Unsere Parlamentarier zu Hause – 3. Reichsgerichtsrat Dr. Spahn

1905, als unbekannter Neuling trat Dr. Spahn im Alter von 36 Jahren in das preußische Abgeordnetenhaus, um hier unter der Führung der “Perle von Meppen”, wie Windthorst von seinen Anhängern genannt wurde, die Reihen des Zentrums füllen zu helfen. Bald darauf erhielt er auch ein Mandat für den Reichstag, und es dauerte nicht lange, so wußte er sich in Reih und Glied seiner Fraktionsgenossen hervorzutun, wobei er sich insbesondere in juristischen Fragen betätigte.

Nach Windthorsts Tod ging die Führung des Zentrums auf den Abgeordneten Lieber über, aber da dieser die Autorität seines Vorgängers nicht zu erreichen vermochte, so traten auch andere Mitglieder dieser Partei mehr in den Vordergrund, und zu diesen gehörte Spahn, dessen Einfluß von einer Session zur andern fortgesetzt stieg. Er pflegte nun bei den Debatten seine Partei nicht nur in juristischen, sondern auch in wirtschaftlichen und Etatsfragen zu vertreten. Nach Liebers Ableben ging die Leitung des Zentrums auf ihn über, aber nur im Reichstag, da er inzwischen aus dem Abgeordnetenhaus ausgetreten war.

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Dieser Austritt geschah indessen nicht ganz freiwillig, er war vielmehr durch seine außerparlamentarische, das heißt durch seine berufliche Karriere, bedingt.

Spahn hat nämlich auch in seinem richterlichen Beruf mit nicht gewöhnlichem Glück seinen Weg gemacht. Am 22. Mai 1846 in Winkel im Rheingau geboren, studierte er die Rechte und wurde im Jahr 1874 Richter. Infolge seiner juristischen Tüchtigkeit wurde er im Jahr 1890 in die Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs berufen, worauf er nach kurzer zeit zum Oberlandesgerichtsrat und später zum Kammergerichtsrat befördert wurde, jedoch unter Belassung als Mitglied der erwähnten Kommission.

Reichsgerichtsrat Dr. Peter Spahn

Auch im Reichstag hatte er einen hervorragenden Anteil an den Verhandlungen über das Bürgerliche Gesetzbuch, indem ihm der Vorsitz der Reichtagskommission zu Beratung jenes großen Gesetzwerks zufiel und er überdies bei den Plenarverhandlungen hierüber als Wortführer seiner Partei fungierte. Nachdem der Reichstag die Beratung über das Bürgerliche Gesetzbuch beendigt hatte, wurde Spahn zum Reichsgerichtsrat befördert. Diese glänzende Laufbahn drohte indessen seiner parlamentarischen Wirksamkeit ein Ende zu machen. Nach der Reichsverfassung konnte ihm zwar der weitere Verbleib im Reichstag nicht streitig gemacht werden, da Beamte eines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag nicht bedürfen.

Anderseits ist aber auch die Vertretung eines Mitglied des Reichsgerichts durch Hilfskräfte nicht statthaft, und so entstand die Schwierigkeit, das Mandat für den Reichstag in Berlin mit dem Amt des Reichsgerichtsrats in Leipzig zu vereinigen. Es wurde indessen ein Ausweg gefunden, und Spahn blieb demnach dem Zentrum als Führer im Reichstag erhalten.

Dagegen mußte er auf den Sitz im preußischen Abgeordnetenhaus verzichten. Als Reichsbeamter hätte er für das Abgeordnetenhaus eines Urlaubs bedurft, und um nicht einen Präzedenzfall zu schaffen, wurde ihm mit Rücksicht auf die Ueberlastung des Reichsgerichts der Verzicht auf das Mandat für das Abgeordnetenhaus nahegelegt. Neuerdings ist ihm aber der Wiedereintritt in das Abgeordnetenhaus doch wieder ermöglicht worden, nachdem er im vorigen Jahr in Fulda zum Landtagsabgeordneten gewählt wurde. Dadurch ist seine parlamentarische Bedeutung natürlich noch gestiegen.

Daß ihm der Wiedereintritt in das Abgeordnetenhaus von maßgebender Seite ermöglicht wurde, ist wohl darauf zurückzuführen, daß sich Spahn für vertrauliche Verhandlungen als sehr geschickt erwiesen hat, und deshalb dürfte es wünschenswert erschienen sein, sein erprobtes Geschick auch im Landtag gebrauchen zu können.

Dr. Spahn mit Tochter in seinem Heim

In dieser Hinsicht hat Spahn als Reichstagsabgeordneter bei verschiedenen Gelegenheiten eine hervorragende Rolle gespielt, insbesondere bei den Verhandlungen über den Zolltarif, wobei er vielfach als Vermittler zwischen dem Reichskanzler und der Zentrumspartei tätig war. Damals spielte bei den Erörterungen über die Aussichten auf eine Verständigung Spahns Zylinder eine beträchtliche Rolle, indem man scherzhaft den Stand der Verhandlungen danach beurteilte, ob Spahn im Zylinder oder im Schlapphut im Reichstag erschien, das heißt also, ob er vorher mit dem Reichskanzler konferiert hatte oder nicht. Nachdem er jetzt wieder Inhaber eines Doppelmandats ist und infolgedessen im Reichstag wie im Abgeordnetenhaus die Führung seiner Partei in Händen hat, wird er wohl künftig um so öfter Gelegenheit haben, den Zylinder aufzusetzen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.