Patentmodelle – Aus der Rumpelkammer der Erfindungen von A. Oskar Klaußmann

Wer bei dem Patentamt eines der modernen Kulturstaaten ein Patentgesuch einreicht, fügt mindestens eine Zeichnung, in vielen Fällen aber auch ein Modell bei.

Die Aemter sind bei gewissen verwickelten, zur Patentierung eingereichten Neuheiten sogar berechtigt, die Einsendung eines praktikablen Modells zu verlangen. Ob nun das Patent bewilligt oder abgelehnt wird, das Modell bleibt, zum Zweck späterer Vergleichung und Kontrolle, im Patentamt, und in besonderen Sammelräumen häufen sich hier im Lauf der Jahre viele Tausende von Modellen an. Ueber den Thüren zu diesen Sammelräumen müßten als Inschrift die Worte des alten Spötters Lucian stehen: „Das menschliche Gehirn treibt oft sonderbare Blasen.“

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Deutsche Patente werden erst seit dem Jahr 1877 erteilt, und doch sind bereits die Riesenräume auf dem Boden des Patentamts zu Berlin in der Luisenstraße mit Modellen vollgestopft, die tausendfache Proben des menschlichen Witzes und – Aberwitzes geben. In England werden schon seit dem siebzehnten Jahrhundert Patente erteilt, in Frankreich und in dem erfindungsreichsten Land der Neuzeit, in den Vereinigten Staaten von Amerika, seit 1790. Man kann sich denken, wie viele Modelle sich dort im Lauf der Zeiten angesammelt haben. London und Washington haben in ihren Patentämtern besondere Modellmuseen, und trotzdem z. B. das Museum in Washington in den Jahren 1836 und 1877 vollständig abbrannte, hat es jetzt noch mehr als achtzigtausend interessante Modelle. Vor einzelnen dieser Modelle muß man den Hut ziehen, ehrfurchtsvoll muß man ihnen nahen, denn sie sind gewissermaßen Marksteine auf dem Entwicklungsweg des menschlichen Geistes; sie bezeichnen den Beginn großartiger Epochen auf dem Gebiet der Technik und der Industrie. Wir bringen heut aus der Rumpelkammer der Patentmodelle einige sehr interessante Abbildungen.

Das erste Modell des Telegraphenapparats von Morse

Da ist zum Beispiel das erste Modell des Telegraphenapparats, den der Amerikaner Morse 1857 nach zweijährigem Bemühen erfand. Morse war Maler und lernte auf der Fahrt von Europa einen Dr. Jackson an Bord des Paketboots „Sully“ kennen. Jackson erzählte von den Bemühungen europäischer Gelehrter um die Herstellung eines telegraphischen Zeichengebers für große Entfernungen und regte dadurch den Maler an, der sich bisher gar nicht mit Technik und Elektrizität beschäftigt hatte, einen solchen Apparat zu konstruieren. Mit dem Morseapparat trat die Telegraphie aus dem Stadium der Versuche in das der praktischen Anwendung, und die Verwendbarkeit des Morseapparats, der noch heut, in verbesserter Form, in der ganzen Welt angewendet wird, trug mit dazu bei, den Siegeslauf der Telegraphie zu sichern.

Erstes Modell der Nähmaschine

Achtung vor dem unscheinbaren Modell der Nähmaschine, die Elias Howe im Jahr 1846 konstruierte! Hat doch die Nähmaschine bekanntlich eine ganze Anzahl von großen und blühenden Industrien erzeugt, die für die menschliche Bekleidung thätig sind.

Seit 1790 beschäftigte man sich in Europa und Nordamerika mit der Erfindung der Nähmaschine, die gewissermaßen fällig war und kommen mußte, aber Howe hat das Verdienst, die erste brauchbare Verwendungsform geschaffen zu haben, so verbesserungsbedürftig dieses erste Modell auch gewesen ist. Die Howesche Erfindung fand zuerst wenig Beachtung, und als man ihren Wert erkannte, sollte Howe das Los der meisten Erfinder teilen, denen Not, Sorge und Hunger zu teil werden, während fremde Leute den großen Nutzen aus der Erfindung ziehen Aber das Schicksal wollte Howe wohl, beschied ihm nur eine kurze Zeit schwerer Not und Sorgen, um ihm dann die verdienten Erfolge zuzuwenden. Howe starb im Jahr 1867, erst achtundvierzig Jahre alt, als vielfacher Millionär.

Patentmodell der ersten Schreibmaschine

Wie plump ist das erste Modell der Schreibmaschine des Amerikaners Allen, wenn wir es mit den heutigen Wunderwerken der „Typewriter“ vergleichen, und doch steckt auch schon in diesem Modell das Grundprinzip, das beim Bau aller modernen Schreibmaschinen, die sich auch in Deutschland wie überall so rasch eingeführt haben, angewendet wird.

Fast ebensoviele Erfinder beschäftigen sich mit dem Verkehr durch die Luft wie mit dem Verkehr durch das Wasser. Das lenkbare Luftschiff in Modell und Zeichnung wird noch lange der Schrecken der Beamten in den staatlichen Patentämtern bleiben. Aber auch die Schiffahrt und ihre Vervollkommnung übt noch immer starke Anziehungskraft auf die Erfinder aus, genau so, wie es schon vor Jahrzehnten der Fall war. Sehr bezeichnend für die „Richtung“ der Erfinder ist das Modell des Windmühlenschiff, das wir im oben stehenden Bild aus der Rumpelkammer der Patentmodelle hervorholen. Die Windmühlenflügel sollen an Stelle der Segel das Schiff vorwärts treiben. Der Erfinder hat sogar daran gedacht, daß auch einmal Windstille eintreten könne, und deshalb ein Tretrad auf dem Deck des Schiffs angebracht, das durch ein Pferd, einen Esel oder ein Maultier in Gang gehalten werden soll und die Umdrehung der Windmühlenflügel veranlaßt.

Das Modell eines Windmühlenschiffs
Altes Modell eines Schwimmstuhls
Eine Schwimmvorrichtung für Pferde

Vor wenigen Monaten hat ein Erfinder wieder einmal die gleiche Idee dem Londoner Patentamt eingereicht. An zwei hohen Masten sind Windmühlenflügel angebracht, deren Drehung durch Zahnradübersetzung und Triebwellen auf eine Schraubenwelle übertragen wird. Dieser verspätete Erfinder hat nicht einmal wie sein Vorgänger an einen Ersatzmotor für die Zeiten absoluter Windstille gedacht. Die Patentämter und die Ingenieure der großen Schiffahrtsgesellschaften wissen ein Lied zu singen von den Neuerungen und Verbesserungen, die ihnen aus Laienkreisen beständig für die Rettung aus Schiffbruch vorgeschlagen werden und unter denen sich so überaus selten etwas wirklich Verwendbares findet.

Aber so war es schon früher. Man betrachte das alte Modell eines Schwimmstuhls. Die hohle Lehne und die hohlen Füße des Stuhls sollen, im Fall einer Schiffskatasirophe, eine Person schwimmend über Wasser erhalten. Für die Leser, die noch nicht große Seereisen gemacht haben, sei erwähnt, daß die Passagiere auch heute noch, unter ihrem Gepäck, Stühle an Bord zu bringen pflegen. Es sind zwar auf dem Schiff Sitzgelegenheiten in Hülle und Fülle vorhanden, aber für den Aufenthalt auf Deck ist eine eigene Sitzgelegenheit sehr angenehm, die man womöglich verstellen kann, um auf ihr auch zu liegen oder wenigstens in halbliegender Stellung zu ruhen. So ist denn die Idee des Rettungsstuhls, die aus dem Jahr 1881 stammt, nicht so uneben. Vielleicht wäre sie sogar heute noch, in verbesserter Form und bei eleganterer Ausführung, verwendbar. Ich will aber durch diese Bemerkung beileibe niemanden zum Erfinden anstiften.

Für den Wasserverkehr durch tiefe, reißende, breite Flüsse sollte eine Schwimmvorrichtung dienen, die in dem nebenstehenden Reitermodell verkörpert war. Es handelt sich um lederne Beutel, die am Sattel und am Sattelgurt des Pferdes befestigt werden, nachdem man sie durch Aufblasen mit Luft gefüllt hat, so daß sie tragfähig werden. Es erinnert diese Idee an die heute so vielfach verwendete „Pneumatic“, die in diesem Modell aus dem Jahr 1857 gewissermaßen vorgeahnt ist. Aber werfen wir auch noch rasch einen Blick auf die kuriosen Erfindungen.

Da steht zum Beispiel ein Pflug, der als Kanone verwendet werden kann. Wenn man auf einsamem Feld pflügt und vom Feind angegriffen wird, macht man die Handhaben des Pfluges los, schießt damit, und wenn der Feind geflohen ist, ackert man weiter, als sei nichts vorgefallen. Das „dritte Bein“ ist für Leute bestimmt, die tagsüber viel stehen müssen. sie schnallen sich das dritte Bein an und können dann immer eines der wirklichen Beine ausruhen lassen, da das künstliche zusammen mit einem natürlichen die Last des Körpers trägt. Die Mikroskopbrille ist für Vortragende, für Prediger und Kapellmeister bestimmt. Am oberen Rande jedes Brillenglases, das hundertfach vergrößert, befinden sich je fünf kleine Scheiben, die man herunterklappen kann, so daß sie vor der Mitte des Glases stehen bleiben. Auf diesen Scheiben steht der Text des Vortrags, der Predigt oder der Opernpartitur.

„Jedes Zeitalter wird gekennzeichnet durch seine Erfindungen.“ behauptet ein berühmter Techniker früherer Zeiten. Daß wir im elektrischen Zeitalter leben, das bestätigen uns auch die Patentämter der Kulturstaaten, die unter den eingereichten Modellen jetzt mehr elektrische Apparate, Maschinen und Instrumente zu verzeichnen haben als je zuvor.

Dieser Artikel erschien zuerst am 26.07.1902 in Die Woche.