Das Leibnizhaus zu Hannover

Dieses höchst merkwürdige und in seiner Art wohl einzige Gebäude ist in den letzten Jahren soweit wie möglich in ursprünglicher Gestalt wieder hergestellt und am 1. März 1893 als Aufstellungsort der Sammlungen des hiesigen Kunstgewerbe-Vereins der Oeffentlichkeit übergeben worden.

Die beigegebenen Zeichnungen geben ein hinreichend deutliches Bild seiner Eigenart; über die Geschichte des Hauses und die Art seiner Wiederherstellung ist nachfolgendes zu bemerken:

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Das heute nach seinem berühmtesten Bewohner Leibniz genannte Haus ist ursprünglich das Wohnhaus der althannoverschen Patrizier-Familie v. Soden gewesen, welche dasselbe Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts sich erbaut haben wird. Die gewölbten Keller des Hauses gehören theilweise dieser Zeit an. Vermuthlich im Jahre 1499 wurde das Gebäude einem durchgreifenden Umbau unterzogen, der ihm eine wahrscheinlich glänzende Gestalt nach Art einiger noch vorhandener Backstein-Bauten des alten Hannover verlieh. Sein Aufbau und Grundriss wird imganzen der noch heute vorhandene gewesen sein, ausgenommen die Giebelfront und die beiden oberen Geschosse mit dem Dach. Das Haus verkörperte in dieser Gestalt durchaus die althannoversche Form, wie sie sich unter starkem Einflusse hanseatischer Vorbilder ausgebildet hatte. In der Mitte des Hauses die mächtige, meist durch die zwei unteren Geschosse gehende Einfahrt als Zugang zu der dahinter liegenden, zwei Stock hohen Diele; links und rechts der Einfahrt zwei Reihen von Zimmerchen übereinander, das letzte unten links oder rechts meist als Küche dienend; in einer Ecke der Diele die Treppe, welche zu einer Gallerie für den 1. Stock und sodann weiter nach oben führt (s. den Grundriss). Die Diele empfängt ihre Beleuchtung von rückwärts durch mächtig hohe Fenster nach dem Hof, zu dem eine Ausfahrt führt. Rechts oder links derselben schliesst sich ein Flügelbau in mehren Geschossen an, meist zum Bewohnen dienend, während das Vorderhaus zu gleicher Zeit für die Wirthschaft, landwirthschaftliche, geschäftliche oder kaufmännische Zwecke bestimmt war. Dieser Grundriss und Aufbau findet sich ganz ebenso und häufig z. B. in Lübeck, nur dass dort das ganze Haus sichtbar ein reines Kaufmannshaus war, wie sich das deutlich in den über dem Eingang im Giebel stets vorhandenen und denselben beherrschenden Hauptluken mit Windevorrichtung ausspricht, die, oft 4-5 über einander, die gesammten oberen Geschosse bezw. Böden als Waarenlager charakterisiren. Hier dagegen befindet sich die Hauptluke in Klappenform stets inmitten der grossen Diele und durchbricht sämmtliche Decken vom Kellergewölbe bis zum obersten Boden: sichtlich zum Entladen landwirthschaftlicher Fuhrwerke bestimmt, die dann durch die Ausfahrt nach Hof und Stall weiterfuhren.

Das reiche und bedeutende Haus derer von Soden in der Hansestadt Hannover mag freilich mit der Landwirthschaft auch einigen Handel verbunden haben; daher der dem hanseatischen besonders ähnliche Grundriss, der sich noch dadurch vervollständigt, dass sich zu beiden Seiten der Einfahrt nur je ein gewiss auch hier für Kontor- und Verkaufszwecke bestimmtes einzelnes grosses Zimmer befindet, und dass der Eingangsraum, durch die Hausthüre nach vorn und den Windfang nach der Diele abgeschlossen, einen besonderen Raum bildet. Auch die umlaufende Gallerie, in der Art wie hier angeordnet, kommt gerade in Lübeck öfters vor. Beim Leibnizhause wird der Grundriss noch besonders dadurch zusammengesetzter, dass dasselbe ein Eckhaus bildet und so die Möglichkeit gegeben war, der Diele auch von der Seite her Licht zu verschaffen. Daher gehen die Hauptfenster an der Kaiserstrasse durch die beiden Unter-Geschosse durch.

Das Leibnizhaus in Hannover nach seiner Wiederherstellung – Grundriss vom Erdgeschoss
Das Leibnizhaus in Hannover nach seiner Wiederherstellung – Längsschnitt durch das Vorderhaus

Dieses Gebäude nun wird etwa 1499 so gut wie ganz neu aufgebaut sein, die beiden Unter-Geschosse wohl ziemlich einfach, der ungeheure Giebel darüber sehr üppig: mit dem zierlichsten gothischen Terrakottafries Deutschlands beginnnend, durch eine grosse Zahl reich profilirter, überecks stehender Pfeiler senkrecht gegliedert, die Flächen dazwischen durch unzählige Fensterchen und Nischen durchbrochen, das Ganze durch Giebelchen und Fialen abgeschlossen, Noch wenigstens drei reiche, etwas schmälere Terrakottafriese müssen ausserdem den Giebel durchzogen haben.

Von diesem prächtigen Bau ist nur noch der Körper übrig, das Gewand ist völlig verschwunden, mit Ausnahme der genannten Thonfriese, die man bei dem späteren Renaissance-Umbau wieder verwendet hat, und von denen der reichste in Hauptgesimshöhe die Front quer durchzieht, die schmaleren die oberen Friese des Giebels bilden. Jener besteht aus runden figürlichen Medaillons, die Mutter Gottes, die heilige Familie, die drei Könige, Nothhelfer usw. und abwechselnd das Soden’sche Wappen enthaltend, von prächtigem Ornament umschlungen, sowie durch kleine Strebepfeiler getrennt. Am einen Ende befindet sich die Jahreszahl 1499, am anderen die verstümmelten Reste eines lateinischen Spruches: Ein ähnlicher, theilweise älterer, wappenreicher Fries am alten Rathhause erreicht die Feinheit und den Reichthum dieser Arbeit nicht ganz.

Um 1652 oder früher wird das Gebäude, welches inzwischen seinen Eigenthümer gewechselt hatte und an die Familie von Lüde, eine gleichermaassen hochangesehene Patrizierfamilie, übergegangen war, von Carl von Lüde einem zweiten gänzlichen Umbau unterworfen, der ihm seine heutige Gestalt gab. Hierbei wurde zunächst die Fassade ganz in Sandstein neu aufgebaut, nachdem man auf das alte Haus noch zwei Geschosse in Fachwerk aufgesetzt hatte; ebenso wurde die Hoffront in Fachwerk erneuert, die grosse Diele mit neuen Säulen und einer Gallerie versehen und die Seite nach der Kaiserstrasse mit Sandsteingewänden und Gesimsen ausgestattet und geputzt. Der Flügelanbau längs der Kaiserstrasse war schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts mit zwei neuen Fachwerk-Geschossen auf seinem gothischen hohen Erdgeschoss bereichert worden.

Die innere Ausstattung des Hauses scheint ziemlich reich beabsichtigt gewesen zu sein, worauf einzelne aufgefundene Bruchstücke von Holzschnitzereien, die bei der Herstellung sorgfältig wieder verwerthet sind, hindeuten. Doch mag es vorwiegend bei der Absicht geblieben sein; die theilweise ungewöhnliche Einfachheit ja Dürftigkeit des noch Erhaltenen lässt auf ein Erlahmen dieser Absicht schliessen, die übrigens auch für Niedersachsen, wo man im Innern des Hauses stets höchst anspruchslos war, eine fremdartige gewesen wäre. Für die Ausstattung der Fassade aber ist das gesammte Können der Zeit aufgeboten. Die Zeichnung enthebt mich der Verpflichtung näherer Beschreibung des Aufbaues.

Das Leibnizhaus in Hannover nach seiner Wiederherstellung – Ansicht der Diele

Zum Verständniss dieser ungewöhnlichen Kunstleistung in einer Zeit des tiefsten Elends in Deutschland unmittelbar nach Schluss des schrecklichsten aller Kriege ist einiges zu bemerken. Zunächst waren die Kriegswetter imganzen nur in den ersten 6-8 Jahren des dreissigjährigen Krieges über Niedersachsen dahingebraust; in ihrem weiteren Verlaufe hatten sie diese Gegenden einigermaassen verschont. Andererseits haben wir uns den genannten Krieg nicht als eine zusammenhängende Kette von Schlachten. Brandschatzungen usw. vorzustellen, sondern wie eine lose aneinander geknüpfte Folge bald bedeutender, unerheblicher Feldzüge, manche Gegenden nur einmal berührend und für die meisten jahre- ja jahrzenhtelange Ruhepausen zwischen sich 1assend, die wie sonst dem Handel und Wandel gewidmet waren. Bei dem Mangel eines Nachrichten- und Zeitungsdienstes mögen manche Gegenden Jahrzehnte lang von dem anderweit hausenden Schrecken nicht viel gewusst haben.

So haben wir hier in Niedersachsen vor Hannover ab bis nach Osnabrück hin das Bestehen einer glänzenden Barock-Bildhauerschule feststellen können, deren erste Vertreter gegen 1618 auftraten, und deren hervorragendste Leistungen während des dreissigjährigen Krieges entstanden, deren letzte Ausläufer erst gegen 1670 verschwinden. Von diesen sind Carl Stehnelt aus Osnabrück, Jeremias Sutel aus Northeim, Caspar Bleydorn aus Hannover zu nennen. Von dem ersteren sind wahrhaft prachtvolle Epitaphien im Dom zu Minden und der Marktkirche zu Hannover; Sutel ist zuerst bekannt geworden durch sein Denkmal für den dänischen Heerobersten Michel Obentraut, der eine Meile von Hannover bei Seelze gegen Tilly fiel und zum Ausdruck „Deutscher Michel“ Pathe stand; die Kirchen und Kirchhöfe Hannovers sind voll von den prächtig zierlichen Arbeiten dieses meisselfertigen Meisters, der unter dem Dolche eines hasserfüllten Neidhammels 1634 sein Leben aushauchte, weil er jenen ganz in den Schatten gestellt hatte. Sein reizender Grabstein auf dem hiesigen Nicolaifriedhof erzählt die traurige Geschichte in allen Einzelheiten.

Der Samen aber, den dieser Sutel gestreut, und seine Art haben 30 Jahre lang die Steinmetzhütten Hannovers völlig bestimmt, und auch die ganze Front des Leibnizhauses ist so absolut seines Geistes, dass man nicht begreift, wie der bestimmende Mann damals schon fast 20 Jahre todt sein konnte. Freilich ist über das Datum 1652 über dem Hauptportal schon mancherlei geäussert, auch das, dies Datum sei nach einem anderen auf der Hinterfront des Hauses befindlichen im Jahre 1844 erst dort eingemeisselt worden. Unmöglich ist das nicht, selbst nicht ganz unwahrscheinlich. Vielleicht giebt die Zahl 1652 im Hofe das Datum der allerletzten Fertigstellung oder etwas ähnliches, denn dass die Front des Hauses, die imganzen einen Geist, eigentlich auch nur zwei Hände, eine bedeutende und die eines Handwerkers zeigt, nicht in ein paar Monaten gemeisselt ist, bedarf keines Beweises. So möchte ich die Vermuthung aussprechen, die ganze Giebelfront sei noch das Werk Sutels und seiner Steinmetzwerkstatt, die wir uns wohl nicht allzu bevölkert vorzustellen haben, und zwar vielleicht 1625-1630 begonnen. Der Tod des Meisters mag die unbeholfenere Kraft zur bestimmenden gemacht haben, und wenn wir das Ganze etwa 1640-1645 in Haustein uns fertig gestellt denken, wenn schliesslich das ganze Gebäude 1652 seine letzte Neugestaltung erhielt, indem seine Rückfront neu in Fachwerk aufgebaut wurde, so wird es wohl nicht fehlerhaft sein, die wechselnde Kriegszeit und die schwankenden Verhältnisse für so langsame Bauausführung verantwortlich zu machen. Der Bauherr mag inzwischen hauptsächlich in dem Flügelanbau gewohnt haben. Das merkwürdige Beibehalten einer Reihe von gothischen Bautheilen, die entschieden stückweise erfolgte Ausführung des Umbaues, der glänzende Reichthum und die fast klägliche Armuth verschiedener Bautheile bestimmen mich zu jener Ansicht.

Der Stil und die Ornamentik der Giebelfront wird mit Recht als das Barockeste betrachtet, was nur möglich ist. Das verweichlichte, nur noch nach malerischen Gesichtspunkten behandelte Kartuschen-Ornament dieser Zeit, die verdrehte und ebenso nur stilistisch verständliche Figürlichkeit hat man zusammen nicht unpassend als Bretzeloder Knorpelstil bezeichnet. Sicher für ein an die Feinheit griechischer Linie oder die Eleganz und Zartheit der italienischen Renaissance gewöhntes Auge ein abstossender Anblick. Und trotzdem hat das Haus seine eigenen Schönheiten. Das Streben nach wohlabgewogenen Verhältnissen; die meisterhafte Beherrschung der Massenvertheilung im Grossen wie im Kleinen, das Verweisen jedes Einzelgliedes in den ihm zukommenden Raum und zu der ihm zukommenden Bedeutung, das ist vorher noch nicht so geschmeidig vorhanden. Dass das Ornament dann hier und da oft in einen Winkel geworfen wird, einem Seilknäuel, einem Teigklumpen oder einem Haufen Eingeweiden viel mehr denn einer Verzierung gleichend, das ist nicht gerade schön, jedoch bezeichnend. Wer aber genöthigt ist sich etwas mehr in das einmal bestehende Ziersystem zu versenken, wie das einem Restaurator nicht erspart werden kann, mag ihm das sympathisch sein oder nicht, der findet zu seinem staunen dann bald im Chaos Ordnung, im Wirrsal Harmonie und schöne Linien. So mag es mir gestattet sein zu behaupten, dass auch dieser sich bei einer seltenen Einmüthigkeit aller gewerbmässigen Kunstschriftsteller allgemeinster Missachtung erfreuende Zierstil Schönheiten und Vorzüge hat, die nur ihm zu eigen sind. Er ist dabei nicht nennenswerth schwieriger zu verstehen, als die sich einem liebevollen Eindringen oft noch hartnäckiger widersetzende Spätgothik, die freilich das Placet der Kunstschreiber für sich hat.

Das Leibnizhaus in Hannover nach seiner Wiederherstellung – Neues Portal am Eingang A

Die hannoversche Spielart des deutschen Barockstils jener Zeit zeichnet sich vor allem durch eine ungewöhnliche Gewandtheit und Glätte, oft sogar Eleganz der Linien ebenso sehr aus, wie durch einen schier unerschöpflichen Wechsel ihrer Führung. Das Figürliche, welches vor allem am Erker vor den Brüstungen in grösster Ueppigkeit in freien Menschengestalten aller Art wie in reichen Hochreliefs mit Darstellungen aus dem alten und neuen Testament auftritt, inmitten das von Putten gehaltene Lüde’sche Wappen, ist theilweise von wirklicher Vollendung und weichem Fluss der Linie, theilweise, besonders an den unteren Theilenn, knorrig und handwerklich, aber immer höchst malerisch und effektvoll.

Die Front war früher reich vergoldet, was ihr bei der Herstellung wieder zutheil wurde, unter Hinzunahme einiger Farben, insbesondere roth und blau, wie von etwas schwarz die Gründe. Der gothische Fries ist ganz polychromirt. Es ist hierbei darauf gesehen, die Bemalung so einfach und derb zu halten, als irgend möglich, um ihr eine gewisse Dauer zu sichern. Schon in den drei Jahren seit ihrer Wiederherstellung hat die darüber gelagerte Kruste die Härten ganz verwischt und ich bedauere heute bereits, nicht noch stärker vorgegangen zu sein. Die schön und fein gestimmte Bemalung des Gewerbehauses zu Bremen ist bereits zum zweiten male seit 25 Jahren fast verschwunden. – Auf Veranlassung des Konservators der Kunstdenkmäler in Preussen, des Hrn. Geh. Rth. Persius, ist bei dieser Arbeit insbesondere die vortreffliche Neuvergoldung des Zeughauses zu Danzig zurathe gezogen. Das Innere ist imganzen bereits oben hinreichend charakterisirt. Nur bleibt noch zu erwähnen, dass die alte Küche vermuthlich da im Erdgeschoss lag, wo heute das neue feuersichere Treppenhaus, welches bis ins Dach führt, eingebaut ist. Der Flügel in der Etage war von der Gallerie aus zugänglich. In den oberen Geschossen ist die Eintheilung überall gleich: nach vorn 3 Zimmer, dahinter überall die grosse Diele auf Eichensäulen, im Flügel weitere Zimmerchen.

Die Ausstattung, soweit sie sich noch vorfand, zeigte von Holzarbeiten schön geschnitzte Fensterpfosten nach dem Hofe, sowie Theile einer geschnitzten Bekleidung der steinernen Fenstertheilungen. Diese sind getreu wieder hergestellt; für die einfachen und niedrigen Thüren fanden sich drei Muster, darunter eines mit bemalten Füllungen. Holztäfelungen und dergl. sind nirgends vorhanden gewesen; überall sind die Deckenbalken mit Putzüberzug sichtbar. Diese Einfachheit hat mir Veranlassung gegeben, anderweitig über die Ausschmückung der Bauten jener Zeit Studien zu machen, wobei sich herausstellte, dass eine reiche Bemalung der Decken wie theilweise auch der Wände die Regel war. Goslar, Lüneburg, Bremen und Hannover, selbst auch Danzig haben hierzu Muster geliefert. Es sind fast sämmtliche Decken getreu nach alten Vorbildern wieder reich geschmückt worden. Die Fenster der grossen Diele sind mit einer Ornamentik umgeben, die ich s. Z. bei der Herstellung des hiesigen alten Rathhauses glücklicherweise noch aufnehmen konnte, wo sich Trümmer dieser Art unter dem Putze vorfanden, die dem Hersteller des Gebäudes in dessen Stil nicht passen konnten. So ist das Leibnizhaus fast ein kleines Museum für niedersächsische Wand- und Deckenbemalung geworden, was mir von besonderem Werthe zu sein scheint. Die letzten Trümmer von Original-Arbeiten dieser Art gehen unaufhaltsam und in absehbarer Zeit sicherem Verschwinden entgegen.

Der Fussboden in der grossen Diele und dem Eingang ist mit Fliesen bedeckt. Ein Muster im Stil jener Zeit war nicht zu finden und so ist das auf der Zeichnung angegebene neu entstanden, welches auch in der Wirkung befriedigt. Der Ton der gemusterten Fliesen ist gelbgrau, der rauhe Grund vertieft und grauroth. Der äussere Fries ist mehrmals durch grosse tafelförmige Theile durchbrochen; der Vorraum ist ganz mit gemusterten Fliesen in einfarbigen Platten geplättet.

Das Leibnizhaus in Hannover nach seiner Wiederherstellung – Friesornament des Fussbodens bei C
Das Leibnizhaus in Hannover nach seiner Wiederherstellung – Fliese bei B
Das Leibnizhaus in Hannover nach seiner Wiederherstellung – Boden-Fliesen

Die Wände der beiden Vorderräume des Erdgeschosses sind, wie das in der Stadt Hannover typisch ist, mit blauen holländischen alten Wandplättchen bekleidet. Ein im Jahre 1890 eingetretenes bedauerliches Ereigniss hat dem Leibnizhause zu besonderem Schmucke verholfen. Das Schloss Rute bei Sarstedt, ein Jagdschloss des Erzbischofs Clemens von Köln, des Erbauers von Brühl, brannte nieder. Es gelang mir, aus dem noch rauchenden Brandschutte die Scherben zweier Prachtöfen und der herrlichen Fliesentäfelung des Jagdsaales herauszuscharren und ihre Einverleibung in das Leibnizbaus zu erwirken. Fast 2 Jahre mühevollsten Zusammensuchens dieser Scherben hat es bedurft, um die prächtigen Fliesenbilder, die heute den Hauptraum des ersten Geschosses nach vorn schmücken, wieder zusammen zu finden. Diese, wie die beiden ebenso mühevoll zusammengesetzten Oefen gehören sicher zu den glänzendsten keramischen Prachtstücken des Rococo in Deutschland.

Das Erkerzimmer im ersten Geschoss, vermuthlich das Wohn- und Sterbezimmer Leibnizens, zeigt an der Wand eine höchst reizvolle gemalte Tapete aus der Umgegend der Stadt, darstellend Hofleben im beginnenden 18. Jahrhundert in prächtigen Gartenanlagen im Stile von Herrenhausen.

Der Hofraum hinter dem Hause ist auf zwei Seiten mit einer gedeckten hölzernen Halle, aus alten Bautheilen hergestellt, umgeben, die bestimmt ist zur Aufstellung von Architekturresten und Steinarbeiten.

Das Leibnizhaus in Hannover

Das Gebäude war bis 1844 als Kaufmannshaus den verschiedensten Schicksalen ausgesetzt. Die grosse Halle wurde in Höhe der Gallerie durchgetheilt, das ganze mit einer Menge von Zwischenwänden und Abtheilungen versehen und ausgenutzt, auch das meiste im Innern zerstört. Als die Weisheit des darin wirkenden Kaufmanns 1844 auch die Fassade dem Handel zuliebe im Erdgeschoss einreissen und durch zierliche eiserne Stützen und Spiegelscheiben ersetzen wollte, griff König Ernst August von Hannover, ewig sei es ihm gedankt, ein und kaufte das Haus, das er dem Fiskus überwies. 1888 wurde auf Veranlassung des Kunstgewerbe-Vereins die Herstellung des Hauses als des hervorragendsten Beispiels des althannoverschen Bürgerhauses geplant und durch die energische Unterstützung der beiden Herren Oberpräsidenten von Hannover, zuerst des Hrn. von Leipziger, sodann in noch gesteigertem Maasse seitens des Hrn. Dr. von Bennigsen auch von der Staatsregierung erwirkt. Die Miether wanderten aus, die erforderliche Summe von 142 500 M. wurde bewilligt, und nun erfolgte seit August 1890 bis 1. März 1893 die Herstellung.

Eine Baukommission seitens des Kunstgewerbe-Vereins unter dem Vorsitz des Hrn. Geh. Rth. C. W. Hase vertrat während dieser Zeit die Interessen dieses Vereins. Seitens der kgl. Regierung führten die Oberaufsicht die Hrn. Geh. Brth. Buhse und Kreisbauinsp. Schröder.

So prangt heute das alte stolze Haus wieder in altem Glanz, der schönste Hintergrund für die Sammlung kunstgewerblicher Alterthümer des Kunstgewerbe-Vereins, dem es die Regierung hierzu überwiesen hat. Möchte doch in jeder besonders gearteten alten Stadt wie hier ein gutes Beispiel der alten bürgerlichen Bauweise der Nachwelt zum Studium erhalten bleiben. In mancher Beziehung möchte das bessere Früchte tragen, als das fortwährende Gründen von so vielerlei Museen.

Hannover, Prof. Dr. A. Haupt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 24.08.1895 in der Deutsche Bauzeitung.