Maximilian Harden

Beitragsbild

„In die Wiege spendete eine strenge Fee ihm ein streitbares Pathos, einen wilden Drang zu unheimlicher Einsamkeit und ein leidenschaftliches Mißtrauen vor allen blank geprägten Werten der Allgemeinheit.“

In diesem Satze, den Maximilian Harden einst mit Bezug auf den Dichter des „Baumeister Solneß“ niederschrieb, hat er sich unbewußt selber gezeichnet. Nicht vollständig allerdings, nur in Form einer ganz, ganz flüchtigen Skizze. Denn außer dem streitbaren Pathos, außer der unüberwindlichen Scheu vor dem Anschluß an andere und außer dem damit zusammenhängenden Mißtrauen gegen alles, was die Allgemeinheit für gut oder schlecht findet, gibt es im Wesen des Zukunft-Herausgebers selbstverständlich noch andere Züge, die wichtig sind, wenn das Bild die Persönlichkeit auch nur einigermaßen vollständig spiegeln soll. Mir scheint aber doch, daß die Skizze insofern von Wert ist, als sie die „springenden Punkte“ vortrefflich heraushebt, das Wesentliche vor Augen führt und im übrigen jedem die Möglichkeit läßt, das ihm ferner noch wichtig Erscheinende selber hinzuzuzeichnen. Es ist ohnehin schwierig genug, Stellung zu nehmen zu einer Persönlichkeit, in der sich die Gegensatze aufs seltsamste mischen.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

In der Tat: mit den berühmten zwei Seelen kommt man nicht aus bei Maximilian Harden. Man muß sie ins Vielfache potenzieren und hinter der Endsumme immer noch Raum offen lassen für neue Zahlen. Man kann ihn heute für einen politischen Schriftsteller größten Formates halten und morgen den neuen Artikel aus seiner Feder verärgert beiseite legen, weil einen das geistreiche Wortgeplänkel von weiter nichts überzeugt, als daß der Verfasser den schlichten Standpunkt gegenüber den Dingen völlig verloren hat. Man kann heute das tiefschürfende Urteil, den feinen Geschmack und geläuterten Kunstsinn des literarischen Kritikers ehrlich bewundern und bei der nächsten Gelegenheit ebenso fest überzeugt sein, daß lediglich der „wilde Drang zur Einsamkeit“, die Angst vor dem Unglück, nichts weiter zu sein als das Sprachrohr der durchschnittlichen Intelligenz des Publikums, zu schwärmerischer Huldigung eines von allen Verkannten, zum Widerspruch gegen das anerkennende Urteil der Allgemeinheit verleitete. Der glänzende Stilist von gestern fällt einem morgen durch seine auf Stelzen gehende Sprache, durch seine gesuchten Umschreibungen gut deutscher Wörter direkt auf die Nerven, und der kluge Kopf, dessen reiches Wissen von niemand bezweifelt wird, prunkt ohne Zwang mit der Weisheit des Konversationslexikons und bemerkt nicht, daß die gelehrttuerische Absichtlichleit auf den Leser verstimmend wirkt. Wahrlich, es ist schwer, einen Standpunkt zu finden, von dem aus man Harden gerecht werden kann. Genau so schwer wie es ist, ihn zu lieben, in warmer Begeisterung zu ihm aufzublicken, genau so schwer ist es trotz seiner menschlichen, allzu menschlichen Fehler und Schwächen, sich seiner geheimnisvoll lockenden Persönlichkeit zu entziehen.

Maximilian Harden
Maximilian Harden

Am 20. Oktober 1861 wurde Maximilian Harden als Sohn eines Berliner jüdischen Kaufmanns mit Namen Wittkowsky geboren. Der Vater, ein finsterer, eigenwilliger Mann, ließ ihm zwar Gymnasialbildung zuteil werden, widersetzte sich aber entschieden dem Wunsche des Sohnes, die schon auf der Schulbank bewiesene große Begabung im Studium abermals kundzutun. Er steckte den Jungen ganz einfach als Lehrling in ein Geschäft. Die Folge war, daß sich dieser aus eigener Kraft eines Tages dem Zwange entzog und davonlief. Er wollte Schauspieler werden und wurde es auch. Die ganze Not und das ganze Elend des Schmierenkomödiantentums hat er durchgekostet, um schließlich nach hübschen, aber keineswegs eine sichere Zukunft verheißenden Schauspieler-Erfolgen den weltbedeutenden Brettern doch wieder Balet zu sagen. Seinen Vor- und Familiennamen Isidor Wittkowsky hatte er Jahre vorher bereits mit dem jetzigen ausgetauscht, aus inneren Gründen, die er in seiner Zeitschrift einst selber erklärt hat und die seinem Herzen zur Ehre gereichen, nicht etwa, weil er geglaubt hätte, als Maximilian Harden den Lebensweg besser geebnet zu finden. Als an das Ende der Bühnenkarriere der fröhliche Anfang der Schriftstellerlaufbahn sich anschloß, stand unter den kleinen Artikeln und Plaudereien, die hier und da in den Tagesblättern und Zeitschriften erschienen, der neue Name. Gerade der aber war es nicht, der das Schriftstellerglück ihm ins Haus trug. „Apostata“ unterzeichnete er in der „Gegenwart“ jene Artikelserie, die ihn mit einem Schlage bekannt und berühmt machte, die ihm Verbindungen schuf und zuletzt dazu führte, daß er im Jahre 1892 ein eigenes Blatt mit dem Titel „Die Zukunft“ herausgeben konnte. Und nun erst erschien auf dem Titelblatt wieder der Name Maximilian Harden.

Der frische und schneidige Gegenwart-Mitarbeiter, der Woche für Woche über Presse und Politik, über Literatur und Theater Gerichtstag hielt, der die Geißel schwang über allem, was seinem Ermessen nach faul war im Staate Dänemark, beging in der „Zukunft“ nun fröhliche Auferstehung. Die Mehrzahl der Gegenwart-Leser hatte er mit sich genommen, und da er es obendrein trefflich verstand, seine Zeitschrift zum Tummelplatz wirklich erlesener Geister zu machen, so wuchs mit der Zahl der erscheinenden Hefte zugleich auch die Zahl seiner Abonnenten und Leser. Sein bester und eifrigster, originellster und zugkräftigster Mitarbeiter blieb aber auch trotz der erlesensten Geister er selber; wenn man heute zurückschauend alle die Aufsätze an sich vorbeiziehen läßt, die er im Laufe der Jahre für seine „Zukunft“ geschrieben, so wundert man sich keinen Augenblick über deren Erfolge. Zu allem Glück aber kam noch ein größeres, größtes: der Altreichskanzler, dem Harden bereits als Apostata einen Artikel „Kollege Bismarck“ gewidmet hatte, gewann Interesse für den klugen und federgewandten Zukunft Herausgeber. Durch Schweningers Vermittlung lud er ihn zu sich ins Haus, überzeugte sich, daß der junge Politiker auch im Gespräch jener geistvolle Mann war, als den er ihn aus den Zukunft- Artikeln schon kannte, und nahm ihn in jenen intimen Kreis der Getreuen auf, mit denen er zwanglos am Tisch der Familie plauderte. Kein Wunder, daß Harden durch solche Gunst in der Schätzung beträchtlich emporstieg; kein Wunder auch, daß der kluge Kopf seinen engen Verkehr mit dem großen Staatsmann nach Möglichkeit für die „Zukunft“ verwertete. Seine publizistischen Ausflüge in das Gebiet der hohen Politik bekamen Relief durch die Bismarck-Freundschaft; sie erschienen zuweilen wie Inspirationen aus Friedrichsruh und wurden fortan mit noch größerem Eifer gelesen. Am eifrigsten erst, als der Kanzler verabschiedet war und im Sachsenwald grollte. Hei, wie die Nachfolger Bismarcks den Zorn Maximilian Hardens zu kosten bekamen! Wie der neue Kurs in der „Zukunft“ gehöhnt und gegeißelt wurde! Gehöhnt bis zu Selbstvergessen und – Festungshaft. Der grollende Alte im Sachsenwald konnte wahrlich keinen besseren und mutigeren Anwalt sich auserwählen. Der hielt ihm noch über das Grab hinaus seine Treue und hält sie ihm heute noch. Schade nur, daß die schwärmerische Verehrung und Hingebung Harden auch gleichzeitig blind werden ließ für die Vorzüge anderer, daß es ihm nicht nur Gewohnheit wurde, am Bismarckschen Maßstab zu messen, sondern daß ihn der Kleinkampf um seinen Helden und dessen Ruhm allzuoft auch verleitete, gegen Personen zu fechten, anstatt um die Sache zu streiten.

Zwanzig Jahre sind heute zugleich mit dem fünften Jahrzehnt seines Lebens dahingerauscht, seit der Schriftsteller Harden den Schauspieler endgültig abgelöst hat. Waren es Jahre des Glücks, der Zufriedenheit? War das Große, das er in Bismarcks Nähe erleben durfte, in Wirklichkeit groß genug, um ihn alles vergessen zu lassen, was neben dem Glück noch einherlief? Die Einsamkeit, die er suchte im Sinne des Ibsenschen Volksfeinds: „Der stärkste Mann in der Welt ist der, der allein steht -“, sie hat ihn zugleich auch im andern, im eigentlichen Wortsinn nun einsam gemacht. Zehntausende lesen allwöchentlich seine Artikel, aber Zehntausende fühlen auch immer aufs neue mit Bedauern, daß stets nur der Kopf und gar niemals das Herz bei der Arbeit war. Zehntausende stehen bewundernd vor seinem Wissen und seinem Geist, entzücken sich an seinem Stil und seinem Formtalent, aber Zehntausende fragen sich auch, wie ein Mann von so glänzenden Gaben im Kampf mit dem Kleinen und Kleinlichen seine Befriedigung finden und so selten den großen Problemen sich zuwenden kann. Bewunderung ist nicht dasselbe wie Liebe.

Harden wäre sonst der geliebteste unter den Journalisten.

Carl W. Neumann.

Dieser Artikel erschien zuerst in Reclams Universum Weltrundschau vom 02.-08.10.1911.