Straßenbilder aus Rom

Beitragsbild

Seit am 26. Januar 1871 Rom öffentlich zur Hauptstadt Italiens erklärt worden ist, hat es sich in überraschender Weise entwickelt. Bei aller Pietät gegen die Denkmäler der Vergangenheit mußte vieles Alte weichen, um die Stadt im modernen Geiste und gemäß den Bedürfnissen eines großen Volkes umzugestalten, manche prächtige Paläste sind der Bauspekulation zum Opfer gefallen, die Tiberregulirung hat malerische Stadttheile beseitigt und um den Bahnhof erheben sich neue Häuserviertel, die sich in nichts von Wiener oder Berliner Miethsbauten unterscheiden.

Trotzdem braucht der nach Rom kommende Vergnügungsreisende oder Künstler nicht zu fürchten, daß es ihm an würdigen und interessanten Gegenständen der Beobachtung fehle. Noch stehen die Ruinen der römischen Kaiserzeit, noch erzählen Kirchen, Paläste und Denkmale von der Renaissanceperiode, und das römische Volksleben bewegt sich noch immer in Formen, die dem müßigen Beobachter wie dem Künstler die fesselndsten Motive bieten.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Ein Spaziergang durch die Straßen Roms, zu welchem wir jetzt unsere Leser einladen, genügt, um den Beweis dafür zu liefern. Da fällt uns zunächst auf, in wie hohem Maße der Römer in der Oeffentlichkeit lebt. In manchen Stadttheilen werden noch jetzt alle Gewerbe auf der Straße betrieben und selbst der Barbier schabt und kratzt seine Kunden im Freien (siehe Skizze 3 unserer Illustration). Ein mächtiger Schirm schützt vor Sonne und Regen, die Handtücher und Servietten trocknen auf einer zum Hause gezogenen Leine.

Ebenso ungenirt geht es bei den mit ihren aus der Campagna jeden Morgen in die Stadt kommenden Milchhändlern zu. Mit lautem Rufe treiben diese wildaussehenden ihre langgehörnten Thiere durch die Straßen, halten hier vor einem Café, dort vor einem Miethshause an, um den herbeieilenden Kunden sofort die gewünschte Menge Milch in den mitgebrachten Topf hineinzumelken (Sizze 1).

Strassenbilder aus Rom
Straßenbilder aus Rom. Nach Originalskizzen von E. Hofang. 1. Ziegenmilchverkäufer aus der Campagna. 2. Auktionator, zur Versteigerung einladend. 3. Straßenbarbier. 4. Modelle an der Spanischen Treppe. 5. Konzert auf dem Monte Pincio. 6. Bocciaspiel vor einer Osteria. 7. Straßenmusikanten. 8. Päpstliche Palastwache im Vatikan.

Nicht minder charakteristisch für das Straßenleben Roms als die Ziegenhirten sind die Gestalten der Pifferari, arme Straßenmusikanten, die mit Dudelsack und Oboe aus den Abruzzen niedersteigen, und vor den Häusern ihre eintönigen Weisen herleiern (Skizze 7). Eines dieser Naturgenies, die als echte Bergsöhne noch Sandalen an den Füßen tragen, singt wohl auch ein uraltes Lied, meistens religiösen Inhaltes. –

Höchst auffallend und aufdringlich kündigen sich jene billigen Händler an, welche man auch zuweilen auf unseren Jahrmärkten findet, wo sie im Tone eines Auktionators ihre Waare ausrufen und sich beständig selbst unterbieten. Der römische Händler von jener Art fährt noch heute ganz im Style der mittelalterlichen Marktschreier mit einem buntbemalten Wagen, worin sich die Verkaufsgegenstände befinden, durch die Straßen und sucht durch musikalisches Getöse, sowie durch laute Anpreisung seiner Waare die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden zu erregen (Skizze 2).

Auf dem Monte Pincio, der beliebtesten Promenade Roms, findet man gegen Abend die vornehme Welt versammelt. Wer die schönen Römerinnen der oberen Stände bewundern will, muß sich dorthin begeben. Einige Male in der Woche spielt auf dem großen runden Platze hinter dem Halteplatze der Wagen eine Militärkapelle (Skizze 5); von dort aus hat man auch einen herrlichen Blick auf einen Theil der Stadt, besonders auf die im Westen aufragende Peterskirche und den Vatikan.

Während sich dort die vornehme Welt ein Stelldichein gibt, vergnügt sich vor den Thoren das Volk in den Osterien beim allbeliebten Bocciaspiele. Man wirft auf einer harten Lehmbahn nach einer ausgesetzten kleinen Kugel, dem Lecco. Diejenige Partei, der es gelingt, möglichst viele Kugeln der ausgesetzten am nächsten zu bringen, hat gewonnen. Bei diesem Spiele offenbart sich die ganze angeborene Anmuth und Gewandtheit, aber auch Leidenschaftlichkeit des Italieners. –

Vom Monte Pincio führt uns der Weg direkt nach der Spanischen Treppe, wo man des Vormittags Modelle herumstehen, sitzen oder liegen sieht (Skizze 4). Dort und in der oberhalb der Treppe beginnenden Via Sistina findet der Maler die Vorbilder für Banditenköpfe wie Johannesgesichter, Madonnen wie Megären; auch reizend zerlumpte und schmutzige Kinder mit Engelsphysiognomien sind um Stundenlohn zum Modellstehen zu haben.

Endlich versäumen wir nicht, dem Petersplatze einen Besuch abzustatten. Am Eingange zum Vatikan haben wir Gelegenheit, die päpstlichen Wachen zu sehen (Skizze 8). Vor Allem auffallend und malerisch machen sich die Schweizer in Landsknechttracht. Bei festlichen Gelegenheiten stehen am Portale Leibgardisten mit Hellebarden und Helm mit Federbusch. Außer diesen gibt es es noch verschiedene bewaffnete Corps im Vatikan, die zum Schutze des ungeheuren Palastes mit seinen Kunstschätzen dienen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Heft 6/1890 des das Buch für Alle.