Rechtspflege der freien Reichsstadt Köln.

Schon mehr denn sechszig Jahre sind vergangen, seit die Reichsfreiherrlichleit der Stadt Köln zu Grabe getragen, seit die Stadt aufgehört, eine “freie Stadt” zu sein. Bei der großen Mehrzahl ihrer Bewohner, selbst der eingebornen Stammkölner, sind die Erinnerungen an jene Zeiten verwischt, weil die gewaltig wirkenden, alles Bestehende von Grund aus umgestalteuden Begebenheiten des neunzehnten Jahrhunderts, das für ganz Europa eine neue Zeit in seinem Schooße trug und unter den furchtbarsten Wehen gebar, auch den Einzelnen dergestalt für die so reichbewegte Gegenwart in Anspruch nahmen, daß für die Vergangenheit selbst die Erinnerung nicht mehr blieb. Handelt es sich aber von Brauch und Sitte der Vergangenheit einer historisch wichtigen Stadt, wie Köln, in der sich, besonders was ihre Rechtsverhältnisse angeht, ein so ganz eigenthümliches Leben urkräftig gebildet und entwickelt hat, kann es nichts Charakteristischeres geben, als ihre Rechtsgebräuche bei der höheren, wie bei der niederen Rechtspflege. Versuchen will ich, dieselben wenigstens in Umrissen zu schildern.

Noch ehe Köln durch Otto IV. seit 1212 reichsunmittelbare freie Stadt, war des Kaisers Vertreter der Stadtgraf, Comes Coloniae oder Urbis comes, selbst Präfectus. Seit 953 war durch Otto I. dem Erzbischofe Bruno die Gerichtsbarkeit als Lehen verliehen, doch lag nach altem Herkommen die Criminal-Justiz in den Händen der alten Geschlechter, der die Stadt fünfzehn zählte, aus denen die Richerzechheit, d. h. die Zeche, die Innung, Gemeinschaft, der Richen oder Machthabenden sich bildete, welche unter Beisitz des Schöffenstuhls die ausubende Gewalt besaßen und gegen die Erzbischöfe in blutigen Kämpfen behaupteten.

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Die Richerzechheit, deren Mitglieder potentiores, meliores, prudentiores genannt wurden und als Auszeichnung Gewänder mit Pelz verbrämt und Gold verziert trugen, hatten neben sich 24 Schöffen, die keine Leibesgebrechen haben, nicht buckelig, einäugig, lahm, taub, stammelnd sein durften, und unbescholtenen Rufes sein mußten. Aus ihnen wählte die Richerzechheit jährlich die magistri civium, die Burgmeister, d. h. Vorsteher der Geburschaften oder Nachbarschaften, welche der inneren Stadtverwaltung vorstanden. Unter der Schöffen-Bruderschaft stand das gesammte Rechtswesen: “dictant sententias, dictant, quid juris” sagt der Schied des Jahres 1268. Die Schöffen wurden eingetheilt in Schöffenamtleute, Schöffenmeister, gemeine Schöffen und Schöffenbrüder. Nach den Nachbarschaften oder Geburschaften, in welche die Stadt getheilt war, wurde die niedere Rechtspflege, bei Schuldklagen, kleineren Vergehen, von den Vorstehern der Pfarrsprengel, den Burgmeistern geübt.

Durch die Empörung der Zünfte im Jahre 1369 wurde die Richerzechheit ausgehoben, der Schöffenstuhl vom Rathe getrennt und festgesetzt, daß die Schöffen nicht mehr zum Bürgermeister-Amte gelangen durften. Die ausübende Gewalt blieb zwar noch in den Händen des engen Rathes der Geschlechter, zu der gesetzgebenden Gewalt wurden jedoch aus der Bürgerschaft, den Gaffeln Ausschüsse gewählt, welche den weiten Rath bildeten. Die Mitglieder des engen Rathes führten den Titel der obersten Räthe, die anderen hießen die gemeinen. Und diese Verfassung blieb ungeändert, als 1372 die hochfahrende Weberzunft besiegt, aus der Stadt verwiesen, ihr Zunfthaus auf dem Heumarkte niedergerissen und an dessen Stelle, gleichsam zum Hohn, die Fleischhalle errichtet wurde.

Die Schöffen, welche ihre Hoffnungen, wieder Antheil am Rathe zu erlangen, vereitelt sahen, wiegelten den Erzbischof Friedrich von Saarwerden (1370 – 1414) gegen die Stadt auf. Wie gefahrdrohend auch ihre Lage, die Kölner gingen siegreich aus dem Kampfe, hatte sie selbst der päpstliche Bann getroffen, weil sie 1375 St.Heribert’s-Münster in Deutz zerstörten. Im Jahre 1377 wurde der Bann aufgehoben und Friede mit dem Erzbischof geschlossen.

Eben so glücklich wurde die Gefahr besiegt, als Hilger Kleyngedank, genannt von Stessen, zum Verräther an dem Gemeinwesen werden wollte.

Es kam zwar zu neuem Kriege mit dem Erzbischofe, und bald darauf zu offener Fehde der Gemeinde gegen die Geschlechter, welche die Macht, die sie besessen und ihre Niederlage nicht vergessen, nicht verschmerzen konnten.

Mancherlei Umtriebe ließ sich der enge Rath gegen die Gemeinde zu Schulden kommen; doch nahm diese blutige Rache. Am 4. Januar 1396 halten die Zünfte strenges Gericht. Dreizehn Rathsmitglieder, die gegen die Gemeinde gefrevelt, ihre Freiheiten bedroht, werden gefänglich eingezogen, und Heinrich von Stave, Hilgers von der Stessen’s Oheim, und Heidgen von Kessel, als Führer der Partei der Edlen, auf dem Heumarkte enthauptet. Auch Hilger wird gefangen; die Tortur erpreßt ihm das Geständniß seiner Schuld, und sein Haupt fällt ebenfalls auf dem Blutgerüste.

Rache sinnend hatten die edlen Geschlechter im Juni desselben Jahres eine nächtliche Versammlung auf der Airsburg in voller Rüstung. Die Zünfte, stets das Schlimmste befürchtend und daher fortwährend auf ihrer Hut, stürmen die Airsburg, überfallen die Versammlung und machen mehrere der Edlen zu Gefangenen. Verbannung trifft die Mehrzahl der obersten Rathsherren, ihre Güter werden zum Nutz und Frommen der Stadt eingezogen. Die Verfassung wird ganz demokratisch umgestaltet, und festgesetzt durch die Union, den “Verbundbrief”, gegeben, beschworen und untersiegelt 1396. Der Verbundbrief wurde allhalbjährlich auf jeder Zunft oder Gaffel verlesen, wie dies auch beibehalten, als man denselben durch den Transsix erneuert und gefestigt.

Der Kaiser hatte in der freien Reichsstadt das Recht des Schwertes, mit dem er einen Burggrafen belehnte. Als der Burggraf Johann von Arberg 1279 darauf verzichtete, belehnte der Kaiser den Erzbischof mit diesem Rechte, dem es von Arberg, obwohl die Familie 110 Jahre im Besitz des Amtes gewesen, gegen eine Geldsumme abgetreten hatte. Die Erzbischöfe beanspruchten dasselbe von jeher, da sie sich die Grundherren der Stadt nannten. Dies die Hauptursache der Kämpfe der Bürger gegen die Erzbischöfe, weil diese die Stadt nicht als eine freie Stadt des Reiches anerkannten, als eine bischöfliche betrachteten.

Das Criminalgericht, Judicium Scabinatum, oder wie es später hieß, das kurfürstliche hohe weltliche Gericht, stand unter dem Erzbischofe, dem Burggrafen, Advocatus der Stadt, welcher den Vorsitzer desselben, den Greven, “vicecomes” selbst als seinen Stellvertreter ernannte. Bestand auch der Rath darauf, daß dieser Grev oder Graf ein eingeborner Kölner sein sollte, so nahmen die Erzbischöfe hierauf aber nie Rücksicht. Die Schöffen, zehn an der Zahl, wurden vom Schöffen-Collegium selbst gewählt, mußten aber vom Erzbischofe, dem Kurfürsten bestätigt werden, in Köln geboren und ansässig sein, ganz unbescholtene Männer, guten Leumunds.

Hatten die städtischen Gewaltrichter, oder, wie der Kurfürst sie nannte, Gewaltmeister, einen Verbrecher verhaftet, wurde er zu Thurm gebracht.

War es ein kölnischer Bürger, mußte er förmlich aufgefordert werden, “mit der Sonnen auff einen der Statt Thurm zu gehen”, that er dies nicht freiwillig, dann konnte der Rath ihn greifen lassen, bei Criminal-Verbrechen sollen aber auch die Bürger “der Statt Recht noch Freiheit nicht gebrauchen.” Erwies es sich nach sofortigem Verhör, daß er nicht ohne Grund eines Verbrechens angeklagt, das nicht vor die städtische Jurisdiction gehörte, wurde er unter sicherem Geleit nach dem Frankenthurm geschafft, hier von dem Thurmrichter vernommen, und das über das Verhör von dem Gewalt- oder Thurmschreiber aufgenommene Protocoll, die “Fund- und Kundschaft” genannt, dem Senate zur Begutachtung in seiner Plenar-Sitzung vorgelegt. Ergab es sich, nach genauer Prüfung der Acten, daß der Angeklagte uuschuldig, wurde er sofort in Freiheit gesetzt, oder, daß der Fall nicht vor den Richterstuhl des hohen weltlichen Gerichtes gehörte, durfte der Senat den Angeklagten selbst bestrafen, der Stadt verweisen. Von den Gewaltsrichterdienern, den Schergen, wurde der Angeklagte vor das Thor geleitet, auch wohl mit Handschellen beladen, die zu dem Zwecke im Sitzungssaale hingen. Der Ausgewiesene erhielt drei Mark kölnisch als Zehrpfennig, und allen, einer solchen Verweisung beiwohnenden Kindern wurde ein Glas Wein und ein Zuckerplätzcheu zur Erinnerung an den Vorfall gereicht.

War der Verhaftete eines wirklichen Verbrechens bezüchtigt, das vor das Forum des hohen weltlichen Gerichts gehörte, und dies aus dem Verhöre, durch die Kundschaft bestätigt, dann mußten die Thurmrichter dem hohen weltlichen Gerichte die Anzeige machen und zwar im Dome, wohin zwei Schöffen mit ihrem Schreiber beschieden wurden. Es darf uns dies nicht auffallen; die Kirche wurde ursprünglich zu Versammlungen, Gerichtssitzungen, und zu Geschäften gebraucht, bei denen die Oertlichkeit in Betracht kam und irgend etwas Schriftliches nöthig war. Es wurde hier Act aufgenommen, und, mit Ueberreichung dieses Actes, das hohe weltliche Gericht aufgefordert, die Anmeldung entgegen zu nehmen. Nachdem der Grev in gehöriger Form jetzt aufgefordert worden, die Tagesfahrt zu bestimmen, den Verbrecher in Empfang zu nehmen, bestimmte Jener dem Senat Tag und Stunde, waun er den Verbrecher übernehmen wolle. Dies wurde dem Senat durch die Thurmrichter mitgetheilt.

Am bestimmten Tage zogen die Thurmrichter und Gewaltrichter, nebst dem Greven, seiuen Adjuncten und den jüngeren Schöffen nach dem Frankenthurm. Der Grev begab sich dann mit seiner Begleitung nach dem Audienzsaale des Rathes und mußte hier erst vom Grevenboten angemeldet werden. Dem von den Schergen des Gewaltrichter-Amtes herbeigebrachten Verbrecher wurde nun Alles, was ihm zu eigen, förmlich überreicht, und er dann wieder bis zum Frankenthurm geführt in Begleitung des Greven, seiner Beigeordneten, seines Schreibers und seiner Schergen. Den Verbrecher stellte man mit dem Rücken gegen den Thurm, worauf der älteste Gewaltrichter sich in letzterer Zeit mit folgenden Worten an den Greven wandte: “Nachdem Zugegenstehender eines Verbrechens schuldig angesehen worden, daß ein ehrsamer hochweiser Senat veranlaßt ist, selbigen dem peinlichen Richter zu übergeben, so wird derselbe mit Schuld und Unschuld hiermit geliefert, gestatten demselben Recht und kein Unrecht widerfahren zu lassen, uud wird zugleich die Fund- und Kundschaft hiermit übergeben.”

[Daher noch die kölnische sprüchwörtliche Redensart: Dae es geliffert – er ist verloren, dem Tode verfallen.]

Der Grev, den Verbrecher seiner Begleitung überweisend, antwortete: “Ich nehme die mir sistirte Person an zum peinlichen Recht, und werde derselben nach Inhalt der Karolinischen Ordnung die Justiz widerfahren lassen.”

Dann wurde der Delinquent nochmal befragt, ob ihm sein Eigenthum zurückerstattet, und den Schergen des hohen Gerichts übergeben, die ihn in das Criminal-Gefängniß, den “Greven-Keller”, abführten, der sich stets in der Wohnung des Greven befand, der letzte im Berlipp’schen Hofe, als der Wohnung des letzten Greven (1790), Freiherrn Friedrich von Mering.

Der Grev mußte dieses Gefängniß, oder den Stock, an seinem Hause bauen lassen und für die Verwahrung des Gefangenen Sorge tragen. Der Wohnsitz des Burggrafen, seine Amtswohnung, hieß aus diesem Grunde seit den ältesten Zeiten “Stockhaus”; so finden wir in einer Urkunde Erzbischofs Siegfried’s vom Jahre 1279 “domus Burggravii Stockhuis.” Da zuweilen der Kurfürst das Recht beanspruchte, den Verbrecher ohne Urtheil und Recht aus dem Greven-Keller frei zu lassen, hielten der Rath oder Senat denselben oft mit seinen Söldnern besetzt, wie es auch vorkam, daß der Senat einen Greven, welcher einen Verbrecher ohne Urtheil und Erkenntniß Rechtes frei gelassen, selbst gefangen nahm und nach Umständen strafte.

War der Verbrecher überliefert, wurde im Frankenthurm ein vom Senat zu bestellendes Mahl eingenommen, zu welchem der Grev, seine Beigeordneten, der Schreiber, die zwei Thurm- und zwei Gewaltrichter und alle, welche bei der Uebergabe des Angeklagten anwesend waren, geladen. Genau war die Rangordnung, waren die Trinksprüche bei diesem Mahle festgesetzt, und mit der gewissenhaftesten Strenge wurde an diesen Formen gehalten. Es kommen Fälle vor, daß beim Hinaufsteigen in den Conferenzsaal des Frankenthurms die Rangordnung gegen die Stadtbeamten verletzt, und daher der Thurmrichter dem Greven den Eintritt verweigerte, ihn auffordernd, wieder hinabzugehen, um der vorgeschriebenen Rangordnung nachzukommen. Zuerst stieg der Grev die Treppe zum Thurm hinan, ihm folgte der älteste Schöffe mit dem ältesten Thurmrichter, und so die übrigen, zu je zwei, nach dem Range des Alters. Der Grev nahm den Ehrenplatz an der Tafel ein, ihm zur Rechten saßen die Schöffen, zur Linken die Thurmrichter, auch wohl Thurmwärter genannt, sodann die Gewaltrichter und die Schreiber.

Nach der Karolinischen Ordnung wurde nun in der Wohnung des Greven, wo auch die Folterkammer, der Proceß geführt und das Urtheil gesprochen. War das Urtheil gefällt, wurde der Delinquent am Tage vor dessen Verkündigung aus dem Greven-Keller nach dem städtischen Criminalgefängniß der “Hacht” (Haft) auf dem Domhof durch des Greven Schergen gebracht.

Einige Schläge an die auf dem Domthurme hängende Armsünderglocke [Daher die kölnische sprüchwörtliche Redensart: “Et haett jeklepp””, will man bezeichnen, daß es mit Jemanden zu Ende geht.] verkündete am folgenden Tage der Stadt, daß der Verurtheilte zum hohen weltlichen Gerichtsgebäude, das an der Südseite des Domes lag, wo jetzt der Reißboden der Steinmetzhütte erbaut, geführt wurde. Hier saß auf einer Tribune der Grev unter freiem Himmel, umgeben von den Schöffen. Der Verbrecher ließ sich vor derselben auf die Kniee nieder, worauf der Grev ihm sein Urtheil vorlas. Lautete dasselbe auf den Tod, dann erhob sich der Grev, faßte mit beiden Händen ein weißes Stäbchen, trat einige Schritte vor, brach das Stäbchen entzwei und warf dem Verurtheilten die Stücke vor die Fuße, mit den Worten: “So wahr diese beiden Theile des Stabes nicht mehr in Eins zu bringen, so wahr hast du nach dem Gesetze die Todesstrafe verwirkt, und ich überantworte dich, im Namen des Kurfürsten, dem Scharfrichter.”

Der Nachrichter legte dem Delinquenten die Hand auf die rechte Schulter, mit dieser Berührung war derselbe verfehmt, und führte ihn dann an den blauen Stein, welcher zur Seite der jetzt abgebrochenen neben dem Seminargebäude liegenden Hofpfarrkirche St.-Johann eingemauert war. Mit den Worten: “Wir stüßen dich an den bloe Stein, do küß dingem Vader un Moder nitt mie heim”, stieß er den Verurtheilten dreimal mit dem Rücken gegen den blauen Stein, worauf ihn die Stadtknechte auf den Armsünder-Karren brachten, welchen das Hospital zu Melaten zu diesem Zwecke liefern mußte, und dann gings in langsamem Zuge hinaus zur Richtstätte bei Melaten. Bei dem Delinquenten saß der Armsünder-Pater, der Geistliche, welcher ihm den Trost der Religion spendete.

Während der ganzen Fahrt tonte die Armsünderglocke vom Dome. An den Minoriten und auf der Breitstraße am Hospital zum heiligen Kreuze, dem Zoll-Directionsgebude gegenüber, wurde dem Delinquenten noch eine Ermahnung gehalten. In Melaten angekommen, bot man ihm am Lazarethe der Aussätzigen einen Trunk Weins, und führte ihn dann zum Richtplatze. Der Grev zu Pferde, den Stab in der Rechten, zwei Schöffen, ein Schreiber und ein Grevenbote mußten der Execution beiwohnen. Das letzte Urtheil des hohen weltlichen Gerichts in Köln wurde 1797 vollzogen.

Ein sonderbarer Brauch war der, daß der Grev in Person, von einem Schöffen begleitet, beim Rath die zur Execution nöthigen Stadtfoldaten verlangen mußte. Er begab sich an einem Sitzungstage des Rathes mit einem Schöffen nach dem Rathhause in die Prophetenkammer, ließ einen der ältesten Rathsherren zu sich entbieten, theilte demselben mit, daß dann und dann ein Urtheil zu vollstrecken, und forderte den Rath auf, die Wachtmannschaft zu stellen. Der Rathsherr berichtete dies der Rathsversammlung, worauf der Commandant der Stadtsoldaten die Ordre erhielt, die Mannschaften zu stellen.

Wahrend der Grev sein Begehr den Rathsherren mittheilte, mußte der Schöffe an eine, in dem Saale hängende schwarze Tafel, genannt die kleine “Schickung” (Anordnung) die Worte schreiben: “In causa necessitatis”.

Das Merkwurdige aber dabei war, daß der Schöffe die dazu erforderliche Kreide von dem Burggraven, dem Castellan des Rathhauses nehmen mußte.

Noch im Jahre 1705 kam es vor, daß ein Schöffe bei einer Aufforderung sich eines Stückes Kreide bediente, welches er mitgebracht hatte. Schon waren die Stadtsoldaten bewilligt, da erklärte der Burggräv der Rathsversammlung, der Schöffe habe selbst die Kreide mitgebracht. Dadurch fand sich der Rath veranlaßt, den Befehl an den Commandanten zurückzunehmen und sogar das Ehrenthor, durch welches der Weg zur Richtstätte führte, zu schließen. Vergebens harrte das hohe weltliche Gericht auf die Stadtsoldaten, fand das Thor verschlossen, und mußte unverrichteter Sache mit dem Delinquenten wieder zur Hacht zurückkehren. Da sich am folgenden Tage dasselbe wiederholte, sah sich das Schöffengericht genöthigt, das Urtheil in Auspeitschung und Verweisung zu reformiren, welches nun auch sofort vollzogen wurde.

War ein Verbrecher zur Auspeitschung verurtheilt, so wurde die Strafe auf dem Domhofe vollzogen. War die Strafe noch durch das Brandmarken verschärft, wurde der Verbrecher an den Pranger “Kaeks” (norddeutsch Kaak) Oben-Marspforten ausgestellt, dort gebrandmarkt, bis an die Gränzscheide der Altstadt vom Henker ausgepeitscht und dann auf den Schub gebracht oder nach Bonn ins Spinnhaus. [An der Gränzscheide der Altstadt an St. Johann lag eine Bäckerei, das Schmitz-Backhaus, bis dahin dauerte der Staupenschlag, und daher sagt das kölnische Sprüchwort: “Do bes noch nitt am Schmitzbackes vorbei”, d. h. Du bist noch nicht außer Gefahr.]

Fahrende Weiber, liederliche Dirnen wurden auf dem Frankenthurm mit Ruthen gestrichen, oder sie mußten die “Huiek” tragen, d. h. eine Art hölzernen Kufe, in deren Boden ein Loch, durch welches die Delinquentin den Kopf steckte. Der Henker ging hinter ihnen und schlug von Zeit zu Zeit mit einem Hammer auf die Huick. Holländisch heißt “huiek” Frauenmantel, im Norden Deutschlands Heuken Mantelkragen. Beheuken heißt im Kölnischen anführen, betrügen. Nach der Reformation der alten Rechte vom Jahre 1473 wurden Kupplerinnen und Hurenwirthe an den Käcks (Pranger) gestellt, auf die Backen gebrandmarkt und mit Ruthen aus der Stadt gepeitscht. Bigamie, Ehebruch wurde auf dieselbe Weise bestraft, nur mußten die Ehebrecherinnen einen Strohkranz und in beiden Händen gelbe brennende Wachslichter tragen. Vor Vollzug des Urtheils mußten die Verurtheilten Urphede schwören, d. h. sich weder direct noch indirect des Urtheils wegen zu rächen. Liederliche Weibspersonen, die zum Huicktragen verurtheilt, wurden unter Jubel des Straßenpöbels an die Häuser der regierenden Bürgermeister, der beiden Thurmrichter und der beiden Gewaltrichter geführt, und ihnen an diesen Häusern ein Glas Wein gereicht, worauf das Glas zerbrochen wurde. Ehebrecher, wie auch Verleumder, wurden zum Steintragen verurtheilt, sie mußten in publica pompa zwei viereckige, mit einer Kette verbundene Steine vom Frankenthurm, unter Pösten, die Neugasse hinauf zum Dom tragen, hier vor dem Dreikönigen-Chörchen ein Gebet verrichten, und dann durch die Hacht, über den Altenmarkt nach St. Maria im Capitol, wo die Steine in der Vorhalle aufgehängt wurden. Der Angeklagte trug die Kette um den Hals und in jeder Hand einen Stein.

Solcher Schandsteine kommen in einzelnen Gemeinden Frankreichs und Italiens vor, wo sie Fratzenköpfe vorstellten, hier waren sie glatt gehauen. Bei solchen Executionen fehlte das Glas Wein und die Zuckerherzchen für die unschuldigen Kinder nie.

Eine Policeistrafe bestand auch darin, daß die Weiber unter den auf dem Neumarkte für die Funken stehenden hölzernen “Strafesel”, auf dem diese ihre Strafe abbüßen mußten, mit dem Kopf in den Block gesperrt wurden. Für Bauern, welche zu leichtes Gewicht führten oder sonst auf dem Markt Betrug übten, bestand am Nordende des Altenmarktes das “Drillhäuschen”, ein großer eiserner, in Zapfen gehender Käfig, in den sie gesperrt wurden zum größten Jubel der Straßenjugend, welche den armen Sunder drillte, d. h. bis zum Schwindel herumdrehte, und dabei mit Straßenkoth und faulen Eiern tractirte.

Neben dem hohen weltlichen Gericht bestand das geistliche Hof-Gericht, das Officialat, welches, nach dem 1503 zwischen dem Erzbischofe Hermann Landgraf zu Hessen und der Stadt getroffenem Uebereinkommen, in weltlichen Dingen nicht Recht sprechen durfte. Der Bürger, der sich in solchen Dingen klagend an dasselbe wandte, wurde auf einen Monat mit Wasser und Brod zu Thurm gebracht. Jeder Bürger, der sein Bürgerrecht nicht verwirkt, hatte, wenn er vom Official des Hofes vor Gericht geladen, der “Stait Cöllen Fürwardt, sicherheit und Geleide”.

An Gerichten war in der freien Reichsstadt Köln übrigens kein Mangel, da gab es: ein Appellations-Gericht, ein Bürgermeister-Ge-richt, ein Raths- und Amts-Gericht, ein Thurm-Gericht, ein Gewalt-Gericht, ein Fiscal-Gericht, ein Hacht-Gericht, ein Unterlahn-Gericht, die Weinschule; außer dem Bering der Altstadt, das After-Dechaneyliche-Gericht auf dem Entenpfuhl, das Dilles-Gericht, die Niedericher- und Airsbacher-Gerichte, die Erbvogteilichen-, Gereons-, Eigelstein- und Weyerstraßer-Gerichte, das St.-Gereons-Gericht unter der Houben, das Probsteiliche Severins-Gericht und das Abtei-weltliche Gericht Weyerstraß. Und welch ein Proceß- Verfahren und -Gang nach gemeinem deutschen Rechte und den Statuten der Stadt Köln?

Als Curiosum der peinlichen Halsgerichtsordnung des Kurfürstenthums Köln füge ich ein Reglement für den Nachrichter aus dem Jahre 1757 bei.

“Obwohlen der Erz-Stift: Kölnischer Nachrichter mit einem beständigen Jahrgehalt von achtzig einem Reichsthaler Species, zwanzig Albus, zwölf Malter Korn und vier Klafter Holz bereits versehen ist, sich gleichwohl ergeben hat, daß bei und nach verrichteter Exekutionen, auch sonstigen Vorfallenheiten derselbe unter willlürlich und zumal ausschweifendem Ansatz der Churfürstlichen Hofkammer sowohl, als den Beamten fast und Maaß zu setzen, nachstehender Reglement, gestalten demgemäß mit Einforderung des ob jeder Verrichtung ihnen zuerkannter Gebührniß in allem zu geleben, verfasset, und zum Druck befördert worden.

“Reglement.

Rthlr. Alb.
1) Mit 4 Pferden aus einander zu reißen 6 26
2) In 2 Theil zu legen 4 –
3) Zu des Endes erforderliche Stricke 1 –
4) Für diese Theile an 4 Edcken aufzuhenken, darzu erforderliche Strick, Nägel, Ketten, und den Transport mit eingeschlossen 5 26
5) Zu Köpfen und verbrennen insgesamt 5 26
6) Für desfalls nöthige Strick, und den Scheiterhaufen zu legen, und anzuzünden 2 –
7) Zu stranguliren und zu verbrennen 4 –
8) Für Strick, den Scheiterhaufen zu legen, und anzuzünden. 2 –
9) Lebendig zu verbrennen 4 –
10) Für Strick, den Scheiterhaufen zu legen, und anzuzünden. 2 –
11) Lebendig zu rädern 4 –
12) Für Strick und Ketten 2 –
13) Den aufgeflochtenen Körper mit dem Rad in die Höhe zu richten 2 52
14) Vom Köpfen allein 2 52
15) Für des Endes erforderliche Strick, und das Tuch zur Verbindung des Gesichts 1 –
16) Das Loch zu machen, und den hingerichteten Körper einzuscharren 1 26
17) Von Köpfen, und den Körper aufs Rad zu flechten insgesamt 4 –
l8) Für Strick und Ketten samt Tuch 2 –
19) Eine Hand oder einige Finger abzuhauen und zu Köpfen 3 26
20) Mit einem glühenden Eisen zu brennen 1 29
21) Für Strick und Tuch 1 26
22) Vom Köpfen, und den Kopf auf eine Stange zu stecken insgesammt 8 26
23) Für Strick und Tuch 1 26
24) Vom Köpfen, den Kopf aufs Rad zu flechten, und den Kopf auf eine Stange zu stecken insgesamt 5 –
25) Für Strick und Tuch 2 –
26) Vom Henken 2 52
27) Für des Endes gebrauchter Stricke, Nägel und Kette 1 26
28) Einen Delinquenten vor sonstiger Execution mit glühenden Zangen zu greifen, von jedem Griff, nebst eben Respecetu supplicii ausgeworfener Gebühr – 26
29) Die Zunge ganz, oder ein Stück davon zu schneiden, nachgehend mit einem glühenden Eisen zuzubrennen, insgesamt 5 –
30) Für darzu gebührende Strick, Zang und Messer 2 –
31) Eine abgeschnittene Zung, oder abgehauene Hand an den Galgen zu nageln 1 26
32) Einen, so sich selbst erhenkt, ertränkt, oder sonsten entleibt, abzuschneiden, wegzubringen, das Loch zu machen und zu verscharren 2 –
33) Eine Person der Stadt oder des Landes zu verweisen – 52
34) Im Gefängniß zu streichen, einschließlich der Ruthen 1 –
35) Abzuschlagen – 52
36) An den Pranger zu stellen – 52
37) An den Pranger zu stellen und auszustreichen, einschließlich der Strick und Ruthen 1 26
38) An den Pranger zu stellen, zu Brandmarken und auszustreichen, einschließlich der Kohlen, Strick und Ruthen, auch der Brandsalb 2 –
39) Einen Inhaftirten visitiren, ob er gebrandmarket – 20
40) Die Leitern an Galgen zu setzen, es möge einer oder mehrerer auf einen Tag gehenket werden 2 –

Der Tortur belangend.
41) Für Beschröck oder Vorlegung der peinlicher Instrumente 1 –
42) Pro primo gradu Torturae 1 26
43) Für Einrichtung und Schmerzung der Daumen quod istum gradum – 26
44) Pro secundo gradu, einschließlich der Einrichtung und hinterlassen der Salb 2 26
45) Wird über eine Person per omnes Gradus torquirt, sollen dem Nachrichter pro omnibus gradibus simul die Einrichtung der Glieder und hinterlassende Salbe mit einbegriffen zahlt werden 6 –
46) Für Reise- und Tag-Geld per jeden Tag, ausschließlich jedoch Exekutions oder Torturae-Tages, es mögen dann ein oder mehrere Missethätige justifizirt oder torquirt werden – 48
47) Für tägliche Verpflegung 1 26
48) Für jeden Knecht – 39
49) Für eines Pferdes Heuer Fourage und Stallgeld täglich 1 16
50) Wird in Köln die Tortur oder sonstige Exekution verrichtet, solle der Nachrichter bloßhin mit denen des Ends ausgeworfenen Exelutions-Gebührnissen, ohne Aufrechnung einiger neben Kosten, als da seind Reise-Tag-Geld, Verpflegung, Pferds-Heuer und Fourage bloßhin mit denen dißfals ausgeworfenen Exekutions-Gebührnissen sich begnügen lassen.
51) Bei Verrichtung derer Exekutionen zu Melaten und Deuz hat derselbe nebst vorhin ausgeworfenen Gebührnissen für Pferds-Heuer 60 Albus, und weiter nichts zu genießen.
52) Da in gegenwärtigem Reglement Postae 16, 32, 40 ins Waffenmeisters Verrichtungen einschlagen, also solle auch der Waffenmeister dießfalsige Gebührnissen allein zu empfangen haben.
53) Würden nun vorspecificirte Verrichtungen in denen verpfändeten Aembtern und unter Herrlichkeiten hiesigen Erzstifts, oder wohe derselbe keine Bestallung hat, vorgehen, solle der Nachrichter ein dritter Theil mehr, als vor specifizirt, der Ursachen gegeben werden, weilen derselbe ohne Zuthuen der Unterherrn und Pfandes-Einhaberen aus Churfürstl. Kameral Mitteln seine jährliche Bestallung genießet.
54) Inmittels solle derselb allein, und kein Fremder von Unterherrn und Pfandes-Inhabern bei allen vorfallendenden Exekutionen gebraucht werden.
55) Weilen auch mehrmal Beschweer geführt worden, daß bei vornehmender Exekution, wo ein Beamter zum erstenmal präsidirt, der Nachrichter, nebst denen ordentlichen Gebührnissen ein sicheres Pfand, oder anstatt dessen ein Stück Geld zu prätendiren sich unterstehet, und dann solche Prätension als ein Mißbrauch anzusehen, als wird selbige gemeltem Nachrichter ein für allemal hierdurch untersagt.

“Ergehet solchem nach an alle und jede Erzstifttische Beamten hiermit der Befehl, bei vorstehendem Reglement fest zu halten, dem Nachrichter die darin ausgeworfenen Gebührnissen und weiter nichts in Loco Executionis jedesmal zu zahlen, und sothane Zahlung seiner Zeit bei Churfürstl. Hofkammer mit hinlänglichem Beleg zu verrechnen.
“Bonn, den 16. Januar 1757. (L. S.)”

Dies ist ein Auschnitt aus dem Buch Köln 1812, mehr Infos dazu hier. Das Inhaltsverzeichnis zum Buch, in dem die online verfügbaren Abschnitte verlinkt sind, ist hier zu finden.