Münchner farbige Plastik

Ewig Dein!

Ein süßes Kunstgewerbe. – Mit Versen von Heinrich Seidel.

Wenn der Flügelschlag der holden Adventszeit über Isar-Athen rauscht, dann entscheidet sich für uns Münchner der Streit, der in unsere Tage hereinhallt: hie farblose, hie polychrome Plastik. Ueber die Michelangelo und Begas und die Schildträger der „farblosen Begriffe“ Winckelmann, Lessing und Kugler triumphieren die Böcklin und Klinger, die Semper, Fechner und Treu. Die Augustusstatue aus der Villa der Livia an der alten Via Flaminia ist in neuerstandener Farbenschönheit unser Schutzheiliger geworden.

Und zum Sieg der farbigen Plastik ist die Frage des Materials gelöst in einer genialen, Künstler und Publikum gleichmäßig befriedigenden Weise.

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Statt des spröden Marmors und seiner tückisch verborgenen Risse, statt der eigenwillig störrisch fließenden Bronzemasse arbeiten wir mit handsam gefügem Material. Dabei sind unsere Münchner bunten Skulpturen nicht etwa die „angestrichenen Statuetten“, die dem Meister Arnold von Fiesole ein ebensolcher Gräuel waren wie die weißen Berliner Oefen. Wir haben das schöne Braun, das ihn zum Schwarzweiß der farblosen Skulptur so oft hinzuzufügen reizte. Und mit farbigem Stoff selbst gehen wir den buntgestaltigen Erscheinungen des Lebens nach.

Gleichzeitig haben wir die Erziehung des Säuglings wie des Greises zur Kunst endgültig erreicht. Die Hände, die nach unsern farbigen Skulpturen greifen, die Augen, die ihnen glänzen, gehören dem Menschenalter zwischen dem 1. und 80. Lebensjahr an. Nicht einmal das genußfrohe Zeitalter der Antike vermochte einen so weitspannenden Interessentenkreis für seine Kunstschöpfungen aufzuweisen. Und noch weniger besaß es die eminente Begeisterungsfähigkeit unseres Publikums, das die farbigen Münchner Skulpturen bis zum Aufessen liebt.

Das ist wörtlich zu nehmen, weil sie aus duftigem Lebkuchenteig und süßem Zuckerguß gebildhauert sind.

Die Anregung zur Herstellung solcher Lebkuchenskulpturen von Künstlerhand ging von einigen humor- und phantasiebegabten jüngeren Münchner Malern aus und fand praktische Betätigung durch die Hoflebzelterei von Mathias Ebenböck in München. Seitdem versorgen Künstler von Ruf, wie Richard Pfeiffer-Kohrt („Das Gigerl“, „Die Gans“, „Tarameter 103“, „Das Auge des Gesetzes“), Max Hagen („Kathi“, „Der Pfiffikus“), A. Niemeyer („Ewig dein!“) R. Seitz, Erlacher („Aus Liebe“) und andere die Ebenböcksche Lebkuchenbildhauerwerkstatt fortlaufend mit neuen köstlichen Entwürfen. Der künstlerische Wert der Entwürfe erklärt auch, daß sämtliche Muster geschützt sind.

Mensch und Tier, ganz im lustigen Charakter leckeren Materials und seiner Farben gedacht, Herzen voll sinniger Liebessymbole im harten und weichen Biedermeierstil, Szenen aus den hohen und höchsten Residenzkreisen, vom Taxameterschurschi und der Hofbräuzenta bis zum gipfelstürmenden Schrofentrottel an der Gasteigschneid. Der unerfahrene Pinguin vom Südpol und der schimmernde Kapitolsvogel aus der Fasanerie des Kalibauern von Kälbermoor, Fips der betriebsame Affe und der fast immer schweigsame Eisbär. Töff-Töff und Hochzeitsleute, Bankhalter und hohe Politik, des ganzen Lebens wechselvolles Spiel in Honigkuchen erdacht, gehauen und gebrannt.

Wir können dieser fröhlichen Abart zeitgenössischen deutschen Kunstgewerbes mit unsern Zuneigungen gegen überstehen. Zufolge der bequemen und bekömmlichen Vertilgbarkeit ihrer Objekte wird sie uns eine Ueberfüllung des Kunstmarktes nie bringen. Nur sie ist, wie schon eingangs festgestellt, am ehesten geeignet, die Frage der Erziehung zur Kunst eindringlich zu lösen.

Das sagen am besten die Verse, die der Münchner Niklas beim Abladen dieser bunten Lebkuchen brummt;

Daß schon zartem Kindelein
Kunstsinn sich vererbe,
Tunkt man ihm zu Weihnacht ein
Süßes Kunstgewerbe.

Und die Wirkung ist zumeist
Schnell und gegenwärtig;
Durch den Magen in den Geist,
Schrumm, die Form ist fertig!

Franz Langheinrich.

Kathi
Kathi

Kathi.

Was Ganymed, was hebe!
So lange, wie ich lebe,
Bleib ich der Kathi treu.
Sechs Maßkrüg in den Händen
Soll sie mir ewig spenden
Von dem geliebten Bräu.


Von Dauer unzulänglich
Ist Schönheit und vergänglich,
Ich schätz ein treues Blut!
Sie bringt vom frischen Faß hier
Das wundervolle Naß mir,
Und eingeschenkt ist gut!

Gigerl
Gigerl

Gigerl.

Wer hat in alt und neuen Tagen
So elegant sich je getragen!

Und doch scheint ihn ein Schmerz zu plagen:
Hat er vielleicht sich selbst im Magen?

Die Gans
Die Gans

Die Gans.

Das ist die Gans, die Weihnachtsgans,
Die liebe Gans, die gute Gans.

Ein jeder, der Verstand hat, spricht;
Ein’n schönren Vogel gibt es nicht.

Ewig Dein!
Ewig Dein!

Ewig dein!

Theobald mit Leonoren
Ging in Träumerein verloren
Durch den schönen Garten hin.
„Ach, der Himmel stand mir offen,
Dürft ich wagen, dürft ich hoffen,
Was mir füllet Herz und Sinn.“

Und die kleinen Vögel sangen,
Nachtigallenlieder klangen
Von der Liebe Lust und Schmerz.
Alle riefen: „Knie nieder!
Diese Stunde kommt nicht wieder!
Offenbare ihr dein Herz!“

Als er nun mit den famosen
Funkelnagelneuen Hosen
Kniete in dem feuchten Gras,
Schmolz die Seele ihr wie Butter:
„Sprechen Sie mit meiner Mutter!“
Hauchte sie bald rot, bald blaß.

„Teures Fräulein, darf ich’s wagen,
Nun zu Ihnen „Du“ zu sagen?“
Ach, sie flüsterte nicht nein!
„O ihr Götter, o ihr Musen!“
Seufzte er, die Hand am Busen, „
Welche Wonne! Ewig dein!“

Hundertunddrei - Frei!
Hundertunddrei – Frei!

Hundertunddrei – Frei!

Das Pferd und der Kutscher träumen,
Das eine von grünen Räumen,
Wo es in schöner Jugendzeit
Ueber die Wiese rannte weit
In Luft und Licht und Sonne,
Bis es vor lauter Wonne
Hinausgekeilt und sich im Gras
Gewälzt hat; o wie schön war das!
Der Kutscher träumt vom Hofbräuhaus,
Und Weißwürst sind sein leckrer Schmaus,
Danach man sich die Finger leckt.
Ein neues Faß wird angesteckt:
Triumph, die erste Maß ist sein!

Es geht von ihr ein heller Schein,
Es strahlt von ihr ein Himmelslicht,
Mit keinem König tauscht er nicht.
Er hebt sie liebevoll empor –
Da rüttelt’s ihn, und an sein Ohr
Da tönt es schnarrend: „Hundertdrei!
Zum Hofbräuhaus! Sie sind ja frei!
Der Kutscher grunzt, sein Traum ist aus,
Fährt seufzend hin zum Hofbräuhaus.
Doch diese Maß hat ihn gequält,
Hat ihm sein Leben lang gefehlt.

Der Pfiffikus
Der Pfiffikus

Der Pfiffikus.

Drei Kreuze schreiben, ist meine Manier,
Schulmeister und Stadtfräck kann ich nicht leiden.

Pfiffig aber bin ich für vier
Wer mich für dumm kauft, der wird sich schneiden!

Das Auge des Gesetzes
Das Auge des Gesetzes

Das Auge des Gesetzes.

Das Auge des Gesetzes wacht
Vom Morgen bis zur Mitternacht,

Von einer Maß zur andern Maß,
und wie man sieht, bekommt ihm das.

Aus Liebe
Aus Liebe

Aus Liebe!

Aus Liebe! jauchz ich himmelwärts!
Vor lauter Liebe brennt mein Herz!

O wie mein Herz vor Freuden springt,
Weil uns der Liebe Kranz umschlingt!

Ach, süß ist dieser Zuckerguß,
Doch zehnmal süßer noch dein Kuß!

Ich will, du Turteltaube mein,
Dein Turteltauber ewig sein!

Dieser Artikel erschien zuerst in die Woche 52/1903. Die Bilder waren bereits im Original farbig.