Ein gefiederter Nachtwandler

Baumkauz, seinen Raub schlagend

Den Ausspruch Seumes: – die Nacht ist keines Menschen Freund – darf man, wenigstens in zoologischer Auffassung als sachgemäß richtig unterschreiben.

Zwar stellt der Mensch in dem gleichen Sinn nur eine einzige Ordnung dar, diese aber zerfällt, ob man nun Blumenbachs Einteilung in fünf oder gar Luke-Burkes in dreiundsechzig gelten lassen will, in so viele und vor allem so unterschiedliche Rassen, daß man auf weit abweichende Existenzbedingungen und Lebensführungen sehr leicht schließen dürfte. Dessen ungeachtet ist der Mensch, einerlei welcher Hautfarbe und welcher Schädelform, stets ein Geschöpf des Lichtes, ein Tagwesen. Die diesem Gebieter der Erde untergeordneten Naturkinder, die Tiere, sind, obwohl sie sich untereinander oft weniger unterscheiden, als z. B. der Kaukasier vom Neger, keineswegs so sehr wie der Mensch dem Sonnenlicht hold, im Gegenteil, ihnen ist die Nacht nicht selten geradezu ein Freund. Eine ganze Reihe treffender Bezeichnungen, wie Nachtaffe, Nachtfalter, Nachtreiher usw. tut dar, daß diese Tiere anderer Art und Gattung sind wie die, die als Tagtiere leben. Auch die Eulen teilen sich in zwei verschiedenartige Gruppen: die einen, die am Tag, die andern, die während der Nacht auf Raub ausgehen, jene mit heller, meistens gelber, diese, wenigstens zum Teil, mit dunkler Irisfärbung, einem der wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale beider.

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Von den Nachteulen oder Nachtkäuzen leben zwei Arten in Deutschland, die gesichterschneidende und wie ein Mensch laut, aber ohne zu schlafen, schnarchende Schleiereule vielleicht das Urbild des so oft genannten „komischen Kauzes“ – und der weniger zu Possenhaftigkeiten aufgelegte behäbig-elegische Wald- oder Baumkauz.

Guten Nacht am Morgen
Guten Nacht am Morgen
Auf der Warte
Auf der Warte

Die Sage von der „wilden Jagd“, die der allerdings längst aus den meisten deutschen Gauen vertriebene Uhu durch seinen Schrei wachzuhalten berufen war, ist der Baumkauz mit seinem schauerlich durch den nächlichen Wald tönenden „Huhuhuh“ aufzufrischen wohl geeignet, und sein auch bei andern Eulen ähnlich klingender Lockruf „Kuwill“ – von dem Volksmund in „Komm mit“ übersetzt – mag die Gemüter abergläubischer Seelen oft genug mit Grauen, Abscheu und Haß erfüllt haben.

Einen Teil der Schuld an diesem unverdienten schlechten Ruf, in dem der Kauz im allgemeinen bei jung und alt steht, mag freilich sein wenig anmutiges Aeußeres veranlaßt haben. Er ist, wie unsere Bilder ihn zeigen, von kurzem, kräftigem Leib, den ein Paar bis unten befiederte und an den Füßen mit starken Krallen bewehrte Beine tragen. Der starre Ausdruck seiner großen runden Augen gibt ihm etwas Unheimliches, Drohendes. Dabei erfreut er sich einer ganz ausgezeichneten Sehkraft, wie auch sein Gehör ein durchaus vorzügliches ist und er so, wenn man seine Beweglichkeit hinzunimmt, mit allen erforderlichen Eigenschaften eines guten Jägers ausgerüstet ist.

Auf diese Weise unfähig, sich Sympathien zu verschaffen, als ausgeprägter Raubvogel sogar eher noch geeignet, Bedenken, Neid und Zorn zu erregen, hat er, wie ebenfalls seine nahen Verwandten, lange Zeit hindurch einen schweren Stand gehabt, und es fehlte schließlich nicht mehr an Gegenden, in denen er, nachdem der letzte seines Stammes, als Schutz- oder Trutzmittel angenagelt an ein Scheunentor, verkommen war, überhaupt nicht mehr auftrat.

Nächtliche Schönheit
Nächtliche Schönheit
Aufgebrochene Nisthöhle
Aufgebrochene Nisthöhle

Erst im Zeitlauf der letztverflossenen fünfzig Jahre hat man sich seiner wieder angenommen oder ihn wenigstens in Gnaden gewähren lassen, nachdem einsichtsvolle Vogelkundige sowie Land- und Forstwirte sich befleißigten, die ganz unsinnige und unwürdige Abneigung, die man gegen ihn hegte, zu unterdrücken und den nächtlichen Gast in einer Beleuchtung zu zeigen, die ihn als ein ebenso harmloses wie nützliches Tier erscheinen läßt.

Die Umwandlung seiner vielen, gewissermaßen eine Einheit bildenden Feinde in gleichgültige oder duldende Nebenwesen vermochte allerdings allein nicht zu bewirken, daß der Vogel entsprechend an Zahl zunahm, denn mit der sich rapid entwickelnden rationellen Waldkultur fielen vor allem jene Bäume unter den Streichen der Art, die erheblichen Schaden aufzeigten, und zumal solche, die im Innern Hohlräume trugen, in denen der Kauz eine Niststätte hätte finden können. Damit hatte sich ihm ein neuer Feind entgegengestellt: die Wohnungsnot. Diese zwang ihn, sich andern Unterschlupf zu verschaffen, und er fand ihn lange Zeit hindurch in Gebäuden, Wohnhäusern und Kirchen, in Ställen und Scheunen. Neuerdings aber, wo die alten Baulichkeiten, die ihm in ihrer Schadhaftigkeit oder durch ihre Konstruktion vielfach das Einschlüpfen durch das Dach oder durch die Mauern ermöglichten, immer mehr verschwinden, um modernen, dichtgeschlossenen Bauten Platz zu machen, beginnt für den Kauz auch wieder neue Not.

Dem gedrungenen, rundköpfigen, großäugigen und sogar bis auf die Krallen hinab in seidenweiches Gefieder gehüllten Gesellen möchte man, schon auf den ersten Blick hin, ein für einen Raubvogel ausnehmend harmloses Wesen zusprechen, und solcher Art ist er in der Tat auch.

Nur nächtlicherweile, allerdings mit lautlosem Flügelschlag jagend, dürfte es ihm hier und da gelingen, einen der kleinen nützlichen Vögel aufzustöbern und zu erhaschen, wie denn auch Ueberreste von solchen nur gelegentlich und in geringer Menge festgestellt werden, sowohl bei Magensektionen als auch in den „Gewöllen“ (Ballen von Haaren, Hadern, harten Knochen und sonstigen unverdaulichen Sachen) die er wie jeder andere Raubvogel einige Zeit nach dem Kröpfen wieder herauswürgt.

Die Gewölle des Baumkauzes enthalten vor allem Ueberreste von jenen kleinen Nagern, die uns im Haus höchst unangenehme Gäste sind, in Scheunen und Speichern entsetzlichen Schaden verursachen, auf den Feldern völlige Verwüstungen anrichten können, jenen vierfüßigen Liliputanern, die überall und nirgend weilen und jedermann besser durch ihre Taten als – in Person bekannt sind, kurzum den Mäusen. Wann wird im Haus oder gar auf dem Feld im allgemeinen eine Maus gesehen? Und doch existieren sie zu Millionen und bevölkern Felder und Behausungen in erschreckend bedrohlicher Weise. Eine Hausmaus hat in Jahresfrist einen unmittelbaren Nachwuchs von 30, die Waldmaus von 12 bis 20 und die Brand- und Zwergmaus ebenfalls einen von etwa so vielen Köpfen, und das erklärt ihre große Schädlichkeit und die Notwendigkeit ihrer Vertilgung.

Baumkauz, seinen Raub schlagend
Baumkauz, seinen Raub schlagend

Zu letzterer ist der Kauz hervorragend berufen, was, wie schon oben erwähnt, seine Gewölle beweisen. In 210 Stück dieser fand man Reste von 48 eigentlichen Mäusen und 296 Wühlmäusen. Eingekäfigt verzehrt er in einer Nacht wohl ein Dutzend Mäuse oder eine ganze Wanderratte.

Wo jene zwar nur kleinen, aber um so lästigeren Quälgeister auf dem Land in einiger Menge auftreten, siedelt sich auch der Kauz an. Er nistet dann in Baumhöhlen oder, wenn man ihn gewähren läßt, nicht selten auf Hausböden, im Wald sowohl als auch in Dörfern oder einzelnen Gehöften. Wie genügsam und zutraulich er sein kann, zeigte ein Baumkauzpaar, das mehrere Jahre hindurch auf einem Gehöft der Lüneburger Heide in einem unbenutzten Bienenkorb nistete, der mit andern in der Scheune an der Wand aufgestapelt war. In dem einen Korb saß der Kauz auf seinen Eiern, im Nachbarkorb das friedliche Haushuhn behaglich auf den seinigen.

Hat der Kauz seine zwei bis fünf reinweißen, rundlichen Eier verbrütet, und sind die Jungen flugbar geworden, so lehrt er diese den Mäusefang, in welcher Kunst selbst ein Meister ist, und hilft in seiner Weise einer Zerstörung entgegenzuwirken, die für das Deutsche Reich alljährlich zweifellos nach einigen Millionen abgeschätzt werden kann.

Wem Gelegenheit geboten ist, diesem Tier Schutz zu leihen – und diese Gelegenheit bietet sich einen großen Teil der Landbevölkerung – der solle erkennen daß nicht allein die Vögel, die uns durch Insektenfang nützlich werden, dessen wert sind, sondern daß auch der schlichte und bescheidene Nachtkauz ihn ebensowohl vollauf verdient.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 50/1903, er war gekennzeichnet mit „H. Krohn“.