Eine polnische Tragödin in ihrem Heim

Zum nebenstehenden Bild der Madame Modjeska.

Unter den vielen paradiesischen Landsitzen, die das südliche Kalifornien aufzuweisen hat, ist kaum ein anderer mit so interessanten Erinnerungen verknüpft, wie das Heim der berühmten polnischen Tragödin Madame Modjeska am Santiago Canon. Madame Modjeska hatte hier in Gemeinschaft mit ihrem Gatten, dem Grafen Bozenta, und dem Dichter Heinrich Sienkiewicz in den siebziger Jahren eine polnische Kolonie begründet, um ein idyllisch-ländliches Leben zu führen und litterarischen und künstlerischen Studien zu leben. Wie diese Kolonie zu stande kam und wie sie sich wieder auflöste, das erzählt uns Madame Modjeska folgendermaßen: als im Jahr 1875 die Wogen der nationalen Erregung in Polen besonders heftig brandeten, gelangte eine Anzahl Zirkulare in einen von Litteraten und Künstlern gegründeten Klub zu Krakau, worin die Vorzüge des Lebens in Südkalifornien beschrieben waren. Man besprach den Plan, dort eine Kolonie zu gründen, so lange, bis man sich endlich 1876 entschloß, ihn in die Wirklichkeit umzusetzen. Mit einem Kapital von 28 000 Pfund Sterling brachen die Kolonisten nach Neuyork auf. Im Februar 1877 erreichten sie San Francisco, von da fuhren sie im Dampfer die Küste entlang und kauften schließlich 150 Aar in Santa Anathal, in der Nähe der alten deutschen Niederlassung Anaheim. Im Sommer 1877 wurde der Bau des Hauses beendet, die Felder sollten bestellt, die Bewässerungsgruben gezogen und der Boden für den Ostbau vorbereitet werden.

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Die thatkräftige Arbeit war jedoch den Kolonisten ein unangenehmer Gedanke, sie kümmerten sich um nichts, sondern musizierten, schrieben, veranstalteten Feste u. s. w.

Madame Modjeska auf ihrem kalifornischen Landsitz

Wie es bei dieser genialen Wirtschaftsführung nicht anders gehen konnte, war im Mai 1878 das ganze Geld ausgegeben, und im Juni löste sich die Kolonie auf. Einer nach dem andern verließ Anaheim und ging nach Europa zurück. Sienkiewicz ging nach Los Angeles und lebte dort vier oder fünf Monate, bis er nach harter Arbeit durch den Verkauf seiner amerikanischen Skizzen in Krakau und Petersburg genug verdient hatte, um wieder nach Hause zurückzukehren. Was Madame Modjeska betrifft, so siedelte sie nach dem Zusammenbruch mit ihrem Gatten nach einer kleineren Farm in der Nähe von Anaheim über. Um Geld zu verdienen, wollte sie wieder zur Bühne zurückkehren und es in englischer Sprache in Amerika mit ihrer Kunst versuchen. „Wir lebten,“ so schrieb sie damals, „von geborgtem Geld, und es war keine Zeit zu verlieren. Manchen Tag studierte ich mit kurzer Unterbrechung der Mahlzeiten bis 11 oder 12 Uhr nachts.“ Im September 1879 ging endlich Frau Modjeska mit einer Schauspielertruppe nach San Francisco, dort trat sie in ihrem Lieblingsdrama „Adrienne Lecouvreur“ auf und war über Nacht in Amerika ebenso berühmt, wie sie es längst in ihrer polnischen Heimat gewesen. Alle finanzielle Not war nunmehr gehoben. Vor etwa zehn Jahren kaufte sie einen andern „Ranch“ in den Bergen an, und dort gedenkt sie und ihr Gatte, Graf Bozenta, vergangener und künftiger Triumphe in ihrem herrlichen, von Blumen umgebenen Heim.

Dieser Artikel von J. Lorm erschien zuerst am 23.08.1902 in Die Woche.