützt sich auf zwei Hauptaxen: auf die vordere Queraxe in der Mitte der beiden Haupttreppen und auf die mittlere Längsaxe. Auf diese beiden Axen sind die Haupträume aufgereiht, während die Nebenräume sich um vier stattliche, nahezu gleich grosse Höfe gruppiren, welche das Innere des grossen Baukörpers in gleicher Weise vorzüglich durch reiches Seitenlicht erhellen, wie seine sämmtlichen Haupträume je nach ihrer Höhenentwicklung durch Seiten- oder Oberlicht in ausgiebiger Weise beleuchtet sind. Das ist ein Punkt, welcher die sorgfältige Kleinarbeit in der Grundriss-Durcharbeitung überzeugend erkennen lässt. Es findet sich in dem aus 5 Geschossen (im Vorderbau über einem 2,7 m hohen Kellergeschoss ein 3,5 m hohes Sockel- oder Erdgeschoss, ein 8,2 m hohes Saalgeschoss und ein 6,8m hohes Obergeschoss; im Hinterbau ein 4,7 m hohes Erdgeschoss, ein 3,5 m hohes Zwischen- oder Tribünengeschoss und zwei weitere Geschosse von 4,7 m Höhe, jeweils gemessen von Balkenoberkante zu Balkenoberkante) sich aufbauenden Hause kaum ein Raum von irgend einer Bedeutung, welcher bei unabhängiger Verbindung der ausreichenden Beleuchtung entbehrte.

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Grundriss Erdgeschoss
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Grundriss Erdgeschoss
Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Grundriss Bureau-Geschoss
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Grundriss Bureau-Geschoss

Es war eine durch die Beschränkung der Baustelle auferlegte Bedingung, Eingangshalle, Treppenhalle und Wandelhalle mit ihren Queraxen vor dem Sitzungssaal anzuordnen. Inbezug auf die künstlerische Erscheinung dieser Räume ist das nur für die Treppenhalle von einigem Nachtheil gewesen, welche in der Richtung ihrer kurzen Axe betreten wird und schmaler in die Erscheinung tritt, als es von dem – an die Kostenfrage und an die Raumverhältnisse gebundenen – Architekten wohl beabsichtigt war. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die sich in die Treppenhalle einbauenden Gallerien des Bureaugeschosses. In ihrer vollen Stattlichkeit kommt dagegen die Wandelhalle zur Wirkung, die an den beiden Endpunkten ihrer Langaxe betreten wird. Sie ist durch Seiten- und Oberlicht beleuchtet und vermittelt durch einen aus drei Gewölben gebildeten Zwischentheil den Hauptzutritt zum Sitzungssaal. Von grosser Wirkung ist die völlige Durchbrechung der Wandelhalle nach der Treppenhalle und nach der Eingangshalle; die sich hieraus ergebenden Durchblicke, die auch sonst im Hause mit künstlerischer Absicht gesucht sind, sind ein weiterer Beleg für die Ausreifung des schönen Bauwerkes.

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Längsschnitt
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Längsschnitt

Wir dürfen uns im Hinblick auf die vier klaren Grundrisse versagen, auf die sorgfältig erwogene Lage der einzelnen Räume zu einander näher einzugehen. Nur zwei Umstände seien berührt, deren einer aus dem nachzutragenden Längsschnitt hervorgeht und deren anderer aus den Grundrissen nicht ohne weiteres erkannt werden kann. Die Höhenlage des Sitzungssaales ist unmittelbar über dem nur 3,50 m hohen Sockelgeschoss angenommen; ihr wird in gleicher Höhe die Lage des Sitzungssaales des Herrenhauses entsprechen, wie auch die Tribünengeschosse gegen einander auf gleicher Höhe liegen werden. Die nur geringe Anzahl von Stufen, durch deren Ueberwindung der Sitzungssaal erreicht werden kann, ist eine wesentliche Erleichterung für den Verkehr der Abgeordneten. Das ist der eine besonders zu erwähnende Umstand; der andere besteht in der Durcharbeitung der komplizirten Verhältnisse des Sitzungssaales selbst und seiner Tribünen. Seine Neigungsverhältnisse und die daraus entstehenden Beziehungen zu den umgebenden Räumen, die nothwendigen Stufen, insbesondere bei der Tribüne, die Zugänge für die Stenographen, die Anordnung kleiner Nebenräume, wie der Fernsprechzellen, der Nischen für kurze Zurückziehung von den Verhandlungen, des kleinen nördlich gelegenen Wandelganges, die Aussparung von Räumen zu kurzer Aussprache, alles das ist mit intimster Kenntniss des parlamentarischen Betriebes angeordnet und angelegt.

Grundsätzlich zerfällt das Haus in zwei auch äusserlich zum Ausdruck kommende getrennte Theile: in einen völlig aus Sandstein errichteten Vorderbau mit den Haupt- und Repräsentationsräumen, soweit man in diesem Hause von solchen sprechen kann, und in einen Geschäftstheil, nach rückwarts gelegen, und durch eine sparsamere architektonische Behandlung als solcher gekennzeichnet. Doch damit begeben wir uns schon auf das künstlerische Gebiet, welches im Schlussaufsatze behandelt werden soll. Hier sei nur noch auf die Grundrisse des Ministerbaues hingewiesen. Es ist daran nichts Besonderes hervorzuheben als das, dass die künstlerische Ausstattung des Ministersitzungssaales durch die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbe-Museums besorgt wurde, um die Schüler dieser Anstalt an einem hervorragenden Werke architektonischer Innenausstattung heranzubilden, welches zugleich der verflossenen Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1896 als wenig gefundenes, aber warm gewürdigtes Ausstellungsstück einverleibt war. Wir werden auf die schöne Arbeit in getrennter Form zurückkommen.

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Hauptfassade
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Hauptfassade

Aus unseren diesem Aufsatze beigebenen Abbildungen von dem stattlichen Monumentalbau gehen die Stilfassung des Hauses und die Künstlerische Behandlung der Einzelheiten zur Genüge klar hervor. Durch seitliche Mauern gegen die Nachbargrundstücke abgeschlossen, liegt das hinter die Strassenflucht zurücktretende Gebäude in vornehmer Ruhe da. Die Abschlussmauern enthalten in zwei Füllungen, in welchen auf der einen Seite Löwen die Krone, auf der anderen Seite Löwen die Wahlurne schützen, Beziehungen zur Bedeutung und Bestimmung des Hauses. In seinem künstlerischen Aufbau theilt sich dasselbe bei breiter Lagerung und in ausgesprochenem antikem Horizontalismus in das aus starken Bossenquadern kraftvoll gebildete untere Fassadengeschoss, das aus Untererd- und Erdgeschoss zusammengezogen ist, und in das aus Haupt- und darüber liegendem Halbgeschoss gebildete obere Fassadengeschoss mit seiner abgestimmten architektonischen Gliederung und der reichen Ausbildung des Mittelbaues. Die obere Horizontallinie des Gebäudes umsäumt eine durchbrochene Balustrade, die an den Enden Dreifüsse, am Mittelbau reichen Figurenschmuck trägt. Dieser, nach Modellen von Prof. Otto Lessing in Sandstein ausgeführt, besteht in den erhöhten sitzenden allegorischen Figuren des Rechtes und des Gesetzes, zwischen welchen in der Mitte das preussische Staatswappen mit den keulenbewehrten wilden Männern, je rechts und links davon die allegorischen Figuren des Ackerbaues, des Handels, der Kunst und der Gelehrsamkeit stehen. Die geschlossenen Mauerkörper, welche die korinthische Säulenreihe begrenzen, sind durch die von geflügelten Löwen gehaltenen Wappen des preussischen Königshauses und der Kaiserin Auguste Viktoria geschmückt. Die Archivolten des dreibogigen Haupteinganges sind durch Schlussteinköpfe ausgezeichnet, welche nach dem Entwurfe des Bildhauers Wenck Agrikultur, Industrie und Wehrkraft darstellen. In Verbindung mit den reichen Beleuchtungs-Obelisken auf der Rampe (Prof. O. Lessing) ist der Mittelbau von grosser Wirkung.

Beim Betreten des Inneren verdient die aus dem Längsschnitt hervorgehende geschickte Abwägung der Höhenverhältnisse der bis zum Sitzungssaale zu durchwandernden Räume und die hieraus abgeleitete erhöhte Raumwirkung eine besondere Beachtung. Auf die in mittlerer Höhe gehaltene Eintrittshalle folgt die hohe, langgestreckte Treppenhalle; den grossen und wirkungsvollen Maasstab der Wandelhalle mildert die dreitheilige Vorhalle zum Sitzungssaal, welcher durch sie in seinen Grössenverhältnissen gesteigert wird. So ist dem künstlerischen Gesetz des Gegensatzes volle Rechnung getragen.

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Sitzungssaal
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Sitzungssaal

Die künstlerische Ausschmückung des Inneren die in der Eingangshalle in bescheidenen Grenzen sich bewegt, indem diese durch E. Westphal lediglich plastisches Ornament erhalten hat, erhält in der grossen Treppenhalle eine stärkere Betonung in erster Linie durch die vier freistehenden überlebensgrossen und auf galvanoplastischem Wege über Modellen des Bildhauers Starck hergestellten allegorischen Statuen der Vaterlandsliebe, fs Gerechtigkeit, der Weisheit und der Beredsamkeit. Die Statuen sind bei lebensvoller Auffassung von einfacher Grösse und fügen sich trefflich in die sie umgebende Architektur ein. Die letztere hat an hervorragenden Stellen einen plastischen Schmuck in den Wappen der preussischen Hauptstädte und in Füllungsreliefs von E. Westphal erhalten, welche Anspielungen auf die parlamentarischen Tugenden und das parlamentarische Leben wiedergeben. Im übrigen ist die Halle licht gehalten, der Farbe ist im wesentlichen im Fussboden, im Oberlicht, in dem Bronzeton der Figuren und dem Teppichbelag der Treppenläufe eine begrenzte Mitwirkung eingeräumt. Das ist zur Steigerung der Wirkung der Wandelhalle geschehen, welche unsere Bildbeilage wiedergiebt. Aus ihr ist der wirkungsvolle Gegensatz der satten Farbengebung des rothen Teppichs, der gelben Stuckmarmorsäulen mit ihrem grauen und schwarzen Marmorsockel und der farbenreichen Lünettenbilder an den beiden Stirnseiten zu der in lichten Farben gehaltenen feingegliederten und abgewogenen Architektur zu erkennen. Die beiden Lünettenbilder von der geschickten Hand des Malers Hans Koberstein stellen Berathungsszenen in historischem Kostüm dar. Ihre farbenreiche Haltung macht sie zu vielbeachteten Stellen des schönen Raumes.

Eine ähnlich reiche Ausstattung hat der Verbindungstheil zwischen Wandelhalle und Sitzungssaal erhalten. Die halbrunden Tympana über der Säulenarchitektur schmückte Professor O. Lessing mit den Reliefemblemen der 3 Stände, des Nährstandes, des Wehr- und des Lehrstandes. Die Zwickel der Oberlichtkuppeln bemalte Koberstein mit den allegorischen Putten der Tageszeiten und der Wochentage. Zurückhaltender in der künstlerischen Ausschmückung ist wieder der Sitzungssaal. Seine untere Hälfte ist in Holz durchgebildet; das schmückende Element ist hier auf ein bescheidenes Maass beschränkt. Ein hervorragender Schmuck ist den grossen Wandfeldern oberhalb der Gallerien zugedacht, deren Anblick durch Stützen nicht beengt wird. Sie erhalten Ansichten aus preussischen Städten; ein Anfang ist gemacht durch ein Werk des Malers Prof. C. Schirm, die Schiffswerft des „Vulkan“ in Stettin darstellend. Vielleicht wäre zu wünschen, dass die folgenden Bilder eine wärmere Lokalstimmung hätten. Der Ornamente der Voutenzwickel zeichnete Mayer, die stützenden Figuren der Voute modellirte Lessing. Symbolischen Schmuck nach Modellen von Westphal tragen die Rednertribüne, der Präsidentensitz und die Ja- und Nein-Thüren.

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Treppenaufgang und Korridor
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Treppenaufgang und Korridor

Zu den künstlerisch ausgeschmückten Räumen zählen ferner die Lesesäle und die Erfrischungsräume, In beiden schafft eine hohe hölzerne Wandvertäfelung einen Eindruck der Behaglichkeit, in beiden sind der plastische und der malerische Schmuck wieder etwas reichlicher bemessen. Riegelmann schnitzte hier das Ornament, Westphal und Lessing modellirten Friese, Mayer und Drabich zeichneten das lustige Ornamentwerk der Erfrischungssäle, von Schirms kunstreicher Hand stammen die Landschaftsbilder der Lesesäle. Der Eindruck beider Saalgruppen ist ein vornehmer und würdiger. Eine über das geschäftsmässige hinausgehende künstlerische Ausschmückung haben noch der Sitzungssaal im Obergeschoss an der Vorderfassade, der Ministersitzungssaal im Zwischengebäude und der darüber liegende Salon für den kgl. Hof erhalten.

Nur auf den Ministersitzungssaal werden wir, wie schon angekündigt, später noch näher eingehen, da sein künstlerischer Schmuck unter besonderen Verhältnissen und nicht unter Leitung des Erbauers des Hauses entstanden ist. Im allgemeinen darf man sagen, dass das neue Abgeordnetenhaus stilistisch eine durch zahlreiche lebensvolle Elemente versetzte Nachwirkung der Schinkel’’schen Traditionen und eine der erfreulichsten monumentalen Leistungen der preussischen Staatsbauverwaltung ist.

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Treppenhalle
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Treppenhalle

Die noch nicht genannten künstlerischen Mitarbeiter des Architekten bei den Entwurfs- und Bauarbeiten des Hauses waren die Hrn. Landbauinsp. Vohl, welchem ein hervorragender Antheil an dem Werke zukommt, der Reg.-Bmstr. A. Fischer, welcher sich bei der örtlichen Bauleitung und bei der umfangreichen Geschäftsführung bewährte, und die Hrn. Landbauinsp. v. Saltzwedel und Reg.-Bmstr. Werner. Die sehr bescheidene Bausumme erreicht nicht 5 Mill. M.

Unserem Brauche gemäss führen wir nachstehend die Firmen an, welche als Unternehmer der Bauarbeiten oder als Lieferanten von Gegenständen der Einrichtung des Baues – bei der Errichtung desselben zusammengewirkt haben. Die gesammten Maurerarbeiten waren in der Weise getrennt, dass die Arbeiten des Kellergeschosses den Ramelow’schen Erben, die übrigen Arbeiten der Firma Held & Francke übertragen waren. Die Steinmetzarbeiten des Vorderbaues führten P. Wimmel & Co., die des Erdgeschosses und der oberen Stockwerke des Hinterbaues und der Höfe Carl Schilling, die des Sockelgeschosses und des Hauptgesimses des Hinterbaues, der Treppengeländer und anderer Arbeiten des Inneren, des Kesselhauses und des Verbindungsbaues C. F. Foerster in Riesa aus. Die Granitarbeiten der Haupttreppe, der Rampe und des Bürgersteiges lieferte Kerber, den Kunstsandstein der Nebentreppen G. A. L. Schulz & Cie., die Marmorarbeiten die Saalburger Marmorwerke. An der Herstellung und Lieferung der Schmiede- und Eisenarbeiten waren betheiligt die Firmen Bretschneider & Krügner (Bibliothek und Dächer des Hinterbaues), Thyssen & Comp. (Träger und Oberlichte), Belter & Schneevogl (Fussboden des grossen Sitzungssaales), Maschinenfabrik „Cyklop“ (Dach des grossen Sitzungssaales) und Albert Gossen (Tribünen). In die Klempnerarbeiten theilten sich H. Kunitz (mit dem Löwenantheil), Karney und Thielemann. Eine grössere Reihe von Firmen wurde für die Herstellung der umfangreichen Tischlerarbeiten beschäftigt und zwar G. Olm (grosser Sitzungssaal), Gebr. Lütke, Carl Müller (Restauration), G. Lange (Lesesaal), Kuntzsch in Wernigerode), €. Trost, G. Wenkel Nachf., die Wolgaster Aktien-Ges., Ferd. Voigts & Co. (Hofsalon), Weinrich, Lommatzsch & Schröder, Lübnitz & Reese, W. Zwang usw. Die Schlosser- und Beschlagarbeiten fielen an E. Puls, Alb. Gossen, Schulz & Holdefleiss, M. Böttcher, A. L. Benecke, Fr. Spengler und E. Nachtigall. Die gewöhnlichen Glaserarbeiten fertigte Rothe in Brandenburg; die Kunstglaserarbeiten stammen von Spinn & Co. und F. Riess in Dessau. An den dekorativen und einfachen Malerarbeiten waren betheiligt A. Lange, J. M. Bodenstein (Treppenhäuser und einige Säle), Gebr. Drabig (Restaurationsräume), Gathemann & Kellner (Foyer und Lesesaal), C. Lange u. Frohns & Plathe. Die Zug- und Stuckarbeiten besorgten C. Hauer, Boswau & Knauer, Junkersdorf, Fabbris und A. Brasch. Die Heizungs- und Lüftungsanlage führten Rietschel & Henneberg, die elektrische Beleuchtungsanlage die Allgem. Elektricitäts-Gesellschaft, die Wasserleitungs-Anlage Börner & Herzbere, David Grove und Otto Höhns aus. Für die weitere innere Ausstattung lieferten, soweit nicht schon früher genannt, Stracke, Menter & Wollstädter angetragene Arbeiten, Gustav Lind Kupfertreibarbeiten, Odorico den Terrazzo- und die Mosaikfussböden, die Württembergische Metallwaarenfabrik die Bronzearbeiten, Schäffer & Walcker, Spinn & Sohn, Kreuzberger & Siewers, Schäffer & Hauschner die Beleuchtungskörper, Quantmeyer & Eicke und die Werke in Rixdorf und Cöpenick das Linoleum, N. Ehrenhaus, Hozäk & Sohn, Herm. Gerson, Rud. Hertzog und Uslar in Solingen die Teppiche, Oscar Baensch & Co. die elektrische Klingel- und Telephonleitung. Als Dekorateure waren Raschky, Bernau, Voigts und Müller beschäftigt.

Berliner Neubauten 89 - Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages - Ansicht der Wandelhalle
Berliner Neubauten 89 – Das neue Abgeordnetenhaus des preussischen-Landtages – Ansicht der Wandelhalle

Unter der Zusammenwirkung dieser zahlreichen Firmen ist ein Haus entstanden, welches im praktischen Gebrauch und als behaglicher Aufenthalt der Abgeordneten nach den Aeusserungen derselben in einer der letzten Sitzungen allen Anforderungen entspricht.

Dieser Artikel erschien zuerst am 14.01., 21.01, 28.01. & 04.02.1899 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „H.“.

Reichshaus und preussisches Abgeordnetenhaus im Urtheil der Abgeordneten.

Aus den Berichten der politischen Presse dürfte unseren Lesern theilweise bereits bekannt sein, dass in der Sitzung des preussischen Abgeordnetenhauses vom 28. Januar d. J. einige Bemerkungen über den Neubau des letzteren gefallen sind, in denen dieser mit dem Reichshause in Vergleich gestellt wurde. Wir haben, bevor wir jene Bemerkungen an dieser Stelle erwähnten, das Erscheinen des stenographischen Berichtes abgewartet. Hiernach sagte der Hr. Abgeordnete Graf zu Limburg-Stirum, nachdem er namens seiner politischen Freunde Seine Anerkennung darüber ausgesprochen hatte, dass der neue Sitz des Abgeordnetenhauses so bequem, praktisch und künstlerisch schön gebaut sei und in jeder Beziehung einen vornehmen Eindruck mache, ohne überladen oder verschwenderisch zu wirken, Folgendes:

„Ich kann nicht umhin, doch einen kleinen Vergleich mit dem grossen Reichstags-Gebäude zu machen. Wenn wir bedenken, dass der Reichstag über 30 Mill. M. gekostet hat, während das Gebäude hier für ungefähr etwas über 6 Mill. M. hergestellt worden ist, so fragt man doch, warum muss dieser kolossale Unterschied sein? Es ist doch nicht zu verkennen für diejenigen, die im Reichstage sind, dass dieses Haus als Geschäftshaus und auch für den Eindruck angenehmer und besser ist als der Reichstag. (Sehr richtig!) Ich kann nicht umhin zu sagen, der Reichstag macht etwas den Eindruck des Ueberladenen und der Tendenz, als ob man jede Gelegenheit hätte wahrnehmen wollen, irgend welche grossartigen Konstruktionen auszuführen. In brauche nur auf die eine Thatsache hinzuweisen, dass die beiden Haupteingänge, die sehr prachtvoll sind, von dem grossen Verkehr nicht benutzt werden, die Rampe garnicht und der grosse Eingang gegenüber nur von den Herren vom Bundesrath, während der grosse Verkehr sich durch die Nebeneingänge bewegt. (Sehr richtig!) Warum ich aber das Wort ergriffen habe, meine Herren, ist, darauf hinzuweisen, dass die Art, wie dieses Bauwerk hier entstanden ist, ein Muster dafür abgiebt, wie man eigentlich bauen soll (sehr richtig!), d. h. durch ein intelligentes und ein inniges Zusammenwirken der Bauverständigen mit denjenigen, die verstehen, wie das Gebäude benutzt werden muss. Denn, meine Herren, in den meisten Fällen werden die Bauten so ausgeführt, dass der Architekt sich das Gebäude konstruirt, wie er es sich denkt, nicht aber, wie es wirklich gebaut werden soll, und nachher findet sich, dass die Sache nicht passt.“

Der Redner entwickelte weiter, dass im vorliegenden Falle das erzielte, nach seiner Ansicht günstigere Ergebniss der ausgezeichneten, langjährigen Mitwirkung des verstorbenen Büreau-Direktors Kleinschmidt zu danken sei, schloss aber, unter dem Beifall des Hauses, auch mit einem Danke an den Baumeister. Es seien so oft Angriffe auf die Architekten gemacht worden, dass er sich freue, einmal sagen zu können, dass ein königlich preussischer Baumeister etwas Ausgezeichnetes geleistet habe.

Auch die Redner, welche weiter das Wort nahmen, der Hr. Fin.-Min. Dr. v. Miquel, sowie die Hrn. Abgeordneten Im Walle, Dr. Sattler, Rickert, v. Zedlitz u. Neukirch und Dr. Langerhans schlossen der dem Erbauer des Hauses und seinem Berather gezollten Anerkennung einmüthig sich an. Doch hielten die Hrn. Dr. Sattler und Rickert es für erforderlich, den in diese Anerkennung hinein gezogenen Vergleich des neuen Hauses mit dem Reichshause ausdrücklich zurückzuweisen. Hr. Dr. Sattler äusserte, dass es die Freude des Baumeisters über seinen Erfolg schwerlich erhöhen werde, wenn man sein Werk mit jenem in Vergleich stelle; man könne sich über eine Leistung auch freuen und stolz auf sie sein, ohne über andere herauf gesetzt zu werden. Und Hr. Rickert bat, denjenigen, die ein Gefallen am Reichshause haben – und deren seien Viele – doch auch ihre Freude zu lassen. Der Saal desselben sei inbezug auf die Abwicklung der Geschäfte, insbesondere in akustischer Hinsicht, demjenigen des Abgeordnetenhauses vorzuziehen. Ein Vergleich über die Kosten beider Gebäude aber sei für diejenigen, welche die Entstehungs-Geschichte des Reichshauses kennen, nicht am Orte. –

So dankbar wir auch diese letzten – vom allgemeinen Standpunkte der Abgeordneten durchaus genügenden Bemerkungen gebrüssen müssen, so sehr bedauern wir es, dass keiner der dem Hause angehörigen Techniker Gelegenheit genommen hat, die in den Worten des Hrn. Abg. Grafen zu Limburg-Stirum enthaltenen Ungereimtheiten etwas näher zu beleuchten.

Der von ihm wider die Architekten erhobene allgemeine Vorwurf zeugt von einer so grossen Unkenntniss der thatsächlichen Verhältnisse, dass er fast an’s Komische streift. Sollte es wirklich Architekten geben, welche unbekümmert um die Wünsche und Ansichten „derjenigen, die verstehen, wie das Gebäude benutzt werden muss“ – bei Anlage eines Hauses lediglich ihren Phantasien folgen, so dürften doch schwerlich Bauherren zu finden sein, die sich das gefallen lassen würden. In Wirklichkeit wird es wohl jeder Architekt, dem der Entwurf eines Hauses anvertraut wird, seine erste und vornehmlichste Sorge sein lassen, die Bedürfnisse, denen dasselbe dienen soll, aufs eingehendste zu studiren, auch die kleinsten Wünsche des Bauherrn zu erforschen und nicht eher abzustehen, als bis dieser mit der geplanten Anlage sich zufrieden erklärt hat. Dass trotzdem verfehlte Bauten entstehen, die den Erwartungen der Bauherren nicht entsprechen, soll natürlich nicht geleugnet werden; die Schuld fällt dann aber sicherlich stets den letzteren zur Last und beruht darin, dass sie über ihre Wünsche und Bedürfnisse selbst nicht klar gewesen sind.

Auch beim Bau des Reichshauses ist seitens des Architekten gewiss nichts versäumt worden, um sich hinsichtlich der Plananlage desselben mit denjenigen Persönlichkeiten ins Einvernehmen zu setzen, denen nach ihrer persönlichen Stellung und Erfahrung die zu erfüllenden Bedürfnisse am genauesten bekannt waren. Jede einzelne Anordnung ist mit diesen durchgesprochen und von ihnen gebilligt worden; die langsame Entstehung des erst nach mehren Umarbeitungen in seiner letzten Gestalt zustande gekommenen, in jeder Fassung stets zur allgemeinen Kenntniss des Bundesrathes und Reichstages gebrachten Entwurfes hat zudem jedem Betheiligten die reichlichste Gelegenheit geboten, seine Wünsche oder Abänderungs-Vorschläge geltend zu machen. Wäre daher die Anlage des Reichshauses im Vergleich zu der des neuen Abgeordnetenhauses wirklich so verfehlt, wie man nach den Worten des Hrn. Abg. Grafen zu Limburg-Stirum schliessen könnte, so dürfte der Vorwurf jedenfalls weder an die Adresse des Architekten gerichtet noch auf das bei Vorbereitung des Baues beobachtete Verfahren bezogen werden. Er könnte höchstens dahin lauten, dass die Persönlichkeiten, von denen der Architekt des Reichstages in Zweckmässigkeits-Fragen berathen worden ist, weniger sachverständig und weniger intelligent gewesen seien, als der verstorbene Bureau-Direktor des Abgeordnetenhauses, der bei Feststellung der Planordnung des Neubaues dem Architekten des letzteren zurseite gestanden hat.

Bestehen denn aber hinsichtlich der Zweckmässigkeit beider Häuser wirklich so grosse Unterschiede, wie man behauptet hat? Der einzige näher begründete Tadel, der bei diesem jüngsten Angriff wider das Reichshaus ausgesprochen worden ist, bezog sich auf die Anordnung der Eingänge – einen rein akademischen Mangel, der bei der eigenartigen Lage des Bauplatzes bekanntlich unvermeidlich war, die Brauchbarkeit des Hauses für den geschäftlichen Betrieb des Bundesrathes und des Reichstages jedoch nicht im mindesten beeinflusst. Dass diese Brauchbarkeit hinter derjenigen des neuen Abgeordnetenhauses zurück stehe, können wir nur in dem einen Punkte zugeben, dass die räumlichen Verhältnisse des Reichshauses grösser, die von den Abgeordneten und den Angestellten des Hauses zurück zu legenden Wege daher länger sind, als in jenem.

Dies mag von manchen Abgeordneten schmerzlich empfunden werden – das Ideal vieler ist ja noch heute das provisorische Reichstags-Gebäude, wo Sitzungssaal, Foyer und Restauration in unmittelbarem Zusammenhange standen – ist aber eine nothwendige Folge der monumentalen aus des Hauses, die dem Architekten unter allgemeiner Zustimmung von vorn herein zur Bedingung gemacht worden ist. Allmählich wird man sicher an diese Verhältnisse sich gewöhnen und die jetzigen, übrigens jederzeit voraus gesehenen Klagen werden verstummen; insbesondere dürfte hierzu die künftige Ausstattung der Wandelhalle beitragen, die gegenwärtig mehr als Durchgangsraum erscheint, während sie dazu bestimmt ist, einen behaglichen Aufenthaltsort für die Abgeordneten zu bilden.

Auf die Klagen des Hrn. Abg. Graf zu Limburg-Stirum über die überladene, verschwenderische Pracht des Reichshauses einzugehen, dürfte sich kaum verlohnen, weil die Anschauungen über den Grad der künstlerischen Durchbildung und Ausstattung, welche die Würde eines derartigen Baues erfordert, je nach dem Kunstverständniss und Kunstbedürfniss des Beurtheilers zu verschieden sind.

Das Gleiche gilt für die Frage der in erster Linie durch jenen Grad der Monumentalität und der künstlerischen Durchbildung bedingten Baukosten, die beim Reichshause übrigens nicht 30 Millionen, sondern nur rd. 22,5 Mill. M. betragen haben, da es nicht angeht, hierbei die Kosten für Erwerbung des Bauplatzes einzurechnen. Dass auch die einfachere und billigere Gestaltung des neuen Abgeordnetenhauses auf die Mitwirkung des Hrn. Büreaudirektors Kleinschmidt zurückzuführen und diesem als Verdienst anzurechnen sei – wie man aus den Worten des Redners heraus hören konnte – hat dieser in Wirklichkeit wohl nicht behaupten wollen.

Für jeden Sachverständigen, der die beiden inrede stehenden Gebäude unbefangen mit einander vergleicht, dürfte es keinem Zweifel unterliegen, dass ein absoluter Maasstab für die höhere oder geringere Werthschätzung des einen gegenüber dem anderen sich nicht finden lässt, weil die Grundauffassung, aus der dieselben Gestalt gewonnen haben, eine zu verschiedene ist. Die Fachgenossen der beiden Architekten, die sie geschaffen haben, werden beiden gern die Anerkennung zollen, dass sie in redlichem Bemühen und mit vollem Erfolge an die Lösung der ihnen gestellten Aufgabe ihre beste Kraft gesetzt haben.

Dieser Artikel erschien zuerst am 11.02.1899 in der Deutschen Bauzeitung.