Weintreiberei

3. Talutmauern in Sansouci

Von Dr. Udo Dammer. – Hierzu 5 photographische Aufnahmen. Noah fing an und ward ein Ackermann und pflanzte Weinberge, heißt es in der Genesis. Das ist die älteste Nachricht, die wir über den Weinbau haben.

Man hat sich lange Zeit in Gelehrtenkreisen darüber gestritten, woher die Weinrebe stamme, und erst der allerneusten Zeit war es vorbehalten, die ursprüngliche Heimat der Rebe mit Sicherheit festzustellen, wenn auch schon seit geraumer Zeit bekannt war, daß in dieser Gegend die Weinrebe wild wächst. Merkwürdigerweise trifft die Angabe der Genesis ziemlich genau das Richtige. Aber, was mir noch viel wichtiger erscheint, ist, daß diese Uebereinstimmung darauf hinzudeuten scheint, daß der Weinbau wohl noch ein viel höheres Alter hat, als es nach der Angabe der Genesis scheint. Südlich vom Kaukasus, längs der Küste des Schwarzen Meeres von Golowinsk im Norden bis etwa zum 38. Grad östlicher Länge von Paris im Süden zieht sich ein etwa 40 Kilometer breiter Streifen Landes, der nur zwischen Suchum Kale und Batum sich zungenförmig bis zum Meskigebirge erstreckt.

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Dieser Zipfel Landes, kaum 200 Kilometer nördlich vom Ararat gelegen, ist ausgezeichnet dadurch, daß er eine Flora beherbergt, die gar nicht in unsere heutige Pflanzenwelt paßt, sondern durch eine merkwürdige Aehnlichkeit mit der Flora einer längst entschwundenen Erdepoche übereinstimmt, nämlich mit der Tertiärflora. In der Tat hat man allen Grund, anzunehmen, daß hier ein Stückchen Land übriggeblieben ist, auf dem in ununterbrochener Folge sich die Flora seit der Tertiärzeit erhalten hat. In diesem Gebiet nun ist die Heimat des Weinstocks, hier wächst er überall vom Tiefland bis zu 1050 Meter Meereshöhe wild und erreicht im Tiefland eine Stammstärke von 1 ½ Fuß! In der Tertiärzeit aber kam, wie zahlreiche Blattabdrücke beweisen, die Weinrebe auch in Deutschland, so namentlich in der Wetterau, vor, also dort, wo auch jetzt wieder ein guter Wein wächst, wenn auch nicht wild, so doch kultiviert. Hat demnach die Weinrebe schon ein hohes Alter, so geht doch anderseits aus diesen Angaben deutlich hervor, daß sie zu ihrem Gedeihen eine ziemlich hohe Sommertemperatur braucht und nur dort gedeiht und ihre Früchte reifen, wo ihr im Sommer genügend Wärme zuteil wird.

1. Traubenernte in einem Weinhaus des Grafen von Talleyrand-Périgrod
1. Traubenernte in einem Weinhaus des Grafen von Talleyrand-Périgrod
2. Weinhaus der Kaiserin Friedrich in Cronberg im Taunus
2. Weinhaus der Kaiserin Friedrich in Cronberg im Taunus

Wo dies aber nicht der Fall ist, da muß man zu künstlichen Mitteln seine Zuflucht nehmen, um reife Trauben zu ernten. So ist es bekannt, daß in England, trotz des milden insularen Klimas, die Traube nicht im Freien reift, sondern unter Glas gezogen werden muß, während anderseits noch an den Ufern des Sognefjords unter 61 Grad nördlicher Breite die Sorten früher Leipziger, früher von der Lahn und blauer Frankentaler gute reife Trauben bringen. Der Wunsch, auch in Gegenden, in denen die Traube nicht mehr im Freien mit Sicherheit reift, Trauben zu erhalten, hat zunächst dazu geführt, Vorkehrungen zu treffen, die das Reifen der Trauben begünstigen; denn nicht sowohl die winterliche Kälte, als vielmehr die mangelnde Wärme im Sommer ist der Hinderungsgrund für einen ausgedehnteren, lukrativen Weinbau. Man pflanzte deshalb die Weinstöcke an nach Süden gelegene Mauern und fing die Sonnenwärme durch davorgestellte Fenster ein.

Primitive Heizvorrichtungen sorgten dafür, daß frühzeitige Nachtfröste die Reife der Trauben nicht beeinträchtigten. Eine solche Weintreiberei an Talutmauern im großen befindet sich noch im Park zu Sanssouci bei Potsdamn (Abb. 3). Die Heizeinrichtungen gestatten es, daß die Weinreben auch schon etwas früher als im Freien zum Austreiben gebracht werden können, und daß auf diese Weise und durch zweckentsprechende Auswahl der Sorten die Ernte auf eine ziemlich lange Zeit ausgedehnt werden kann. Nun leben wir aber in einer Zeit, in der wir nicht mehr mit den Blumen und Früchten der Jahreszeit zufrieden sind, sondern Rosen zu Weihnachten, Veilchen im August, Maiblumen im November, Spargel im Oktober und Weintrauben im Februar und März haben wollen. Nach vielen vergeblichen Bemühungen ist es auch meist gelungen, diese Wünsche zu erfüllen.

3. Talutmauern in Sansouci
3. Talutmauern in Sansouci
4. Blick in ein Cronberger Weinhaus vor der Ernte
4. Blick in ein Cronberger Weinhaus vor der Ernte

Zunächst suchte man die Trauben auf geeignete Weise Stückzweig abschnitt, den Zweig in eine mit Wasser gefüllte Flasche steckte und diese Flaschen auf geeigneten Gestellen aufstellte. Eine eigenartige, in Rußland seit langer Zeit übliche Methode, die Weintrauben aufzubewahren, besteht nach Hamm darin, daß man die Trauben, ohne die Beeren irgendwie mit den Händen zu berühren, abschneidet, ehe sie ihre vollkommene Reife erlangt haben, darauf alle nur im entferntesten schadhaften Beeren entfernt und die Trauben dann so, daß sie sich gegenseitig nicht berühren können, in irdene Töpfe von 30 bis 40 Liter Inhalt legt und die Zwischenräume mit ungeschälter Hirse ausfüllt. Wenn dann die Töpfe mit einem Deckel luftdicht verschlossen werden, sollen sich die Trauben länger als zwei Jahre frisch erhalten. Ich sah einst ähnlich in Hirse verpackte Trauben auspacken, die im Hochsommer aus Taschkent nach Nishnij Nowgorod geschickt und mehrere Wochen unterwegs gewesen waren, und die doch so frisch und duftig waren, als seien sie eben erst abgeschnitten worden. Dem verwöhnten Gaumen des Gourmands ersetzt aber die beste konservierte Frucht nicht die frisch gepflückte, und so sahen sich die Gärtner genötigt, die Weinstöcke künstlich zu jeder Jahreszeit zur Reife zu bringen.

Wohl die großartigsten Weintreibereien befinden sich in Belgien, die noch bis in die neuste Zeit den Markt mit frischen Trauben zu außergewöhnlicher Zeit beherrschen. Der Energie einiger deutscher Gärtner, namentlich der des Gartenbaudirektors Haupt in Brieg, ist es aber gelungen, auch hierin Wandel zu schaffen. Dem Beispiel Haupts sind andere gefolgt, und so finden wir jetzt in Deutschland bereits mehrere Weintreibereien im großen Stil, wie z. B. jene auf dem Drachenberg bei Potsdam, die aber nur für die kaiserliche Tafel jahraus, jahrein Trauben liefern, die großen Weintreibereien der hochseligen Kaiserin Friedrich in Cronberg im Taunus (Abb. 2 und 4) und die des Grafen von Talleyrand-Périgord in Steglitz bei Berlin (Abb. 1 und 5).

5. Weintreiberei des Grafen von Talleyrand-Périgrod
5. Weintreiberei des Grafen von Talleyrand-Périgrod

Wie jedes sommergrüne Gewächs verlangt auch der Weinstock eine Ruheperiode. Hierauf basiert die ganze Weintreiberei. Man zwingt die zu treibenden Pflanzen durch Wasserentziehung zu einer ungewöhnlichen Zeit zur Ruhe und weckt sie dann nach einer bestimmten Zeit, indem man den Pflanzen wieder Wasser und die zum Austreiben nötige Wärme gibt. Ferner hält man auch die Pflanzen durch geeignete Mittel über die natürliche Ruheperiode hinaus in Ruhe und bringt sie erst später als gewöhnlich zum Austreiben, oder man kürzt die Ruheperiode durch Erwärmung des Raumes, in dem sich die Reben befinden, ab und veranlaßt sie auf diese Weise zu einem frühzeitigen Austreiben. In letzterem Fall ist es nicht nötig, daß die – ganze Pflanze in dem künstlich erwärmten Raum steht, man kann also zum Beispiel auch im Zimmer Wein treiben, wenn man einen Ast der vor dem Haus stehenden Pflanze durch die Mauer in das geheizte Zimmer leitet. Auf diese Weise kann man das vom pflanzenphysiologischen Standpunkt aus interessante Experiment ausführen, einen Teil einer Pflanze zum Treiben zu bringen, während der übrige Teil der Pflanze ruht. Die gut eingerichtete Weintreiberei erfordert außerordentliche Aufmerksamkeit und genauste Kenntnis des Wachstums der Weinrebe. Wehe dem Weintreiber, der nicht den Schnitt der Weinrebe vollständig beherrscht! Daß man zur Treiberei mit Vorliebe großbeerige Sorten wählt, ist selbstverständlich, und zwar sind es besonders die 8 Sorten Blauer Trollinger (= Black Hamburgh), Fosters Seedling, Madresfield Court, Muscat of Alexandria, Gros Colnan, Weißer spanischer Malvasier, Weißer Drachenberg usw. Damit diese Trauben aber die vollkommenste Ausbildung erlangen, müssen die Pflanzen auf das kräftigste ernährt werden, ferner müssen die Trauben zu rechter Zeit von allen nicht ganz tadellosen jungen Beeren befreit werden, damit die wenigen stehenbleibenden Beeren die gesamte Nahrung erhalten.

Dieser Artikel erschien zuerst in die Woche 40/1903.