Ein dänisches Volksmuseum

Bauernhaus von Naes (Schonensche Bauform)

Von Dr. A. B. Hollmann. – Hierzu 6 photographische Aufnahmen.
Das Bauernkunstmuseum von Lyngby liegt in ländlicher, waldreicher Umgebung bei Lyngby, 1 ¼ Meilen von Kopenhagen. Sein Zweck ist, einen Einblick in dänisches Bauern und Bürgerleben der Vergangenheit zu geben. Man befolgte dabei den Grundsatz, der mir der einzig richtige zu sein scheint, daß man die Dinge in ihren organischen Zusammenhang rekonstruierte und so ein möglichst getreues Bild der betreffenden Kulturepoche gab.

Das auch im Fredriksborger Museum angewandte Interieurprinzip ist hier mit Konsequenz durchgeführt, derart, daß nicht allein Möbel und sonstige Gebrauchsgegenstände einer bestimmten Epoche in dem Raum der gleichen Epoche aufgestellt sind, sondern das Prinzip ist auch auf die rekonstruierten alten Häuser und auf die ganze Lage ausgedehnt.

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Man erblickt zunächst dem Eingang in die Anlagen ein Bauernhaus, dessen Bauart dem Niederdeutschen vertraut ist; es ist das bekannte „sächsische Bauernhaus“, das einst in ganz Niederdeutschland heimisch war, in dem Gebiet, dessen südliche Grenze die Ruhr bildete, und dessen nördliche Grenze in einer Linie etwa von Hildesheim nach Tangermünde verlief. Noch heute finden wir im Niedersächsischen Typen dieser Bauart, die in unsern Tagen eine vielhundertjährige Entwicklung abschloß. Der älteste Typus des sächsischen Bauernhauses war das Rauchhaus ohne Schornstein. Menschen und Vieh lebten zusammen in einem großen Raum ohne Scheidewand unter dem gleichen Dach. In der einen Giebelwand befand sich die große vierteilige Dielentür, der einzige Eingang des Hauses, und an der gegenüberliegenden „Feuergiebelwand“ brannte das Feuer frei auf den „Flett“. Was man als Aufenthalträume des Bauern und seiner Familie findet, ist in späterer Zeit hinzugefügt. Noch heute findet sich der ursprüngliche Typus in einzelnen Gebieten an der holländischen Grenze.

Siddels im niedersächsichen Bauernhaus
Siddels im niedersächsichen Bauernhaus
Schonensche Stube
Schonensche Stube

Das hier mit großem Geschick wieder aufgeführte Haus stammt aus dem Dorf Ostenfeld in der Nähe von Husum; es ist erbaut im Jahr 1685 von Hans Petersen, wie eine Inschrift im Türbalken besagt.

Wenn man eintritt, findet man sich in jenem stimmungsvollen Halbdunkel, das an das Leben der Bilder Rembrandts, des großen Meisters niederdeutscher Art, erinnert. Durch das niedrige Fenster fallen die schrägen Sonnenstrahlen, spiegeln sich an den kupfernen Kacheln am Herd, gleiten über die langen Reihen der blitzenden messingnen „Schienteller“, huschen an dem rauchgebräunten Eichengebälk entlang und verlieren sich im Seitenschiff. Dort sind die „Siddels“ (Abb. S. 750) kojenartige Gelasse mit Tischen und Seitenbänken, wo die Mahlzeiten eingenommen wurden, und wo wir auch die Schlafkammer des bäuerlichen Ehepaars finden, eine rings eingeschlossene Bettstatt mit Schiebefenstern, von reicher Kerbschnitzarbeit umgeben. Alle Räume, so namentlich der Pesel, die Prunkstube des Bauernhauses, sind erfüllt von jenem Duft ehrwürdigen Alters, wie er Gegenständen langjährigen Gebrauchs eigen ist.

Blick in das landwirtschaftliche Museum
Blick in das landwirtschaftliche Museum
Pesel im niedersächsichen (Ostenfelder) Bauernhaus
Pesel im niedersächsichen (Ostenfelder) Bauernhaus

Das patriarchalische Zusammenleben der bäuerlichen Familie mit dem Dienstvolk hielt sich in einem großen Teil dieser Gebiete, in Westfalen, Hannover, bis in unsere Zeit hinein, doch finden sich bereits im Anfang des 16. Jahrhunderts besondere Räume für die Familie, die bei außergewöhnlichen Gelegenheiten benutzt wurden. In diesen „Kammern“ finden wir auch die kostbareren Gebrauchs- und Prunkgegenstände, geschnitzte Stühle und Schränke, Wandteppiche und Prunkgeschirr in getriebener Arbeit.

Das zweite Glied in der Entwicklungsreihe ist der Typus eines Bauernhauses, wie es in Nordschleswig üblich war, wo Vieh und Menschen durch eine Querwand getrennt sind und die Feuerstätte mit einem Rauchfang versehen ist. Ein solches Exemplar fehlt bis jetzt noch. Wir überschreiten den freigelassenen Platz und gelangen zur „Hallandstue“. Das Hallandhaus ist ein auf einem Sockel von Feldsteinen errichtetes Holzhaus, das lediglich als Wohnhaus diente, während das Vieh in einem Nebengebäude untergebracht war. Das Haus zerfällt in drei abgesonderte Teile, deren mittlerer die „Lavstue“, d. i. Gesellschaftsstube war, während die Giebelbauten Herbergsstuben hießen. Die „Lavstue“ war ursprünglich ein selbständiges Gebäude, mit beiden Giebeln frei; sie ist offenbar viel älteren Ursprungs. Merkwürdig ist die außerordentlich niedrige Tür, die den Zweck hatte, den Feind, der gebückt hindurchkriechen mußte, für eine Weile wehrlos zu machen.

Geschitzte Schränke im Pesel
Geschitzte Schränke im Pesel

Vom Hallandhaus gelangen wir in einen Bienengarten, der die Entwicklung der Bienenzucht vorführt und außerdem die wenigen Ziergewächse und Heilpflanzen aufweist, die der Bauer ehedem in seinem Toftgarten zog, Päonien, Levisticum officinale und andere.

Eine nordische Eigentümlichkeit ist das „Loftet“ oder Lofthaus, was soviel bedeutet wie Dachbodenhaus. Es fand sich ehedem bei jedem Bauernhof. Man sieht sofort, daß es keine ökonomische Bedeutung hatte, sondern vielmehr Sicherheitszwecken diente. Es war nämlich nur von innen aus durch eine Falltür, durch die die Leiter nachgezogen werden konnte, zugänglich. Seine Notwendigkeit erklärt sich aus der persönlichen Unsicherheit in mittelalterlicher Zeit infolge der unaufhörlichen Kriege und Stammesfehden mit ihrem allverbreiteten Brauch der Blutrache. So wurde es besonders als Herbergsraum für den Grundherrn verwandt, dessen „Atzung“ und Beherbergung dem Bauern oblag, so oft er auf den Hof kam.

Wir kommen zu dem letzten und für die spezielle nordische Entwicklung interessantesten Stück des Volksmuseums. Ein Bauernhaus, das aus liegenden Holzplanken erbaut ist, und bei dem die Langseiten ein geschlossenes Viereck bilden, mit einem freien Hofraum in der Mitte. Das Haus stammt aus Naës bei Hesleholm und ist der primitive Typus jener Bauform, die vom nördlichen Schonen ausgehend sich über ganz Dänemark verbreitete und sich allmählich zu dem dänischen Bauernhaus entwickelte, wie es noch heute in den meisten Gebieten des Landes üblich ist. Das ganze Haus zählt einundvierzig gesonderte Räume, Familienstuben, Frauenkammer, Spinnstube, Räume für das Dienstvolk, Herbergskammern und Viehställe (Abb. obenst.).

Das Dach ist ein Strohdach, wie man es noch heute auf allen alten Bauernhäusern, namentlich in Jütland sieht. Fenster hatte dieses Haus ursprünglich nicht, sie sind erst später eingesetzt. Das Tageslicht hatte also nur Zutritt durch die Tür und durch das Luftloch im Dach, das zugleich dem Rauch als Abzug diente, da ein Schornstein ebenfalls nicht vorhanden war. Jedoch brannte das Feuer nicht frei auf der Diele wie im alten sächsischen Rauchhaus, sondern es ist in der Ecke der Stube ein Feuerherd mit Rauchfang gebaut, dessen mächtige Steinmassen nahezu den dritten Teil des Raumes ausfüllen.

Bauernhaus von Naes (Schonensche Bauform)
Bauernhaus von Naes (Schonensche Bauform)

In dem Bauernhaus „Naës“ findet man auch einen großen Teil der landwirtschaftlichen Geräte untergebracht. Natürlich war es nicht möglich, die ganze Sammlung in den Gebäuden des Volksmuseums unterzubringen, wie denn ja auch solche Geräte aus der Epoche primitivster Bodenkultur schon nicht mehr in Bauernhäuser mittelalterlicher Zeit hineingepaßt hätten.

Deshalb ist für die landwirtschaftliche Sammlung, die wohl die reichste dieser Art in der ganzen Welt ist, eine besondere Halle errichtet (Abb. S. 751). Die Sammlung ist von hohem Wert für den Kulturhistoriker; wir sehen hier die primitiven Bodenbearbeitungsgeräte aus Holz, die ganze Entwicklung des Pfluges in einer fast lückenlosen Pflugsammlung, Ackerwagen der verschiedenen Epochen, eine Sammlung von Handmühlen, je zwei Feldsteine, zwischen denen das Korn zerrieben wurde, usw. Die Sammlung umfaßt 7600 Nummern, und es ist gewiß ein Beweis für das Interesse des Volkes, das in der kurzen Zeit von 1888 an zumeist durch freiwillige Schenkungen die größte landwirtschaftliche Sammlung der Welt zusammengebracht hat.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 17/1904.