Eine königliche Forschungsreisende

Von Eugen Wolf, Rottmannshöh (Starnbergersee). In der langen Reihe unserer wissenschaftlichen Reisenden nimmt die Prinzessin Therese von Bayern einen ehrenvollen Platz ein. Die Prinzessin ist am 12. November 1850 geboren, als einzige Tochter des Prinzen Luitpold, dessen Gemahlin, Prinzessin Augusta von Toskana, starb, als Prinzessin Therese 13 Jahre zählte.

Die Königin-Mutter Maria nahm sich der begabten Prinzessin an, die für Naturwissenschaft und Mathematik schon frühzeitig Vorliebe zeigte. Die gewonnenen wissenschaftlichen Kenntnisse bereicherte die Prinzessin durch Selbststudium unter besonderer Berücksichtigung der Länder- und Völkerkunde, Zoologie, Paläontologie und Botanik. Außergewöhnliches Talent besitzt sie für fremde Sprachen, deren sie zwölf beherrscht. Vom Jahr 1871 ab unternahm die Prinzessin ausgedehnte Reisen, die sie durch ganz Europa, Nordafrika, Kleinasien, Nordamerika, Westindien, Venezuela, Kolumbien, Ekuador, Peru, Bolivien, Chile, Argentinien und Brasilien führten.

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Unter meistens glücklich durchgeführtem Inkognito hat Prinzessin Therese von Bayern ihre Forschungsreisen unternommen, die, unter den beschwerlichsten Umständen ausgeführt reiche Ergebnisse für die Wissenschaft gebracht haben Nicht nur unsere Museen können sich einer Anzahl höchst seltener und wertvoller Gegenstände als Geschenke der Prinzessin Therese rühmen; sie hat auch in der königlichen Residenz in München eine eigene naturwissenschaftliche und ethnographische Sammlung angelegt, die manchem Museum zur Zierde gereichen würde. Den gewöhnlichen Neugierigen sind diese Schätze nicht zugänglich, aber denen, die wirkliches Interesse an den Ergebnissen einer Forschungsreise haben, werden sie von der hohen Frau in liebenswürdigster Weise geöffnet, und häufig übernimmt sie selbst die Führung in ihrem Museum.

Prinzessin Therese von Bayern

Sie ist Ehrenmitglied der Geographischen Gesellschaften in München, Lissabon und Wien, Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften und Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der Ludwig Maximilians-Universität in München, Ehrenmitglied des Vereins für Naturkunde ebendaselbst, der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Nürnberg, der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, korrespondierendes Mitglied des Entomologischen Vereins in Berlin u. s. w.

Ihr erstes umfangreiches Werk, teilweise mit eigenen Illustrationen, erschien im Jahr 1885 unter dem Titel „Reiseeindrücke und Skizzen aus Rußland“ von Th. v. Bayer. Ein anderes Werk über ihre erste Reise nach Brasilien, an dem sie acht Jahre gearbeitet hat, nimmt einen hervorragenden Platz in der wissenschaftlichen Litteratur ein. Ein drittes, auch zum Teil von ihrer Hand mit Zeichnungen versehenes Buch, das sie im Jahr 1889 veröffentlichte, führt den Titel „Ueber den Polarkreis“ von Th. v. Bayer. An kleineren Aufsätzen aus ihrer Feder sind unter anderen bekannt: „Ausflug nach Tunis“, „Augusta Ferdinande, Prinzessin Luitpold von Bayern, geb Prinzessin von Toskana“, „Cattleya Schilleriana Lind, Neuberts deutsches Gartenmagazin 1891“, „Ueber einige Fischarten Mexikos und die Seen, in welchen sie vorkommen“ (Denkschriften der mathematisch· naturwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften zu Wien, Band LXII.) ferner „Zweck und Ergebnisse meiner im Jahr 1898 nach Südamerika unternommenen Reise“ u. s. w. Außerdem sind in Zimmermanns „Fürstliche Schriftsteller des 19. Jahrhunderts“ verschiedene Gedichte der Prinzessin veröffentlicht.

Zahmes Gürteltier im königlichen Schloß zu München
Brasilianische Aeffchen im Münchener Residenzschloß

Im Jahr 1888 unternahm Prinzessin Therese mit einem ganz kleinen Gefolge eine fünfmonatige Reise nach Brasilien, 1893 eine zweite Forschungsreise nach Nordamerika, auf der sie von Kanada bis Südmexiko siebzehn verschiedene Indianerstämme kennen lernte.

Nach Verarbeitung der wissenschaftlichen Resultate dieser Reise folgte 1898 eine dritte sechsmonatige Reise nach Zentralamerika, nach der Westküste von Südamerika und von da landeinwärts über die Anden nach der Ostküste von Südamerika, in Begleitung der Baronin Laroche und des Kammerherrn Baron Albert Speidel.

In ethnographischer Beziehung am interessantesten dürfte die Reise zu den Botokuden gewesen sein, am Rio Doçe in Brasilien 1888.

Landschaftliche Reize boten am meisten die Fahrten auf dem Amazonenstrom und die Reisen im Gebiet des Rio Magdalena in Kolumbien. Die Anzahl der in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Kanada, Mexiko, Westindien, Zentral- und Südamerika, Peru, Venezuela, Kolumbien, Ekuador, Bolivien, Chile, Argentinien, Brasilien gesammelten Gegenstände und lebenden Tiere ist sehr bedeutend. Drei große, im königlichen Schloß befindlichen Räume sind angefüllt mit Vögeln, zum Beispiel Papageien, mit Fischen, Käfern, Schmetterlingen, sonstigen Insekten, Affen, Gürteltieren Eidechsen, Schlangen, Schildkröten, Spinnen, Eichhörnchen, Präriehunden, Rüsselbären, dann mit Pflanzen, Versteinerungen, Vasen und allerlei Ausgrabungen, ferner mit mumifizierten Menschen und Tieren.

Wie gewissenhaft die Prinzessin bei den Ergebnissen ihrer Forschungsreisen in den Einzelheiten vorgegangen ist, hat man Gelegenheit zu beobachten, wenn man die naturwissenschaftlichen Sammlungen eingehend besichtigt.

Da ist zum Beispiel der Stimmsack eines Brüllaffen ausgenommen und vorsichtig präpariert, und seltene Tierarten, wie zum Beispiel der Horned Toad (Phrynosoma) aus Kalifornien, der Lagothrix humboldtii vulgo Chuluco, ein graubrauner Affe, ein Iguana tuberculata vom mittleren Rio Magdalena, seltene Hirschkäfer (Megasoma Typhon) aus Rio de Janeiro, kleine Kolibris u. s. w.

Wildhauthemd des Indianerhäuptlings One Bull, von Kugeln durchlöchert
Lebensgeschichte eines Indianers, von ihm in Farben aufgemalt

Sie alle sind mit Sorgfalt bearbeitet. Bemerkenswert sind alte indianische ungebrannte Thonvasen aus dem Amazonengebiet, aus Bast gefertigte Netze aus der Provinz Espirito Santo, die den Botokuden zum Tragen ihrer Kinder dienen, Schnitzsachen, wahre Kunstwerke aus dem Mark einer Pflanze hergestellt, merkwürdige Opfertöpfchen von Indianern, Faultierköpfe als Zierat präpariert, Körperschmuck der Ostekuador-Indianer aus den Köpfen des interessanten Pfefferfresservogels hergestellt, altindianische Gewandschließen in Form europäischer Löffel, Federkopfschmuck, Hunderte von Pfeilarten, Stoffe, altperuanischen Gräbern entnommen, altperuanische Kindermumien, nordamerikanische Indianerhäuptlingshemden aus Wildhaut, die mit verschiedenartig gefärbten, gespaltenen Stachelschweinfedern in originellen Mustern bestickt sind, viel interessante Sachen aus Indianerlagern, so z. B. die ganzen Erlebnisse eines Indianers, von ihm in farbigen Bildern auf einem großen Fell aufgemalt (Abb. S. 1400), altmexikanische Götzenbilder aus Silber, Indianerpuppen aus Arizona u. s. w. Auf dem Totenfeld von Ancon hat Prinzessin Therese 54 altperuanische Schädel ausgegraben. Sie hat von einer ihrer Reisen nicht weniger als 215 Arten von Lepidopteren und 15 Arten Raupen, außerdem 70 Arten Koleopteren mitgebracht, von denen manche als neu bestimmt worden sind. Die Prinzessin hat im westlichen Südamerika 91 Species und Varietäten und im östlichen Südamerika noch eine weitere Anzahl von Mollusken gesammelt und in gutem Zustand in die Heimat gebracht. Aber auch in Griechenland, Rußland und in vielen andern Teilen Europas, die die Prinzessin bereist hat, wurde stets eifrig gesammelt und das Gewonnene an, die Museen abgeführt. Der Katalog dieser ethnographischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen umfaßt eine Menge der seltensten und interessantesten Gegenstände aus aller Herren Ländern.

Kopfschmuck einer Hererofrau (Deutschsüdwestafrika)

Für ihre Reisen hat sie die Vorbereitungen selbst getroffen, Feldbetten, Zelte, Kochgeschirr, Konserven ausgesucht, die nötigen Karten beschafft; die Hunderte von Gläsern, die zum Aufbewahren der Tiere in Spiritus nötig waren, die Netze zum Fischfang, die Instrumente zum Schlangenfang, Gewehre zum Erlegen der Vögel und größerer Tiere, Botanisierbüchsen, Pflanzenpressen, Angeln, Gift zum Präservieren, Chemikalien, Watte, Glaskästen, Bestecke für das Ausnehmen der Tiere, kurz und gut, all die Hunderte von Kleinigkeiten, die notwendig für eine erfolgreiche Forschungsreise sind und von denen nichts vergessen werden darf, hat sie persönlich angeschafft und verpackt. Die Fahrten auf dem Amazonenstrom und seinen Nebenflüssen, das tagelange Reisen über Land auf störrischen Maultieren über Stock und Stein unter Mitnahme des Gesammelten, einschließlich eines Krokodils von drei Meter Länge, sind keine Kleinigkeit; namentlich an den Nebenflüssen des großen Magdalenenstroms in Kolumbien mußte meist in Indianerhütten der schlimmsten Sorte, die von Ungeziefer wimmelten, ein provisorisches Lager aufgeschlagen werden. Nach einem kurzen Frühstück, das die Prinzessin bereitete, wurde abgespült, getrocknet, Feldbetten, Zelte und Gepäck zusammengepackt, die von ihr bis tief in die Nacht hinein bearbeiteten Präparate mußten verpackt und an den Sätteln befestigt werden, dann ging es häufig den Vormittag über auf Maultieren weiter bis zur Mittagszeit, um nach kurzem Frühstück und ohne abzukochen, ein schlechtes Lager, häufig nach Dunkelwerden, zu erreichen. Alsdann wurde bei schlechter Kerzenbeleuchtung noch stundenlang gearbeitet, die tagsüber gesammelten Tiere wurden ausgenommen, präpariert, ausgestopft, die dazu gehörenden Etiquetten geschrieben und befestigt, das Tagebuch nachgetragen. Teile der Reisen wurden auch auf Flößen und in Kanoes ausgeführt. Häufig mußte man mit dem vorlieb nehmen, was die Eingeborenen an Nahrungsmitteln zu bieten hatten, aber die Prinzessin ist äußerst anspruchslos in Bezug auf Unterkunft und Verpflegung. Auf den Reisen hat sie stets selbst alles angeordnet und bestellt, die Verhandlungen mit den Eingeborenen über Beihilfe zum Fangen von Tieren geführt. Persönlich erledigte sie die Einkäufe und Besorgungen auf den Märkten, und ihre großen Sprachkenntnisse kamen ihr dabei sehr zu Hilfe.

Aus den Sammlungen der Prinzessin Therese von Bayern

An Enttäuschungen sind solche Reisen mitunter nicht arm; wenn man den Tag über seltene Schmetterlinge und Käfer gesammelt hat und findet morgens, nachdem sie während der Nacht zum Trocknen auslagen, nur noch Reste dessen, was die alles vernichtenden Ameisen zurückgelassen, so ist das für den Gelehrten kein geringer Schmerz und Aerger. Ebenso läßt es sich leicht verstehen daß der Transport von Schmetterlingen und Käfern in Satteltaschen, an denen noch Glasflaschen baumeln, darin sich in Spiritus aufbewahrte Tiere befinden, zu manchem Mißgeschick Veranlassung giebt.

Wohl wenige Fürstentöchter können sich rühmen, ihre Zeit so erfolgreich in den Dienst der Wissenschaft gestellt und sich solchen Strapazen und Entbehrungen ausgesetzt zu haben, um die heimischen Museen zu bereichern und beizutragen zum Ruhm und zur Ehre der deutschen Wissenschaft. Wir Deutsche, insonderheit wir Bayern können stolz sein auf die Forschungsreisende Prinzessin Therese, die geistvolle Tochter des Prinzen Luitpold.

Dieser Artikel erschien zuerst am 26.07.1902 in Die Woche.