Die Milleniums-Landesausstellung in Budapest

Das Land der Magyaren feiert den tausendjährigen Bestand Ungarns unter anderem auch durch eine gross angelegte Ausstellung in der Hauptstadt Budapest. Diese Landesausstellung wurde am 9. Mai in Gegenwart des Hofes feierlich eröffnet.

Ich verschob ihre Beschreibung absichtlich, um nach Verrauschen des Jubels eine durch etwa übertriebene Vaterlandsliebe nicht beeinflusste sachliche Beschreibung bieten zu können, wenn ich mich auch des warmen Tones in derselben nicht zu erwehren vermag.

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Ursprünglich gedachten einige leitende Persönlichkeiten, das Milleniumsfest durch eine Weltausstellung zu begehen, doch musste man von diesem Gedanken abstehen, da die Verhältnisse des Landes eine derartige mit grossem Kostenaufwand verbundene und schliesslich doch nur als Luxus geltende Veranstaltung nicht zuliessen. Es erschien viel zweckmässiger, eine Landesausstellung zu veranstalten, welche nicht nur die gegenwärtige Entwicklung Ungarns veranschaulicht, sondern vorzüglich seine glorreiche Vergangenheit ins Auge fasst.

Historische Baugruppe der Milleniums-Ausstellung Budapest

Als Ausstellungsstätte konnten nur zwei Plätze der Hauptstadt ernstlich inbetracht kommen. Den einen bot das am Fusse des „Blocksberges“ in unmittelbarer Nähe der Stadt gelegene Feld „Lágymányos“, welches, durch den Donau-Arm und den Berg selbst ergänzt, eine unvergleichlich malerische Wirkung versprochen hätte. Da aber dieses Gebiet völlig ohne Kultur ist, hätte die Belebung des verlassenen Ortes ungezählte Summen verschlungen.

Den anderen Ausstellungsort konnte man im „Stadtwäldchen“ – einem im Herzen der Hauptstadt gelegenen und an Grösse dem Berliner Thiergarten ziemlich gleichenden Park – finden. Man entschied sich für letzteren aus dem Grunde, als daselbst gelegentlich der 1885er Landes-Ausstellung schon gewissermaassen vorgearbeitet war. Mehre Gebäude konnten nach entsprechenden Zubauten beibehalten werden. So unter anderem die grosse Industriehalle, welche in künstlerischer Hinsicht zwar nicht einwandsfrei ist, jedoch eine grosse Ersparniss ermöglichte. Die frühere grosse Platzanlage (Korso), welche am Abend die gute Gesellschaft zu Promenaden-Konzerten vereinigte, bedurfte nur einer Erweiterung und der unvermeidlichen „Fontaine lumineuse“, um gegenwärtig dem nämlichen Zwecke dienen zu können.

Abbildg. 3 – Thurm von Brassó (Kronstadt in Ung)

Der Park wurde beinahe in seiner ganzen Ausdehnung zu Zwecken der Ausstellung verwendet. Nur ein kleinerer Theil, welcher für Spaziergänger und als Belustigungsort des Volkes dient, wurde ausgespart. Selbst nach einer derartigen Inanspruchnahme genügte das Gebiet nur mit knapper Noth; es mussten so manche Kunstgriffe und Spitzfindigkeiten angewendet werden, um den benutzbaren Raum möglichst zu vergrössern, ohne die Baumanlagen übermässig zu schädigen. So steht z. B. das Gebäude der Armee-Lieferanten zumtheil auf dem Betongewölbe des Budapester Untergrundbahn-Tunnels. Durch Aussparung von Plätzen für Gebäude, welche für die Öffentliche Benutzung nothwendiger Weise erreichbar bleiben mussten, erlitt die Grundform des Ausstellungs-Gebietes eine unbequeme Zerrissenheit, welche die organische Anordnung der Gebäude wesentlich erschwerte.

Die begrenzte Fläche beträgt 510 000 qm, die Oberfläche des in das Gebiet füllenden reizenden Teiches ist in das Maass eingerechnet. Aus dem Umstand, dass die Gebäude eine bebaute Grundfläche von mehr als 125 000 qm in Anspruch nehmen, geht hervor, dass der ganze Raum sehr knapp bemessen erscheint. Der Teich wurde durch Anschüttung verkleinert; er gewann wesentlich an Schönheit, indem man aus seinem Bette den Morast in einer Tiefe von 0,5 m aushob und durch Kiesanschüttung ersetzte.

Abbildg. 4 – Burg Vajda-Hunyad – Kapelle von Csütörtökhely

Den Haupteingang der Ausstellung verlegte die technische Direktion der Ausstellung mit vielem Geschick in die Axe der herrlichen Andrassy-Strasse, welche, die innere und äussere Ringstrasse der Hauptstadt in Form einer breiten Radialstrasse verbindend, einen bis zum Stadtwäldchen führenden, wahrhaft grosstädtisch angelegten monumentalen Weg bildet. Die Andrassy-Strasse findet ihre Verlängerung in einer vom Haupteingang ausgehenden grossen Ringstrasse, welche das ganze Ausstellungsgebiet in einer Länge von 1430 m und einer Breite von 25 m durchschneidet und zwar derart, dass dieselbe zu den leider allzu dicht nebeneinander stehenden Ausstellungs-Gegenständen einen bequemen Zugang bildet, im besonderen auch dadurch, dass das Publikum auf deren ganzer Länge mittels einer schmalspurigen elektrischen Bahn mit oberirdischer Leitung befördert werden kann.

Hinsichtlich der Architektur bildet die auf der einzigen Insel des Teiches stehende historische Baugruppe den Glanzpunkt der ganzen Ausstellung; ich will daher vorzüglich dieses Kleinod zu beschreiben versuchen.

Der Gedanke der Errichtung einer Ausstellungs-Abtheilung, woselbst die kulturelle Entwicklung Ungarns in rückblickender Weise versinnbildlicht erschien, war von jeher vorhanden, nur konnte man im Anfange betreffs der Gestaltung derselben nicht einig werden, da bei einer Ausstellung, welche die Kunstschätze und historischen Reliquien des Landes enthalten sollte, in welcher auch die Kultur der ganzen tausendjährigen Vergangenheit vertreten sein musste, der Baustil in erster Reihe infrage steht. Der erste Wettbewerb über die Gestaltung dieses Theiles der Ausstellung führte zu keinem endgiltigen Ergebniss, da das Programm das Planen eines einzigen Gebäudes vorschrieb, Dieses fiel natürlicher Weise zu riesenhaft aus, wenn es alle erforderlichen Räumlichkeiten in sich fassen sollte und es musste daher mit dem Maasstabe der übrigen Ausstellungsbauten im Missklang stehen. Dennoch wurden die Entwürfe der Architekten Otto Tandor, Franz Pfaff, Ignaz Alpär und Albert Schickedanz mit Preisen bedacht. Letzterer besonders aus dem Grunde, weil er von dem verfehlten Programm abweichend eine Baugruppe entwarf, welche in die allerdings bei weitem nicht ausgereifte Konzeption die Nachahmung einiger alter Baudenkmäler einbezog,

Abbildg. 5 – Romanischer Theil – Königszimmer. Haupteingang (Thor, XIV. Jahrhundert)

Es wurde nun neuerdings eine engere Konkurrenz unter den oben erwähnten 4 Architekten auf Grundlage des von letzterwähntem Architekten angeregten Gedankens ausgeschrieben, an welcher sich die betheiligten Architekten Pfaff, Alpär und Schickedanz so auszeichneten, dass jeder derselben einen Preis von je 1000 Gulden errang.

Franz Pfaff trat trotz seines gelungenen Werkes von der Bauausführung zurück.

Der Handelsminister beauftragte hierauf den Arch. Ignaz Alpär endgiltig mit der Ausführung der Aussenarchitektur der Gebäude, wie auch mit dem grössten Theil der Herbeischaffung der inneren Ausstattung, während der Arch. Alb. Schickedanz als Belohnung für den originellen Gedanken damit betraut wurde, die übrigen Innenräume auszuschmücken und zu bemalen. Natürlicher Weise trägt die Betrauung zweier Architekten, welche von verschiedener Veranlagung sind, nur wenig zur Erreichung eines einheitlichen Baucharakters bei, zum Glücke aber ist die Störung, der Einheit in unserem Falle nicht besonders merkbar.

Der Architekt Alpär löste die ihm auferlegte schwierige Arbeit in jeder Hinsicht zufriedenstellend.

In der kurzen Spanne Zeit von kaum anderthalb Jahren entstand auf der buschigen kleinen Insel eine Gruppe von Schlossbauten, welche jetzt, zurzeit der Ausstellung, ungemessene Schätze in sich bergen. Mit Rücksicht auf diese Reichthümer wurden die Bauten dieser Gruppe trotz der vorübergehenden Veranstaltung dauerhafter hergestellt, als die übrigen Ausstellungsbauten. Die Fundamente sind zum grösseren Theil gemauert und nur da, wo Morast auftrat, auf Pfahlwerk gegründet. Die aufgehenden Mauern wurden in Fachwerk konstruirt und zwar so, dass dieselben 1 Stein stark gemauert, gegen Feuersgefahr vollständig geschützt sind, da das Holzwerk überall ganz ummauert ist. In gleicher Weise sind auch die Balkendecken mittels Gipsdielen feuersicher gemacht, die Gewölbe nach dem System Rabitz hergestellt.

Was die baukünstlerische Ausbildung betrifft, so verstand es Architekt Alpär, auf dem kleinen Raume sämmtliche an einheimischen Baudenkmälern vertretenen Stilarten zu vereinigen, ohne das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Theile ausseracht zu lassen. Die romanische, die gothische und die Renaissance-Gruppe stehen harmonisch neben einander und entsprechen der historischen Entwicklung der Architektur in Ungarn von der frühesten Zeit bis zur modernen Bauweise derart, dass man von der romanischen Kapelle ausgehend in flottem, malerischem Nebeneinander das Nacheinander der entstandenen Baustile vertreten sieht.

Abbildg. 6 – Thor XIV. Jh. – Frühgothische Ansicht. XIII. Jh. Nyeboissa-Thurm – Burg Vajda Hunyad

Das Thor der romanischen Kapelle ist der getreue Gipsabguss des ältesten und schönsten ungarischen Baudenkmales: des Haupteinganges der St. Jaáker romanischen Kirche, welche an die besten deutschen Beispiele des XII. Jahrhunderts erinnert. Die Fortsetzung ist durch einen ebenfalls romanischen Klosterkreuzgang gebildet, von welchem man in die königlichen Räumlichkeiten gelangt, welche mit üppigem Reichthum ausgestattet sind. Die prachtvollen Möbel sind, soweit es die Anforderung moderner Nutzbarkeit gestattete, streng stilgerecht und nach bewährten alten Mustern entworfen, Bei der romanischen Gruppe wurde in Anbetracht ihrer Verwendung als kurzer Aufenthaltsort des Königs die leichtere Bauweise der übrigen Gebäude der Insel grösstentheils verlassen, Diese Gruppe ist aus lagerhaften Bruchsteinen mit Ornamenttheilen aus Kunststein ausgeführt. Die Materialien des Innern des werthvoll eingerichteten und reich durchgebildeten Königsbaues sind durchaus echt und gediegen. –

Zur Erhöhung der alterthümlichen Wirkung wurde so mancher Kunstgriff angewendet. Der Putz erhielt durch eine Mischung mit grauer Farbe einen – je nach dem Verhältnisse der Mischung verschiedenartig wirkenden – warmgrauen Ton; die Dachziegel sind durchweg alt, die Blechdeckung versah man durch Farbenanstrich mit einer künstlichen Patina; die Basteimauern wurden aus schmutzigen schwarzen alten Kanalsteinen hergestellt; fehlende Putzstücke, absichtlich verbogene Thurmhelme, morsche Statuen, angeschwärzte Gesimse, rostige Eisenblech-Baldachine und dergl. m. sind berufen, den Eindruck der zufälligen Beschädigungen zu machen und damit den Schein der Alterthümlichkeit zu erwecken.

Das mittelalterliche Thor ist eine romanisch-gothische Komposition. Die unsymmetrische Anlage desselben bietet ein malerisches Umrissbild, auch wirkt das Thor durch mässige Abwechslung in der Farbe. Die Farbe der Holzbestandtheile, des Steines und Verputzes wird durch die in rothen Ziegeln ausgeführten Schiesscharten angenehm belebt, An dem T’hore sind Renaissance- und barocke Zuthaten, Nischen und dergl. angebracht (Abbildg. 5). Rechts vom Thore ist nebst einer frühgothischen Fassade die Nachahmung des mächtigen Nyeboissa-Thurmes sichtbar, welcher gleich der zu seiner rechten Seite ausgebildeten herrlichen gothischen Architektur der Burg Vajda-Hunyad entlehnt ist; letztere gehört zu den schönsten Denkmälern Ungarns (Abbildg. 4 u. 6). Der reine gothische Stil wird durch die Nachbildung der Kapelle von Csütörtökhely vertreten (Abbildg. 4).

Die Innenseite der gothischen Gruppe ist ebenfalls abwechslungsreich, aber sie erscheint in der Gesammt-Auffassung einfacher und hat die Form eines polygonal gedachten Hofes, an welchem wir auch einige Baumotive von besonderer ungarischer Eigenart vorfinden.

Der Thurm von Segesvär bildet den Uebergang vom gothischen Stil zur Renaissance. Allerdings wäre es angezeigter gewesen, hier eine unmittelbare Verbindung mit der Renaissance-Gruppe zu bewerkstelligen, so, wie es im ursprünglichen Plan des Architekten der Fall war. Die beschränkte Bausumme bedingte indessen einige Einschränkungen und es musste u. a. von der Errichtung der nicht ausnutzbaren Verbindungs-Arkade, welche vom Segesvärer Thurm ausging, abgesehen werden (Abb. 4 rechts.) Letzter vertritt alle drei Stilarten, da der Unterbau romanisch und gothisch, das Dach und der Helm hingegen im Renaissancestil durchgebildet erscheinen. Die Renaissance-Gruppe ist in den Abmessungen am grössten; sie besitzt eine monumental und folgerichtig durchgebildete Hauptfassade, welche den von Wien aus uns überlieferten üppigen Maria Thheresia-Stil vertritt und den Geist des Fischer von Erlach’schen Barocks zum Ausdruck bringt. Einige Einzelheiten sind siebenbürgischen Baudenkmälern entlehnt. An den Seiten und rückwärts erblicken wir abermals die Wiedergaben einiger ungarischer Architektur-Denkmäler; so den Rathhausthurm von Löcse (Leutschau) mit den einfachen aber bezeichnenden Arkaden.

Vogelperspektive der Millennuimsaustellung 1896

Hier ist auch eine kleine Fassade, welch in französischer Renaissance (Francois I.) prächtig gelöst wurde. Weniger gelungen erscheint an dem Bau die mittlere Dacharchitektur in Renaissance zu sein, da die Mansarde grosse Abmessungen zu haben scheint und mit dem Dachreiter in ein unvermitteltes Missverhältniss geräth. Um schöner ist aber der Thurm von Brassö (Kronstadt), welcher mit seinen vier Eckthürmchen, mit dem eleganten Helm und der hervorragend schönen Loggia geschmückt ein anmuthiges Bild bietet. (Abb. 3). Die Gestaltung der Innenarchitektur ist in der Regel der Entstehungszeit jener Gegenstände (wie Möbel, Rüstungen, Schwerter, Ornate, Kleidungsstücke u. a.) angepasst, welche daselbst ausgestellt wurden.

Ausser diesen drei Hauptgruppen befinden sich auf der Insel kleinere Gebäude, von welchen jedoch nur eines im geistigen Zusammenhange mit den genannten Gruppen steht. Es ist dies ein in originellem Fachwerkbau ausgeführtes Jagdschloss, woselbst die historische Entwicklung des Jagdwesens in Ungarn ausgestellt ist.

Die diesem Artikel angefügten Abbildungen gestatten einen anschaulichen Begriff von der Gesammtwirkung der historischen Baugruppe und erwecken den Eindruck, als wären diese Bauten für die Ewigkeit bestimmt. Leider ist das nicht der Fall; das mit grossem Bestreben und Kunstsinn ausgeführte Werk lobt die Energie des Meisters Alpär, dessen Arbeitslust auch das Bewusstsein nicht schwächen konnte, dass sämmtliche Gebäude in wenigen Jahren, ja vielleicht Monaten von der Erdoberfläche wieder verschwinden werden. 600 000 Gulden reichten hin, um die sämmtlichen Gebäude dieser Gruppe in einer bebauten Fläche von rd. 5000 qm vollständig herzustellen.

Es sei noch erwähnt, dass an der Seite des Urhebers drei jüngere Kräfte, die Architekten Ludwig Frommer, Gustav Knötgen und Rudolf Ostrinsky standen, von welchen erster zugleich als Bauleiter der Ausführung ein schönes Zeugniss seines künstlerischen Könnens gab.

Dieser Artikel von Marcell Komor erschien zuerst am 29.08.1896 in der Deutsche Bauzeitung.