Eine sportliche Veranstaltung, an der Kavallerieoffiziere fast aller Nationen teilnahmen, fand kürzlich in Turin statt.
Ein italienischer Offizier, Kapitän F. Caprilli vom Regiment Genua, gewann den Ehrenpreis Kaiser Wilhelms II. für die Hochsprungkonkurrenz, auch im Weitspringen errang derselbe Offizier die Palme. In der Hochsprungkonkurrenz schuf der schneidige Reiter einen neuen Weltrekord; eine ebenso gewaltige Leistung war der Sprung über eine feste Barriere von 2 Meter 8 Zentimeter Höhe, wie im Weitspringen das Nehmen einer Hürde mit anschließendem Graben in einer Länge von 6 Meter 50 Zentimeter.
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Manches Gesicht wurde damals in Turin lang und länger, manches Gemüt bang und bänger. Wer hätte eine solche grandiose Leistung gerade von einem italienischen Offizier ausführen zu sehen geglaubt, während der Italiener wie der Franzose nun einmal gerade nicht als Reiter und Pferdepfleger ersten Ranges gelten – wenigstens bisher in den Augen der sogenannten pferdeverständigen Nationen. Ja, die Zeiten haben sich eben geändert, und es thut not, das viele „Traditionelle“ in der Beurteilung fremder Armeen über Bord zu werfen und unbefangen das Neue zu prüfen. Aber welche Zeitung bringt denn auch bei uns etwas Großes über fremde Armeen? Der Fachmann allein verfolgt das kleinste Detail.
Welch frischer Geist ist nicht in die italienische Kavallerie gefahren, wie wird nicht jeder Sport gepflegt, der irgendwie dazu beitragen könnte, frischen Wagemut Offizieren und Mannschaften einzuflößen! Frisch und fröhlich reitet der Graf von Turin, Oberst und Kommandeur des 5. Kavallerieregiments Novara, querfeld, wirft sich in den Strom, und wie eine Schar losgelassener Teufel folgt ihm das Regiment.
Ein königlicher Prinz, scharf und schneidig, wirkt immer Wunder – und der Degenstoß, den der Prinz dem taktvollen Forschungsreisenden Heinrich von Orleans im Duell für die Ehre der italienischen Armee versetzte, trug viel zu seiner großen Beliebtheit bei. Der Graf von Turin ist in der deutschen Armee nicht unbekannt, er steht à la suite des Garde-Kürassier Regiments.
Erst kürzlich war er der Einladung des Kaisers gefolgt und hatte den Kavallerieübungen auf dem Truppenübungsplatz Alten- Grabow beigewohnt. In der Fechtkunst – ach, wie weit sind uns heute die Italiener überlegen, wie wirken aber auch Meister von der Form eines Cavaliere Pini, eines Luigi della Santa als Apostel ihrer vornehmen Kunst im Ausland, wie zeigen sie die Ueberlegenheit der italienischen Schule! Es herrscht überhaupt ein starker Zug zum Sport in der italienischen Nation, in der italienischen Armee. Der König besucht im selbstgelenkten Elektromotorwagen das Land, die Königin schießt wie ein „Junak“, wie ein „Grauer Falke der Crnagora“, die Königinmutter nimmt Bergriesen, und der Herzog der Abruzzen verliert fast Leib und Leben im höchsten Norden auf langen Expeditionen.
Daß so etwas abfärbt, Stimmung und Schule macht, ist erklärlich, und in einzelnen Truppengattungen der Armee, bei den Bersaglieri und bei den Alpini, bemüht man sich rechtschaffen, das Höchste in sportlicher Ausbildung zu erreichen. Ob das Hervortreten des sportlichen, ich will nicht von Ueberwiegen reden, gerade zum Vorteil für die Ausbildung des einzelnen Mannes ist, lasse ich dahingestellt sein. Thatsache ist, daß ein frischer Zug in die Kolonne gekommen ist, und südländische Nationen vertragen eine tüchtige Portion Feuer.
Diese Bersaglieri, diese Elitetruppe in den Augen der Italiener von den in eisigem Schnee starrenden Alpenspitzen bis zur sonnenverbrannten sizilischen Küste! Begeistert jauchzt das Volk seinen Lieblingen zu, wenn sie bei der Parade in dem ihnen eigenen Geschwindschritt vorüberstürmen, den Oberkörper leicht vorgebeugt, nervig und flott, als hätten sie „den Teufel im Leib“; gleichsam die Verkörperung der militärischen Kraft des Landes in höchster Potenz. Dunkel, düster ist das Gesamtbild der Bataillone; der dunkelblaue Waffenrock, die weiten, in Gamschen steckenden Beinkleider von der gleichen Farbe – schwarz sind sogar die Handschuhe der Mannschaften bei der Parade – werden nur wenig belebt durch die roten Aermelaufschläge und die breiten, roten Galons. Aber die Sonne spielt in dem dichten Busch schwarzglänzender Hahnenfedern, der an der rechten Seite des schwarzlackierten Rundhutes zu den raschen Schritten nickt, und die grünen Schnüre, die grüne Säbeltroddel – grün ist die international anerkannte Jägerfarbe – weisen auf die ursprüngliche Bestimmung der Truppe, auf das am meisten gepflegte Scharfschießen hin.
Dank dem Eifer der Offiziere und dank dem ausgesuchten Ersatz wird in sämtlichen zwölf Regimentern eine gute Schießfertigkeit erzielt. Kühn und wagemutig soll der Bersaglieri sein, will er sich seine Elitestellung in der Armee und im Volk bewahren; hierauf zielt aber auch die ganze Ausbildung hin. Dem Turnen wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt, nur legt man weniger Wert auf eine streng geregelte, vorgeschriebene Ausbildung des einzelnen Mannes, man läßt Spielraum – selbst zu Kunststücken, wie es doch der Ueberschlag ist. Aber ein ganz klein wenig Theatralisches lieben die Italiener an ihren Lieblingen, lieben die Bersaglieri selbst, ob sie nun unter dem belebenden Fanfarengeschmetter ihres 36 Mann starken Hornistenkorps auf den Exerzierplatz eilen, im Manöver wie eine Schar los gelassener Teufelchen in malerischer Pose vom verkarsteten Klippenrand den abziehenden Gegner mit Schnellfeuer überschütten, oder die letzten 5 Kilometer ihres Tagemarsches – 40 Kilometer in 8 Stunden einschließlich der Ruhepausen – im gleichen Tempo durchhalten.
Heiter, sonnig, lebhaft pulsierend ist das Temperament der Bersaglieri, der krasseste Gegensatz zu ihren ernsten Brüdern in St. Huberto, den Alpini, die weltfern, abgeschlossen in ihren Bergen, zwischen Schnee und Eis sitzen. Niemand kennt sie, diese wetterfesten, ernsten Burschen, die unbeachtet ihren schweren Dienst an der oberitalienischen Grenze thun. Es ist wohl nicht allein das Pflichtgefühl, das sie zu den tollsten Touren, zur Ueberwindung aller Schwierigkeiten antreibt. Auf der andern Seite des Alpenwalls nämlich, auf gut französischer Erde, sitzt ein Konkurrent, ein stiller, ruhiger Konkurrent, der französische Gebirgsjäger. Beiden ist die Sicherung des Alpenwalls übertragen, beide liegen wie der Luchs auf der Lauer, jeder weiß vom andern, was er leistet, was er bisher geleistet hat. Aber was ich leisten kann, das weiß mein Comparente nicht, denkt jeder – und er ruht nicht, er legt dem Freund etwas noch nie Dagewesenes vor, und das noch nie Dagewesene wird überholt bis -! Ein edler Wettstreit.
In den Hochalpen wird das alles ohne groß Geschrei, als etwas selbstverständliches, abgethan, das Theatralische fehlt gänzlich.
Vielleicht, daß darum die Alpini so wenig bekannt sind in ihrem eigenen Land?
Dieser Artikel erschien zuerst am 30.08.1902 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit „F. G.“.