Die Modelle menschlicher Wohnungen auf der Pariser Weltausstellung

Wohnstätten der alten Germanen und Gallier

Der Eiffelthurm, die leuchtenden Wasser und die Modelle menschlicher Wohnungen sind die drei Schaustücke der Pariser Weltausstellung, welche den nicht fachmännischen Besucher am meisten anziehen.

Alle drei liegen unmittelbar hintereinander, das letztere der Stadt zunächst auf dem Seinequai des Marsfeldes rechts und links von der Jenabrücke. Dort hat der Architekt Charles Garnier 49 naturgetreue Nachbildungen der verschiedenen Arten menschlicher Wohnungen von der Urzeit bis auf unsere Tage aufgeführt, und eine Wanderung durch diesen Theil der Ausstellung ist für den Besucher gleichsam eine in angenehmster und anschaulichster Weise genossene Lehrstunde in der Kulturgeschichte. Es ist natürlich an dieser Stelle unmöglich, sämmtliche dieser Bauten in Abbildungen vorzuführen, doch bringen wir 14 der hervorstechendsten und interessantesten, von denen jedes eine verschiedene Kulturepoche bezeichnet.

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Den Beginn machen die Höhlenwohnungen des Urmenschen, welche die unterste noch vorgeschichtliche Stufe der Kultur bezeichnen und sich von den Wohnstätten wilder Thiere nur durch die Ueberreste menschlicher Thätigkeit, die man in solchen Höhlen gefunden hat, unterscheiden. Nicht viel höher, doch schon einen Fortschritt bekundend, stehen die Wohnungen der Steinzeit. Der Mensch vermochte jetzt bereits sich Messer und Beile aus gespaltenen Feuersteinen herzustellen und Hämmer aus durchbohrten Feldsteinen, in die ein Holzstiel gesteckt war. Die rohen Hütten zeigen daher schon einen gewissen Grad von Kunstfertigkeit, so gering dieser auch sein mag. Entschieden betreten wir den Boden der Kultur bei den auf Pfählen in Seen errichteten Hütten der Pfahlbauer, deren man in den Schweizer Seen eine ganze Menge zusammen mit Kupfer- und Bronzewerkzeugen gefunden hat.

Die Wohnstätten der alten Germanen und Gallier aus vorchristlicher Zeit sind zwar auch noch roh genug, übertreffen aber die der vorhergehenden Perioden durch Anordnung und Aufbau. Unter den Kulturvölkern des Alterthums, zu denen wir nun kommen, nehmen die Inder, Egyhpter, Griechen und Römer die erste Stelle ein. Bei dem altindischen Wohnhause wurde der Eingang stark über die Straße erhöht, die oberen Stockwerke tragen phantastisch bemalte Veranden, Erker und Gallerien. Man baute sehr hoch, oft bis zu neun Stockwerken. Die altegyptischen waren nur aus Holz und Ziegeln gebaut, von sehr einfacher Konstruktion und erhielten nur in ganz großen Städten wie Memphis und Theben, über zwei Stockwerke. Im unteren waren die Vorrathsräume und Dienerzimmer, oben die Wohnräume der Herrschaft. Bei den Reicheren ruhte das Dach auf kurzen Säulen, wodurch ein luftiger zum Lustwandeln geeigneter Raum entstand.

Dem egyptischen ähnlich war das altjüdische Haus, noch mehr das altperuanische Haus wie denn auch merkwürdigerweise die Tempel in Peru aus der Zeit der Inkas so große Aehnlichkeit mit den egyptischen haben, daß man eine direkte Verbindung zwischen diesen beiden Völkern hat vermuthen wollen. In dem altgriechischen Hause tritt uns offenbar das Vorbild für den modernen Hausbau entgegen, wenigstens, was die äußere Form anbetrifft; damit verwandt war das etruskische Haus, welches ursprünglich sehr eng und mit weit vorspringendem Strohdache versehen war, das seine Stütze in einer rund um das Haus laufenden Gallerie fand. Mit dem byzantinischen Hause treten wir in das Mittelalter ein, aus dem auch das persische Haus mit seiner offenen, von einer Kuppel überragten Vorhalle stammt. In den Ländern des mittleren und westlichen Europa bildete sich aus dem römisch-byzantinischen Wohnhause das frühromanische Haus heraus, aber erst mit der Entwickelung des Städtewesens entstand das mittelalterliche Haus. Der modernen Zeit gehört das zierliche äußerst leicht gebaute japanische Haus an, das uns ein Muster des von europäischen Einflüssen ganz unabhängig gebliebenen Baustyles der Ostasiaten gibt.

Dieser Artikel erschien zuerst in Heft 6/1890 des Das Buch für Alle.