Meutereien an Bord

1905, von Kapitän zur See a. D. von Pustau. Angesichts der unglaublichen Meutereizustände und der sich daranschließenden, blutigen Gewalttätigkeiten auf den Schiffen der Schwarzmeerflotte in einer Zeit, in der das Vaterland sich in schwerer Not und Gefahr befindet, werden gewiß viele denken, so etwas wäre noch nicht vorgekommen und auch nur in Rußland möglich. Diese Annahme ist indessen durchaus irrig: es sind jetzt kaum mehr als hundert Jahre vergangen, daß in der ersten Kriegsmarine der Welt, der englischen, Meutereien an Bord durchaus nichts Seltenes waren; ja es haben dort vorübergehend Zustände geherrscht, die für weit schlimmer und gefährlicher bezeichnet werden müssen als die, die auf den russischen jetzt hervortreten; denn zu dem militärischen Aufruhr traten damals auch noch die noch mehr zu verabscheuenden Verbrechen des Kriegs- und Landesverrats.

Viele der Meutereien begannen damit, daß die Mannschaften eines Schiffes sich weigerten, in See zu gehen, bevor nicht gewisse Beschwerdepunkte erledigt waren, die sich meistens auf die Nichtauszahlung der Löhnung oder auf die mangelhafte Verpflegung und Ausrüstung des Schiffes mit verdorbenem Proviant bezogen. Ein solcher Fall trat zum Beispiel 1780 während des nordamerikanischen Freiheitskrieges auf dem englischen Linienschiff “Invincible” ein, dessen Besatzung tatsächlich ihre Forderungen durchsetzte und es auch erreichte, daß die Rädelsführer straffrei ausgingen bis auf zwei, die mit “nur” 500 Hieben mit der neunschwänzigen Katze davonkamen. Nicht immer ging es so milde bei solchen Gelegenheiten zu: in einem ähnlichen Fall, wo sieben Leute von der “Egmont” ihre zuständige Löhnung unter Drohungen gefordert hatten, wurden drei von ihnen gehängt und die übrigen mit grausamer Härte bestraft.

Im Ausland nahmen die Meutereien an Bord meistens einen sehr viel gefährlicheren Charakter an, weil hier die oberen Behörden fehlten, die als Vermittler den Zwist zwischen der Besatzung und den Schiffsoffizieren beilegen oder durch äußere Machtmittel rechtzeitig unterdrücken konnten.

In dem Friedensjahr 1789 revoltierte in der Südsee ein Teil der Besatzung des kleinen Schoners “Bounty” gegen den Kapitän Bligh, der sich während der ganzen Reise als ein grausamer und ungerechter Tyrann gezeigt hatte. Der Schiffsleutnant selbst stellte sich an die Spitze der Meuterer, die den Kapitän und die ihm treu gebliebenen Leute überwältigten und sie in einem kleinen offenen Boot auf hoher See aussetzten. Nach zwei Monaten unsagbarer Entbehrungen und furchtbarer Gefahren landeten die Unglücklichen in Timor.

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Von den Meuterern schifften sich 16 Mann in Tahiti aus, diese wurden hier zwei Jahre später von einem Kriegsschiff aufgegriffen und in der Heimat kriegsgerichtlich bestraft. Der Rädelsführer mit dem Rest der Leute, im ganzen neun Mann, suchten und fanden Zuflucht auf der einsamen kleinen Pitcairninsel im südlichen Stillen Ozean. Erst im Jahr 18l4, also volle 25 Jahre später, erfuhr die englische Regierung hiervon durch einen Kauffahrer, erließ aber dem einzigen noch Ueberlebenden von den damaligen Meuterern die Strafe als verjährt.

Ungleich wüster ging es auf der Fregatte “Hermione” 1797 vor Portoriko zu. Eines Nachts schlug die Besatzung den überaus brutalen und grausamen Kommandanten und alle Offiziere des Schiffes bis auf vier einfach tot und warf die Leichname über Bord. Dann führte sie das Schiff nach La Guayra und übergab es dort den Spaniern, die damals mit England im Krieg lagen. Fast genau in der gleichen Weise wiederholten sich diese verabscheuungswürdigen Vorgänge in demselben Jahr noch auf mehreren andern englischen Schiffen, unter andern auf dem Kriegsschoner “Antoinette”, der den Franzosen ausgeliefert wurde. – So abstoßend übrigens das vaterlandsverräterische Verhalten dieser Meuterer auf uns einwirken muß, so haben sie im Grund sich immer noch menschlicher benommen als die nach Tausenden zählenden Seeleute, die in früheren Zeiten ihre Vorgesetzten totschlugen, um dann als Herren des Schiffes das blutige und erbarmungslose Gewerbe des Seeräubers auszuüben.

Bisher war nur von einzelnen Schiffen die Rede, aber es haben auch ganze Divisionen, ja ganze Flotten gemeutert, und es ist kaum zu glauben, wie viele Kommandanten in der englischen Flotte, die doch gewiß in der heroischen Tapferkeit, ja Tollkühnheit ihrer Besatzungen niemand nachsteht, mitten im Gefecht den Befehlen ihrer Admirale nicht nach gekommen sind und wegen Feigheit und Ungehorsam mit den schimpflichsten Strafen belegt werden mußten.

Ein ganz besonders kritischer Zustand entstand in den Jahren nach dem Ausbruch der großen Revolution. In der französischen Kriegsmarine sahen die Offiziere und die übrigen Anhänger der alten Ordnung die Uebertragung der Ideen von Freiheit und Gleichheit in die Flotte mit Recht als gleichbedeutend mit der Untergrabung jeglicher Disziplin an Bord und mit der Vernichtung des Kriegswerts der Fahrzeuge an. Die Republikaner ihrerseits verweigerten den früheren Vorgesetzten offen den Gehorsam und verlangten, daß Strafen an Bord nur mit ihrer Zustimmung verhängt werden dürften, und daß sie selbst ihre Schiffsoffiziere zu wählen hätten. So befanden sich die meisten französischen Schiffe jahrelang in einem permanenten Zustand der Meuterei, und man kann es unter diesen entsetzlichen Zuständen schließlich begreiflich finden, daß die in fortgesetzter Lebensgefahr schwebenden royalistischen Seeoffiziere und Kommandanten sich endlich zu dem verzweifelten Schritt entschlossen, beim Ausbruch des Krieges mit England im Jahr 1793 ihre Zustimmung zu der Besetzung von Toulon durch die Engländer und Spanier zu geben. Sie glaubten damals, daß der Krieg nicht Frankreich selbst, sondern nur den republikanischen Machthabern in Paris gälte, und dachten nun durch ihr Vorgehen der wiederherzustellenden Königsgewalt die Kriegsschiffe und den wichtigen Kriegshafen erhalten zu können. Bekanntlich wurden ihre Hoffnungen durch den jungen Napoleon Bonaparte vereitelt, dessen überlegene Kriegskunst in kurzer Zeit die Räumung von Toulon durch die Fremden herbeiführte, jedoch nicht ohne daß der größte Teil der französischen Schiffe entweder versenkt oder mitgeführt wurde.

Zum Teil unter der Einwirkung der vom Festland herübertragenen demokratischen Idden, weit mehr aber noch infolge der wahrhaft schauderhaften Löhnungs- und Verpflegungsverhältnisse wie überhaupt der menschenunwürdigen Behandlung der Seeleute entstand in jener Zeit auch in der englischen Kriegsmarine ein Geist der allgemeinen Auflehnung, der zu den gefährlichsten und bedeutendsten Flottenmeutereien aller Zeiten führte. Im Jahr 1797 befand sich England im Krieg mit Frankreich, Spanien und den Niederlanden; seine Flotte hatte das Mittelmeer räumen müssen, um den drohenden Angriffen der feindlichen Geschwader näher der Heimat entgegenzutreten. Man befürchtete allgemein eine Invasion durch die kampferprobten französischen Armeen, und die Sicherheit des Inselreichs hing ausschließlich von der Flotte ab.

Als nun am 15. April 1797 der Admiral der Kanalflotte das Signal zum Ankerlichten heißen ließ, enterten ganz unerwartet die Mannschaften von sämtlichen Schiffen, 16 an der Zahl, in die Wanten und gaben drei Hurras ab als Zeichen, daß sie den Befehl nicht ausführen wollten. Vergebens suchten die Offiziere die Besatzungen im guten zu überreden, angesichts der das Vaterland drohenden Gefahren ihre Pflicht zu tun; auch die Bewilligung ihrer wichtigsten Forderungen und die Zusicherung der Straffreiheit durch Abgeordnete von der Admiralität genügten den Meuterern anfangs noch nicht.

Im Lauf der Zeit kam es auf einzelnen Schiffen zu Gewalttätigkeiten, und die mißliebigen Offiziere wurden einfach an Land gesetzt, und erst am 15. Mai hatte man sich so weit geeinigt, daß die Flotte von der Themse auf die Reede auslief.

Indessen schon wenige Tage später brach der Aufstand von neuem los; der Führer der Meuterer, ein früherer Unterleutnant namens Parker, der jetzt als gemeiner Matrose an Bord Dienst tat, ließ die Offiziere entweder an Land schaffen oder in ihren Kammern bewachen. Dann bemächtigte er sich mehrerer in der Themse liegender Kanonenboote, ließ auch auf die dortigen Landforts schießen und sperrte tatsächlich den Schiffsverkehr Londons während mehrerer Tage ab. Bald erhielten die Aufständischen weitere Verstärkung durch das gesamte Blockadegeschwader bis auf zwei Schiffe des Admirals Duncan, dessen Aufgabe es war, die holländische Flotte zu überwachen; Proviant wurde einfach von Handelsschiffen und von der Küste geraubt, und ganz England durchlebte eine fürchterliche Zeit der Angst und des Entsetzens: unabsehbares Unheil wäre entstanden, wenn die Feinde besser gerüstet gewesen wären und die nicht wiederkehrende Gelegenheit zu einem ernstlichen Angriff ausgenutzt hätten. Mit der Zeit begannen indessen die besonneneren Elemente unter den Empörern die Aussichtslosigkeit des weiteren Beharrens im Aufstand einzusehen. Ehe noch die wenigen treu gebliebenen Schiffe den Befehl zum Angriff auf die Empörer ausführen konnten, holten einzelne der meuternden Fahrzeuge die rote Flagge nieder und trennten sich, öfters nicht ohne blutige Kämpfe, von den übrigen. Jedoch erst am 14. Juni, also volle zwei Monate nach dem Ausbruch der ersten Unruhen, konnte die Regierung Parker auf seinem Flaggschiff festnehmen lassen. Er und mehrere andere Rädelsführer wurden gehängt, wieder andere wurden grausam bestraft, und damit endete dieser überaus gefährliche Aufstand, dessen unmittelbare Folge übrigens die Einführung von vielen weitreichenden und nützlichen Reformen in der englischen Marine war.

Um die elementare Gewalt des Ausbruchs zu begreifen, muß man sich die barbarische Grausamkeit des damaligen englischen Preßsystems bei der Rekrutierung der Schiffsbesatzungen vor Augen halten. Heutzutage existiert dieses System längst nicht mehr, und überhaupt hat sich das Los der Seeleute an Bord der Kriegsschiffe in allen modernen Marinen gegen früher so außerordentlich gebessert, daß militärische Meutereien großen Stils, wie die englische von 1797, hier für vollständig ausgeschlossen gelten müssen. Die Vorgänge in Sebastopol und Odessa wie vielleicht auch einzelne nur gerüchtweise bekannt gewordenen Vorkommnisse in der Seeschlacht bei Tsuschima beweisen nur, daß in der russischen Marine die Verhältnisse an Bord heute noch ähnliche sein müssen, wie sie vor mehr als 100 Jahren den großen Aufstand der englischen Seeleute hervorriefen. In russischen Dingen den Propheten spielen zu wollen, ist mehr als gewagt, und man kann heute noch in keiner Weise voraussagen, wie die Dinge dort weiter verlaufen werden. Wenn aber in irgendeinem andern als dem moskowitischen Staat es vorkäme, daß ein aktiver Admiral mit einem ganzen Geschwader vor einen einzelnen meuternden Schiff unverrichteterdinge zurückweicht, ohne die Mörder des Kommandanten und der Offiziere zur Verantwortung zu ziehen, dann würde man wohl mit Recht sagen: “Das ist der Anfang vom Ende.”

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.