Aus der Welt der Blaujacken

Zwar ist das Leben an Bord der Kriegsschiffe nicht mehr völlig eine terra incognita für den Außenstehenden, wie noch vor wenigen Jahren, wo man, besonders in Badeorten, die Frage hören konnte: „Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag auf dem Schiff, wie bringen Sie die Zeit nur hin?“ oder „Können die Schiffe auch des Nachts fahren, kann man auch ordentlich kochen an Bord?“ u. s. w. Das waren dann auf der andern Seite so starke Lockungen für unsere Seeleute, von dem Pfad der Wahrheit abzuweichen, daß sie meist der Versuchung erlagen und die ungeheuerlichsten Dinge berichteten.

Hatte aber einer den Mut der Wahrheit, so begegnete er ungläubigem Lächeln der Zuhörer, die sich gerade auf einen angenehmen Schauder vor den Härten des Seemannslebens gefaßt gemacht hatten.

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Der deutsche Kriegsschiffsmatrose hat es in der That recht gut, besser meist als je zuvor, oder nach der Dienstzeit in seinem Zivilberuf. Selbstverständlich giebt es manches, über das er sich ärgert, aber Aerger erweckt die Lust zum Schimpfen, Schimpfen macht hungrig, und die Kost ist gut und reichlich – ergo zeigt die strenge Logik, daß der Aerger nahrhaft ist; was wollen die steuerzahlenden Eltern der seefahrenden Jünglinge mehr!

Aussenbordarbeiten
Schornsteinanstreichen

Da wir gerade beim Essen sind, so mag auch erwähnt werden, daß jeden Mittag der Kommandant, der Navigationsoffizier und der wachthabende Offizier die Gerichte probieren, und, wie unser Bild auf zeigt, auf dem Flaggschiff sogar der Admiral. Dies ist ein außerordentlich zweckmäßiger und nützlicher Brauch, für den die Offiziere dienstlich verpflichtet sind und der keineswegs bezweckt, bloß einen „reizenden Charakterzug“ auf die photographische Platte zu fixieren.

Das Gebot der Diät, nach dem Essen ein wenig zu ruhen, hält der Seemann gewissenhaft inne, getreu seinem Spruch:

„Nach dem Essen sollst du rauchen Oder in die Koje krauchen“, was allerdings nur der glückliche Kammerbesitzer voll bethätigen kann, während die übrigen das Deck so lange zum Surrogat der Koje befördern müssen.

Bootaussetzen
Posten bei schlechtem Wetter

Nach dieser anderthalbstündigen Siesta beginnt der Dienst, der heute, wie wir aus den Bildern ersehen, zunächst darin besteht, dem Schiff mit dem Pinsel- oder schiffstechnisch gesprochen: dem Quast – ein hochzeitlich Kleid um seine Eisenhaut zu legen.

Malen ist eine äußerst beliebte Beschäftigung, denn man kann, wenn auch mit Vorsicht, eine Unterhaltung mit seinem Nebenmaler riskieren, und dann macht es auch viel Spaß, mit einem dicken, farbenassen Quast über glatte Flächen zu streichen; warum? – das sind eben die Imponderabilien im Seemannsleben. Ueber das Malen geht allerdings noch das Schrapen, und es ist eine unbestrittene Thatsache, daß der Seemann selbst die Freizeit vergißt, wenn er mit einem scharfen Messer alte Farbe vom harten Holz abschrapen kann. Wer das nur einmal in seinem Leben versucht, den nimmt der Zauber gefangen.

Vor der Kambüse – Siesta
Bierverteilung an die Sieger im Bootsrudern
Feuerlöschübung

In der Ausübung des Reinigungsdienstes nehmen die Außenbordsreiniger die geachtetste Stellung ein, denn der „Schauerprahm“ steht zu ihrer ausschließlichen Verfügung, und die häufig eintretende Notwendigkeit, das Schiff außenbords zu reinigen oder die Farbe auszubessern, macht sie hier nötig, auch wenn die übrige Mannschaft Exerzierdienst hat. Deswegen rühmt sich der Außenbordsreiniger auch mit Recht, das besondere Vertrauen des ersten Offiziers zu genießen und in einem unmittelbaren Verhältnis zum Oberbootsmann zu stehen. Bekleidet sind diese Leute bei ihrer Arbeit meist mit dem sogenannten Takelzeug, das über den eigentlichen Anzug gezogen wird; die Takelhose würde, in das Agrarische übersetzt, korrekt als „Hin- und Herbüx“ bezeichnet werden können.

Der Admiral probiert die Mannschaftskost

Die schornsteinmalenden Heizer sind weniger zu beneiden; ringsum Vorgesetzte, so daß Diskussionen mit großer Gefahr verbunden sind, und ferner der besonders dem Maschinenpersonal abholde Bootsmann, der nur wartet, daß Farbentropfen auf „sein“ Deck fallen, um einen fürchterlichen Entrüstungssturm losbrechen zu lassen.

Schrille Glockenschläge unterbrechen plötzlich die friedliche Stille und rufen jeden auf die Station, die er bei Ausbruch von Feuer im Schiff einzunehmen hat. Die Pumpen werden in Bewegung gesetzt, die Schläuche nach dem durch Pfeifensignal bekannt gegebenen Ort des Feuers hingeleitet, und alle Luken wie Seitenfenster werden geschlossen, um nicht durch Zugwind das Feuer anzufachen; in den Munitionskammern ist alles fertig um sie durch Oeffnen eines Ventils unter Wasser zu setzen, falls Gefahr vorliegt, daß sie vom Feuer ergriffen werden. Die Pumpen beginnen sogleich zu arbeiten, wenn die Schläuche an die richtige Stelle geleitet worden sind, damit der Kommandant feststellen kann, wie lange es im Ernstfall dauern würde, bis die Löscharbeit beginnt, jedoch wird bei derartigen Uebungen natürlich kein Wasser in die Schiffsräume gespritzt, sondern nach außenbords.

Oft wird der Nachmittagsdienst auch durch ein improvisiertes Wettrudern sämtlicher Schiffsboote beschlossen.

Es ist bekannt, ein wie großer Wert heutzutage allgemein auf diese Uebungen gelegt wird, und mit Recht, denn sie wecken frischen Ehrgeiz, stählen den Körper und sind auch für die täglichen Anforderungen des Dienstes unerläßlich, da ja ein großer Teil unseres Marineersatzes aus Nichtseeleuten besteht, und diese die dem Seemann geläufigen Vorrichtungen erst unter erheblichem Aufwand von seit und Mühe sich aneignen müssen

Uebung am Torpedoschnelladegeschütz
An Bord des Torpedoboots

Ganz anders ist das Leben auf dem Torpedoboot Da ist die Besatzung so gering, und stellt der Dienst so hohe Anforderungen an jeden Einzelnen, sei er Offizier oder Unteroffizier, Matrose oder Heizer, daß vom Exerzieren selten die Rede sein kann. Während der Fahrt kann der Kommandant kaum seinen Platz hinter dem Kommandoturm verlassen, wenn ihn auch trotz Oelrocks die überschlagenden Seen bis auf die Haut durchnässen, und die Unteroffiziere oder die als solche fungierenden Obermatrosen richten selbständig die Torpedoausstoßrohre auf das Ziel und feuern den Torpedo ab. Offiziere und Mannschaft sind dann natürlich vorher bereits sorgfältig ausgebildet und von ausgesuchter Brauchbarkeit Wie jeder junge Offizier das Kommando eines Torpedoboots erstrebt, so sind auch die Mannschaften dort trotz der großen Anstrengungen mit Vorliebe an Bord, und mit stillem Neid sieht der Ausguckposten auf dem großen Schiff die schnellen kleinen Fahrzeuge vorbeifahren.

Dieser Artikel von Graf E. Reventlow erschien zuerst am 23.08.1902 in Die Woche.