Von Dr. Fritz Bernhard. Die Erfindungen auf dem Gebiet der geheimnisvollen Kraft, die wir Elektrizität nennen, haben sich in den letzten Jahren so überstürzt, daß es ihnen schon schwer fällt, das Erstaunen des gebildeten Publikums zu erregen.
Was phantasievolle Erzähler vorgeahnt, ist zum Teil schon erfüllt, zum Teil sogar übertroffen. Wer vermag jetzt noch zu sagen, welche Grenzen der Menschheit gesteckt sind, seitdem die Wissenschaft in das Geheimnis des Wesens elektrischer Energie einzudringen beginnt!
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Das wichtigste und folgenschwerste Problem auf diesem Gebiet ist das der elektrischen Kraftübertragung ohne Draht. Es hinkt zwar jeder Vergleich, aber hier könnte man wirklich sagen, daß der Draht die Krücke ist, an der die Ausnutzung der Elektrizität bis her mühsam einherhinkte. Deshalb war auch das Erstaunen berechtigt, mit dem die Welt die Kunde vernahm, daß es möglich wäre, ohne die bisher als unumgänglich notwendig angesehene Metallleitung zu telegraphieren. Und mit atemloser Spannung verfolgen die Intellektuellen aller Länder der Welt die Versuche, die theoretisch erkannte Möglichkeit in die Praxis zu überführen.
Das gleiche Interesse können die Versuche, ohne Draht zu telephonieren, beanspruchen. Die Uebertragung der menschlichen Stimme durch den Draht des Telephons ist uns bereits ein unentbehrliches Hilfsmittel des Verkehrs geworden; es verblüfft uns nicht mehr, wenn jemand von Berlin aus mit einem guten Freund spricht, der sich zur gleichen Zeit in Paris befindet, aber wie es möglich sein sollte, auf weite Entfernungen die menschliche Stimme ohne vermittelnden Draht zur Empfangsstation zu senden, das haben bis vor wenigen Jahren nicht einmal die Männer der Wissenschaft geahnt. Und nun ist es zur Thatsache geworden …
Die Möglichkeit, ohne Draht zu telephonieren, war in dem Augenblick gegeben, als Dr. Simon in Frankfurt a. M. die Schallwellen erregenden Schwingungen eines elektrischen Lichtbogens beobachtete. Es dauerte denn auch nur ganz kurze Zeit, da war die „singende und sprechende Bogenlampe“ erfunden. Und sofort danach tauchte der Gedanke auf, daß diese musikalische Lampe zu Wichtigerem berufen sei, als zur Vorführung interessanter akustischer Kunststücke. Aus dem Gedanken ist schnell Wirklichkeit geworden. Heute bereits dient die sprechende Lampe als Geberstation einer Telephonanlage ohne Draht …
Das Wesen der neuen Erfindung beruht auf der Empfindlichkeit des elektrischen Lichtbogens, der schon unter dem Einfluß kaum erkennbarer Störungen seine Stärke wechselt. Solche Störungen sind z. B. geringfügige Veränderungen des Leitungswiderstandes. Diese Veränderungen werden dadurch herbeigeführt, daß man im Stromkreis lose Kontaktstellen anbringt, zwischen denen sich unter der Einwirkung geringster Erschütterungen, also auch unter solchen, die die angesprochene Membrane des Mikrophons auf die dahinter liegende Kohlenanordnung ausübt, die Widerstände ändern und elektrische Schwingungen erzeugt werden. die sich in der Metallleitung fortpflanzen und im eingeschalteten Fernhörer die gesprochenen Laute wiedergeben. Die Entdeckung der singenden Bogenlampe erfolgte dadurch, daß sich nahe an einem ihrer Stromzuführungsdrähte das Kabel eines stark differenzierten andern, von einem Funkeninduktor kommenden Stroms befand. Dadurch wurden in den Schwingungen des Lichtbogens Veränderungen und Schallwellen hervorgerufen, die dem Knistern und Prasseln des Funkenstroms entsprachen.
Eine gute Geberstation für drahtloses Telephonieren war also vorhanden, es fehlte nur noch eine Kleinigkeit: die Empfangsstation, die imstande wäre, die ausgesandten Lichtschwingungen aufzufangen und wieder in Membranschwingungen zurückzuverwandeln. Das war, wie die Techniker versichern, nicht gar schwer, als man beobachtete, daß der Lichtbogen nicht nur Schallwellen erregt, sondern auch Lichtwellen von intermittierenden und verschieden langen Schwingungen entsendet.
Denn die Wissenschaft hatte schon ein Mittel, diese Lichtschwingungen aufzufangen und sie in die Membranschwingungen eines Fernhörers umzuwandeln.
Dies Mittel heißt Selen. Es ist, wie die Wissenschaft sagt, ein chemisch einfacher Körper, der sich in der Natur sehr verbreitet findet, aber stets in sehr geringen Mengen und niemals im freien Zustand. Entdeckt wurde es bereits 1817 von Berzelius. Es begleitet fast allgemein den Schwefel, seltener Blei. Kupfer und Silber und sammelt sich bei der Verarbeitung der Kiese auf Schwefelsäure in dem Schlamm der Bleikammern, aus dem es dann gewonnen wird. Wie alle andern Metalloide hat es die Eigenschaft, Elektrizität nicht zu leiten. Bringt man es zum schmelzen und erniedrigt seine Temperatur auf 200 bis 210 Grad Celsius, die man einige Zeit auf diesem Punkt erhalten muß, dann steigt die Temperatur plötzlich ohne jede äußere Einwirkung auf 217 Grad. Wenn dieser äußerst merkwürdige Vorgang sich ab gespielt hat, dann läßt man das Selen erkalten, wobei es sich zu einem bleigrauen, krystallinischen und metallische Eigenschaften aufweisenden Stoff verdichtet, der im Dunkeln Elektrizität noch immer schlecht, unter der Einwirkung des Lichts aber ziemlich gut leitet.
Man schaltet nämlich ein dünnes Plättchen des Selens in den geschlossenen Stromkreis einer nur mit dem Fernhörer ausgestatteten Telephonanlage ein und setzt es der Belichtung seitens der von der sprechenden Bogenlampe ausgehenden Lichtschwingungen aus. Unter der Einwirkung des differenzierten Lichts leitet das Selen den im Apparat fließenden Gleichstrom bald besser, bald schlechter, so daß er Schwankungen unterliegt, die mit den in der Geberstation auftretenden genau übereinstimmen. Dieser differenzierte Strom induziert im spiralförmig umflossenen Eisenkern der Hörrohrspule eine an Stärke wechselnde magnetische Kraft, die die Membrane bald mehr, bald weniger anzieht und sie ebenso wie beim Fernsprechen mittels direkter Leitung in Schwingungen versetzt.
Nicht wahr, die Sache ist verblüffend einfach – seitdem sie erfunden ist? Und das Beste ist, daß sie sich auch in der Praxis bewährt. In den letzten Tagen haben auf dem Wannsee Versuche mit Apparaten stattgefunden, die von Ernst Ruhmer-Berlin sehr sorgfältig konstruiert und in Einzelheiten wesentlich verbessert worden sind. Die Geberstation befand sich erst 60, dann 150, dann 500 Meter, zuletzt 2, 3 und 4 Kilometer von der Empfangsstation entfernt, und stets, auch bei sehr starkem Regen, war das von der Bogenlampe Gesprochene deutlich zu verstehen. Es war ein unvergeßlicher Moment, als im Hörrohr der Empfangsstation die Laute der menschlichen Sprache vernehmbar wurden, die uns eine Bogenlampe durch die Schwingungen ihres Lichts zusandte.
Der praktische Wert dieser Erfindung ist nicht leicht zu ermessen. Man hat bereits Scheinwerfer konstruiert und gebaut, die ihr Licht 150 Kilometer weit entsenden, wie der Scheinwerfer auf dem Mount Washington, der eine Lichtstärke von 100 000 Hesnerkerzen besitzt. Es ist aber nicht erforderlich, daß man gleich mit solchen Entfernungen rechnet. Für die Marine wäre es z. B. schon von allerhöchstem Wert, wenn zwei Schiffe sich auf eine Entfernung von 5 Kilometer telephonisch verständigen könnten. Und die Kriegsschiffe sind ja bereits alle mit Scheinwerfern ausgerüstet. Die Einrichtung der Empfangsstation würde also wohl zu erschwingen sein. Auch für die großen Dampfer der Handelsmarine wäre es von großem Vorteil, wenn sie von Leuchttürmen oder andern Geberstationen ausführliche Nachrichten erhalten könnten, wie sie die drahtlose Telegraphie ihnen nie wird übermitteln können.
Für den Privatverkehr wird sich die Erfindung zunächst kaum verwerten lassen, denn die Scheinwerferanlagen mit den dazu erforderlichen Dynamomaschinen sind nicht ganz billig. Aber wenn man auf dem Prinzip weiter baut…
Ernst Ruhmer wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich ausplaudere, daß er bereits einen neuen Apparat zum Patent angemeldet hat, der nicht nur verblüffend einfach ist, sondern auch so billig hergestellt werden kann, daß ihn jedermann sich beschaffen wird. Er stellt vor eine Lichtquelle ein Hindernis, das einen schmalen Spalt enthält. Die eine Hälfte des Hindernisses ist beweglich und mit der Membrane verbunden, verursacht also durch ihre den Schwingungen der Membrane im Telephon folgenden Schwankungen die Lichtschwankungen wieder, die von der Selenzelle der Empfangsstation aufgenommen und in Worte übersetzt werden können.
Dieser Artikel erschien zuerst am 26.07.1902 in Die Woche.