Vom Zwinger in Dresden

Der Dresdener Zwinger, Pöppelmanns Meisterwerk, zählt zu den eigenartigsten und höchsten Leistungen, welche einem deutschen Baukünstler jemals gelungen sind. Er bildet als solche nicht nur einen berechtigten Stolz des sächsischen Landes und Volksstammes, sondern ist als ein nationales Kleinod anzusehen, für dessen unversehrte Erhaltung jeder kunstverständige Deutsche die gleiche warme und herzliche Theilnahme empfinden muss.

Aus dieser Empfindung ist offenbar auch die kleine Mittheilung in No. 101, Jahrg. 1890 u. Bl. entsprungen, in welcher einer unserer Mitarbeiter über eine vermeintliche Entstellung des edlen.

Bauwerks Klage führte. Seine Aeusserung war wohlgemeint, fusste aber auf einer unvollständigen Kenntniss der Sachlage und war daher geeignet, unrichtige Vorstellungen von den z. Z. in Ausführung begriffenen Herstellungs-Arbeiten am Zwinger zu geben und die Thätigkeit der mit Leitung dieser Arbeiten beauftragten Architekten in ein falsches Licht zu setzen. Es ist uns denn auch alsbald von zuständiger Seite her eine Richtigstellung jener Angaben zugegangen, die wir in Nachstehendem zum Abdruck bringen.

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Nummer 101 Jhrg. 1890 d. Bl. hat auf S. 615 über die Einziehung zweier eiserner Wendel-Treppen innerhalb der Halle des Wallpavillons eine unzutreffende Mittheilung gebracht, welche der Berichtigung bedarf.

Augenscheinlich hat der Berichterstatter jene Einbauten wie aus dem Datum hervor geht – nur im ersten Stadium der Treppen – Aufstellung selbst gesehen, und eine Nachfrage darüber, in welcher Weise die weitere Ausführung geplant sei, für überflüssig gehalten Er hätte sonst erkennen müssen, wie dieselben – den Blicken des Beschauers gänzlich entzogen – dem Rythmus der Aussen-Architektur sich folgerichtig einfügen, was um so leichter zu bewirken war, als es nur galt, bereits vorhandene Arkaden in der durch die benachbarten Ausführungen bedingten Weise abzuschliessen. Inwiefern eine Entstellung der dadurch kaum berührten offenen Halle eingetreten sei, ist demnach ganz unerfindlich!

Gesammtplan des Zwingers mit Angabe der künftigen Raumbenutzung

Für Jeden aber, der die gekrümmten Figuren der Grundrissbildung und den eigenartigen Anschluss des Wallpavillons an die beiden Bogengalerien kennt, wird die Schwierigkeit der der Baubehörde gestellten Aufgabe begreiflich sein, die darin bestand, den über der offenen Halle befindlichen Saal des Pavillons nicht nur mit Zentralheizung zu versehen und die Heizapparate und Essenkörper dabei möglichst unauffällig anzuordnen, sondern auch durch einzubauende Treppen denselben in unmittelbare Verbindung mit jenen angrenzenden Galerien zu bringen. damit die dem Mineralogischen Museum in Zukunft zur Verfügung stehende gesammte Westhälfte des Zwingers eine zusammen hängende Verkehrs-Verbindung gestatte, für welche die offene Durchgangshalle des Wallpavillons bekanntlich bisher ein Hinderniss bildete.

Der Umstand nun, dass die geplanten Treppen-Anlagen sich dem Beschauer völlig entziehen und in Höhe des Walles nur durch kleine, seitlich angebrachte, geschlossene, apsisartige Anbauten sich kennzeichnen, dass ferner, und vor allem von der Fussbodenfläche des in seinen Wandungen vielfach gekrümmten und daher wenig ausnutzbaren Saales, nur 7 Geviertmeter für beide Treppen-Austritte an nutzbarem Raum verloren gingen und dass schliesslich die grosse, nach dem Wall führende Freitreppe und damit die reizvolle Aussen-Architektur der hier vorgelagerten Halle völlig intakt bleiben konnte, dürfte genügend für den Erfolg der seit einigen Monaten bereits vollendeten Anlage sprechen.

Wallpavillion des Zwingers in Dresden – Grundriss

Die seltsame Anregung des Berichterstatters, eben jene zweiarmige grosse Freitreppe zu überdecken (!) und zur Herstellung der geforderten Verbindung umzubauen, verräth eine solche Unkenntniss der einschlagenden Verhältnisse, dass hierauf nicht weiter eingegangen werden kann. Würde doch damit ein Eingriff in die unvergleichliche Aussen-Architektur gerade an hervorragendster Stelle des Pavillons zusammen hängen, welcher unter allen Umständen zu vermeiden war. Und wenn in früheren Jahrzehnten solche Eingriffe erfolgten, wie das angeführte Beispiel des „dürftigen Anbaues“ an den mathematisch – physikalischen Salon zeigt, so ist die gegenwärtige Bauleitung doch schwerlich hierfür verantwortlich zu machen, die ihrerseits nur bestrebt ist. allen Anordnungen auf künstlerisch echte Erhaltung und Wiederherstellung des Bauwerks nach Möglichkeit gerecht zu werden und die mannichfaltigen an sie heran tretenden Forderungen in Einklang mit der Architektur zu bringen, wo dies aber nicht angängig ist, solche abzuwehren.

Den veränderten Zwecken der Gebäude entsprechend, hat, trotz lebhafter Einsprüche, es freilich nicht umgangen werden können, eine Anzahl von Zentralheizungs-Oefen den schon von früher her vorhandenen – es bestehen z. Z. deren 27 – hinzu zu fügen, wofür die Anlage von Essen unvermeidlich war. Wenn aber diese nothwendigen Uebel, um den Eindruck der duftigen Architektur einer lebensfrohen Zeit nicht zu stören, so unauffällig wie möglich in ihrem Aeussern gehalten wurden, so ist dem bisher nur immer Anerkennung gezollt worden.

Derselbe Gesichtspunkt wird gewiss auch für die leitende Behörde der Frauenkirche bei Anlage einer Heizanlage maassgebend gewesen sein. welche, bei diesem Bauwerk wie bei den Zwingergebäuden beim Umbau keineswegs vorgesehen, durch veränderte Benutzung und andere Zeitverhältnisse wie Anforderungen bedingt, unvermeidlich geworden war. -dt.“

Hermes von einem Pfeiler des Erdgeschosses
Bekrönung eines Eckpfeilers im Obergeschoss

So dankenswerth und beruhigend diese Aufklärung auch ist, 80 so schien sie uns im Verhältniss zu der Theilnahme, welche die bezgl. Angelegenheit bei der Mehrzahl unserer Leser erregt haben dürfte, doch nicht ganz ausreichend. Unsere demzufolge an die Bauleitung bezw. den obersten Beamten des sächsischen Hochbauwesens gerichtete Bitte, die vorstehenden Mittheilungen durch einige bildliche Darstellungen zu ergänzen, hat das bereitwilligste und liebenswürdigste Entgegenkommen gefunden. Es ist uns nicht allein ein reicher Stoff an Zeichnungen und photographischen Aufnahmen zur Verfügung gestellt worden, sondern wir sind auch in den Besitz einiger weiteren thatsächlichen Angaben über die bezgl. Bauarbeiten gelangt, die uns zu folgenden ergänzenden Mittheilungen instand setzen.

In dem Gesammt-Grundriss des Zwingers auf sind die Veränderungen ersichtlich gemacht, welche die Benutzung der Innenräume des Bauwerks neuerdings erfahren hat bezw. erfahren soll. Veranlasst sind dieselben dadurch, dass durch die Ueberführung der Gipssammlung in das durch Ausbau des ehemaligen Zeughauses geschaffene neue „Museum Albertinum“ die bisher von dieser beanspruchten Räume (die rechte Hälfte vom Erdgeschoss des Semper’schen Museums, die Pavillons H und G, der an letzteren sich lehnende Anbau 3 und die Bogengalerien L und M) [In dem Gesammtgrundriss sind dieselben (mit Ausnahme der Bogengalerie M) durch Schraffirung hervor gehoben.] für andere Zwecke frei wurden. Die neue Raumvertheilung ist derart erfolgt, dass die betreffende Erdgeschoss-Hälfte des Semper’schen Baues für die Zwecke der Gemälde-Galerie (Sammlung von Bildern des 18. Jahrh., Photographien und Pastellbildern) ausgebaut wird, während der an die Räume der Kupferstich-Sammlung anstossende Theil vom Erdgeschoss des Pavillons G (bis zur Hausmeister-Wohnung) zu jener Sammlung, der andere Theil des Pavillons G, die Bogengalerie L und der obere Saal des sogen. Wall-Pavillons D zum Mineralogischen Museum, der Pavillon H mit dem Anbau B und die Bogengalerie M dagegen zum Zoologischen Museum hinzu gezogen werden. Letzteres wird demnach fortan die ganze Osthälfte des eigentlichen Zwingers einnehmen, während die Westhälfte, abgesehen von dem grösseren Theil des in seinem Obergeschoss bekanntlich den mathematisch-physikalischen Salon enthaltenden nordwestlichen Eckpavillon G. dem Mineralogischen Museum zufällt.

Wallpavillion des Zwingers in Dresden

Die baulichen Veränderungen. welche zufolge dieser neuen Raumvertheilung nothwendig wurden, um den oberen Saal des Wall-Pavillons D, der bisher nur durch die äussere Freitreppe auf der Hinterseite zugänglich war, mit den an das Erdgeschoss des Pavillons anstossenden Bogengalerien in Verbindung zu setzen, ohne doch den freien Durchgang vom Zwinger nach dem Wall und die Erscheinung der unteren offenen Halle zu beeinträchtigen, sind aus dem Grundrisse klar ersichtlich. Man wird den Architekten, welche den Umbau geplant und ausgeführt haben, in der That die Anerkennung nicht versagen können, dass sie sich mit der ihnen gestellten, schwierigen Aufgabe so gut wie überhaupt möglich abgefunden haben. Insbesondere können wir es von unserem Standpunkte aus nur durchaus billigen, dass sie die von ihnen hinzu gefügten, zur Ansicht kommenden neuen Theile thunlichst unscheinbar gehalten haben, um auf diese Weise eine Beeinträchtigung der Pöppelmann’schen Schöpfung auf das denkbar geringste Maass herab zu setzen. Jedenfalls ist ein derartiges Verhalten pietätvoller, als wenn sie den Versuch gemacht hätten, jene Theile in künstlerisch aufwändiger Weise zu gestalten und dem Organismus der alten Zwinger-Architektur anzugliedern.

Gerade dieser Wall-Pavillon, der zu den ältesten, i. J. 1711 begonnenen Theilen der Zwinger-Anlage gehört, gilt ja mit Recht als dasjenige Werk, an welchem das schöpferische Genie seines Erbauers und die Kunst der von ihm beschäftigten bildnerischen Hilfskräfte am glänzendsten sich entfaltet hat.

[Angesichts der oft gehörten Behauptung, dass die hier von Pöppelmann durchgeführte Behandlung der Architektur sich von allen geschichtlichen Ueberlieferungen frei gemacht habe und als Ausdruck durchaus selbständiger, ungezügelter Phantasie zu betrachten sei, möge dem Verfasser die Bemerkung gestattet sein, dass er in dem fraglichen Bau das ausgeprägte Beispiel einer barocken Schöpfung im Sinne der Gerüst-Stile und zugleich ein ausserordentlich bezeichnendes

Beispiel jener, von den bahnbrechenden Künstlern der letzten Jahrhunderte immer aufs neue angestrebten „Synthese“ zwischen den Struktur- und Form-Gedanken der Antike und des Mittelalters erblickt. Denn der hier in freiester Beherrschung aller künstlerischen Mittel des Barockstils durchgeführte Struktur-Gedanke – ein System von vertikal ausklingenden Pfeilern, verbunden durch Bögen mit Giebel-Bekrönungen, hinter denen die Dachhaube aufsteigt – ist durchaus mittelalterlichen Ursprungs. – Selbstverständlich wird durch diesen Nachweis der Ruhm Pöppelmann’s und die Bedeutung seiner künstlerischen That in keiner Weise geschmälert.]

In Anerkennung dieser Thatssche ist man denn auch gelegentlich der in Rede stehenden Bauarbeiten bedacht gewesen, ihm diejenige künstlerische Herstellung angedeihen zu lassen, die er verdient.

Ueber die dabei angewendete Technik sind auf S. 588 J hrg 1890 u. Bl. gleichfalls bereits einige Mittheilungen gemacht worden, die nur in sofern zu berichtigen sind, als die innerhalb der in Zementguss neu angesetzten Theile eingelegten Drathgewebe nicht von Messing-, sondern von Kupferdraht hergestellt worden sind. Man hat für diese Technik sich entschieden, weil man mit derselben sowohl an dem früheren, 1875 hergestellten Portal der ehemaligen Schlosskirche (jetzt am Johannenm) wie an den Wandbruunen der Langgalerie des Zwingers (1880) vortreffliche Erfahrungen gemacht hat, während die theilweise Erneuerung frei stehender Skulpturen in Sandstein sich ebenso schlecht bewährt hat, wie die Anwendung der früher versuchten, verschiedenartigen Imprägnirungs-Mittel. Welchen Umfang die bezgl. Arbeiten hatten, wird daraus erhellen, dass vom 1. April bis 31. Oktober v. Js. an der Herstellung des Wallpavillons 7 Bildhauer, 3 Steinmetzen, 4 – 5 Maurer, 6 Handarbeiter (lediglich zum Reinigen und Waschen), 2 Klempner, 2 – 3 Zimmerleute und 4 Maler ununterbrochen beschäftigt gewesen sind, und dass dafür ein Betrag von 20 000 M. aufgewendet worden ist.

Schlussstein-Bekrönung über der mittleren Bogenöffnung des Erdgeschosses

Von dem Erfolge des Herstellungsbaues, der nicht nur in der Erneuerung aller fehlenden und schadhaften Theile, sondern auch namentlich darin beruht, dass wiederum durchweg der unersetzliche Reiz des früher durch einen Oelfarben-Anstrich verdeckten echten Sandstein-Materials sich geltend macht, geben die neben einer Gesammtansicht des Pavillons von uns im Abbilde mitgetheilten Einzelheiten wenigstens eine annähernde Vorstellung. Die den betreffenden Bildern zugrunde liegenden photographischen Aufnahmen sind von dem bauleitenden Architekten, Hrn. Reg.-Baumeister Karl Schmidt selbst angefertigt.

Sie gehören zu einer Sammlung, welche in erschöpfender Vollständigkeit alle ornamentalen und figürlichen Skulpturen des Baues wiedergiebt und zugleich dazu bestimmt ist, bei künftigen Herstellungs-Arbeiten, die natürlich nicht ausbleiben werden, als zuverlässiger Anhalt zu dienen. Jedoch ist in Aussicht genommen, diese Sammlung später auch Künstlern und Kunstfreunden zugänglich zu machen, die in ihr einen unerschöpflichen Schatz der Anregung finden werden.

Die obere Leitung der am Zwinger ausgeführten Aenderungs- und Herstellungs-Arbeiten, die noch bis zum Jahre 1893 sich erstrecken werden, ruht in der bewährten Hand des Hrn. Geh. Oberbaurath, Ober-Landbaumeister Canzler in Dresden.

Dierser Artikel erschien zuerst 1891 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit “-F.-“.