Seit einigen Monaten ist eine neue Bade-Anstalt der Stadt Magdeburg in Betrieb genommen, womit gleichzeitig eine öffentliche Bibliothek und Leseballe eröffnet ist. Diese Verbindung zweier anscheinend auseinander liegender Zwecke in demselben Gebäude scheint Manches für sich zu haben, so dass es erwünscht sein dürfte, einige Mittheilungen darüber zu vernehmen.
Als der Plan entstand, in dem neuen nördlichen Stadttheile von Magdeburg, der sogenannten „Nordfront“ eine öffentliche Bade-Einrichtung zu schaffen zur Verabreichung hauptsächlich von Brausebädern nach bekanntem Vorbilde, tauchte der Gedanke auf, einen Versuch mit der Eröffnung einer Lesehalle und Bücherausgabe zu machen, und es lag nahe, dasselbe Gebäude dafür zu bestimmen und entsprechend zu gestalten. Dass an und für sich eine solche Zusammenlegung nicht unvortheilhaft sein kann, abgesehen von der besseren Ausnutzung eines in guter Verkehrslage ausgewählten Bauplatzes, liegt auf der Hand.
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Nach der körperlichen Reinigung ist eine Ruhepause Jedem willkommen, die er gern damit ausfüllen wird, eine Zeitschrift oder ein Buch zu nehmen und sich, wenn auch nur kurze Zeit, darin zu vertiefen.
Warum sollte nicht auch der Arbeiter nach dem Verlassen der Bade-Anstalt sich veranlasst fühlen, den Leseraum zu betreten und sich nebenher noch ein Buch aus der Bibliothek zu entleihen? Bequemer kann ihm jedenfalls die Gelegenheit nicht geboten werden, und in der That wird sie auch reichlich benutzt, wenn schon die Auslage von politischen Zeitungen bisher grundsätzlich vermieden ist – bei denen man wohl die Blätter sozialdemokratischer Färbung hätte ausschliessen müssen; sicherlich würde von vornherein damit nur Anstoss und Misstimmung in den Kreisen hervorgerufen sein, für welche die gemeinnützige Anstalt ja bestimmt ist! Schon in den ersten 4 Wochen nach ihrer Eröffnung wurde die Leseballe von 1153 Männern und 66 Frauen, d. h. durchschnittlich auf den Tag von 42 Männern und 2 Frauen, die Bücherei in derselben Zeit von 437 Personen besucht. Jetzt in der Sommerszeit ist der Verkehr naturgemäss etwas schwächer geworden, um sich voraussichtlich erst zum Herbstbeginn wieder zu heben; übrigens bedarf jede neue Einrichtung einer gewissen Zeit, um sich erst volksthümlich einzubürgern.
Der Bau eines städtischen Bades mit öffentlicher Lesehalle und Bücherei ist nach den Abbildungen S. 399 ausgeführt worden, die nur noch weniger Worte zu Ihrer Erläuterung bedürfen. Nach dem Raumprogramm, wie es sich von selbst gestaltete, mussten zwei vollständig von einander getrennte Eingänge angelegt werden für Männer und Frauen, um auf besonderen Treppen zur Bade-Anstalt im oberen Stockwerk und zur Lesehalle und Bibliothek daselbst zu gelangen. Zwischen beiden Treppenhäusern liegt die Kartenabgabe, zugleich Aufenthaltsraum des Wärters und seiner Frau, also auch Wäsche-Ausgabe und im hinteren Theile nach dem Hofe Wäscherei. Die Männer gehen unmittelbar in den grossen Baderaum des Erdgeschosses, die Frauen steigen eine Treppe hoch zur Bade-Anstalt bezw. Lesehalle und Bibliothek empor, welch letztere vom mittleren Treppenhause für Männer ebenso leicht zu erreichen ist.
Im Untergeschoss ist ein Schulbad eingerichtet mit einem gemeinsamen, in Beton hergestellten Fussbad, über welchem 5 Brausen zum gleichzeitigen Gebrauch für die Kinder etwa einer halben Schulklasse angebracht sind. Das in den Betonfussboden eingelassene, allseitig sauber in Zement abgebügelte Becken mit einem Wasserinhalt von 20-25 cm Tiefe ist mit erhöhtem Rande zum Sitzen versehen, selbstverständlich mit Gefälle und Vorrichtung zum Ablassen des Wassers, und dient vorzüglich für das Abseifen der Füsse.
Im hinteren Theile des Untergeschosses sind 6 Wannen für Sool- und sonstige medizinische Bäder angeordnet, deren Benutzung aber vorläufig nur zufolge ärztlicher Anweisung, nach vorheriger Anmeldung in den städtischen Krankenanstalten, erfolgt. Mit Rücksicht auf die Zwecke dieser, gründlichste Desinfektion erfordernden Badeeinrichtung für Skrophulöse usw., ist hier eine besonders gediegene Einrichtung in besten weissglasirten Verblendsteinen für die frei aufgemauerten Badebecken angewendet worden, die innen mit glasirten Platten ausgelegt sind.
Der übrige Theil des Untergeschosses ist vom Kesselhause in Anspruch genommen, in welches die Kohlen über eine Kohlenrampe unmittelbar von der Strasse aus hineingeschafft werden. Es ist eine Niederdruck-Dampfheizung mit Käuffer’scher Druckregulirung gewählt, welche die Bedienung durch den Kesselwärter, der thunlichst auch Bademeister, Billeteinnehmer – alles in einer Person – sein soll, auf ein möglichst geringes Maass einschränkt. Wegen der Beleuchtung der Untergeschossräume ist die Gebäudefront um 6 m hinter die Strassenflucht zurückgerückt worden, womit die Herstellung eines Lichtganges vor den Fenstern des Schulbades, die bequeme Entwicklung der Kohlenrampe, sowie der beiden Freitreppen vor den Eingängen erzielt ist und zugleich Gelegenheit geboten wird, in dem zwar bescheidenen Vorgartenplätzchen bei starkem Andrang im Freien warten zu können.
Dem Männer-Baderaum im Erdgeschoss ist ein Warteraum vorgelegt. Es sind 17 Duschstellen vorhanden, deren Theilung durch dünne, nur 5 cm starke Wände aus beiderseitig weissglasirten Verblendsteinen erfolgt ist. Auch die Wände sind ringsherum mit solchem Material auf 2 m Höhe bekleidet, erst darüber beginnt die Verblendung in hellgelben, sauberen Mauerziegeln besserer Sorte. Nach den bisherigen Erfahrungen hat diese Ausführung der Wände und Theilungen gewählt werden müssen, nachdem alle bisherigen Mittel, die Zement- oder sonstigen Flächen mit Anstrich zu schützen, sich dem Angriffe der heissen Seifenlauge gegenüber auf die Dauer nicht bewährt haben.
Die Frauen-Badeanstalt enthält nur 4 Duschzellen, zwar nur eine kleine Zahl, entsprechend dem bei anderen Volksbädern bemerkten geringeren Bedürfniss des weiblichen Geschlechts, das entschieden die Wannenbäder bevorzugt. Demgemäss sind 4 solche eingerichtet.
Ueber die für die Bücherei und Lesehalle bestimmten Räume ist nichts weiter zu sagen. Die Decken sind überall massiv, aus gebrannten Deckensteinen in Zement zwischen eisernen Trägern gebildet. Der Fussboden der zu Badezwecken dienenden Räume im Erd- und Obergeschoss ist aus Terrazzo auf Betonunterlage hergestellt.
Auf eine Dienstwohnung im Hause ist, wie aus den Grundrissen ersichtlich, Verzicht geleistet, da die Anfügung von Wohnräumen sich nur schwer mit der übrigen Raumeintheilung vertragen hätte. Jedenfalls konnte eine grössere Strassenfront für das Gebäude nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. Es wird aber beabsichtigt, eine Bademeister-Wohnung noch dem unmittelbar angrenzenden Schulgrundstück abzugewinnen, indem die allzeit zur Verfügung stehende Hilfe einer Aufsichtsperson, die auf dem Grundstück auch Nachts einschreiten kann, doch auf die Dauer nicht zu entbehren ist.
Die Einrichtungen haben sich bisher gut bewährt, auch gegenüber dem Massenverkehr, welcher z. B. am Sonnabend vor Pfingsten sich auf 801 Bäder belaufen hat, wobei 529 Brause- und 74 Wannenbäder an Männer, 114 Brause- und 82 Wannenbäder an Frauen verabfolgt wurden, ausserdem 2 Soolbäder. Es ist das eine ganz beachtenswerthe Leistung, zumal die Abfertigung sich doch auf den Zeitraum weniger Stunden des Nachmittags und Abends zusammenzudrängen pflegt!
Die Baukosten haben 91500 M. betragen, einschl. der gesammten Ausstattung auch für die Bücherei, jedoch ausschl. Beschaffung der Bücher selbst. Wieviel davon antheilig auf die Badeanstalt, wieviel auf die Volksbibliothek entfallen würde, lässt sich bei der Verquickung beider Zwecke zu derselben Baulichkeit nicht gut herausrechnen.
Magdeburg, Juni 1900. P.
Dieser Artikel erschien zuerst am 29.08.1900 in der Deutsche Bauzeitung.