Unter den Flüssen, die die Mauern deutscher Städte durchrauschen, hat die Isar, das Gewässer der bayrischen Hauptstadt, ihre besondere Art.
Bis unter die Brückenbogen der Stadt hinein ist sie ein wilder, blaugrüner Bergstrom geblieben, spielend mit krystallklaren Wellchen in mancher Jahreszeit, ein andermal wieder mit graugelben Wirbeln dahertosend, als wollte sie die Ufer verschlingen. Und in der That gelang es ihr vor wenigen Jahren noch, zwei schöne neue Brücken umzuwerfen und deren Trümmer thalabwärts zu reißen, obwohl man seit Menschenaltern bemüht war, ihre Wildheit zu bekämpfen mit allen Mitteln alter und neuer Ingenieurkunst.
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Ihr Rücken trägt keine Schiffe, außer denen, die das Flußbauamt zur Ausführung von Strombauten braucht. Die einzigen Fahrzeuge, die den Strom beleben, sind die Floße, die auf ihm aus dem Hochgebirge herunterschwimmen.
Die Isarflößerei ist ein altes Verkehrsmittel und war weit wichtiger für die Stadt München vor dem Zeitalter der Eisenbahnen und der guten Landstraßen.
Die Isar hat ihren Ursprung in wilden Hochgebirgsbächen, die aus den grausig schönen Felsenthälern des Karwendelgebirges hervorbrechen. Für Flöße fahrbar wird sie bei dem einst viel umkämpften Bergpaß der Scharnitz, an der Grenze von Bayern und Tirol. Die eigentliche Flößerei aber beginnt ein paar Stunden weiter stromabwärts, bei dem schönen bayrischen Marktflecken Mittenwald.
Der war schon gegen das Ende des Mittelalters ein wichtiger Platz für den Grenzverkehr. Damals wurden allerhand Waren, die aus dem Süden durch Tirol gebracht worden waren, auf Flöße verladen und nach Bayern herausgebracht. Heute dient die Flößerei fast nur mehr dem Holzgeschäft. Die ungeheuren Waldungen, die den ganzen Oberlauf der Isar begleiten, konnten Jahrhunderte hindurch gar nicht anders nutzbar gemacht werden, als mittels der Fahrbahn, die der Strom darbot. sie machte es möglich, die schlanken Hochwaldstämme, die in den einsamen Bergthälern des Grenzlandes gewachsen waren, hinabschwimmen zu lassen nach München und Landshut und weiterhin in die Donau, nach Linz und Wien, so daß mancher dieser schönen Hochwaldstämme in einen Wiener oder Budapester Dachstuhl eingefügt ward.
Die Flöße der Isar werden an den Holzplätzen des oberen Flußlaufes, in der Gegend von Tölz, Lenggries und Mittenwald zusammengestellt. Sie sind immer nur kurz gebaut, aber aus starken Stämmen. Für die Arbeit der Flößerei ist in den grünen langgestreckten Thälern des sogenannten „Isarwinkels“ ein Geschlecht von Bergbewohnern herangewachsen, wie es im ganzen Alpenland nicht stattlicher und schneidiger gefunden werden kann: Männer von riesiger Gestalt, mit braunen, sehnigen Gliedern, malerischer Tracht und wehenden Hahnenfedern auf den Spitzhüten.
Es sind jene Menschen, die nicht nur die kühnsten Floßfahrer, sondern auch in allen Kriegen, die Bayern zu führen hatte, die verwegensten Kämpfer gestellt haben.
Sind die Flöße zusammengestellt, was wegen der schweren rollenden Stämme, mit denen dabei hantiert werden muß, eine keineswegs gefahrlose Arbeit ist, da sie im rasch fließenden Wasser gethan werden muß, so werden sie noch mit einer Ladung von Brennholz, Brettern oder anderm Baumaterial versehn. Manche gehn auch ohne Ladung, bloß als Bauholz. Am vorderen und am hinteren Ende des Floßes ist ein rohes, mächtiges Steuerruder befestigt; an jedem dieser Ruder steht einer jener kraftvollen Isarwinkler Bergmenschen, um das schwere und ungefüge Fahrzeug durch die tosenden Stromschnellen zu lenken, die es oft genug mit einem solchen Wasserschwall überfluten, daß die Lenker bis an das Knie in den Wellen stehn. Passagiere werden auf den Flößen seltener; diese Art des Reisens ist zu naß für die verwöhnte Menschheit geworden. Ehedem konnte man von München bis Wien um vier Gulden auf dem Floß fahren, mußte aber unter Umständen selbst mithelfen, das Floß flottzumachen, wenn es sich etwa auf einer Kiesbank festgefahren hatte. Das kann um so leichter, trotz der Tüchtigkeit der Steuerleute, geschehn, da das Fahrwasser des Stromes sich beständig ändert. Hie und da fährt noch ein armer Teufel mit, dem das Geld für anderes Reisen ausging, oder ein paar lustige Studenten, denen es Spaß macht, sich von Isarwellen ein paar Stunden lang übersprühen zu lassen. Die liebsten Fahrgäste sind den Flößern ihre schmucken Landsmänninnen die man noch ziemlich häufig auf den Flößen sieht: bergfrische Mädel in malerischer Landestracht, etwas ängstlich auf den Bretterstoß hingeschmiegt, der einen erhöhten, etwas trockeneren Platz zu sichern vermag.
Manchmal sind’s auch ganze Vereine oder Hochzeitsgesellschaften, die mit Musik und wehenden Fahnen sich auf mehreren Flößen von Wolfratshausen oder von Tölz nach München hinabschwemmen lassen, jauchzend begrüßt von den Spaziergängern am Ufer.
Das ist dann ein gar fröhliches Leben, reich an lustigen Zwischenfällen aller Art, an Bord des oft pfeilschnell dahinschießenden Isarfloßes.
Die Flößer führen stets einen Vorrat von losen Holzscheiten mit sich. Der gehört für arme Kinder, die, wenn die Floßfahrt im Gange ist, an den Ufern stehn, um Holz zu erbetteln.
Schallt die bittende Kinderstimme über den Fluß, dann ergreift der Flößer eins der Scheite und läßt es als Wurfgeschoß in weitem Bogen ans Ufer sausen. Die Kleinen aber freuen sich und ziehen mit ihrer Beute vergnügt nach Hause.
Vor wenigen Jahrzehnten noch gingen viele Flöße durch München hin durch, und es war für die Spaziergänger auf den Münchner Brücken ein landesübliches Vergnügen, das Anlanden der ungefügen Holzfahrzeuge zu betrachten.
Jetzt ist der Landeplatz etwa eine Stunde oberhalb Münchens. Da kann man auf breiten Kiesbänken zwischen den hohen, bewaldeten Stromufern das Treiben der Flößer und das Ende der Flöße mit ansehn. Die letzteren werden auseinandergebrochen, die einzelnen Stämme werden durch vorgespannte Pferde auf den Kies herausgeschleift und auf Wagen verladen.
Dann verschwinden die Bäume in den unersättlichen Rachen der Münchner Sägemühlen, und statt des rauschenden Bergwinds, der einst durch ihre Aeste sang und ihre hohen Wipfel umwehte, hören sie nur mehr den unermüdlichen, rastlos arbeitenden Eisenzahn, der ihren schönen, schlanken Wuchs zerteilt.
Dieser Artikel von Prof. M. Haushofer erschien zuerst am 26.09.1902 in Die Woche.