Unglück auf der Pariser Weltausstellung

Das tiefbeklagenswerte Unglück, das sich auf dem Gelände der Pariser Weltausstellung begeben und das leider außer schweren Verwundungen einer Anzahl Menschen auch den Tod von neun Personen zur Folge hatte, wirft einen düsteren Schleier auf das sonnige Bild des seiner Vollendung nahen „Triumphs der Arbeit“, wie Millerand in seiner Eröffnungsrede das Stück Welt genannt, das sich hinter dem bunten Riesenportal am Place de la Concorde ausbreitet.

Eine eigentliche Schuld an dem Unfall scheint man den Behörden und speziell der Ausstellungsleitung nicht zuschieben zu können, und das Racheschnauben der nationalistischen Blätter, die nach einem Vorwand suchen, um den Handelsminister Millerand zu stürzen, ist ganz wiedersinnig.

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Thatsächlich war der schmale Steg, den man anlegen mußte, um einen Zugang von dem eigentlichen Ausstellungsgelände nach dem auf einem abgeschlossenen Grundstück errichteten Riesenglobus zu gelangen, noch nicht offiziell abgenommen worden, und die große Zahl der Opfer erklärt sich namentlich daher, daß die Brücke gerade auf eine sehr belebte öffentliche Straße hinabstürzte. Ob die Erbauer leichtsinnig vorgegangen sind, wird die Untersuchung ergeben, auch hier ist man eher geneigt, die Schuld zu verneinen, da es sich hier um ein Material handelt, dessen Eigenschaften noch nicht so vollständig erprobt waren.

Die am letzten Sonntag (29. April) eingestürzte Fussgängerbrücke auf der Pariser Weltausstellung

Die Brücke, die so vielen Menschen den Tod bringen sollte, war eine Konstruktion aus Beton mit einem Eisenskelett. Es wird unsere Leser interessieren, etwas Näheres über dieses Baumaterial, das in letzter Zeit häufiger Verwendung gefunden und dem Fachmänner eine große Zukunft voraussagen, zu erfahren. Beton ist eine Mischung von Zement mit Sand, Kies oder geschlagenen Steinen, deren einzelne Bestandteile sich fest miteinander verbinden.

Eisenrost mit Betondecke
Balkon aus Beton mit Metallstützen

Die Härte des Betons ist ganz außerordentlich und nimmt im Wasser noch zu. Zu Wasserbauten, zu Fundamentierungen, auch für Festungsbauten wurde Beton schon seit längerer Zeit verwandt. Neu ist die Idee, Beton für Bogen mit größerer Spannung, ja sogar für Galerien und Balkone ohne einen zweiten Stützpunkt zu verwenden. Wenn man nun in die Betonmasse entweder eiserne Balken oder auch nur ein eisernes Netz einfügt, kann man es auch für die weitesten Spannungen, die kühnsten Wölbungen gebrauchen, und es übertrifft an Widerstandskraft und Tragfähigkeit sogar die Eisenkonstruktionen von derselben Ausdehnung. Was hat nun das Unglück eigentlich verursacht? – Jedes Bauwerk aus Beton braucht eine gewisse Zeit, um zu erhärten, und in dieser Zeit muß es durch starke Gerüstbauten gestützt werden, bis es erst selbst die Fähigkeit erlangt hat, Lasten zu tragen. Bei der Ueberhastung, mit der jetzt die Ausstellungsbauten fertiggestellt werden, erscheint es wahrscheinlich, daß diese Gerüste viel zu früh entfernt wurden, daß die eigentliche Baumasse noch lange nicht die nötige Festigkeit erreicht hatte, um sich selbst zu stützen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche (Bilder vom Tage).