Straßen-Phosiognomie
Der alttestamentarische Fluch: “Es soll Dir Gras vor der Thür wachsen!” ist der Mehrzahl der Häuser, wenigstens in den dem Verkehr fern liegenden Gassen und Straßen in Erfüllung gegangen. Und diesen Fluch, der verderbendrohend auf der Stadt lastete, konnte Napoleon dadurch nicht bannen, daß er Köln unter die 49 , “bonnes villes de l’Empire” aufnahm.
Wo es die Breite der Straße nur einiger Maßen zuläßt, sind vor einzelnen Häusern ein paar Linden- oder Kastanienbäume gepflanzt, hat man die Enge des Weges durch eine Reihe von Gränzsteinen, an den Häusern der Vornehmern mitunter durch Ketten verbunden, noch mehr verengt. An einzelnen Häusern sind steinerne Sitzbänke angebracht, schwere Basaltblöcke fast an allen Thüren und auf den Häuserscheiden eingelassen. Sie haben, wer weiß, wie vielen Geschlechtern zu Sitzen gedient, sind durch die Zeit ordentlich polirt, und wurden theilweise beim Neubau des Sicherheitshafens weggeschafft, als Baumaterial benutzt.
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Pflaster
Gepflastert sind die Hauptstraßen; aber wie? Ich hörte noch unseren seligen Herrn Erzbischof, den Grafen Ferdinand August von Spiegel, auf die Frage, wie ihm die Stadt gefalle, sich dahin äußern, “die Stadt sei sehr interessant, aber nur schade, daß man in den Straßen weder gehen, noch reiten, noch fahren könne.” Und welche Thierquälerei in den Straßen! Gestürzte, unter den Lastfuhren zusammengebrochene Karrengäule sind ein gewohntes, tagtägliches Straßenschauspiel, um das wir an allen Enden Haufen von Gaffern gruppirt finden, so glatt rund sind die großen, abgeschliffenen Basaltsteine, so lückenhaft ist die unregelmäßige Pflasterung, zu der man zuweilen, so unter sechszehn Häusern, viele Fuß breite Blöcke, halbe Mühlensteine und dergleichen verwandt hatte. Daß uns Knaben das regelmäßige Pflaster auf dem “Platz”, wie man, nach mittelalterlichem Herkommen, den in seinen drei Eingängen durch schwere Gitterthore geschützten Raum vor dem Rathhause und das Rathhaus selbst, den eigentlichen Bürgerplatz, hieß, als wahre Mosaik-Arbeit erschien, wird niemanden wundern.
Equipagen
Die wenigen Equipagen, die in der Stadt gehalten wurden, – nur Herstadt, Mumm und Schaaffhausen hielten Luxuspferde und fuhren auch wohl vierspännig -, waren auf das Pflaster gebaut. Die gewichtigen Kasten hingen in schwerem Riemenwerk an massiven Federn oder Schwanenhälsen, hatten schwerbeschlagene Räder, und wirkten Nieren, Herz und Nerven erschütternd.
Fahren gehörte übrigens zu den seltenen Vorkommnissen des Lebens. Die Bürger bedienten sich bei festlichen Gelegenheiten der ungeheuren Kasten der Lohn- oder Heuerkutscher, deren die Stadt siebenzehn zählt. Selbst Kaufherren, die eigene Wagen besaßen, hielten keine Pferde, denn nur “keine fressenden Möbel”! war ein Grundsatz der alten Kölner. Hielt ein Kaufmann Pferde, so bediente er sich derselben auch zum Gütertransport; doch war dies noch eine Seltenheit, denn der echte Kölner hätte sich ein Gewissen daraus gemacht, weil dadurch die “Rihführer”, oder Fuhrleute am Rhein in ihrem Verdienste beeinträchtigt. “Leven, un leve lösse”! war der Haupt-Lebensgrundsatz unserer Väter.
Welch’ ein Jubel für die liebe Jugend, wenn bei vornehmen Hochzeiten oder Kindtaufen der “Engelches- oder Himmelches”- Wagen zum Vorschein kam, mit diesen Namen bezeichnet, weil das Panelwerk mit Amouretten à la Boucher staffirt. Wahrscheinlich, wie die meisten Stadtwagen, noch eine Reliquie aus der Zeit der Domgrafen und Domherren, die gerade in prachtvolle Equipagen, kostbare Pferde-Geschirre, Vorläufer, Haiducken und Lakaien ihren Stolz setzten. Mit welchem Staunen horchte ich meiner Großmutter, schilderte sie mir die Pracht der Equipagen des Domprobstes Grafen von Oettingen, mit der er der letzten Kaiserkrönung in Frankfurt beigewohnt hatte. Stand die alte Frau am Fenster und hörte in der Ferne einen Wagen schwerfällig heranrasseln, trat sie gewöhnlich von demselben zurück, und gab mir einmal, als ich sie nach der Ursache fragte, die Antwort: “Ich mag da Beddelskrohm nitt an sinn”! Und nun schilderte sie eine Auffahrt des alten Dom-Capitels am Drei-Königenfeste, wobei kein Pferd, kein Beschlag eines Geschirrs, kein Läufer, kein Kutscher und Bedienter, keine Livree irgend eines Grafen oder Domherren vergessen wurde und welche Pracht!? Die weit wallenden rothsammtnen, reich mit Gold gestickten und mit Hermelin verbrämten Talare der Prälaten. Man muß nämlich wissen, mein Großvater war Stadtsattler und Volkstribun, ein Vierundvierziger seiner Zunft gewesen, auf seiner Boutique, wie man die Sattler-Werkstätte nannte, waren diese Herrlichkeiten zum großen Theil geschaffen worden.
Das alte Dom-Capitel
Die Dom-Capitulare waren alle reich, und dabei sei nur beiläufig gesagt, unser altes Dom-Capitel hatte täglich 3000 Goldgulden zu verzehren. Herkömmliche Sitte war es auch, bei den Festmahlen der Domgrafen, Geld unter das Volk werfen zu lassen.
Aufsehen machte in meiner Kindheit schon die Erscheinung einzelner Portechaisen, weil man in denselben die Kranken ins Hospital abholte; doch waren sie noch in vornehmen Familien für die Frauen in Gebrauch. Vor französischer Zeit standen die “Pottechaisen” auf einzelnen Plätzen, namentlich auf dem Rathhausplatze, mit den sie als Träger bedienenden Stadtsoldaten, den Funken, wie jetzt die Droschken aufgestellt sind. Die als Raritäten in den Straßen sich zeigenden sind oft reich vergoldet, mit Schnitzwerk ausgestattet, und mochten wohl Bürgermeister- und Rathsherren-Frauen gedient haben, wenn diese sich in den Straßen herumtragen ließen, um mit guten Worten, freundlichen Blicken und klingender Sprache Stimmen für die Wahl des Herrn Gemahls zu sammeln.
Bettler
Unabsehbar sind die Reihen der Dreck- und Aschenhaufen in den Straßen, denn wurde auch die Asche und der Kehricht in den belebteren Straßen zum Abholen für den “Dreckmann” in Körben hingestellt, so war es aber eine Lieblings-Beschäftigung der Knaben, diese Körbe umzuwerfen, und zudem wurde aller nur denkbare und undenkbare Abfall und Unrath ungescheut vor den Häusern ausgeschüttet, der an manchen Stellen, selbst mitten in der Stadt oft hügelhoch angewachsen. Menschlichkeiten findet man aller Orte, und namentlich um die Kirchen und öffentlichen Gebäude, wie dies eine Menge Sprüchwörter und sprüchwörtlicher Redensarten bekundet. Die Natürlichkeit thut sich dabei eben so wenig Zwang an, wie noch heutigen Tages in den Städten Italiens und Spaniens. An diese Länder erinnern uns auch die vor allen Kirchthüren, besonders an Festtagen, haufenweise lungernden Bettler und Bettlerweiber, die von Geschlecht zu Geschlecht das Bettlergewerbe trieben, denn selbst die Plätze der Bettler an den Kirchen waren erblich, wie auch die der “Kähzemöhne”, welche den frommen Seelen die kleinen Unschlitt- und Wachs-Lichter zu ihren frommen Opfern verkaufen.
Scharenweise ziehen, besonders an Freitagen und Sonnabenden, die Bettelweiber, die Röcke über den Kopf geschlagen, durch die Straßen zu ihren Kunden, wo sie der Gabe gewiß sind. An den Thüren schnarren sie ihre Gebete monoton herunter, und auf “Tods Amen” folgt wohl zuweilen ein eben nicht erbauliches Schimpfwort, werden sie mit dem altherkömmlichen: “Joht e God’s Name” abgewiesen, was übrigens eine Seltenheit. Jeder ordentliche Bürger hatte seine Anzahl “Aerm Lück”, wodurch die Bettlerclasse stereotyp, so daß die meisten der Professionsbettler eine wahre Meisterschaft im Betteln oder “Kötten” besaßen, in der Italiens Bettler ihnen den Preis nicht streitig machen konnten.
Kötte, fragen, betteln, von dem französischen: quéter, Almosen sammeln.
Straßen-Reinigung
Streng durchgeführte, regelmäßige Straßen-Reinigung hielt man für Ueberfluß. Noch vor Tagesanbruch rasseln die Schürres- oder Handkarren der so genannten “Mistschröfler” polternd durch die Straßen, um den Unrath fortzuschaffen; sie nehmen aber bloß, was sie als Dung benutzen können. Am Morgen sieht man allenthalben Weiber in Thätigkeit, die neu entstandenen Aschenhaufen aus einander zu wühlen, um die Kohlen zu suchen, die vielleicht durch den Rost gefallen, wenn auch in einer echten Bürgerhaushaltung selbst die Asche noch zum zweiten Male durch den Ofen muß. Eine stehende Beschäftigung der Bettlerclasse ist dieses Aschedurchwühlen, umsonst hieß es da nicht: “Dae Drickes deit ene goden Heroth.” – “Wae kritt hae dann?” – “Et Sting, datt haett ene Stuver Geld, ene neue Korf, un auch en god Hand zom raafen.” Hieran reiht sich das “Sodensehrappen”, das Durchsuchen der unbeschreiblichen Straßenrinnen nach altem Eisen, Nadeln und dergleichen, die gewöhnliche Beschäftigung des Bettler-Nachwuchses beiderlei Geschlechts.
Hahnenkämpfe
Die Mistsultane mit ihren Harems scharren im Laufe des Tages die Kothhaufen völlig aus einander, denn Hühner werden in allen Straßen gehalten. Meist sind die Keller ihr Obdach für die Nacht; die Straßen im Tage ihr Reich. Nach dem Mittagessen liegen die Eigenthümer auf der “Gader”, so heißen die halben Thüren an den Häusern der Handwerker und Krämer, und weiden sich mit genüglichem Selbstgefallen an ihren stolzen Gockeln. Hahnenkämpfe sind an der Tagesordnung. Die Herren der befiederten Gladiatoren nehmen Partei, und gewöhnlich endigt in einer Nachbarschaft der Kampf mit einer Schimpferei der Hahnenkönige, gegen welche die Helden Homer’s wahre Schulbuben sind.
Läuffersche
Oede, menschenleer sind die meisten Straßen. Nur wer muß, geht bei Tage aus; an Werkeltagen ist Spazirengehen etwas Abnormes. Ich habe noch alte Leute gekannt, die nie vor die Stadtthore gekommen, nicht wußten, ob das Korn am Halme oder auf den Bäumen wuchs. Besonders auf Frauenzimmer, die sich viel auf der Straße sehen ließen, wurde mit Fingern gezeigt, sie erhielten den bezeichnenden Namen “Laeufersche”, und waren sie in ihrer Toilette etwas modisch auffallend, noch andere.
Gar oft beizt Dir in den gangbarsten Straßen scharfer Holzdampf die Augen; es sind die Faßbinder, welche auf der Straße ihre Fässer ausbrennen, wie sie denn überhaupt ihr Geschäft meist mit betäubendem Gehämmer auf offener Straße treiben. Dichter Kaffee- aber noch häufiger Cichorien-Dampf qualmt uns an manchen Orten erstickend entgegen, da man auch die Straße zum Kaffee- und Cichorien-Brennen benutzt, besonders des letzteren – es war die Blüthezeit des “Zuckereis”, welcher eben nebst so manchen Surrogaten, mit denen uns die französische Zeit beglückte, aufkam.
Aepfelweiber
An den gangbareren Straßenecken und Plätzen hatten die Freundinnen der Kinder, die “Appeltiffen” ihre Stände, ihre urherkömmlichen Sitze, oft Familien-Privilegien. Ich werde nie “et dauv Griet” an der Bechergasse vergessen, nie die Frau Ködtjes, ein wahres “Roß Bayard” , “mieh als en Rihpäht”, wie der Kölner ein die gewöhnlichen Formen-Verhältnisse überschreitendes Frauenzimmer nannte, der kolossale Dictator der Fladdergaß auf dem Markte. Welche Freuden, wenn die ersten “Kesche-Steckelcher” an de “Kröhm”, dann de “Katömmelcher, de fresch geleute Nöß, de Melacatungse (3), de gekochte Kruschteien (Kastanien), die Kruschteien-Kränzcher, de gebacke Birren” kamen. Die “Huschpöttcher” der Apfelweiber und Kappesbäurinnen im Winter, die Feuerkielen, die holländischen Stoofjes, in die mitunter eine mit Schießpulver gefüllte Holzkohle praktisirt wurde, oft mehr als komisch in ihrer Wirkung, zum Jubel der den Schelmenstreich verübenden Knaben. Die Apfelkräme waren der grüne Tisch der Knabenwelt, von den hier gepflegten Spielen werden wir uns später noch unterhalten.
Das Roß, welches die vier Haimonskinder trägt, heißt “Bayard”.
Schürger
In der Nähe der Kräme, an den Ecken der Hauptstraßen lungern nach urherkömmlichen Gebrauche unsere Eckensteher, die “Schürger”, die Help en bandoulière, und die aufgesteckte blaue Schürze fehlt nie, die Factota der gesammten Nachbarschaft, da sie nicht selten mehr als ein Menschenalter eine Stelle behaupten, die Stammbäume ganzer Straßen kennen und selbst in die Mysterien zarter Natur eingeweiht sind, denn die besaß Köln auch vor fünfzig Jahren, wie ich mir erzählen ließ.
Melacatungs, Pfirsiche, von dem Spanischen Melocotones.
Der alte Kölner setzte einen Stolz darin, eine “Zo Döhr” zu haben, d. h. kein Geschäft zu betreiben, nur machte hierin eine Ausnahme alten Herkommens, daß einzelne Familien den Wein, den sie selbst gezogen, aus dem Hause verzapften. Man hielt es sogar für afgruntierlich, Zimmer zu vermiethen, und hatte man des Raumes noch so viel. Zimmer-Bewohner wurden mit einer Art Geringschätzung als “Kammerhäre” bezeichnet.
Afgruntierlich, beschimpflich, afgrunteren, beschimpfen, von dem Französischen affront, affronter, das Spanische afrenta, afrentar.
Die Geschäfttreibenden haben meist halbe Thüren, so genannte Gader mit einer Schelle, und, was der Mann zu verkaufen hat, selbst Brod, Fleisch und Fisch, und wie sonst die Handelsartikel heißen, sie müssen auf irgend eine Weise, auf Stellagen, an Krampen auf die Straße gehängt werden; an Straßensperre konnte da nicht gedacht werden, es war kein Straßenverkehr.
Usstievel
Höchst originell sind die Inschriften der Aushängeschilder der kleinen Herbergen in den Thorstraßen. Bei den Branntweinbrennern “Brandewingstöcher”, wo ein “Dröpche” gezapft wird, fehlt nie über oder neben der Thür der Wachholderstrauch, den unsere Väter “Hand Gottes” nannten. Die größeren Laden in Manufactur-Waaren, Laken, wie der Kölner das Wollentuch nennt, Zitz, Kattun u. dergl., haben den größten Theil des Vorrathes berghoch auf Stühlen vor den Thüren ausgekramt, nach dem Erfahrungssatze: “Wat der Boor nitt süht, dat en kaeuf hae nitt”! Auf dem Altenmarkte, dem “jolde Bödemchem”, wie seine Umwohner den Platz mit selbstgefälligem Stolze nannten, in der Bechergasse, alten Styls: “Gürtler-Gäßchen”, dem Centralpuncte des Detailhandels, lag die größte Kunst im “Usstievel” und in der Suade, mit welcher die, Voerstaendesche” oder die Ladenjungfern die Vorübergehenden zum Kaufen von der Thürschwelle einzuladen suchten. Eine Kunst, in der sie den Damen des ehemaligen pariser Temple nicht nachstanden und selbst mit russischen Ladenbesitzern wetteifern konnten. Echt patriarchalisch war aber noch damals die Sitte, daß jeder einzelne Laden sich auf bestimmte Waaren beschränkte, es für eine Sünde gehalten wurde, zu führen, was der Nachbar führte.
Ladengeschäfte
Das Ladengeschäft war sehr häufig die Aufgabe der Hausfrau, wenn der Mann noch ein Amt oder einen Dienst hatte.
So finde ich noch in einem Adreßbuche des Jahres 1797: “Filzengraben 61, Jacob Bender, Advocat, und thut in allen Gattungen von Ehlenwaaren”, oder, um wenigstens einige Proben zu geben: “Holzmarkt 230, Joh. Jos. Ortmann, Rathsverwandter, Kammer-Assessor und schwarzer Seife Fabrikant”, auf der Hochpforte 6613: “Wilh. Jos. Wecus, Rathsverwandter, Stimmmmeister, Rathsrichter und Kriegs-Commissarius, Pulver-Fabriquant, Spediteur und handelt auch mit Wechseln”, oder Heumarkt 1074: “J. P. Kramer, Rathsverwandter, Kammer-Assessor, und thut in Specerey.”
Damals gab es auch noch Kaufleute und Fabrikanten, die ihr Journal, Memorial, Cassen- und Hauptbuch im Kopfe hatten, da sie Schreibens unerfahren. Ihr Comptoir bestand in Notizstrichen hinter der Thür, oder in dem uralten Kerbholze, dem Hauptbuche der Bäcker meiner Kindheit. Außerordentlich reell müssen aber die Geschäfte gewesen sein, denn noch steht es lebendig vor meiner Seele, daß wir Knaben die Kinder eines Kaufmannes unserer Nachbarschaft, welcher fallirte, mit einer Art Abscheu betrachteten, mieden, als ob sie den Aussatz gehabt hätten. Mord und Todschlag hätte schwerlich unter der Bürgerschaft keine größere Wirkung hervorrufen können, als ein Bankerott in damaliger Zeit. Jahre lang war ein solcher Fall Gegenstand der Unterhaltung! In dem Schimpfworte: “Bankrötter”, oder “Bankröttisch Pack” lag für uns Kinder der Inbegriff alles Schlechten. Und nun erzählte man uns, wie in alten Zeiten in Köln die Bankerottirer Jahr und Tag, das heißt ein Jahr und sechs Wochen mit einem Strohhut umhergehen, und an den Festtagen an der Domthür sitzen mußten, die Vorübergehenden um Almosen anflehend, damit sie ihre Schulden bezahlen konnten.
Marktleben
Welch’ ein Leben auf dem Markte an den Markttagen, besonders am Freitage, dem Hauptmarkttage. Das Anrufen der Gemüsehändlerinnen, der Marktweiber, welche über dem allgemeinen Kopftuch, gegen Sonnenschein und Regen, noch den eigen geformten schweren vlaemischen Strohhut tragen, das Anpreisen ihrer Waaren und das laute Handeln. Keine Bürgerfrau ließ sich den Marktgang nehmen. Mitunter wird der Markt an einem Tage ein paar Mal besucht, um zu sehen, ob ein “Rämschge” zu machen, d. h. zufällig irgend etwas vortheilhafter einzukaufen. Haushälterisch waren unsere Mütter.
Was drängt sich dort das Volk zusammen? Weßhalb eilt Alt und Jung an die Thüren. Wildes Geschimpfe; in den Ausdrücken nicht weniger originell und kräftig und saftig, wie die berühmten Sachsenhäuser bei Frankfurt, sind die kölnischen Dames de la Halle, unsere Poissarden. Von Worten sind sie zu Thaten gekommen, zuerst wird der Kampf mit Körben und Bleivchen gekämpft, dann gerathen sich die Markt-Mänaden in die Haare, zerkratzen und zerzausen sich, wie die Furien, reißen sich die Kleider vom Leibe zum Jubel der Umstehenden. Wer schildert das Wuthkreischen der Rasenden? Wer ist im Stande, die Schimpfreden und Einladungen wiederzugeben? Selbst Shakespeare hätte bei den Vorkäuferschen und Marktträgerinnen Kölns noch Manches lernen können. Ein Markttag ohne ein ähnliches Schauspiel war nicht denkbar.
Jeder Marktag bringt seine neuen Bänkelsänger, stets von hellen Haufen umlagert, besonders von Landleuten, die bei den gräßlichen Mordgeschichten, den überschwänglichen Ungeheuerlichkeiten, von der heiseren Stimme eines Weibes mit dem größten Pathos erzählt und gesungen, gar oft, von ihren Gefühlen überwältigt, in Thränen zerfließen. An Charlatanen auch kein Mangel; hier flickt einer Porzellan, versilbert Kupfer und Messing, macht Flecken aus und preis’t der Himmel weiß, welche Mittel an, bis zu der englischen Wichse, deren Wunder wir als eine neue Erfindung bestaunten, denn außer Thran, kannten wir nur Eierwichse; beim gewöhnlichen Bürger aber auch nur ein Sonntags-Luxus, zu welchem die sparsamen Hausmütter selbst die faulen Eier aufbewahrten. Und dann in der Kirche als Knabe auf den Steinplatten neben Jemanden knieen, dessen Schuhzeug also parfumirt.
Die Monotonie einzelner Straßen wird von Zeit zu Zeit unterbrochen durch Trommelfell zerschmetterndes Peitschenknallen, in denen es die Fuhrknechte zu einer gewissen Virtuosität gebracht haben, durch das Jammergeschrei der Schweine, das Stöhnen der Schafe und Kälber, die man alle auf offener Straße schlachtet und zurecht macht.
Ausrufen in den Straßen
Von Morgens bis Abends tönt in den Hauptstraßen das stereotype Rufen der Verkäufer und Einkäufer: Gein Milch?! Haht er gein Lumpe?! Hat er nix zo binge?! Und nun die Gemüseweiber: Haht er gei Foder? worauf wir Kinder antworteten: Bröck di Moder! – Hofschlöt, Schnickschlöt! Piterzilje un Zellerei! worauf die Antwort: Haet mi Moder om Maht feil, Röben en der Kuhle, wann de Männer suffe gonn, machen de Wiver Muhlen! – Laduck un Andive! worauf geantwortet: Werf se en de Soht, datt se drive! – Schere schlif! Schere schlif! und wir Kinder: Watt der Mann verdeent, versüff datt Vif! – Fresche Böckem! – Drei Eier ene Stüver, we de Boore F-t esn deck! – Fing Besseme gaele! – Frechemer Aehde-Gescher! – Trippel un Knick! – Schwaegelspihn gaele! – Um die Zeit der Gottestracht: Landweck! Landweck! und wir Kinder sangen: Un der Boor es janz jeck! Eine stehende Litanei in allen Tonarten durch einander schreiend, ein babylonisches Sprachgewirr, mit obligatem Esel-Naen der Sandbauern, die mit dem Rufe: “Gaehlt er geine Sand!” mit ihren sandbeladenen Langohren durch die Straßen trieben.
Straßen-Unterhaltungen
Dazwischen das Jammern einer verstimmten Drehorgel, deren Inhaber mit einer sentimentalen Stentorstimme: “Guter Mond, du gehst so stille”, oder “Ist denn Liebe ein Verbrechen”? oder “Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten”, oder “Unser alter Staats-Verwalter trägt eine graue Mütze” singt, sich mit der Baskentrommel, der kölnischen Lavumm von einer Dulcinea begleiten läßt, deren Geschäft außerdem das Einsammeln der Spenden und der Verkauf der “Drei neuen schönen Lieder”.
Lavumm, Baskentrommel oder Tambourin, ist eine Klangnachahmung, eine Onomatopöe.
Savoyarden- und Auvergnaten-Knaben mit ihren Leierkasten herumspringend, mit ihren Marmotten: Habedemi, Habedema! Habedimi Marmotta! mit ihren tanzenden Puppen, mit ihren Dintenfäßchen – dem “Tinte koop! Tinte koop!” geben dem Straßen-Leben mitunter eine neue Färbung. Ein holländischer Pulischinellen-Kasten war ein Stadt-Ereigniß. Das Dumm! dum-dumm!, welches die Pfeife eines Bärenführers, eines Kameeltreibers mit seinen Affen oder gar eine Hunde-Komödie begleitete, konnte eine ganze Straße in Alarm setzen, waren die von der Jugend heißersehnten Schauspiele.
Ein Stadtjubel, wenn so genannte englische Reiter in den buntesten Costumes, unter hellem Trompetenklang, hoch zu Roß durch die Straßen ziehen, die weiblichen Pferdebändiger auch wohl beritten, oder im Schmucke der blendendsten Theaterpracht, leuchtend vor Schminke auf hohen Triumphwagen, um die Schaulustigen zu locken, in den hochtrabendsten Tiraden zu ihren Vorstellungen einzuladen. Der Jugendwelt unvergeßliche Momente.
Zu diesen zählten auch die Menagerie-Buden auf dem Heumarkte, mit ihren schauerlich gemalten Ungethümen und der lebendigen Naturgeschichte, den Ausrufern vor denselben.
Auf mich machte immer einen unheimlichen Eindruck die fremde Erscheinung der ungarischen “Triakelkrämer” (theriaca), die gelben Gesichter mit den kleinen, scharfen, pechschwarzen Augen, den aufgewichsten, weitabstehenden, schwarzen Schnauzbärten, den blauen oder grauen Schanzläufern, den hellblauen, reich mit Metallknöpfen besetzten Jacken, den anliegenden Hosen und den bespornten Stiefeln. In viereckigen Kistchen trugen sie ihre Medicamente, ihre Panaceen feil, kannten Mittel für jede Krankheit und jedes Gebrechen bei Menschen und Vieh – und hatten stets große Kundschaft, besonders unter den Frauen. Man schilderte sie zudem uns Kindern als Seelenverkäufer, welche besonders in Deutz haus’ten, wie man uns vormalte, um uns nur jedes Gelüste zu nehmen, uns jemals über den Rhein zu wagen.
Einen eben so ängstlichen Respect, wie vor den Triakelkrämern, hatte ich vor den Häusern, auf deren Thüren oder Fensterladen ein weißes Kreuz auf schwarzem Schilde angebracht war.
Dem vorwitzigen Knaben hatte man gesagt, dort wohnten Kartenschlägerinnen, selbstredend Hexen. Es waren, wie ich später erfuhr, die Wohnungen der Hebammen.
Stadt-Originale
Jedes Stadtviertel hat seine komische Persönlichkeit, irgend ein männliches oder weibliches Original, einen Spielball der harmlosen Spötterei der Knaben und selbst älterer Leute. Die “Alles ist vergänglich”! der “Bombom”, das “Hungsmadämche” waren an allen Enden der Stadt bei Jung und Alt eben so bekannt, wie der “Hat er jet zo binge”?! das “Melcherche”, das “Schötzengelche”, der “gecke Habilius”, “Herr Pax ä Papierche”? der “Krumme Siebenundsiebenzig”, “Et Elsteraugen Evche” und wie die sonstigen komischen Straßentypen alle hießen. Zu den Straßenstaffagen gehören auch die immer im Trabe daherschlänkernden Barbiere, die Perückenmacher mit den aufgemachten Perücken daherrennend, oder mit den Schachteln, in denen sich die zurechtgemachten Haartouren der Damen befanden, und zu gewissen Tageszeiten die Bäckerburschen in den blauen Schürzen, welche Brod zu ihren Kunden trugen, oder mit den Hefenbüttchen bei den Brauern Jagd auf Hefe machten.
Kinderspiele in den Straßen
Auf den meisten öffentlichen Plätzen nach den Schulstunden oder an den Spieltagen immer munteres Kindertoben. Jede Jahreszeit, jeder Monat brachte sein Spiel, seine Unterhaltung, wie wir später hören werden, und mit der größten Gewissenhaftigkeit wurden diese Fristen von der lauten Knabenwelt, die ungestört an allen Orten nach Herzenslust spielen durfte und spielte, inne gehalten. Damals gab es noch keine Protocolle wegen “Plätsch und Roß” spielen, wegen eines unschuldigen Kreisels oder Fangballes, der vielleicht einmal den Unrechten getroffen, oder unglücklicher Weise seinen Weg in eine Scheibe oder Straßenlaterne genommen hatte. Muthwillig, voller Schelmenstreiche, “Leckspönerei”, sagt der Kölner, spieltoll war die Jugend, aber nicht so gemein frech, so raffinirt, so zerstörungssüchtig, wie es unsere Straßenjugend jetzt ist, trotz allen Schulzwangs, trotz aller Policei-Agenten und aller Constabler.
Die Stadtpolicei stand damals unter dem Bürgermeister. Die Stadt hatte einen Policei-Inspector, vier Policei-Commissare, deren jeder zwei Policei-Diener, nach kölnischer Bezeichnung “Sergeanten” oder “Zübelchesmänner”, zur Verfügung standen. Des öffentlichen Straßenspiels schämten sich selbst Jünglinge nicht, denen die Conscription mit allem ihrem bitteren Herzleid vor der Thür stand.
Oft sehen wir auf den Plätzen, in den Straßen die Jugend heiße Schlachten fechten; denn feindselig standen sich die einzelnen Plätze, wie der Domhof, der Altenmarkt, der Heumarkt und der Augustinerplatz und die verschiedenen Schulen entgegen, und gar oft bricht dieser Haß unter den Knaben in wilde Treffen aus, bei denen Fenster und Straßenlaternen eben nicht verschont blieben, und welche häufig das Einschreiten der Policei nothwendig machten. Ein ewiger, unversöhnlicher Krieg bestand zwischen den Zöglingen der Secundär-Schule – früher Jesuiten-Gymnasium – der Boosch, wie die Kölner sagten, und den Schülern der umgränzenden Pfarrschulen, ein Haß, der sich bis in die freireichsstädtischen Zeiten verfolgen läßt, wo sich außerdem die so genannten Studenten der drei damals bestehenden Gymnasien stets in den Haaren lagen und die Zipfel ihrer Mäntel, in die selbst Steine geknüpft wurden, mit der größten Hartnäckigkeit gegen einander gebrauchten. Diese im Sommer sich oft wiederholende Knaben-Krawalle hatten die Folge, daß sich ein Knabe nicht ohne Begleitung aus seinem Bezirke in einen anderen wagte, weßhalb uns, außer unserer Nachbarschaft, dem Kirchspiel, das übrige Köln eine wahre Terra incognita war.
Bösch, herzuleiten vom mittellateinischen “Bursa”, Studentenpfrunde, Stipendium, auch die Gemeinschaft an solchen Stipendien, mehrere Stipendiarien, die gemeinschaftlich von ihren Bursen lebten, daher “Bursarii”, aus welchem Worte sich der Name “Bursche” für Student gebildet hat. – In Köln wurden die in vorfranzösischer Zeit bestehenden drei gelehrten Schulen oder Gymnasien “Bursae” genannt, das dreigekrönte Gymnasium hieß “Kronenbursch”.
Einen allgemeinen Straßenaufruhr gibt es, wenn zuweilen ein armer Hund, dem böse Buben ein altes Blechgeschirr an den Schwanz gebunden haben, wie rasend durch die Straßen rennt, und durch das Geschrei der Straßenjugend: “Geis do heim! Geis do heim!” aufs Aeußerste verwirrt in einen Leichenzug geräth, der unter herkömmlichem Choralgesang langsamen Schrittes dahinzieht. Unter großem Geleite von Geistlichen und Verwandten wurden die Leichen aller nur etwas wohlhabenden Bürger von Alexianer-Brüdern durch die ganze Pfarre, in der sie gestorben, getragen. Die Protestanten hatten schon einen Todtenwagen, immer für uns Kinder im Geleite der Schreibrüder eine auffallende Erscheinung. Straßenauflauf veranlaßte das Begräbniß eines Juden.
Nicht geringeren Lärm setzte es ab, wenn im Sommer die Schinder durch die Straßen zogen, um die frei laufenden Hunde todt zu schlagen, immer gefolgt von einer Rudel Knaben, welche es darauf anlegten, mit dem Rufe: “Geis do heim! Geis do beim!” die Hunde zu verscheuchen, und nun die Hundejäger verhöhnten, hatten sie, zum Jubel der Bürger, denselben einen armen Hund abgejagt.
In einigen entlegenen Straßen, wie Diepengasse, Griechenmarkt, Löhrgasse, Entenpfuhl und Altengraben, wohin sich jedoch selten Jemand ohne Nothwendigkeit verlief, finden wir im Sommer ein Stück Italien, italienisches Straßenleben, den reichsten halb nackt, oder ganz adamitisch sich herumtummelnden Kindersegen. Vor den Thüren der niederen, hüttenähnlichen Häuser, in langen Reihen im zwanglosesten Negligé, die Spitzenklöppelerinnen, die “Wirkeschen”. Derber Scherz und Witz, die originellsten Lieder begleiten die künstliche Arbeit. Da singt die Eine: “Dausend Seufzer schecken ich zo Der
Durch einen kalten Wind vun mer,
Wann ich an Dich denke,
Wann ieh denk’ an Dich.”
Unerschöpflich ist der Reichthum an ähnlichen Liedern, welche die kunstgeübten Finger der Wirkerinnen beflügeln.
Die Erscheinung eines Fremden erregt Aufmerksamkeit. Er wird verspottet, verhöhnt, und weh’ ihm, läßt er sich mit diesen Weibern in Wortstreit ein, tritt er Einer zu nahe. “Dae kraeg si Fett”, wie der Kölner sagt.
Der Ausdruck ist aus einer französischen Redensart entstanden: Dire à quelqu’un son fait; donner à quelqu’un son fait, Einem die Wahrheit sagen, ihn derb zurecht weisen, sei es mit Worten oder Handgreiflichkeiten. Der Köolner sagt: “Hae kritt si Fett”, “einem si Fett jeven”.
Unerschöpflich ist die Sturmflut der Schimpfreden, besonders aber, wenn sie unter sich in Wortkampf gerathen; hier kann die zungenfertigste Sachsenhauserin in die Schule gehen, an schlagendem Wortwitze wird sie übertroffen. In diesen Straßen kommt es auch noch vor, daß den Zimmerbewohnern Thür und Fenster ausgehoben werden, wenn sie die Miethe, den Zins nicht bezahlen können, um so der Freigäste ohn zu werden.
Spitzenklöppeln in den Wirkschulen
Ein trauriges Bild “weißen Sclaventhums” waren die so genannten Wirkschulen, etwa fünfzig an der Zahl, in denen vielleicht 800 bis 1000 Mädchen, die für gewisse Jahre an die Vorsteherinnen dieser Schulen völlig verkauft waren, im Spitzenklöppeln unterrichtet wurden, der unverschämtesten, schnödesten Gewinnsucht ihre Jugend und ihre Gesundheit zum Opfer bringen mußten.
Dies ist ein Auschnitt aus dem Buch Köln 1812, mehr Infos dazu hier. Das Inhaltsverzeichnis zum Buch, in dem die online verfügbaren Abschnitte verlinkt sind, ist hier zu finden.