In dem reizend am Genfersee gelegenen Vevey begeht die alte Winzerzunft (Confrérie oder Abbaye des Vigerons) in Zwischenräumen von etwa 20 Jahren ein großartiges Winzerfest, das Manche sogar auf römisch-griechischen Bacchuskult zurückführen, während die ersten beglaubigten Nachrichten darüber aber erst aus dem 16. Jahrhundert stammen.
Früher beschränkte man sich auf Festzüge durch die Stadt mit Musik und Gesang, nach und nach aber gestaltete sich die Feier immer großartiger, die in diesem Jahrhundert zuerst 1819, dann 1833, 1851 und zuletzt 1865 staltfand, wo sie weit über 60,000 Schaulustige nach Vevey lockte.
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
Im Sommer 1889 fanden die festlichen Aufzüge des Winzerfestes, an denen sich über 2000 Personen betheiligten, vom 5. bis 10. August auf dem in ein Theater unter freiem Himmel umgewandelten Marktplatze der Stadt statt. Die 12,000 Plätze enthaltenden Tribünen waren am ersten wie am letzten Tage überfüllt.
Kanonendonner und Glockengeläute verkündigten den Beginn der Festlichkeit. Zuerst nahte durch die eine der drei reichgeschmückten Ehrenpforten, welche auf den Schauplatz führten, die Ehrenwache, das Corps der in spanischer Tracht, mit Hellebarden, und nahm Aufstellung, dann kamen die Räthe der Confrérie, gleich ihrem Oberhaupte, dem Abbé, in der Tracht des vorigen Jahrhunderts, und die Winzer, denen Preise gewährt werden sollten. Nun hielt auf einem mit weißen Ochsen bespannten, blau ausgeschlagenen Wagen die Hirtengöttin Pales (siehe unser Bild), umgeben von einer vorwiegend in Blau gekleideten Gruppe von Hirten und Hirtinnen, Gärtnern und Gärtnerinnen, Mähern und Mäherinnen und einer Schaar Kinder ihren Einzug. Durch die beiden anderen Thore erschienen der Zug der Erntegöttin Ceres mit Säern und Säerinnen, Aehrenlesern und Schnitterinnen, Dreschern u. s. w., vorwiegend in Roth, und der Zug des Weingottes Bacchus mit Satyrn, Faunen und Bacchantinnen, die vorwiegend grüne Farben trugen. Jede Abtheilung sang und tanzte, und den Schluß bildeten die Jodler und Alphornbläser; ebenso ward jede Gottheit beim Herantreten die Bühne von ihrem Oberpriester und von ihrem dazu gehörigen Männer- und Frauenchor mit Gesang und Rezitativ begrüßt.
Weiterhin gelangten noch andere Gewerbe und Handwerke, wie jene der Müller, Jäger, Holzfäller u. s. w. zur Darstellung, von denen wieder jede ihr Lied sang; den Schluß machte eine Bauernhochzeit, bei der sämmtliche Trachten der Schweiz vertreten waren. Die Aufführungen begannen meist Morgens um sieben und endeten Mittags um ein Uhr; am Abend des 10. August wurde das Fest, dessen Erfolg ein äußerst glänzender war, durch einen großartigen Ball geschlossen. Die Gesammtkosten, wobei die Auslagen für die Kostüme nicht einbegriffen waren, beliefen sich auf etwa 250,000 Franken.
Dieser Artikel erschien zuerst in Heft 5/1890 des Das Buch für Alle.