Unsere Diplomaten im Ausland – 4. Die deutsche Gesandtschaft in Bern

1905: Ueber der ins Berner Seeland führenden, mit mächtigen Bäumen umsäumten Chaussee, in unmittelbarer Nähe von Bern, erhebt sich auf einem Plateau, halb versteckt im Baumgrün, ein vornehmes, altertümliches Gebäude: es ist der Gesandtschaftssitz des Deutschen Reiches. Im Frühling 1901 hat die Gesandtschaft im Auftrag des Reichskanzlers das Besitztum von der Berner Patrizierin Henriette v. Ernst um den mäßigen Preis von 200 000 Fr. erworben.

Die Liegenschaft befand sich von 1846 bis 1873 in den Händen des Engländers James Schuttelworth, mehrere Bauten aus der Zeit weisen auf den englischen Inhaber. Das Hauptgebäude, ursprünglich der Patrizierfamilie v. Fischer gehörend, stammt aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts.

Das Gebäude, “Frohberg” genannt, wurde während einer Reihe von Jahren vom russischen Gesandten v. Hamburger bewohnt, auch die Gesandtschaftskanzlei befand sich darin.

Dr. Alfred von Bülow, deutscher Gesandter in Bern
Frau von Bülow, Gemahlin des Gesandten

Nach Hamburgers Tod zog der deutsche Gesandte Freiherr v. Rotenhan samt Kanzlei ein. Da Rotenhan keine Familie hatte, gebot er über reichlich Raum. Für seinen Nachfolger Alfred v. Bülow aber erwies sich das Gebäude zu klein, und die Kanzlei wurde in die Stadt verlegt. Für die russische Gesandtschaft, die in Bern wenig zu tun hat, wie denn der gegenwärtige russische Vertreter nicht in der Bundesstadt, sondern in Genf, an der Landesgrenze, wohnt, mochte es wohl angehen, die Kanzlei nicht im Stadtzentrum zu führen. In der Schweiz wohnen dagegen 168 451 deutsche Reichsangehörige, und seitdem kein Deutscher sich in einem schweizerischen Kanton niederlassen kann, wenn er nicht ein Zeugnis der Gesandtschaft besitzt, das die deutsche Reichsangehörigkeit und einen unbescholtenen Leumund bescheinigt, haben sich die laufenden Geschäfte der Gesandtschaft und der Verkehr von Landsleuten mit der Kanzlei wesentlich vermehrt.

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Arbeitsräume und Kanzlei der Gesandtschaft befinden sich in dem stattlichen Gebäude der eidgenössischen Bank, fünf Minuten vom Bundesratshaus und der Post, in der ehedem vom Bundesrat Ruchonnet bewohnten Zimmerflucht.

Ecke im Schreibzimmer des Gesandten

Der Gesandtschaftssitz “Frohberg” gewährt dem Auge über die Stadt und die grünen Vorberge hinweg einen reizenden Blick zu den im Silberglanz leuchtenden Recken der Berner Alpen. Hinter dem Gebäude liegt ein hübscher, von großen Bäumen beschatteter Garten. Bei Erwerbung der Liegenschaft waltete die Absicht, den schlichten Bau angemessen zu vergrößern und zu verschönern, namentlich einen Saal für größere Empfänge zu schaffen. Der berechtigte Plan harrt noch der Ausführung. Bis 1901 besaß in Bern allein die französische Botschaft einen eigenen Sitz, die “Favorite”, mit ihr verglichen, nimmt sich das deutsche Gesandtschaftsbesitztum verhältnismäßig recht bescheiden aus.

Blick durch den Garten der Gesandtschaft

Inhaber der Gesandtschaft ist der jüngere Bruder des deutschen Reichskanzlers, der Wirkliche Geheime Rat und kammerherr Alfred v. Bülow, der bereits in den achtziger Jahren während vier Jahren in Bern als Legationsekretär wirkte. Der Berner Posten besitzt größere Bedeutung, als man meinen könnte; die Reichsregierung hat demgemäß von jeher sich durch vorzügliche Diplomaten in der Schweiz vertreten lassen. Generalleutnant v. Röder, Otto v. Bulow, Dr. Busch, v. Rotenhan, Graf v. Tattenbach waren die Vorgänger des jetzigen Gesandten; in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre gehörte Graf Herbert v. Bismarck der Gesandtschaft als Legationssekretär an.

Südseite des Gesandtschafthauses

Alfred v. Bülow war in den Jahren 1891/92 Botschaftsrat in Petersburg; während in Kronstadt die französisch-russische Flottendemonstration erfolgte, amtete er in Petersburg als Geschäftsträger. Er erhielt dann die deutsche Vertretung in Luxemburg bald nach dem Regierungsantritt des greisen Großherzogs Adolph, in den Jahren 1895 bis 1898 fungierte er als Gesandter Preußens an den Höfen von Oldenburg, Braunschweig und Lippe. Die erste Episode des Lippeschen Thronfolgestreits, mit dem Tode des Fürsten Woldemar anhebend und mit dem Regentschaftsantritt des verstorbenen Grafen Ernst aufhörend, fiel in die Tätigkeit des Gesandten v. Bülow. Am 30. Dezember 1898 ward er als diplomatischer Vertreter des Deutschen Reichs bei der Eidgenossenschaft akkreditiert. Herr v. Bülow vermählte sich im Jahre 1884 mit Gräfin Marie Dillen-Spiering, Tochter des kürzlich verstorbenen württembergischen Hofjägermeisters Grafen Dillen auf Dätzingen und Rubgarten in Württemberg. Aus der Ehe ging ein Sohn, zurzeit Leutnant im 20. Ulanenregiment, sowie drei im jugendlichen Alter stehende Töchter hervor.

Salon der Frau von Bülow

Der deutsche Gesandte erfreut sich wegen seines konzilianten, wohlwollenden, schlichten Wesens im Bundesratshaus hohen Ansehens. Als Repräsentant des großen deutschen Reichs nimmt er in Bern eine prädisponierende Stellung ein. Seine Beziehungen zum Bundesrat sind vorzüglich. Als 1902 der Bundesrat den amtlichen Verkehr mit dem italienischen Gesandten Silvestrelli wegen seines schroffen Auftretens abbrach und die italienische Regierung ein gleiches gegenüber dem Schweizer Gesandten Dr. Carlin tat, da hatte die Schweiz es, wie der Bundesrat offiziell anerkannte, den guten, vermittelnden Diensten des deutschen Gesandten in Bern zu verdanken, daß der diplomatische Konflikt am 22. Juli 1902 geschlichtet werden konnte.

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.